Karsten Pfeifer – Fahrtwind im Haar trotz Querschnittlähmung

Karsten Pfeifer unterwegs mit seinem Handbike

Karsten Pfeifer kollidierte vor viereinhalb Jahren während eines Triathlons auf dem Rad mit einem Auto. Seit dem ist er ab dem 1. Brustwirbel abwärts querschnittgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Wir haben immer wieder berichtet. Heute erzählt er über einen Sommer mit vielen Handbiketouren.

Der November ist nasskalt. Zudem befinden wir uns im nächsten Corona-Lockdown. Für mich und andere höher querschnittgelähmten Rollstuhlfahrer keine ganz einfache Kombination. Gerne denke ich daher an die warmen Monate zurück. Meinen ersten Sommer in meiner neuen niederbayerischen Heimat. Vor meinem Unfall war ich hier häufig zum Trainieren unterwegs. Im vergangenen Sommer 2020 habe ich die Gegend nun aus einer ganz anderen sitzenden Perspektive neu kennengelernt. Ich konnte viele Eindrücke auf meinen diversen Handbike-Touren sammeln. Und gleichzeitig meine aktuellen körperlichen Grenzen kennenlernen.

Mein Lockdown Jahr war 2019


Zu Jahresbeginn 2020 hätte ich nicht gedacht, nennenswerte Distanzen mit dem Handbike erkurbeln zu können. Nicht wegen fehlender Motivation oder der dafür benötigten körperlichen Leistung. Vor allem aufgrund dem vorangegangenen Jahresverlauf. In 2019 musste ich häufig Liegezeiten über mich ergehen lassen. In Summe verbrachte ich unfassbare 22 Wochen auf dem Bauch. Zieht euch das mal für eine Sekunde rein. Versucht euch das vorzustellen. Hands-up. Wer von Euch hat schon mal so einen „Lockdown“ im Bett mitgemacht? Der Grund dafür waren die häufig aufgetretenen Hautverletzungen am Rücken. Die ich mir wegen meiner ganz speziellen Querschnittlähmung zuziehe und die wegen der schlechten Durchblutung auch nur sehr langsam abheilen. Wenn ihr eine tiefe Hautverletzung am Rücken hättet, würdet ihr euch auch nicht den ganzen Tag mit genau dieser Stelle irgendwo anlehnen. Ihr hättet Schmerzen. Ich spüre da aber nichts. Das macht es so gefährlich.

Dann kam in 2019 noch ein sturzbedingter Oberschenkelbruch im April auf Mallorca hinzu. Dort begleitete ich eine Triathlon-Trainingsgruppe als Organisationssupport. Der Bruch beschäftigte mich sechs Monate lang.

Karsten Peifer on Tour mit seinem Handbike

Dieses Jahr blieb ich dagegen weitestgehend von solchen derben Rückschlägen verschont. Ich musste nur kleinere Pausen einlegen, um die Hautsituation im Griff zu behalten. Somit war 2020 bisher ein echtes Novum seit meinem Unfall. Erstmals konnte ich über mehrere Monate hinweg kontinuierlich aktiv sein. Dafür bin ich in Demut dankbar. Trotzdem muss ich permanent auf der Hut sein. Mein Zustand bleibt fragil und ich bleibe anfällig für Hautverletzungen.

Die nackten Zahlen


Da ich noch immer im Geiste Sportler bin, habe ich grob Protokoll über meine Aktivitäten in diesem Jahr geführt. Ich wollte mir einen Überblick verschaffen, wieviel Zeit ich tatsächlich in Bewegung und Therapie absolviere. In Gedanken hatte ich mir nach dem Unfall vorgenommen, irgendwann in der Lage zu sein zwischen zwei bis vier Stunden täglich mit meinem Körper zu arbeiten. Ein Teil davon mit dem Handbike und Indoor mit dem Motomed Handkurbelgerät. Von April bis Anfang Oktober war ich 159 Stunden mit dem Anklemmhandbike unterwegs. 2.814 km und 21.000 positive Höhenmeter habe ich so zurückgelegt. Hinzu kamen Indoor an meinem Motomed Handkurbelgerät weitere 100 Stunden und 2.000 km in diesem Zeitraum.

Ob das nun viel oder wenig ist, kann ich noch nicht beurteilen. Mir fehlen noch Referenzwerte. Auch kann man diese Kilometer nicht mit denen eines gesunden Radfahrers vergleichen. Man muss bedenken, dass bei mir die Alltagsbewegung eines Fussgängers fehlt. Als Querschnittgelähmter muss man im Rahmen seiner individuellen körperlichen Mögilchkeiten dem permanenten Sitzen so viel wie möglich an Bewegung entgegensetzen.

Ablenkung
Eine weitere beachtliche Triebfeder, mich möglichst regelmäßig zu bewegen, ist der mentale Aspekt. Bewegung lenkt mich von meinen neurologischen Begleiterscheinungen im Rumpf ab, die meine Querschnittlähmung mit sich bringt. Da ich mit dem Anklemm-Handbike im Schnitt nur 18-20 km/h unterwegs sein kann, nehme ich automatisch meine Umgebung, Farben, Vegetation etc. viel intensiver war. Das trägt meine Gedanken immer wieder woanders hin. Zudem fallen mir nun kleine Straßen auf dem Weg auf, die ich ausprobieren möchte. Daher empfinde ich diese Touren als sehr kurzweilig, auch wenn ich teils drei bis vier Stunden unterwegs bin. Den Fahrtwind im Haar zu spüren, vermittelt mir ein Gefühl der Freiheit und Unbeschwertheit. Mein Handicap tritt für ein paar Stunden in den Hintergrund.

Gebt mir Hügel’z
Wenn man sich in dieser Region Niederbayerns Richtung Rottal bewegt, durchquert man sehr abwechslungsreiche hügelige Landschaften auf vielen kleinen kurvigen einsamen Straßen. Das hat mir schon als Triathlet mit dem Rad mächtig Spaß gemacht. Im Laufe des Sommers habe ich immer mehr Gefallen daran gefunden, möglichst viele Hügel hochzufahren, um positive Höhenmeter zu sammeln. Ich war dann überrascht, wieviel doch zusammenkommt. Es gibt hier einige kurze Rampen, die bis zu 18 Prozent ansteigen. Das ist schon übel grenzwertig mit meinem Gefährt. Selbst mit Elektrounterstützung bekomme ich das nicht mehr gekurbelt. Dazu ist eine kleinere Übersetzung und eine andere Rahmengeometrie erforderlich. Mit einem sportlichen Liegerad ist sowas sicherlich machbar. Was ich allerdings bei solchen Intensitäten schon bemerken musste, ist die hohe muskuläre Belastung für die Schultern. In den Juliwochen habe ich  zu schnell zu viel gemacht. Da kamen fast 1000 km in 55 Stunden zusammen.

Der Winter kommt
Da jetzt die kalte dunkle Jahreszeit beginnt, muss ich meine Aktivitäten nach innen verlegen. Ich habe dafür ein Therapiegerät im Auge, mit dem ich zuhause nicht nur alleine Stehen kann, um den Kreislauf zu trainieren, sondern im Stehen auch aktiv zu sein. Das ist so eine Art Crosstrainer für Querschnittgelähmte. Wenn sich diese Pläne konkretisieren sollten, werde ich euch hoffentlich schon beim nächsten Mal darüber berichten.

Bleibt aufrecht in diesen Zeiten. Irgendwie.
#NeverStopBurning

Euer Karsten