Was versteht man unter Hypotonie?

Blutdruck Ultraschall

Als niedriger Blutdruck – im Fachjargon „Hypotonie“ genannt – wird ein Blutdruck unter 100/60 mmHg bei Frauen beziehungsweise unter 110/60 mmHg bei Männern definiert. Was genau sich dahinter verbirgt und welche Auswirkungen das hat, haben wir im folgenden Interview mit dem Kardiologen Dr. Kurt Johannes Schmieg zusammengefasst.

Wir wollten es genauer wissen und unterhielten uns mit dem in Freiburg praktizierenden Facharzt für Kardiologie, Innere Medizin, Diabetologie und Sportmedizin, Dr. Kurt Johannes Schmieg darüber, welche Auswirkungen insbesondere ein zu niedriger Blutdruck auf die Leistung eines Ausdauersportlers hat.

Blutdruck ist der durch die TÄtigkeit des Herzens erzeugte Druck des strÖmenden Blutes im BlutgefÄßsystem. Der Blutdruck ist in den herznahen großen Schlagadern am größten. Mit dem Umlauf des Blutes sinkt er und ist beim Einmünden der großen Venen in das Herz etwa gleich null. Die Höhe des Blutdrucks ist abhängig von der Leistungsfähigkeit des Herzens, von Weite und Elastizität (Tonus) der Blutgefäße und von der inneren Reibung (Viskosität) des Blutes.“ (DIE ZEIT, das Lexikon in 20 Bänden, Band 02, Seite 267)

Herr Dr. Schmieg, einen zu niedrigen Blutdruck (Hypotonie) verbinde ich mit Schwindel, Ohnmachtsanfällen und kalten Gliedmaßen. Können Sie dies bestätigen, und gibt es noch weitere Symptome?
Häufig klagen diese Patienten über eine allgemeine Leistungsschwäche, Müdigkeit, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Kopfschmerzen, kalte Extremitäten (Akren) mit zitternden Händen und Füßen bis hin zu einem unspezifischen Schwindelgefühl, verstärkt beim Übergang vom Liegen zum Stehen.

Wann spricht man – auch im Vergleich zum Bluthochdruck – von einer Hypotonie?
Die arterielle Hypotonie wird als Blutdruck unter 100/60 mmHg bei Frauen beziehungsweise unter 110/60 mmHg bei Männern definiert.

Welche Ursachen führen dazu, und sind bestimmte Bevölkerungsgruppen davon besonders betroffen?
Hauptursache ist das „Versacken“ von venösem Blut in dem Gefäßsystem der Beine, mit der möglichen Folge eines Kreislaufkollapses aufgrund der Unterversorgung des Gehirns. Dieses „orthostatische Syndrom“ findet sich meist bei Jugendlichen im Wachstumsalter, großen, sehr schlanken Menschen und Schwangeren, aber auch bei rund 25 Prozent der über 65-Jährigen. Ein genauer Erbmodus ist nicht bekannt. Krankheitsbedingte Ursachen für eine symptomatische Hypotonie müssen erkannt und behandelt werden. Dazu zählen in erster Linie:

  • Salzmangel (Hyponatriämie)
  • Flüssigkeitsmangel (Hypovolämie)
  • Verbrennungen
  • Schock
  • Herzinsuffizienz/Herzschwäche
  • Aortenklappenstenose (Verengung der Klappe)
  • bestimmte Herzmuskelerkrankungen
  • Herzrhythmusstörungen
  • Infektionskrankheiten mit Fieber und ausgeprägtem Schwitzen
  • hormonelle Veränderungen
  • Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose)
  • Schwangerschaft
  • Unterfunktion der Nebennierenrinde (Addison-Krankheit)
  • Eisenstoffwechselstörungen, insbesondere Eisendefizit
  • Einnahme von Medikamenten
  • Diuretika (wassertreibende Medikamente)
  • Psychopharmaka (gegen Ängste, Depressionen, Schlaflosigkeit)
  • Antiarrhythmika (Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen)
  • Antihypertonika (Medikamente gegen Bluthochdruck)
  • Koronarmittel (bei Angina pectoris)
  • Vasodilatanzien (Mittel zur Gefäßerweiterung)

Werden diese Ursachen erkannt und behandelt, so normalisieren sich in den meisten Fällen die Blutdruckwerte im weiteren Verlauf.

Und wie sieht es bei den Ausdauersportlern aus?
Die „hypotone Fehlregulation“ ist prognostisch keine verhängnisvolle Erkrankung. Im Gegensatz zur arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck) wird das arterielle Gefäßsystem und das Herz beim Hypotoniker durch die niedrige Wandspannung eher entlastet, sodass eine Herz- und Gefäßschädigung eher nicht zu erwarten ist. Das Risiko für eine Verkalkung der Blutgefäße (Arteriosklerose) und deren Folgen, wie eine koronare Herzkrankheit, periphere Verschlusskrankheit, Schlaganfall oder Herzinfarkt, ist damit NICHT erhöht. Inwieweit die sportliche Leistungsfähigkeit durch einen zu niedrigen Blutdruck eingeschränkt ist, kann nur individuell beurteilt werden. Generelle Aussagen sind nicht möglich.

Welche vorbeugenden Maßnahmen sollten Betroffene im Alltag, beim Training und Wettkampf ergreifen?
Die Durchblutung ist nach dem Sport erhöht, sodass beim abrupten Stehenbleiben nach einer sportlichen Belastung das Blut relativ schnell in den Beinen „versacken“ und vom „Schwarzwerden vor den Augen“ bis zum Kollaps führen kann. Deshalb ist ein langsames Auslaufen oder Gehen nach jeder sportlichen Belastung, auch nach einem Fitness-Training an Geräten, vorteilhaft. Die körperliche Leistungsfähigkeit ist durch die reine arterielle Hypotonie nicht beeinträchtigt, da der Blutdruck bei steigender Belastung ansteigt. Generell ist auf eine ausreichende Flüssigkeits- und Kochsalzzufuhr zu achten. Koffeinhaltige Getränke können – insbesondere bei längeren Trainingseinheiten und Wettkämpfen – durchaus Vorteile bieten. Auch physikalische Maßnahmen wie Heiß-/Kalt-Wechselduschen sind sinnvoll, hier sollte der Kältereiz am Ende stehen. Kompressionsstrümpfe können den Blutrückfluss fördern, sodass dementsprechend weniger Blut in den Beinen „versacken“ kann.

Welche (Spät-)Folgen können bei einer unbehandelten/ignorierten Hypotonie auftreten?
Niedriger Blutdruck allein ist keine Krankheit und kann mit den eingangs aufgeführten Maßnahmen gut eingestellt werden. Eine Hypotonie ist in der Regel nur dann behandlungsbedürftig, wenn relevante Beschwerden auftreten, die beispielsweise durch Minderdurchblutung des Gehirnes das normale Leben entscheidend beeinträchtigen, oder eine Krankheit dahintersteckt. Hier ist in jedem Fall eine weiterführende Diagnostik ratsam.

Ich kenne viele Sportler, die unmittelbar nach der Trainingsbelastung in die Sauna gehen oder ein basisches Bad nehmen. Welche Vorsichtsmaßnahmen sind in diesem Zusammenhang zu beachten?
Generell gesagt, führt Hitze zu einer Gefäßerweiterung und den physikalischen Gesetzmäßigkeiten zufolge zu einem Blutdruckabfall. Dabei ist es unerheblich, ob Frau oder Mann sich in einer Sauna oder Dampfbad trockener Hitze oder in einem Heißwasserbad feuchter Hitze aussetzt. Sportler mit vorbekannter Hypotonie sind dabei naturgemäß am meisten gefährdet. Hier sollte in jedem Fall auf eine ausreichende Flüssigkeits- und Salzzufuhr geachtet werden. Bei Bluthochdruckpatienten kann dieser Hitzestress in Verbindung mit dem Kältereiz nach dem Saunieren zu einem Blutdruckanstieg führen, bis hin zum hypertensiven Notfall. Hier sind sicherlich niedrig temperierte Saunen wie Dampfbäder sowie schonendes Abkühlen zu bevorzugen.

Letzte Frage, haben sie in diesem Zusammenhang noch einen Tipp aus Ihrer täglichen Praxis parat?
Sehr gerne, ich empfehle jeder sporttreibenden Frau mit Hypotoniesymptomen, den Eisenstoffwechsel zu kontrollieren. Hier ist neben dem Hämoglobin besonders der Serum-Ferritin-Wert (Eisenspeicher) und gegebenenfalls auch der Transferrinwert interessant. Liegt das Serum-Ferritin < 100 ng/ml, so ist eine Eisenzufuhr ratsam. Wegen der mangelnden Resorptionsquote und den Nebenwirkungen im Magen-Darmtrakt ist in diesem Zusammenhang von einer oralen Eisensubstitution (Tabletteneinnahme) abzuraten. Dies gilt in eingeschränktem Maße auch für Männer, wobei Eisendefizite bei Frauen generell häufiger sind.

Herr Dr. Schmieg, vielen Dank für die ausführlichen Informationen.

Interview: Klaus Arendt