Intermittierendes Fasten

Grundlagen und Erfahrungen zum intermittierenden Fasten von Maximilian Longrée.

Diäten gibt es viele. Allein mit der simplen Aufzählung könnte man diesen Artikel füllen, ohne dabei auch nur eine Variante explizit zu erläutern. Mittlerweile habe ich das Gefühl: Je sedativer unser Lebensstil wird, desto mehr Diäten kommen zum Vorschein. Und die passenden Versprechen werden bei der Vermarktung auch gleich mitgeliefert – „Fettabbau bei Stärkung der Muskulatur ohne Verzicht, in kürzester Zeit und ganz ohne Bewegung!“

Ernährungschaos im Sport?

Dieser Diätwahnsinn lässt viele Menschen geradezu verzweifeln. Und auch vor dem Sport macht diese Entwicklung nicht halt und wird dort mitunter besonders zelebriert. Vor allem unter den innovativen Triathleten, die aus jeglichem Wettkampfmaterial das letzte Watt rausholen wollen, wird es immer wichtiger, wie sie durch eine gezielte Ernährung die Performance steigern können. Während bei Ausdauersportlern bis vor einiger Zeit eine kohlenhydratreiche Ernährung – bei der Belastung „frischen“ Zucker zuführen und nach der Belastung die Glykogenspeicher auffüllen – hoch im Kurs stand, kamen vor einigen Jahren die Proteine ins Spiel, die bis dato den Fitnessfreaks zugeschrieben wurden. Letztendlich wurde ihre Wichtigkeit für regenerative Prozesse nach dem Training erkannt. Gleichzeitig verloren sie ihren Ruf, demzufolge sie Unmengen an für Ausdauersportler unnötigen Muskelbergen aufbauen. Gegenwertig beobachte ich gar umgekehrte Trends aus der Diätenvielfalt, die Anklang in der Ausdauergemeinde finden: von „low-carb, high-protein, high-fat diets“ bis hin zu ihrer extremsten Form, der ketogenen Diät. In manchen Köpfen scheint sich der einstige Treibstoff für Athleten, die Kohlenhydrate, zum Performance-Killer zu entwickeln. Diese Einschätzung sollte man aber keinesfalls ohne zu hinterfragen teilen, sondern lieber darüber nachdenken, wann dieser Makronährstoff am besten zugeführt wird.

Dieser Artikel, wie sollte es auch anders sein, geht auf eine weitere Diätform ein, das intermittierende Fasten (IF). Ich selbst praktiziere diese Ernährungsform seit nunmehr sieben Jahren. Der Unterschied zu den üblichen Ernährungskonzepten ist, dass hier nicht die Makronährstoffverteilung vorgegeben wird, sondern lediglich die beiden Zeitfenster der Nahrungszufuhr und des Fastens.

Nur zeitliche Vorgaben, keine inhaltlichen Vorgaben

Das Intervallfasten soll – so die Theorie – ohne Ernährungsumstellung und Kaloriendefizite funktionieren. Alle propagierten Modelle versprechen die gleichen gesundheitlichen Wirkungen, lediglich die Essenspausen variieren, wobei die Nacht immer mit eingerechnet wird. Rund um die Uhr erlaubt sind alle kalorienfreien Getränke wie ungesüßter Tee, Wasser und Kaffee schwarz. Auf den Latte macchiato muss man also während der Fastenstunden verzichten. An Light-Getränken scheiden sich die Geister. Ich persönlich trinke jene. Mehrere Selbsttests mittels Blutzuckermessgerät ergaben, dass nach dem Konsum von zuckerfreiem Soda bei mir keine Blutzuckerhöhung auftrat. Ein Anstieg würde den Fasteneffekt unterbrechen. Im Zeitfenster der Nahrungszufuhr darf man essen, was man möchte, ohne Vorgaben. Was sich jetzt surreal anhört – dann darf ich ja immer mein Lieblingsgericht essen – erübrigt sich von alleine, wenn einem dieses nach drei Tagen zum Halse heraushängt.

Intermittierendem Fasten: gängige Formen

Every other Day
Im 36/12-Rhythmus wird innerhalb von 12 Stunden gegessen und anschließend 36 Stunden lang gefastet.

Eat-Stop-Eat-Methode
Es wird zweimal pro Woche für 24 Stunden keine Nahrung aufgenommen.

16/8-Rhythmus
Diese Form sieht vor, 16 Stunden nichts zu essen und in den verbleibenden 8 Stunden Nahrung aufzunehmen.

Warrior-Diät oder 20/4-Methode
20 Stunden am Tag fasten, gefolgt von einem vierstündigen Zeitfenster für die Nahrungsaufnahme.

Ex-Profitriathlet Maximilian Longree über Intermittierendes Fasten

Praktische Vorteile

Das intermittierende Fasten, das im Bedarfsfall auch Kombinationen mit anderen Ernährungsformen erlaubt, ist in der Durchführung sehr simpel. Es bedarf keiner großen Regeln, die befolgt werden müssen, lediglich die Einhaltung der zeitlichen Fenster, die entsprechend smart gelegt werden können. All dies macht die Planung einfacher, spart Zeit und Nerven, insbesondere für gesundheitsbewusste und leistungsorientierte Sportler, die eine effektive Ernährung in ihren Alltag aus Familie, Job und Sport zu integrieren versuchen. Gezielt sich Ernährende nehmen ihr Essen schon vorgefertigt mit zur Arbeit. Das intermittierende Fasten löst sich von dem kulturell entwickelten Rhythmus aus drei Mahlzeiten und eventuellen Snacks in Richtung der Nahrungsaufnahme unserer Vorfahren. Früher waren die Menschen nicht 365 Tage rund um die Uhr mit Nahrung versorgt, sondern mussten für sie sammeln und jagen. Fastenzeiten ergaben sich zwangsläufig, teilweise nicht nur über wenige Stunden. Dementsprechend passte sich der Stoffwechsel auch diesen Situationen an. Hinzu kam, dass trotz Energiemangel die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit erhalten bleiben musste.

Um das zu erreichen, schüttet der Körper verschiedene Botenstoffe (wie Glückshormone und Stresshormone) zur Erhaltung der Motivation und Wachsamkeit aus. Bedingt durch einen geringen Insulinspiegel steigt die Wachstumshormonausschüttung stark an, schützt vor Muskelabbau und stärkt den passiven Bewegungsapparat. Diese Kombination ermöglicht eine vermehrte Fettoxidation. Je länger die Fastenperiode, desto mehr Ketonkörper, die zur Energiegewinnung benutzt werden, werden gebildet. Zugleich wirken sie hungerdämpfend und stimmungsaufhellend. Sie entstehen bei leeren Glykogenspeichern und Kohlenhydratmangel in der Nahrung als Nebenprodukt bei der Fettverbrennung in den Mitochondrien der Leber. In den Zellen dienen sie als Energiequelle. Der Organismus wird also durch den Nahrungsverzicht dazu „gezwungen“, seinen Fettstoffwechsel zu optimieren.

Positive Effekte von intermittierendem Fasten

Die gesundheitlich positiven Effekte, die dem intermittierenden Fasten zugeschrieben werden, sind vielfältig. Um den Rahmen dieses Artikels nicht zu sprengen, liste ich an dieser Stelle die relevantesten auf:

  • Blutzuckerspiegel: reguliert sich in den Essenspausen
  • Linderung von Diabetes-Symptomen
  • verbesserte Nährstoffaufnahme
  • bessere Regeneration und Fettverbrennung durch eine erhöhte Wachstumshormonausschüttung
  • Senkung des Körperfettanteils und Muskelaufbau
  • Erhöhung der Lebenserwartung um 30 Prozent
  • stimmungsaufhellend: Ausschüttung von Botenstoffen wie Serotonin
  • Entlastung und Vorbeugung gegen Fettleber
  • Gehirn und Nervenzellen: besserer Verlauf bei Demenz und Morbus Parkinson
  • positive Auswirkung auf die Darmflora
  • schnellere Regeneration von Immunzellen
  • Prävention und Verbesserung von erhöhten Blutfettwerten, Bluthochdruck, Diabetes, Krebs

„Eat, what you need!“

Während bei unseren Urvorfahren Jagd, Flucht und Kampf energieerzeugende und leistungssteigernde Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin, Glukagon und Testosteron freisetzten, ist unser heutiges Training nichts anderes als ein gezielt herbeigeführter physischer Stress.
In beiden Fällen wird gespeicherte Energie aus Muskelglykogen und dem Fettgewebe gewonnen. Dabei werden die Sauerstoffversorgung, Kraft, Reaktionsfähigkeit, Schnelligkeit, Ausdauer, Koordination und mentale Stärke optimiert. Der Anstieg der sogenannten Stresshormone ist insofern positiv zu sehen, wirkt aber gleichzeitig auch katabol. Dieser abbauende Prozess ist gewollt, sollte jedoch nicht allzu lange anhalten, da er sonst wertvolle Körpersubstanz wie Muskulatur verstoffwechseln kann. Und deshalb muss im Anschluss daran auch eine anabole (aufbauende) Phase folgen, um langfristig einen Leistungsanstieg zu erreichen.

Und hier kommen die positiven Eigenschaften des Insulins ins Spiel, denn eine körpereigene Insulinausschüttung zur richtigen Zeit hat hervorragende Effekte auf das Training. Es kann diese Prozesse umkehren beziehungsweise lindern und zusätzlich durch die Einlagerung von Aminosäuren in die Muskeln die Proteinsynthese ankurbeln. Diese antikatabole Wirkung leitet die Regeneration ein. Das ist das Prinzip der Superkompensation, ein höheres Leistungsniveau als zuvor zu erlangen. Eine vorherige „Hungerphase“ im Rahmen des Intermittierenden Fasten potenziert die katabolen Prozesse, schließlich sind die Glykogenspeicher angebrochen und der Körper ohnehin schon im Fettstoffwechselmodus.

Im Gegensatz zu den Menschen, bei denen die Gewichtsreduzierung im Vordergrund steht, möchten Sportler ihre Leistung verbessern, idealerweise durch eine auf die Saisonhöhepunkte individuell abgestimmte „eat what you need“-Nahrungszusammensetzung. Das Ziel ist, dass der Athlet sowohl beim täglichen Training als auch während der Regeneration von den positiven Eigenschaften der Fasten- und Essensphasen profitiert.

  • Hauptziel Fettverbrennung: geringe bis mittlere Trainingsintensität, relativ kohlenhydratarme Ernährung und Training im Fasten-Modus
  • Schwerpunk intensives Training: im Zeitfenster der Nahrungsaufnahme mit Energiezufuhr vor dem Training und schneller Glykogenaufladung nach dem Training
  • Anaerob-alaktazide und aerobe Belastung sowie klassisches Krafttraining mit Gewichten im Fasten-Modus
  • Anaerob-laktazide Belastung im Zeitfenster der Nahrungsaufnahme

Unter Berücksichtigung der beruflichen und privaten Verpflichtungen und der Vermeidung von mentalem Burn-out und/oder Übertraining sollte das intermittierende Fasten abhängig von Alter, Geschlecht, Gewicht und Körperzusammensetzung auf den Trainingsplan und seine Schwerpunkte individuell abgestimmt werden.

Vor dem Hintergrund der Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten mit der Art der Nahrungsaufnahme sollten sich Interessierte langsam an das intermittierende Fasten herantasten, es individuell und vor allem auch auf die Alltagstauglichkeit als wichtigsten Parameter in der Umsetzbarkeit flexibel anpassen. Jede Umstellung in der Ernährung und der Lebensweise ist auch nur so gut wie ihre Nachhaltigkeit. Die Gewöhnung bedarf einiger Zeit. Die Erfahrungen mit meinen Athleten und bei mir selbst zeigen in der Summe positive Effekte, was die Leistungsfähigkeit in der Hauptsportart, die Körperzusammensetzung, Umsetzbarkeit und das Wohlbefinden angeht.

Und ich so?

Mein Training und intermittierendes Fasten (20/4-Methode) im Alltag sieht so aus, dass ich den Tag nach einer Tasse schwarzem Kaffee nüchtern mit einer Ausdauereinheit von rund 45 Minuten im GA1/2-Bereich starte. Das regt die Fettverbrennung für den Rest des Tages an. Am frühen Abend folgt ein kraftbetontes Work-out mit einem Mix aus BCAAs, Glutamain, L-Carnitine und Koffein. Falls die Zeit bis zum Abendessen noch länger ist, trinke ich eine zweite Portion. Das Abendessen beginne ich ballaststoff- und proteinreich und esse im Verlauf immer mehr Kohlenhydrate. Dies hat den Vorteil, dass mein Blutzuckerspiegel allmählich ansteigt und die Glykogenspeicher wieder gefüllt werden und für die morgendliche Einheit stark machen. Über den Tag verspüre ich keinen Hunger und kein zu Fressattacken verleitendes „Starving“. Die Trainingsenergie ist groß, der Stoffwechsel läuft auf Hochtouren und das Essen schmeckt.

Zu guter Letzt!

Meines Erachtens schlummert bei sehr vielen Ausdauersportlern in der Ernährung noch ein großes Potenzial. Der Fokus liegt bei zu vielen noch in der Nutritionversorgung im Training und Wettkampf. Meine Erfahrung als Athlet, Trainer und Berater im Triathlon- und Fitnessbereich zeigt, dass mit dem richtigen Wissen über die (eigene) Ernährung und der „konsequenten“ Umsetzung weitere Leistungssprünge möglich sind.

Überraschenderweise stelle ich immer wieder fest, dass ambitionierte Sportler im Fitnesssektor im Gegensatz zu manch einem Triathleten mit einem wesentlich geringeren Körperfettanteil herumlaufen. Und das, obwohl Triathleten zumeist das Doppelte an Trainingspensum haben. Die Gründe können im Essverhalten liegen und/oder mitunter an ineffektiv abgerissenen Trainingsstunden. Ein Versuch, mit intermittierendem Fasten besser zu werden, ist es allemal wert, allein schon, weil man dabei viel über seinen Stoffwechsel erfährt.

Bevor Sie jedoch Ihre Ernährung von jetzt auf gleich umstellen, sollten Sie über einen Zeitraum von zwei Wochen eine Selbstaufschreibung durchführen. Notieren Sie jeden Tag, was und wie viel Sie zu welcher Uhrzeit essen und trinken. Und ich versichere Ihnen, bereits beim Aufschreiben werden Sie Ihre Ernährung ein klein wenig anpassen, da Sie feststellen, was Sie alles essen (wollten). In einem gemeinsamen Gespräch mit Ihrem Ernährungsberater (und Trainer) können Sie anschließend die weiteren Schritte und Veränderungen festlegen. Vergessen Sie bei allen Zielen allerdings nicht, dass Nahrungsaufnahme und Essen auch sehr viel mit Genuss und Lebensqualität zu tun haben. Eine allzu dogmatische Umsetzung der Vorgaben kann auch kontraproduktiv sein.

Text: Maximilian Longrée / longree.de
Fotos: privat