Erfolg und Misserfolg im Wettkampf liegen bekanntlich sehr nah beieinander. Besonders im Triathlon spielen Renntaktik und die Kombination aus Be- und Entlastung im Training ebenso eine wichtige Rolle, wie die individuelle Reduzierung des Umfangs innerhalb der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung.
Der Sportwissenschaftler Philipp Seipp – unter anderem Trainer und Ehemann der Viertplatzierten beim Ironman Hawaii 2019 Laura Philipp – gibt wertvolle Tipps für das Gelingen von Wettkämpfen, legt allerdings Wert darauf, dass es sich bei seinen Ausführungen nicht um eine Blaupause für den garantierten Erfolg handelt, sondern dass man diese mit den individuellen Möglichkeiten abgleichen sollte.
Das Terrain
Ein Wettkampf bedeutet, das beste Ergebnis an einem vorgegebenen Termin zu erbringen, und zwar unter den nachfolgenden Annahmen:
- Ein Wettkampf ist sowohl physisch als auch psychisch anstrengend
- Die Wettkampfleistungen sollten den Trainingsleistungen die Krone aufsetzen
- Wettkampf bedeutet, im Vorfeld für eine gewisse Zeit andere Dinge hinten anzustellen, um ein gewünschtes realistisches Ziel zu erreichen
Ich möchte mich jedoch dieser Zielerreichung vom Ziel aus nähern. Seit mehreren Jahren darf ich Athleten vor, während und nach ihrem Wettkampf begleiten. Das sind spannende und intensive Zeiten, weil hier Grenzbereiche ausgelotet werden. Am Tag X soll alles stimmen, um den „Lohn“ – also den individuellen Erfolg – für das oftmals monatelange Training einzufahren. Dass Rennen nicht immer gelingen, gehört zum Sport, und diese Ungewissheit macht auch einen großen Teil des Zaubers, der Magie und des Reizes aus, den Wettbewerbe auf uns ausüben. Für mein Dafürhalten erlebe ich nach einem Wettkampf Athleten, die Erklärungen für das Erlebte und Empfundene suchen. Nicht selten beginnen diese Erklärungen mit einem „Ich habe aber…“.
Zwei Aspekte sind an diesen Äußerungen für mich besonders spannend. Erstens: Triathlon ist und bleibt ein Einzelsport und ist somit eine ich-zentrierte Sportart. Zweitens: Das „ABER“, das der Feind aller Zufriedenheit ist. Ein „Ja-ABER-Lob“ ist das Schlimmste, was ausgesprochen werden kann, da die zweite Botschaft immer die Einschränkung des Lobes beinhaltet. Hier ist sie Ausdruck der Unzufriedenheit. Ich hake genau hier ein, um Routinen, Ziele und Inhalte zu hinterfragen. Aus diesem Grund schildere ich drei Beobachtungen, die für meine Sicht für dieses Thema prägend sind:
Beobachtung 1 – Falscher Ehrgeiz
Nicht selten versuche ich – der Begleiter – an Freitag- oder Samstagnachmittagen vor großen Rennen, wenn meine Athleten mit den Vorbereitungen fertig sind, selbst noch Sport zu treiben. Fast immer treffe ich auf diesen Runden Athleten, die am kommenden Tag selbst Vollgas geben wollen und jetzt 12–18 Stunden vor dem Start nochmals richtig am Gashahn drehen. Um ungläubigen Lesern dieser Zeilen ein paar Zahlen an die Hand zu geben: Ich spreche von Leistungen größer 4 W/kg auf dem Rad am Berg über mehr als fünf Minuten und Laufgeschwindigkeiten, die ich im Rennen als Durchschnittsleistungen nur sehr weit vorne im Feld entdecken kann. Um es kurz zu halten: Hier werden mögliche gute Resultate am Vortag unwahrscheinlicher gemacht.
Beobachtung 2 – Überpacen
Die retrospektive Rennanalyse ist durch die Aufzeichnung von vielerlei Parametern leicht geworden. Das Gleiche gilt übrigens auch für die prospektive Rennplanung, die Pacing-Strategie. In allen Wettkämpfen, die mit einem Windschattenverbot ausgetragen werden und länger als zwei Stunden andauern, ist die Energiebereitstellung das limitierende Element: Die körperinternen Kohlenhydratspeicher sind begrenzt, und die Resorption von Kohlenhydraten funktioniert nicht unbegrenzt schnell. Dem entgegen steht das Verhalten in Rennen: Nach dem Wechsel aufs Rad treten Athleten wie wild in die Pedale, als gelte es, zehn Kilometer in maximalem Tempo zu bewältigen. Das gleiche Bild an Bergen oder an Stimmungsnestern, beispielsweise am Solarer Berg. Hier werden Leistungen weit über der mittleren Leistung erbracht. Das macht ein gutes Gesamtergebnis unwahrscheinlicher. Und das ist übrigens auch immer wieder in Profifeldern zu beobachten: 2017 profitierte Patrick Lange bei seinem Sieg auf Big Island enorm von der wilden Renneinteilung auf dem Rad von so manchem gestandenen Profi. Denn das Fahren über dem möglichen Mittel – das mit Tests und Trainingsanalysen sehr gut berechenbar ist – macht gute Laufleistungen unwahrscheinlich. So entstehen Laufleistungen, deren Mittel unterhalb des GA1-Bereiches der jeweiligen Herren liegen.
Beobachtung 3 – Materialfetischismus
Das Material der Profis wird häufig als der heilige Gral für jedermann dargestellt. So kommen viel Age Grouper mit sportlich radikaleren Aeropositionen daher, die sie bei ihren Rennzeiten auf der Mitteldistanz häufig 2,5–3,5 Stunden fahren wollen und auf Langdistanzen gut und gerne 5–6 Stunden halten müssen. Dass dieses Unterfangen schwer ist, sieht jeder, der Rennstrecken ab Kilometer 40 besucht. Hier wird auf dem Sattel gearbeitet, an den Oberlenker gegriffen, sich gestreckt und geräkelt, was das Zeug hält. Dementgegen steht das Wissen, dass die Aeroposition 80–85 % Anteil am Gesamtwindwiderstand hat. Also ist der Anteil des Materials marginal, wenn die Position nicht dauerhaft gehalten werden kann. Darüber hinaus werden am Vorwettkampftag häufig noch Veränderungen am Material vorgenommen: Pedalplatten gewechselt, Laufräder getauscht, Ketten gewechselt, Sättel getauscht, Aeroflaschen montiert, um nur die Klassiker aufzuführen.
Die Theorie
Inhaltliches Tapern vor dem Wettkampf
Das inhaltliche Tapern, d. h. die Gestaltung der 1–2 Wochen vor dem Hauptwettkampf – also das inhaltliche Tapern –, lasse ich hier bewusst aus, weil das Thema viel zu individuell ist. Ein guter Trainer hilft Ihnen anhand der Analyse Ihrer Trainingsdaten und einem persönlichen Gespräch, dass Sie am Tag X erholt und gleichzeitig leistungsfähig an der Startlinie stehen. Werte aus Trainingsload und Trainingsstress helfen, dem Gefühl und der Erfahrung eine Datenbasis zu geben, um so wenig wie möglich Beliebigkeit zuzulassen. Denn nur wenn Sie wirklich ausgeruht an der Startlinie stehen, werden Sie Ihre maximal mögliche Leistung erbringen.
Die mentale Vorbereitung
Nur wenn Körper und Geist zusammenspielen, ist eine Topleistung – egal, auf welchem Niveau – möglich! Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Häufig sind Wettkämpfe mit Reisen verbunden. Ortswechsel, ob mit dem Flugzeug oder mit dem Auto, kosten Kraft. In den meisten Fällen liegen Wettkämpfe am Ende einer Arbeitswoche, und auch die hat bei Age Groupern ihre ganz speziellen Anforderungen. Wie ist in einem solchen Konstrukt Erholung beziehungsweise eine optimale Vorbereitung möglich? Planung und Struktur können helfen, um anvisierte Ziele tatsächlich wahr werden zu lassen. Wie viel Zeit – inklusive Packen und Auspacken – benötige ich tatsächlich für meine Anreise? Kenne ich die Rennstrecken? Welche Herangehensweise ist für meine Leistungsfähigkeit die erfolgversprechendste Variante? Das Material benötigt Zeit und Pflege, um am Tag X tatsächlich den erwünschten Effekt zu bringen. Ebenso verhält es sich mit der Rennverpflegung, die nur dann erfolgreich sein wird, wenn sie im Training zur Gewohnheit geworden ist.
Das richtige Pacing im Wettkampf
Das Pacing für den bevorstehenden Wettkampf muss ebenfalls entwickelt werden. Faktoren wie Renndauer, Temperatur, Kohlenhydrataufnahme und vieles mehr spielen eine entscheidende Rolle. Es ist eine Komponente, die einen weitaus größeren Einfluss auf den Rennausgang hat, als die allermeisten annehmen. Und richtiges Pacing ist kein Orakel aus der Glaskugel, sondern Arbeit mit Zahlen, welche die „Abfallprodukte“ eines geplanten Trainings sind, das beispielsweise in Schlüsseleinheiten Routinen geschaffen hat, die am Renntag zum Tragen kommen sollen. Pacing bedeutet auch die bewusste Gestaltung eines Rennes mithilfe des Leistungsmessers beziehungsweise Tachos beim Radfahren und Laufen. Nachrangig zu all dem stehen Fragen nach der strategischen Ausrichtung in einem Rennen.
Die Praxis
Für die Rennpraxis bedeuten meine Aussagen, dass eigenes Handeln und Motivationen hinterfragt werden müssen, um im Wettkampf bestehen zu können. Das Gelingen von individueller sportlicher Höchstleistung ist ein multifaktorielles Konstrukt, das nur ganz wenige direktive Antworten zulässt. Es geht darum, für das eigene Wohlbefinden sensibel zu sein und das gesteckte Ziel vom Zielbild einer gelungenen Zukunft aus rückwärts zu denken. Dieses Vorgehen ermächtigt den Einzelnen, viele kleine Detailfragen richtig zu beantworten, die in der Summe das Gelingen sind.
Das benannte Gelingen hängt untrennbar mit den gesteckten Zielen zusammen. Hierbei sind Träume keine Ziele, die unserer Zufriedenheit zuträglich sind. Träume sind in dieser Sprache Fernziele in 2–5 Jahren. Mir geht es um das höchstmögliche, realistische Rennresultat unter Berücksichtigung des Ist-Zustandes. Gerade beim Ausdauersport regiert der Geist den Körper. Das ergibt erneut Spielräume für das wettkämpfende Ich, wenn es den zuvor umrissenen Prozess bewusst durchlaufen hat.
Schlussfolgerungen
- Topleistungen im Wettkampf sind kein Zufall
- Wettkampfleistungen sind planbarer, als viele annehmen
- Wettkampfleistung ist Selbstgespräch – führen wir es!
- Wettkampfleistung ist nur eingeschränkt kaufbar, der allergrößte Teil entsteht in der bewussten Auseinandersetzung mit der Sache selbst. Geben wir dem Austausch in dieser Sache mehr Raum und Transparenz.
Text: Philipp Seipp
Fotos: Marcel Hilger / marcelhilger.de