Nach jeder härteren Trainingseinheit genieße ich es, meiner „persönlichen“ Physiotherapeutin einen Besuch abzustatten, um mir ausgiebig Rücken, Schultern und Oberarme durchkneten zu lassen. Glücklicherweise handelt es sich dabei um die Frau meines Bruders. Die lästige Terminabstimmung entfällt. So auch heute. (Un)Angemeldet gehe ich in ihre Praxis, rufe in die leicht abgedunkelten Räumlichkeiten „bin in der acht“ und lege mich hin. Ich bin fertig, richtig fertig sogar. Trotz anfänglicher Selbstzweifel hatte ich meine Trainingsvorgaben erfüllt. Vier Kilometer Schwimmen, inklusive fünfzehn mal 100 Meter in 1:20 Minuten. Für Mitte Februar war das ja schon eine Ansage.
Kurz vor dem Einnicken höre ich aus der Nebenkabine eine mir bekannte Stimme. Der Oberschnösel aus meinem Verein. Jetzt wird’s interessant. Meine Müdigkeit ist verflogen. Ich bin hellwach. Nachdem das Gespräch zunächst so dahinplätschert und die unwesentlichen Alltagsgeschehnisse abgehakt sind, lenkt meine Schwägerin das Thema geschickt auf die interessanteren Dinge des Lebens. Ich wusste gar nicht, dass der Typ so viel reden kann. Beim Vereinstraining kriegt er seine Zähne fast gar nicht auseinander. Er klagt darüber, dass er immer noch solo sei, wo er doch schon alles Erdenkliche anstellt, um auch eine Partnerin abzukriegen. Er weiß gar nicht mehr, was er beim Training und den vielen Wettkämpfen, an denen er teilnimmt, noch alles anstellen soll, um die Aufmerksamkeit der Damen auf sich zu ziehen. Und dabei gehöre er doch schon zu den Schnellsten in seiner Altersklasse, steht fast immer auf dem Treppchen und anschließend groß im Internet und in der Lokalzeitung.
Als meine Schwägerin anmerkt, er solle doch nicht nur im sportlichen Umfeld nach einem Lebenspartner suchen, kann ich mir in der darauf folgenden Gesprächspause den entgeisterten Gesichtsausdruck meines Vereinskollegen genau vorstellen. Außerhalb des Sports? Gibt es ein Leben außerhalb des Triathlons? Dass das einseitige Fokussieren nur auf den Sport auch einsam machen kann, scheint bei ihm noch nicht angekommen zu sein.
Besorgt schaue ich mich in meiner Kabine um und stelle beruhigt fest. Ich befinde mich in einer Praxis für Physiotherapie und nicht in der Psychoanalytik.
Denkt dran, immer schön locker bleiben,
Euer Freund Locke