„Unfassbar, und viel zu früh“, das waren meine ersten Gedanken, als ich kurz vor dem Schlafen gehen mit Bestürzung den Social Media-Eintrag über den plötzlichen Tod von Nis Sienknecht lesen musste. Seine positive Ausstrahlung, sein Lachen, seine positive und optimistische Lebenseinstellung sowie seine ziel- und lösungsorientierte Herangehensweise an die täglichen Herausforderungen bleiben in Erinnerung, ebenso wie das letzte Zusammentreffen auf der Eurobike in Frankfurt.
Interessanterweise standen bei diesem Termin weniger geschäftliche Themen im Vordergrund unseres Gespräches , vielmehr unterhielten wir uns über das Leben … aus dem Nis am vergangenen Sonntag (24.11.24) viel zu früh gerissen wurde.
"Keiner wird gefragt, wann es ihm recht ist, Abschied zu nehmen, von Gewohnheiten, Menschen, sich selbst, irgendwann, plötzlich, heißt es damit umgehen, ihn aushalten, annehmen, diesen Abschied, diesen Schmerz des Sterbens, dieses Zusammenbrechen, um neu aufzubrechen!"
(Margot Bickel)
Obwohl Nis und ich über mehrere Jahre aus zwei Triathlon-Magazin-Redaktionen über die Bubble der Triathleten berichteten und sich jeder – mit seinem eigenen Stil – um die Gunst der Leser bemühte, begegneten wir uns bei unzähligen Wettkämpfen, Herstellerterminen und Expos immer mit Respekt und auf Augenhöhe. Immer fanden wir Zeit für ein kurzes Pläuschchen, das glücklicherweise weit über einen oberflächlichen Gruß hinausging.
Im Namen aller Triathleten verneige ich mich vor einem großartigen Menschen. Meine Gedanken sind bei seiner Frau Lisa, seinen Kindern und seiner Familie.
Nis, wir vergessen Dich nicht.
========
tritime-Interview mit Nis Sienknecht aus 2019
Elf Jahre arbeitete Nis Sienknecht beim Verlag spomedis in Hamburg, zuletzt als Chefredakteur für die Zeitschrift triathlon | Insider. Coach. Experte. Einer 18-monatigen Tätigkeit als Brand Manager bei Canyon folgte ein Jahr als selbstständiger Consultant, Athleten-Manager und freier Journalist, unter anderem für das Online-Portal pushing-limits.de. Seit Herbst 2018 arbeitet der 41-Jährige ausschließlich für das junge Label Fe226.
Nis, welche Erinnerungen hast Du an Deine Zeit bei spomedis, eine für Deinen beruflichen Werdegang sicherlich wichtige Station?
Ausschließlich großartige! Wirklich. Ich habe so viel lernen dürfen und mich beruflich und menschlich in Riesenschritten entwickelt. Gleichzeitig haben sich der spomedis-Verlag und der Markt für Print- und Onlinemedien verändert, und der Triathlon hat sich professionalisiert. Eine superspannende Zeit, die mich sehr geprägt hat. Dafür möchte ich gern auch an dieser Stelle noch mal DANKE sagen! Ich bin dafür sehr dankbar!
Am Ende habe ich mich bei meinem beruflichen Wechsel zu Canyon nicht gegen spomedis entschieden, sondern für etwas Neues. Ich wollte wieder mehr lernen, mich selbst mehr fordern und fühlte mich im Thema Sport-Journalismus irgendwie an einem Ende angekommen – ich meine das positiv. Menschen, die nur ein Thema haben, stellen keine Fragen. Und ich hatte mich vielleicht zu sehr ans Antworten gewöhnt und das Fragen verlernt. Alles, was ich jetzt tue, fußt auf den Erfahrungen dieser elf Jahre – und denen der Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Es war die richtige Zeit für neue Abenteuer.
Nach einer rund zweijährigen Findungsphase bist Du hauptberuflich für das junge Label Fe226 tätig. Dein nächster großer berufliche Hafen?
Mein Schiff ist meine Familie – während der Zeit in Koblenz ist unser Sohn geboren. Und unser Hafen ist Hamburg, wo wir mittlerweile wieder leben – beziehungsweise der Norden Europas. An Rhein und Mosel fehlten mir der Wind, das Raue. Der Humor, der über sich selbst lacht. Damit will ich nicht sagen, dass es südlich der Elbe überall so ist. Koblenz und wir passten aber einfach irgendwie nicht zusammen.
Für Fe226 arbeitete ich bereits als freiberuflicher Berater und habe die Marke und deren Gründer Morten Sondergaard mehr als nur schätzen gelernt. Wir verstehen uns wie Brüder und haben die gleichen Vorstellungen vom Arbeiten. Sport gehört fest dazu, Familie und Job müssen zusammenpassen und nicht konkurrieren. Auch deshalb gibt es keine Firmenzentrale, sondern jeder arbeitet in dem Umfeld, in dem er am besten ist. Ich arbeite ganz genau so wie ich es als Selbstständiger getan habe, nur mit voller Verantwortung und nur für einen einzigen Arbeitgeber. Deine Frage , ob das mein neuer beruflicher Hafen ist, kann ich absolut mit Ja beantworten. Und das Beste ist, dass ich den Ort für den Hafen mitwählen, ihn selbst mit aufbauen und gestalten kann und alle Schiffe einladen und willkommen heißen kann, die dort gern anlegen möchten.
Apropos etwas aufbauen. Materialthemen interessierten Dich schon immer. Was ist der große Unterschied dabei, ein Produkt nicht mehr aus Sicht einer Testperson zu tragen, sondern mit den Augen eines Herstellers zu sehen?
Wenn ich etwas teste, überprüfe ich im weitesten Sinne, ob der Hersteller die genannten Ideen gut umgesetzt hat, bewerte diese Ideen und habe vielleicht selbst zusätzlich welche. Das Ganze ist aber eher zweidimensional: Der Hersteller gibt mir ein fertiges Produkt, erzählt mir die Ideen dahinter und ich probiere und bewerte. Jetzt bin ich mehrdimensional gefragt, ich bringe meine eigenen Ideen und Erfahrungen in jedes Produkt ein, höre auf die Tester, Athleten und andere Hersteller. Am Produkt sind viel mehr Menschen beteiligt, als man vielleicht denkt. Das finde ich super! Außerdem mache ich mir Gedanken darüber, wo und wie ich produziere, ob Umwelt und Arbeiternehmer fair behandelt werden, aber auch, wo und wie ein fertiges Teil verkauft werden kann. Ich segle also nicht nur von hier nach da, sondern baue zuerst mit anderen gemeinsam das Boot, passe es unterwegs an und steuere dann verschiedene Häfen an.
Eine Werbebotschaft besagt, dasss Fe226 mit der Zielsetzung gegründet wurde, eine Kollektion zu entwickeln, die in Design, Material und Fertigung keinerlei Kompromisse eingeht. Sagen das nicht alle Unternehmen?
Wäre ja auch irgendwie doof, wenn man Gegenteiliges sagen würde. Insofern: Ja, das sagen alle. Zum Glück. Ich versuche das mal für uns zu präzisieren: Wir verstehen uns als Evolutionäre, nicht als Revoluzzer, die etwas ganz Neues wollen und alles Bestehende zerschlagen. Auf dem Markt gibt es wirklich viele richtig, richtig gute Produkte und eine Menge toller Ideen. Wir sagen nicht, dass wir nur Wein und Schokolade im Topf haben und alle anderen mit Wasser kochen. Unser Anspruch ist eher, unsere Produkte, unsere Firma und unsere Partner einen kleinen Tick besser zu machen als das Beste, was wir vorfinden. Oder einfach etwas besser mit den jeweiligen Gegebenheiten umzugehen, uns anzupassen und weiterzuentwickeln. Wenn ich der Stärkste sein will und alle Schwächeren esse, dann bin ich eine Weile der dickste Fisch im Teich. Und dann tot. Weil ich mir selbst das Futter weggefressen habe. Schön doof, oder? Am Ende überlebt der, der sich am besten anpasst und am besten mit den anderen zusammenlebt. Und wer das verbessern kann, der ist ein Evolutionsmotor. Das möchten wir sein, und deshalb sind uns alle einzelnen Teile eines Produkts wichtig. Da soll es möglichst wenig oder keine Kompromisse geben. Ansonsten gern.
Triathleten werden auf dem Gebiet der Trainings- und Wettkampfbekleidung von kompressiv kühlend bis aerodynamisch mit sehr vielen Funktionen konfrontiert. Mittlerweile sollte jeder erkennen, dass Faser nicht gleich Faser ist. Wie relevant ist das wirklich?
(lacht) Wie viel Zeit hast Du? Du sagst es. Triathleten sind bekanntlich sehr anspruchsvoll und gehen insbesondere beim Material nur sehr ungern Kompromisse ein. Da rückt jetzt die Bekleidung etwas stärker in den Fokus. Eigentlich recht spät, wenn man bedenkt, dass es diese Fasern sind, die wir direkt auf der Haut tragen, die uns während eines Wettkampfs von der ersten bis zur letzten Sekunde begleiten. Aber – ich schließe mich da selbst ein – ein „fancy“ Fahrradrahmen, Aerolaufräder, superleichte Rennsemmeln oder ein Helm, der aussieht wie ein Raumschiff, begeistern uns wohl irgendwie mehr.
Und trotzdem tragen wir den Anzug die ganze Zeit. Und wenn man sich den größtmöglichen Zeitgewinn bei der Aerodynamik anschaut, dann kommt auf den Plätzen 1 bis 3 die Sitzposition, danach Anzug und Helm, gefolgt von der Sitzposition und den Laufrädern. Und irgendwann folgen Rahmen und Anbauteile. Es ist eben der Klops, der oben auf dem Rad sitzt, der dem Wind am meisten im Weg ist. Und wie man diesen Klops verpackt, das macht einen großen Unterschied. Welche Faser dabei letztendlich am besten funktioniert, ist wiederum recht individuell, wie die Sitzposition.
Bei den heutigen Hightech-Fasern kann man nahezu sämtliche Eigenschaften umsetzen. Das ist toll für den Athleten – und vielleicht schlecht für seinen Geldbeutel. Treibt man es auf die Spitze – wie wir es versuchen – dann hat man es mit einem richtigen Hochleistungsstoff zu tun. Der hat dann seinen Preis, und jeder muss entscheiden, ob er diesen bezahlen möchte oder kann. Auch für weniger Geld bekommt man gute Teile und hat daran auch seine Freude. Ein Triathlon macht auch mit ausgeleierter Badehose und Baumwoll-T-Shirt Spaß! Geht man jedoch ans Eingemachte, wird es im Detail besser, aber eben auch sehr viel aufwendiger. Früher hätte ich über einen Anzug für 399 Euro gelacht und abgewunken. Mittlerweile weiß ich, was alles dahintersteckt und wie hoch der Aufwand ist. Und im Rennen spare ich damit viel mehr Zeit als mit weitaus teureren Laufrädern und Rahmensets.
Geht letztendlich nicht ein Großteil dieser Eigenschaften wieder verloren, wenn der Athlet beim Laufen den Frontreißverschluss bis zum Bauchnabel herunterzieht?
Wenn sich jemand damit wohler fühlt, dann soll es so sein. Ehrlich: Das persönliche Empfinden würde ich immer vor das Material setzen. Am besten ist aber natürlich ein Anzug, den ich nicht aufziehen möchte, weil er mich eben nicht einschränkt.
Bei welchen Eigenschaften sollte ein Triathlet auf gar keinen Fall irgendeinen Kompromiss eingehen?
Bei der Passform und beim Gefühl. Ich muss mich im und mit dem Anzug wohlfühlen. Mich in einen Einteiler zu quetschen, in dem ich mich kaum bewegen kann und dann zu hoffen, dass niemand Fotos macht, weil ich mich selbst darin nicht sehen möchte, bringt mir wenig. Möge die Pelle noch so schnell sein, am Ende ist es wie mit Laufschuhen: Wenn du reinschlüpfst, weißt du schon, ob Du Dich darin gut fühlst. Jeder sollte bei einem guten Händler oder auf einer Messe verschiedene Anzüge anprobieren, die Unterschiede spürt jeder.
Hand aufs Herz: Wie frustrierend ist in diesem Zusammenhang ein defekter Reißverschluss, der im Wettkampf den Nutzen eines hochtechnischen Produktes innerhalb einer Millisekunde zerstört?
Bei Andi Böcherer, einem von Fe226 gesponserten Athleten, ist das zweimal passiert. Das ist superärgerlich! Wirklich, ich könnte am Streckenrand oder vor dem Fernseher heulen oder ausrasten – oder beides gleichzeitig. Leider gehört es dazu. Wir verwenden den besten YKK-Zipper, den es gibt, und Andis Anzug ist von Hand auf seine Maße geschneidert gewesen. Das war wohl auch ein Teil des Problems. Um seine Sponsorenlogos in den Stoff einfärben zu können, haben wir ein anderes Material verwenden müssen als bei unseren Serienanzügen. Der Stoff ist zwar verwandt, aber nicht so flexibel wie das Original. Deshalb wollte Andi den Suit nicht unter dem Schwimmanzug tragen und hat ihn in der Wechselzone hochgezogen. Wenn ein Anzug so körpernah geschnitten ist und man ihn in der Hektik mit viel Schwung und großer Hebelwirkung anzieht, dann wirken enorme Kräfte auf den Reißverschluss. Wir alle müssen aus diesen Erfahrungen lernen. Man muss aber auch sagen, dass ein Hightech-Anzug nicht unbedingt dafür gemacht ist, in Eile und mit zu viel Kraft angezogen zu werden. Und leider behandeln wir im Rennen das eigene Material häufig oft nicht besonders gut. Sebastian Kienle, Nils Frommhold oder Daniela Ryf sind auch schon Anzüge geplatzt, alle von unterschiedlichen Herstellern. All das sollte nicht passieren, aber niemand darf vergessen, es sind empfindliche Stoffe.
Nicht alle Ausdauersportler sind eisern oder im Triathlon unterwegs. Schrecken der Markenname Fe226 und der Slogan „Be Iron“ nicht sogar potenzielle Kunden ab?
Ja, bestimmt. Eisen ist ein sehr vielfältiger Stoff und kann auch sehr weich und flexibel sein. Trotzdem ist das natürlich im Sport eng mit den ganz harten Kerlen verbunden. Wir wollen damit unsere Herkunft und die Verbundenheit zum Triathlonsport zeigen. FE26 ist das chemische Symbol für Eisen, 226 Kilometer misst eine Langdistanz. Wir haben mit dem Triathlon angefangen, weil wir uns damit am besten auskennen und weil wir es für die größte Herausforderung halten, ein Material zu entwickeln, das in drei so unterschiedlichen Sportarten funktioniert. Wenn wir das können, können wir auch in den einzelnen Sportarten oder ganz anderen Bereichen etwas leisten.
Individualität ist Trumpf, und viele Triathleten fallen gerne auf. Ein „faserschonender“ Siebdruck wird derzeit nicht angeboten, ein Aufdruck unter Hitze hingegen zerstört an den bedruckten Stellen die Eigenschaften der Stoffe. Gibt es Überlegungen, im Sinne des Kunden diesbezüglich Änderungen vorzunehmen?
Man kann unsere Anzüge durchaus mit Thermotransferdruck versehen. Aber wenn es wirklich farbenfroh und individuell werden soll, dann sind wir nicht die richtigen Ansprechpartner. Wir möchten, dass der Athlet auffällt, weil er toll aussieht. Nicht der Anzug. Deshalb haben wir ein zurückhaltendes und zeitloses Design gewählt. Wie in einem guten Anzug oder Kleid soll man sich einfach wohlfühlen mit sich selbst, das richtet auf und macht stark. Wirklich. Außerdem können wir unseren patentierten Stoff mit allen seinen Eigenschaften derzeit in keiner anderen Farbe anbieten. So einfach ist das. Selbst wenn wir können, werden wir wohl nie komplett pinke, knallbunte oder neonfarbene Klamotten basteln. Das ist einfach nicht Fe226. Aber dafür gibt es ja auch andere gute Hersteller. Natürlich arbeiten wir aber an neuen Designs und werden unsere Kunden da stärker einbeziehen, als man es bisher kennt. Seid gespannt …
Letzte Frage: Das Fe226-Team ist international aufgestellt und über Europa verteilt. Fluch oder Segen?
Segen! Absolut. Die besten Köpfe findet man nun mal nicht an einem Ort, und die technischen Möglichkeiten erlauben es uns, dass jeder vom Wohnort seiner Wahl aus arbeiten kann. Für Morten und mich ist das fundamental. Nur so bleiben alle Mitarbeiter komplett motiviert und mit sich selbst im Reinen. Bisher ist die Firma nicht so groß, dass wir es ändern müssten. Und wenn es mal so weit kommen sollte, haben wir recht moderne Ideen dafür. Vielleicht fallen wir damit irgendwann auf die Fresse. Aber wir wollen es probieren. Unsere DNA ist die Vielfältigkeit, denn unsere Designerinnen und das Produktmanagement sitzen in London, die Materialien kommen aus Italien, Frankreich, Portugal und Skandinavien, und wir produzieren in Litauen und Portugal. Das ist aber alles kein Gesetz, sondern wir bleiben bewusst flexibel. Das macht mehr Aufwand und kann auch mal nerven. Aber unterm Strich können wir nur so das bleiben, was uns auszeichnet: Evolutionäre. Nur so können wir ständig lernen, sind mit unterschiedlichen Einflüssen konfrontiert und bleiben in Bewegung. Und können die besten Köpfe, Firmen und Ideen zusammenbringen.
Wenn du gestattest, bemühe ich noch ein letztes Mal das Hafenbild: getrennt segeln, jeweils den individuell besten Weg finden, sich in verschiedenen Häfen treffen und dann weiterziehen – das Boot beladen mit den Erfahrungen der anderen. Es gibt also nicht nur einen einzigen lohnenswerten Platz zum Ankern.
Interview: Klaus Arendt
Foto: Björn Lexius | fe226.com
Interview-Erstveröffentlichung: tritime-Ausgabe 2-2019