Gibt es die aerodynamisch perfekte Sitzposition?

Kommen wir nun zu einem für viele schmerzhaften Kontaktpunkt, dem Sattel.

Davon ausgehend, dass die Geometrie des Rades und die Rahmengröße zum Athleten passen und im Vorfeld Fuß und Knie entsprechend eingestellt wurden, können durch einen nicht korrekt positionierten Sattel alle zuvor erzielten Vorteile wieder zunichtegemacht werden. Jedes Sattelmodell erfordert aufgrund seiner Formgebung, Sitzfläche, der verarbeiteten Materialien eine individuelle Aufhängung. Idealerweise hat der Sattel von vorne nach hinten und von links nach rechts eine Höhe, möglichst in Form eines Kreuzes. Beim Triathlon kommt es jedoch häufig vor, dass das Becken – meist muskulär bedingt – leicht nach vorne in Richtung Schambein klappt. Dies hat einen erhöhten Druck auf das Schambein zur Folge. Wenn der Sportler es schafft, das Becken muskulär aufgerichtet zu halten – meist ist die Muskulatur im Lendenwirbelbereich verkürzt – und der Gesäßknochen ein bisschen höher aufsitzt als der Schambereich, kann er auch eine normale Sattelform fahren. Ist dies nicht der Fall, müssen Wege gefunden werden, den Schambereich zu entlasten. Darüber hinaus benötigt der sich immer in Bewegung befindliche Gesäßknochen auch eine ausreichend große Sitzfläche, damit das Becken sich selbst stabilisieren kann. Auf keinen Fall dürfen der Sattel vom Winkel her nach unten zeigen, die Gesäßknochen tiefer gelegt werden, der Sattel zu weich oder die Sattelfläche seitlich beweglich sein. Denn das hat ein Nach-vorne-Rutschen und eine größere Kippbewegung zur Folge, das wiederum ein permanentes Nach-hinten-Drücken mit sich bringt, unnötig Energie kostet sowie Arme, Nacken und Oberkörper muskulär und orthopädisch belastet. Letztere sollten eigentlich möglichst entspannt aufgestützt auf dem Zeitfahrlenker liegen. Wenn der Schwerpunkt nicht im Bereich des Gesäßes, sondern auf den Unterarmen lastet, rutscht der Athlet nach vorne und drückt sich alle 10–15 Umdrehungen wieder nach hinten, um wieder in die eingestellte Sitzposition zu kommen. Bei Untersuchungen mit der Nationalmannschaft der Bahnradfahrer haben wir festgestellt, dass beim Nach-hinten-Drücken fast fünf Tritte lang nicht der Maximaldruck aufs Pedal gebracht werden konnte. Hochgerechnet macht dies bei einer Langdistanz mehrere Minuten aus.

Ironman World Championship 2019: Aeropositionen einiger Profiathleten

Helfen in diesem Zusammenhang spezielle Formgebungen mit entsprechenden Öffnungen oder Sättel mit einer verkürzten Nase?

Bei diesen Modellen spürt man im ersten Moment sofort die Entlastung im Schambereich. Aber das muskulär bedingte Nach-vorne-Kippen mit all seinen Nachteilen bleibt bestehen. Die Fähigkeit des Athleten, in seinen Körper hineinzuhören, ist an dieser Stelle eminent wichtig, auch um zu erkennen, ob er mit diesem suboptimalen Kompromiss leben kann oder er besser an seinen muskulären Defiziten arbeitet. Es macht keinen Sinn, die bisherigen Probleme im Schambereich an eine andere Stelle des Körpers zu verschieben. Dies geschieht aber, wenn man die Beschwerden im Schambereich nur dort beheben will und nicht die Ursache für die Beschwerden untersucht. Bekommt man es trotz Dehnen und optimaler Position nicht hin, kann man den Standardsattel auch umbauen. Hier erforsche und entwickele ich gerade in Zusammenarbeit mit der Bahnrad-Nationalmannschaft eine Sattelform, die nicht nur den Druck etwas entlastet, sondern das Becken auch stabilisiert.

Und wo genau muss der Sattel beim Zeitfahrrad dann positioniert sein? Weiter vorne oder hinten?

Das hängt mit der Knieachse zusammen, also Pedalplatte zu Fuß, Fuß zu Knie und Knie zum Becken. Je mehr Einstellmöglichkeiten die Aufhängung an der Sattelstütze bietet, umso besser. Jeder Mensch hat schließlich unterschiedliche Körpermaße. Auch bei einer gleichen Körpergröße sitzt ein jeder anders auf dem Rad. Gern verwendete Standardeinstellungen können auch aus diesem Grund nicht übernommen werden. Kein Mensch lässt sich in ein Winkelsystem einfügen. Es lassen sich auch keine Winkel oder Maße übertragen, da der menschliche Körper und die Bewegungsabläufe zu komplex sind. Außerdem verändert sich der Körper im Laufe der Zeit. Auch hier gilt – und ich wiederhole mich gerne –: Es gehört alles zusammen und ist als ein Gesamtkonstrukt anzusehen und ein kontinuierlicher Prozess.

Sie haben es bereits angesprochen. Der Triathlet sollte möglichst entspannt auf seinem Zeitfahrlenker liegen. Was ist neben den bislang angesprochenen Punkten besonders zu beachten?

Ist der Basislenker zu schmal, hat der Fahrer nicht nur weniger Kontrolle und Stabilität auf seinem Rad, er muss auch mehr mit dem Trizeps und der Schultermuskulatur arbeiten. Bei einem zu breiten Lenker kann man nach vorne und somit ins Genick fallen. Allerdings kommt dies nicht so häufig vor. Die Tiefe des Lenkers macht das Rad in der Summe wieder länger. Glücklicherweise lassen sich einige Basislenker im Bereich der Bremsen auch kürzen, wenn beispielsweise kein kürzerer Vorbau verbaut werden kann. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass man aus der Grundposition heraus und ohne umzugreifen direkt bremsen kann, nicht nur aus Gründen der Ergonomie, sondern auch aus Sicherheit.

Damit ein Triathlet möglichst entspannt auf dem Zeitfahrlenker liegt, beginnt jetzt, vorausgesetzt, bis zu diesem Punk passen alle Einstellungen, die Detailarbeit. Hier wirkt sich fast jeder Millimeter – zu hoch, zu niedrig, zu weit links, zu weit rechts – bei den Armschalen aus, ebenso wie der Abstand der beiden Extensions und deren Länge. Die Erfahrung des Bike-Fitters und die permanente Rückmeldung des Athleten spielen gerade im Cockpit-Bereich eine sehr wichtige Rolle, denn nicht alles, was in der Theorie aerodynamisch perfekt wäre, ist auch perfekt für den Athleten. Am Ende nimmt der Athlet die Position ein, in der er sich am wohlsten fühlt. Dies ist dann oft auch eine schlechtere Position, da das Rad nicht zum Körper passt und somit auch nicht die Ansatzpunkte. Aber über diese stabilisiert sich der Athlet und hat erst die Chance, entspannt zu sitzen und die maximale Leistung herauszuholen.

All dies zeigt, dass das Drehen an einer vermeintlich kleinen Stellschraube wie der Einsatz eines neuen Radschuhs oder Sattels Auswirkungen auf die Gesamtperformance hat.

Ganz genau, und deshalb macht es auch Sinn, im Verlaufe eines Jahres regelmäßig die Einstellungen der sieben Kontaktpunkte mit dem Zeitfahrrad überprüfen zu lassen. Dabei kommen dann auch die Fortschritte beim Ausgleich der muskulären Defizite und der daraus resultierenden Behebung einiger orthopädischen Fehlstellungen zum Tragen. Hier ist es aber auch wichtig, dass der Bike-Fitter eine orthopädische und physiotherapeutische Ausbildung hat, um diese wichtigen Bereiche optimal umsetzen zu können. Leider passieren hier viele Fehler, oder es wird nicht intensiv die Ursache behoben.

Interview: Klaus Arendt