Pheidippides, der bekannteste antike Läufer, ist wieder im Trend, schließlich ernährte er sich überwiegend vegetarisch. Wie übrigens die meisten seiner Kollegen vor über 2.000 Jahren, die als Nachrichtenboten oftmals Strecken von mehr als 200 Kilometer zurückzulegen hatten.
Der laufende Grieche, der geschätzt 50 kg wog und damit auf den ca. 480 km von Athen nach Sparta und zurück ca. 28.000 kcal verbrauchte, versorgte sich überwiegend mit getrockneten Feigen. Auch wenn die Griechen und Römer zunächst auf vegetarische Lebensmittel setzten, um ihre sportliche Leistung zu steigern, griffen sie bereits hundert Jahre später gern zu Fleisch. Kräutertees und Pilze sollten ihnen einen weiteren Leistungsschub bringen, während in Südamerika zur selben Zeit Tee, Kaffee und Coca als Stoffwechselbooster für lange Distanzen herhalten mussten. Nahrungsergänzungen sind also keine Erfindung der Neuzeit. Anfang des 19. Jahrhunderts galt Eiweiß als Hauptenergielieferant. Diese Auffassung konnte zwar bereits 1866 entkräftet werden, dennoch war Rindfleisch bis vor einhundert Jahren das wichtigste Lebensmittel der Sportlerernährung.
Schon damals aktuell: Kohlenhydrate oder Fett?
Die Diskussion, ob nun Kohlenhydrate oder Fett der bessere Energielieferant für die Muskeln ist, stammt auch nicht aus unseren Tagen. 1920 fanden Polarforscher heraus, dass sie mit bis zu 70 Prozent Energieaufnahme aus Fetten am leistungsfähigsten sind. Wollte man allerdings etwas schneller vorankommen als die Forscher auf dem Weg zum Pol, schien Fett als überwiegender Energielieferant nicht das Mittel der Wahl zu sein. Schon während der Boston Marathons 1923 und 1924 wurde anhand von Blutzuckermessungen dokumentiert, dass eine Kohlenhydratunterversorgung ursächlich für die Erschöpfung beim Ausdauersport sein kann. Mit diesen Studien aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wuchs die Erkenntnis, dass die Verfügbarkeit von Kohlenhydraten als Energiequelle für die Muskelkontraktion, für das Nervensystem und damit für das Gehirn von entscheidendem Einfluss auf die Ausdauerleistungsfähigkeit ist. Das meiste, aktuelle Wissen über die Zusammenhänge von Energiezufuhr und -verbrauch basiert auf Studien aus den 30er Jahren. Auch einige Hunde mussten als Versuchskaninchen herhalten und wurden, obwohl sie typische Fleischfresser und damit prädestiniert für eine No-Carb-Ernährung sind, mit Kohlenhydraten gemästet. Und siehe da, sie waren danach in der Lage, um ein Vielfaches weiter beziehungsweise dieselbe Strecke schneller zu laufen als mit einer reinen Fleischkost. Die High-Carb-Phase wurde hier eingeläutet. Bereits 1953 forderte die IAAF (International Association of Athletics Federations = Weltleichtathletikverband) in einem Handbuch, dass bei allen Marathonveranstaltungen nach 15 und 30 Kilometer eine Trinkstation einzurichten sei. Aus dem Korea- und Vietnamkrieg gewonnene Daten zur Leistungsfähigkeit amerikanischer Soldaten bei unterschiedlicher Getränkeversorgung waren maßgeblich für die Zusammensetzung der ersten kommerziellen Sportgetränke verantwortlich, die ab Mitte der 80er Jahre auch die wachsende Zahl deutscher Ausdauerathleten unterstützen sollten.
Die Kohlenhydrat-Jahrzehnte
Ende der 60er Jahre wurde vor allem in Skandinavien anhand von Muskelbiopsieuntersuchungen die Bedeutung des Muskelglykogens als Kohlenhydratspeicher dokumentiert. Aus diesen Daten konnten Empfehlungen für das Aufladen der Glykogenspeicher durch einen hohen Kohlenhydratanteil in der verzehrten Kost abgeleitet werden. In den 70er Jahren war man noch skeptisch, ob während der Aktivität verzehrte Kohlenhydrate überhaupt in nennenswerter Menge zur Energieversorgung beitragen könnten. Doch die ersten konkreten Carboloadingpläne für die Wettkampfvorbereitung folgten auf der Basis neuerer Studien weniger als zehn Jahre später als konkrete und detaillierte Kohlenhydratvorgaben für die Versorgung während des Trainings und Wettkampfes. In den vergangenen 30 Jahren wurden die Energiebereitstellungsraten unterschiedlicher Kohlenhydrate ebenso studiert wie die maximal verwertbaren und benötigten Kohlenhydratmengen und die besten Zeitpunkte des Verzehrs. Ende der 90er Jahre waren die ersten Kohlenhydratgels erhältlich und haben die bis dahin als Energiespender beliebten Bananen abgelöst. Es wurden unterschiedlichste Strategien und Produktzusammensetzungen entwickelt, um die Verfügbarkeit der Kohlenhydrate vor, während und nach dem Training und Wettkampf zu optimieren und die Leistungsfähigkeit sowie die Regeneration zu unterstützen. Eiweiße, als komplexe Proteine, als spezielle Eiweißfraktionen oder als einzelne Aminosäuren hielten Einzug auch in die Ernährung der Ausdauersportler. Longdistance-Getränke, Riegel und Regenerationspräparate sind heute ohne eine adäquate Eiweißkomponente kaum vorstellbar.
Empfehlungen und Präparate – Individualität gefragt
In den letzten Jahren haben neben den Eiweißen auch Präparate mit sehr spezifischer Wirkung und speziellen Substanzen Einzug in die Regale der Supermärkte und Sportshops gehalten. Ihre Wirkversprechen sind meist enorm, ihre effektive Wirkung ist meist bescheiden. Bewiesen ist sie in den seltensten Fällen. Dennoch bietet die aktuelle Palette von Nahrungsergänzungen interessante und auch sinnvolle Produkte, die im Einzelfall hilfreich für die Leistung und Erholung sein können. Viele Studienergebnisse haben Eingang in die praktische Sportlerernährungsberatung gefunden, und Methoden zur Unterstützung der Leistungsfähigkeit haben sich etabliert. Einige Empfehlungen wurden aber mit so viel Nachdruck propagiert, dass sie zu konsequent umgesetzt wurden. So kann heute keine Rede mehr davon sein, dass es sinnvoll sei, soviel wie möglich zu trinken und alle Schweißverluste noch während der Belastung auszugleichen. Auch müssen die exorbitanten Kohlenhydratempfehlungen vergangener Jahre infrage gestellt und die richtigen Zielgruppen für derartige Mengen genau definiert werden. Kein (Hobby-)Athlet benötigt rund ums Jahr täglich acht Gramm oder mehr Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht. Rindfleisch ist derzeit gefragt wie vor einhundert Jahren. Allerdings nur bei denjenigen, die sich der Low-Carb-Ernährung oder sogar dem Paläo-Prinzip verschrieben haben. Zahlreiche andere Athleten verschmähen wie Pheidippides als Vegetarier oder Veganer alles vom Tier und stürzen sich wieder auf Gemüse, Getreide, Obst und Wurzeln. Eben „back to the roots“.
Text: Uwe Schröder
Uwe Schröder studierte Oecotrophologie sowie Erziehungs- und Sportwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Giessen und arbeitete im Rahmen seiner Diplomarbeit an der Rijksuniversiteit Limburg, Maastricht/Niederlande. Uwe Schröder ist als Ernährungswissenschaftler am Institut für Sporternährung e. V., Bad Nauheim, angestellt. Zu seinen Aufgaben zählen die Durchführung wissenschaftlicher Studien sowie die Ernährungsberatung bei Freizeit- und Leistungssportlern sowohl im Erwachsenen- / Profibereich als auch bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Patienten der Sportklinik Bad Nauheim. Seit über zehn Jahren ist Uwe Schröder Lehrbeauftragter für Sporternährung an der Hochschule Fulda, Fachbereich Oecotrophologie.