Viele Jahre verband ich mit Braunschweig den Fußball und seine für Kräuterlikör werbende Eintracht als eine Großstadt mit über 240.000 Einwohnern, die erstmalig im Jahre 1031 erwähnt wurde.
Heute ist Braunschweig ein moderner und zukunftsorientierter Wirtschafts-standort im Südosten Niedersachsens, an dem zahlreiche bekannte Konzerne ihre Niederlassungen unterhalten.
Auch kulturhistorisch hat die Löwenstadt, die unter Heinrich dem Löwen zum politischen und kulturellen Mittelpunkt Sachsens ausgebaut wurde, einiges an Sehenswürdigkeiten zu bieten. Wie zum Beispiel das Residenzschloss, das ewig jung wirkende Happy Rizzi House, den Burgplatz, umsäumt von Dom, Burg Dankwarderode, Landesmuseum und jahrhundertealten Fachwerkbauten.
Aber der Besuch dieser touristischen Highlights war nicht der Anlass, warum ich mich an einem der ersten Frühlingstage auf den Weg nach Niedersachsen begab. Ziel war die in unmittelbarer Nähe zum Schloss beheimatete ACS-Vertrieb GmbH sowie die Squeezy Sports Nutrition GmbH. Was bei ACS zunächst nach einer wohldurchdachten Abkürzung für die wichtigsten Vertriebsprodukte eines Unternehmens hinzuweisen schien, entpuppte sich recht schnelle als ein ziemlich bedeutungsloses Buchstabenkonstrukt. Roger Milenk wollte mit seiner Firma einfach nur in Telefonbüchern, den Gelben Seiten sowie in Messe- und Branchenverzeichnissen ganz vorne gelistet sein. Um aber nicht nur auf dem Papier, sondern auch betriebswirtschaftlich ganz oben zu landen, bedurfte es für den 44-jährigen Inhaber und Geschäftsführer einiger Anstrengungen, Investitionen, Rückschläge und immer wieder neuer kreativer Ideen, um die kaufkräftige und Neuerungen aufgeschlossene, aber trotzdem kritische Zielgruppe der Ausdauersportler für seine Produkte zu begeistern.
Wie alles begann
Und dabei hatte der gebürtige Bremer nach seinem Abitur eigentlich eine ganz andere berufliche Laufbahn eingeschlagen. Jedoch entpuppte sich das Studium der Informatik mit jedem neu begonnenen Semester immer mehr als „Flop“. Nicht, dass Roger Milenk den Anforderungen intellektuell nicht gewachsen war, nein, das Umfeld dieses Studiengangs entsprach zunehmend überhaupt nicht seiner Lebensphilosophie. Zu langweilig. Zu trocken. Zu theoretisch. Zwar visionär, aber nicht kreativ genug. Und da ein Großteil seiner Kommilitonen aus seiner Sichtweise eher aus Langweilern bestand und er nicht irgendwann auch so enden wollte, heuerte der frühere Niedersachsenauswahlspieler der Fußballjugend in einem Radladen an und reparierte und schraubte fortan Fahrräder zusammen. Das Studium lief zum Schein noch eine Weile parallel weiter, aber mit jedem Tag wurde ihm klarer, dass er als Informatiker keine beruflichen Erfolge feiern würde.
1991
Bei seinem ersten Besuch auf der Eurobike in Friedrichshafen entdeckte er – mittlerweile Leiter des Mountainbike-Bereiches – gemeinsam mit seinem damaligen Chef im äußersten Winkel der Taiwan-Ecke drei Dänen, die schrecklich grell lackierte Fahrradrahmen anpriesen. Obwohl es sich bei den verarbeiteten Aluminiumwerkstoffen um eine für ihn nicht sehr hochwertige Qualität handelte, überzeugten ihn die sehr guten 26-Zoll-Geometrien, die sich seiner Meinung nach ideal für den zukunftsträchtigen Triathlonmarkt eigneten. Nur wenige Wochen später sicherten sich Roger Milenk und sein Chef die europäischen Vertriebsrechte (mit Ausnahme von Dänemark) an der Radmarke Principia und die gemeinsame Firma ACS-Vertrieb wurde gegründet.
Principia
Der Principia-Vertrieb entwickelte sich in den folgenden Jahren nahezu zum Selbstläufer. Insbesondere bei Triathleten erfreuten sich die nach dem Hauptwerk von Sir Isaac Newton benannten Triathlonräder einer hohen Akzeptanz und Beliebtheit. Bereits vier Jahre später übernahm die junge Marke in Deutschland die Marktführerschaft. Das Team um Roger Milenk investierte sehr viel Zeit (und Geld) in die Qualitätssicherung und die Produktentwicklung. Unter anderem wurde jeder vom Hersteller ausgelieferte Rahmen einzeln auf die Einhaltung der maximal zulässigen Abweichungen kontrolliert und gegebenenfalls nachbearbeitet. Umstellungen im Produktionsprozess auf eine leichter zu bearbeitende Aluminiumlegierung wirkten sich umgehend auf die Qualität aus. Inzwischen hatten sich die Erfolge der in Braunschweig einzeln zusammengeschraubten Triathlonräder auch bei den Straßenfahrern herumgesprochen. Der Druck auf die dänische Zentrale zeigte seine Wirkung. Gemeinsam wurden zwei Rennradmodelle entwickelt, sodass es zu einer Fortsetzung der Principia-Erfolgsstory kam. Erste Rückschläge traten zum Jahrtausendwechsel auf, als gerade im Triathlonbereich immer mehr Sportler den 26-Zoll-Rädern den Rücken kehrten. Erschwerend kam hinzu, dass die bis dahin verbauten Mizuno-Gabeln aufgrund von Unstimmigkeiten nicht mehr eingesetzt werden konnten. ACS half Principia aus dem Dilemma, indem sie im Rahmen eines deutsch-dänischen Joint Venture für Principia eine eigene Gabel entwickelten und dieser in Anlehnung an den Autor der mathematischen Prinzipien den Namen Isaac verliehen. Nachdem Roger Milenk bis dahin seine kreative Ader überwiegend in Design, Branding, Werbemaßnahmen und dem Vertrieb ausgelebt hatte, konnte er mit der „Herausforderung Gabel“ endlich auch seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Produktentwicklung noch weiter ausweiten. Rückblickend gesehen kam es, wie es kommen musste. Andere Fahrradhersteller hatten ebenfalls ihre Hausaufgaben gemacht und die Aluminiumschmiede Principia mit neuer Carbontechnologie überholt. Letztendlich musste die dänische Konzernzentrale 2004 Konkurs anmelden.
Squeezy
1993 beobachtete er beim damaligen Ironman Europe in Roth zum ersten Mal einen Athleten dabei, der zusätzlich zu den üblichen Iso-Getränken, Riegeln und Bananen irgendetwas aus einer „Tüte nuckelte“. Recherchen ergaben, dass es sich dabei um ein Produkt der in Südafrika beheimateten Firma Leppin handelte. Obwohl es sich nach Aussage vieler um einen echten Ladenhüter handelte, war er von dem Erfolg dieser klebrigen Tütennahrung überzeugt. Trotz fehlender Unterstützung durch seine Hausbank und entgegen allen Ratschlägen seiner Freunde erwarb er sich die Rezepturen sowie die weltweiten Namens- und Vertriebsrechte. Die Rede ist von Squeezy. Den meisten Ausdauersportlern bekannt durch die blaue Verpackung mit dem gelben, etwas grimmig dreinblickenden und zähnefletschenden Haikopf. Bereits ein Jahr später gab es nach intensiven Untersuchungen durch Institute, endlosen Diskussionen mit Ernährungswissenschaftlern und zahlreichen Änderungen in der Zusammensetzung die Energie in Tüten in Deutschland zu kaufen. 1994 baute Milenk mit einem Marketingbudget von maximal 10.000 DM den Vertrieb in Deutschland auf. Zum Glück lief in der Zwischenzeit das Principia-Geschäft so erfolgversprechend, dass das zweite Standbein relativ sorgenfrei querfinanziert werden konnte. Dreizehn Jahre später wurde die Marke Squeezy in eine eigenständige Firma ausgegliedert, die das über 20 Produkte umfassende Portfolio weltweit in über 20 Länder vertreibt. Gerade die Sportlerernährung liegt Roger Milenk sehr am Herzen. Auch wenn er auf diesem Gebiet keine wissenschaftliche Ausbildung nachweisen kann, eignete sich der „bekennende Autodidakt“ ein umfassendes Wissen an, das er nicht nur für die Entwicklung neuer Produkte benötigt. Bei den Produktpräsentationen vor Vertriebspartnern und Händlern im In- und Ausland helfen ihm die erworbenen Kenntnisse, um gerade die auf dem Gebiet der Sportlerernährung auftretenden vielen Fragen sachlich und fachlich korrekt beantworten zu können.
Biologisch. Ökologisch. Umweltbewusst. Gut verträglich. Gesund. Hilfreich. Hierbei handelt es sich nicht nur um medienwirksame Worthülsen, sondern um Eigenschaften, die seine Kunden mit Squeezy in Verbindung bringen sollen. Diese Botschaften einerseits den Kunden zu vermitteln, andererseits aber auch in allen Produkten umzusetzen, sind die Herausforderungen der kommenden Monate und Jahre. Für Roger Milenk bedeutet sein ausgeübter Beruf mehr als nur ein „ganz normaler Job von 8:00 bis 16:30 Uhr. Es ist seine Berufung, die er nicht nur liebt, sondern auch lebt. Diese Passion drückte sich in seiner Körpersprache und den strahlenden Augen aus, als er mir die Hintergründe für das neue Squeezy Corporate Design, die Zielgruppen der unterschiedlichen Produkte, deren Anwendungsgebiete sowie die wichtigsten Inhaltsstoffe vorstellte. Dabei beschränkte er sich auf das Wesentlichste, sodass er die angekündigte fünfzehnminütige Präsentation locker einhielt. In der anschließenden Diskussion bewies er, dass er sich auch im Detail mit dem gerade Dargebotenen auskannte.
Isaac
Auf dem ersten Blick war der Untergang der Marke „Principia“ sicherlich ein herber Rückschlag, aber für Roger Milenk ging es weiter. Die Redewendung „Und, wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!“ traf auch für den Braunschweiger Unternehmer zu. Schließlich hatte er in den vergangenen dreizehn Jahren innerhalb der Radbranche zahlreiche Kontakte in der ganzen Welt geknüpft. Und im Nachhinein stellte sich die Eigenentwicklung der Isaac-Gabel als eine höhere Fügung heraus. Das Gabel-Joint Venture wurde bereits Anfang 2004 intensiviert und erste innovative Carbonrahmen wurden entwickelt. Während das Isaac-Headquarter und das Finanzwesen in England angesiedelt waren, zeichnete sich die ACS-Vertriebs GmbH für die Entwicklung und das Marketing verantwortlich. Die Produktion war wie bei den Gabeln in Fernost angesiedelt. Die neu entwickelten Renn- und Zeitfahrräder erfreuten sich recht bald hoher Beliebtheit und alles schien erneut auf Erfolg programmiert zu sein. Doch die Finanzkrise machte allen Beteiligten einen deutlichen Strich durch die Rechnung. Gerade das im Verhältnis zum Euro schlecht bewertete englische Pfund führte im britischen Königreich dazu, dass die englischen Banken bei der Bewilligung von Krediten sehr hohe Sicherheiten verlangten. Dies konnten (und wollten) die Eigentümer nicht weiter aufbringen, was schließlich zur Liquidierung von Isaac im Jahre 2009 führte. Roger Milenk wäre jedoch nicht Roger Milenk, hätte er sich hiervon unterkriegen lassen. Anstatt sich schmollend im Schneckenhaus zu verkriechen, intensivierte er seine Squeezy-Aktivitäten und sicherte sich mit Speedplay, Compex, Rotor und Sportique die deutschen Vertriebsrechte weiterer für ihn vielversprechender Produkte für seine „Performance & Gesundheits-Firma“.
Das Orchester und sein Dirigent
Roger Milenk gehört zu den Glücklichen, der auch ohne Studienabschluss seine Zuhörer nicht nur überzeugt, sondern auch in der Lage ist, alle Fragen detailliert und umfassend beantworten zu können. Neben der akribischen Vorbereitung auf seine Termine liegt dies sicherlich auch daran, dass er ein Team von festangestellten Mitarbeitern sowie ein Netzwerk von Experten aus Sport, Wissenschaft und Industrie um sich herum aufgebaut hat, auf die er sich nicht nur jederzeit verlassen kann, sondern die ihm auch immer wieder zur Seite stehen, offene Fragen beantworten, neue Ideen kontrovers diskutieren und diese umsetzen. Querdenker im Team, die das Ohr am Marktgeschehen haben, sind ihm inzwischen lieber als Ja-Sager. Sich selbst sieht Roger Milenk dabei gerne in der Rolle des Dirigenten, der immer wieder versucht, neue Möglichkeiten und Wege zu finden, um in einer seiner Auffassung nach „medial mit Reizen und Informationen völlig überfluteten Welt“ nicht nur innovative und visionäre Produkte zu entwickeln, sondern diese auch seinen Kunden nach dem Prinzip der Simplizität (leicht verständlich und einfach zu bedienen/anzuwenden) nahezubringen. Wie zum Beispiel beim neuen Gel mit der Geschmacksrichtung Tomate, das ab diesem Sommer erhältlich sein wird.
Es würde mich nicht wundern, wenn Roger Milenk dem Tomatengel nicht auch auf dem Riegelsektor eine weitere Überraschung folgen lässt. Wie wäre es mit einem schmackhaften, nährstoffreichen und gut bekömmlichen Pizzariegel? Unvorstellbar? Ich glaube nicht, denn es würde zu ihm passen.
Text: Klaus Arendt
Quelle: tritime 2 | 2010
Informationen: www.acs-vertrieb.de und www.squeezy.de