Warum eigentlich haben Sie mit dem Triathlonsport angefangen? Was war Ihr ganz persönlicher Auslöser? Eine faszinierende Reportage über den Ironman Hawaii oder den Challenge Roth? Ihre sportlichen Freunde oder Kollegen? Übergewicht? Kurzatmigkeit beim Treppensteigen oder schnellem Gehen? Ausloten der eigenen körperlichen Grenzen? Jeder von Ihnen könnte an dieser Stelle sicherlich mit einer – mehr oder weniger – interessanten Geschichte punkten. Eines eint jedoch nahezu alle Sportler: Sie möchten der Tretmühle des Alltags entkommen, einen Ausgleich schaffen, abschalten, den Kopf freibekommen und nicht mehr für jeden jederzeit und überall erreichbar sein.
Hunderte von Büchern, Dutzende Special-Interest-Magazine sowie Lifestyle- Fernsehsendungen beschreiben und berichten über trendige Ausdauersportarten. Nahezu alle beschäftigen sich mehr oder minder damit, welche Vorteile mit der Ausübung dieser Sportarten verbunden werden und wie man beispielsweise erfolgreich einen Marathon oder Triathlon absolviert. Einmal angefangen und Feuer gefangen, stellen sich – je nach Ambition und Zielsetzung – zwangsläufig weitere Fragen: Wie strukturiere ich mein Training? Wie werde ich schneller? Wann und warum sind Trainingspausen sinnvoll? Wie gehe ich mit Verletzungen, Krämpfen und Seitenstechen um, beziehungsweise wie vermeide ich sie? Wie ernähre ich mich sportlergerecht? Welche Essensgewohnheiten sollte ich tunlichst vermeiden? Und welche Auswirkungen hat das eingesetzte Equipment auf meine Leistung?
EIN BLICK ZURÜCK
Ich erinnere mich noch sehr genau an den Beginn meiner Passion für das Laufen. 1989 überredete mich ein Studienfreund, mit ihm um ein paar kleinere Stuttgarter Seen zu laufen. Das subjektive Gefühl, topfit zu sein, bekam nach nur einem Kilometer einen gehörigen Dämpfer, als ich unserem Gespräch – mit zunehmender Laufdauer wurde es zum Monolog – nur noch japsend folgen konnte. Mit letzter Kraft und einem gefühlten Puls jenseits von Gut und Böse zog ich die Reißleine, bog bereits nach dem ersten der drei hintereinanderliegenden Seen ab und ging – von meiner körperlichen Verfassung ziemlich schockiert – gemächlich zum Parkplatz zurück. Mein Ehrgeiz war geweckt, und ich setzte mir zum Ziel, in zwei Monaten die Drei-Seen-Runde von noch nicht einmal zehn Kilometern ohne Pause zu laufen. Meine Vorgehensweise war denkbar einfach: Ich lief nach Lust und Laune, hörte auf die Signale meines Körpers, achtete dabei insbesondere auf meine Atmung und versuchte, kein Seitenstechen zu bekommen. Ich hatte ein Ziel vor Augen, und dieses zu erreichen, bedeutete mir sehr viel. Das Projekt klappte, und so nahm alles seinen Lauf. In den kommenden Jahren nahm ich an diversen Volksläufen teil, steigerte meine Distanzen sukzessive bis hin zum Marathon, um mich Anfang des neuen Jahrtausends der Herausforderung Triathlon zu stellen. Bis zu diesem Zeitpunkt interessierten mich die eingangs beschriebenen Fragestellungen nur beiläufig. Meinen ersten Pulsmesser legte ich mir erst Ende 1997 zu, nutzte jenen – rückblickend betrachtet – aber nur zur Bestätigung meines Körpergefühls: japsen = anaerober Bereich, sich unterhalten können = aerober Bereich. Erst als ich bei einigen Testwettkämpfen weit hinter meinen Erwartungen blieb, setzte ich mich intensiv mit den Möglichkeiten eines pulsgesteuerten Trainings, einer „vorgeschalteten“ Leistungsdiagnostik und der Aussagekraft der Laktatwerte auseinander.
Exkurs: Sport als Sucht Neben den vielen positiven Auswirkungen der körperlichen Ertüchtigung können die Ausdauersportarten auch Veränderungen und Probleme mit sich bringen, die unter Umständen eine menschliche Niederlage zur Folge haben, obwohl der Athlet einen wichtigen Wettkampf gewonnen, eine persönliche Bestzeit oder ein selbst gestecktes Ziel erreicht hat. Und das, weil man aufgrund von „falschen“ Begehrlichkeiten und Erwartungshaltungen immer mehr in einen Sportabhängigkeits-Kreislauf geraten ist. Wann werden Grenzen erreicht, die es sinnvoll erscheinen lassen, den Ausdauersport auf ein Maß zu reduzieren, dass sich Privatleben/Familie, Beruf, Freunde, Sport, Hobbys und sonstige Freizeitaktivitäten in einer angemessenen Lebensbalance betreiben lassen? Bereits 2001 widmeten Frank Ketterer und Martin Krauß in ihrem Buch „Triathlon: Geschichte – Kultur – Praxis“ insgesamt drei Seiten dem Thema „Geil auf Iron. Triathlon als Sucht“. Johannes Vogler, Leiter einer Suchtklinik, den die Autoren zitieren, vermeidet das Wort „Sportsucht“, weil die Sucht neben einer Zerstörung der Persönlichkeit auch prinzipiell einen tödlichen Verlauf hat. Stattdessen verwendet er den Begriff „Vermeidungsverhalten“ und führt den Sportmissbrauch darauf zurück, dass der missbrauchende Personenkreis auf ungesunde Weise die Grundbedürfnisse Bindung, Selbstverantwortung, Wohlbefinden, Selbstwert und Sinnhaftigkeit befriedigt. Er vergleicht die Art und Weise, wie einige Menschen den Sport betreiben, mit Esssucht, Spielsucht oder Workaholism. Der Sportsoziologe Karl-Heinrich Bette von der Universität Heidelberg geht noch einen Schritt weiter. Die Athleten gerieten, ohne es zu merken, in eine biografische Falle, die letztendlich dazu führe, dass der Sportler aufgrund seines gänzlich auf den Sport ausgerichteten Tagesablaufs nach und nach seine soziale Basis außerhalb des Sports verliere und den Sport als Ersatz für stabile soziale Bindungen ansehe. Umso wichtiger ist es, dass Sie Ihre ganz persönliche Balance zwischen Arbeit, Familie, Freundschaften, Freizeit und sportlicher Ambition, finden.
SCHWARZ auf WEISS: ZAHLEN. DATEN. FAKTEN.
Und heute? … wird gemessen, was der Körper hergibt. Die Sportuhren am Handgelenk entsprechen kleinen Rechenzentren, die dem Athleten unmittelbar nach dem Training eine Kurzanalyse der abgeschlossenen Einheit inklusive der empfohlenen Regenerationszeit mitteilen, noch lange bevor der Coach die in Realtime in der Cloud abgelegten Daten überhaupt eingesehen hat. Diese Entwicklung kann – meiner Meinung nach – Fluch und Segen zugleich sein. Auf der einen Seite werden Athleten, die sich ohne Vereins- oder Personal-Trainer vorbereiten, aufgrund der gesammelten Datenbasis rechtzeitig davor gewarnt, sich zu überfordern, andererseits wird der Eindruck vermittelt, dass man im Triathlon ohne eine exakte Analyse und Auswertung der Trainingsdaten einen Wettkampf gar nicht erfolgreich bestreiten kann. Kein Wunder, dass die Bereiche Personal Coaching, Schwimm- und Lauftechnikseminare, Bike-Fittings und Leistungsdiagnostiken boomen.
Liegt es in der Natur des peniblen Deutschen, dass ihm im berühmten Spiegel sein datenbasierter „Ist-Zustand“ schwarz auf weiß vorgehalten werden muss, damit er die „richtigen“ Entscheidungen für den nächsten Trainingszyklus treffen kann? Sind Triathleten noch technikaffiner und leistungsorientierter als andere Sportler? Und welchen Eindruck hinterlassen die vielen Artikel, Podcasts und Videos über das zielorientierte Triathlontraining (und das dafür benötigte Equipment) bei potenziellen Neueinsteigern? Wie viele fühlen sich überfordert, verkrampfen oder werden gar abgeschreckt, noch bevor sie mit dem Sport beginnen?
Interessanterweise gerät bei allen Zahlen. Daten. und Fakten. der Trainingsanalytik und den in der Szene diskutierten Parametern Schweißflussrate, Atemgaszusammensetzung, Glucosespiegel, Körperkerntemperatur, Laktattoleranz, VO2max, FTP-Wert und weiteren der jährliche sportmedizinische Check-up – bestehend aus EKG, Spirometrie, Herzultraschall, Blut-, Mikronährstoff-, Darm- und Hormonwerten – fast schon in Vergessenheit.
Und damit Sie erst gar nicht „schleichend“ in die im Exkurs dargestellte biografische Falle tappen, stellen wir Ihnen an den folgenden Tagen im Rahmen des Themenschwerpunktes „Trainingsanalytik“ eine Vielzahl an Messmethoden zu Ihrer Leistungsfähigkeit und jede Menge an Zahlen, Daten und Fakten vor. Neben den Erläuterungen gehen wir auch näher darauf ein, für welchen Typ Triathlet in welcher Phase seiner sportlichen Laufbahn welche Methoden und Parameter wirklich sinnvoll erscheinen.
Text: Klaus Arendt
Illustration: Garmin