Bereifung: vernachlässigt – unterschätzt – rennentscheidend

Welche Bereifung ist die richtige fürs Rennrad und Triathlon-Zeitfahrmaschinen Der Anteil eines Reifens an den Gesamtkosten eines Zeitfahrrades mag prozentual zwar zu vernachlässigen sein, aber die Verwendung eines falschen Set-ups oder abgefahrenen Pneus hat erhebliche Auswirkungen auf die Performance und die Sicherheit.

 

Spätestens, wenn es bei einer Trainingsausfahrt oder im Wettkampf zum Unvermeidlichen gekommen ist und der Triathlet sich mit der Behebung einer Panne beschäftigen musste, setzt er sich mit der Thematik Bereifung etwas intensiver auseinander.

Mit Peter Krischio, Schwalbe Product Manager Race, unterhielten wir uns nicht nur über die entscheidenden Merkmale eines guten, schnellen und vor allem sicheren Fahrradreifens, sondern auch über deren Entwicklung und die Wahl des richtigen Set-ups.

Peter Krischio, Schwalbe Product Manager Race

Herr Krischio, Rollwiderstand, Haftung, Abrieb, Profil, Pannenschutz, der eigentliche Reifenaufbau und der verwendete Luftdruck sind die entscheidenden Merkmale für einen guten und schnellen Fahrradreifen. Was sind im Rahmen der Entwicklung die technisch größten Herausforderungen beim Design, der Entwicklung des Prototyps, den ersten Testfahrten und der finalen Umsetzung?
Ziel ist es, den Reifen immer schneller, pannensicherer, anwenderfreundlicher und haltbarer zu gestalten. Dabei spielt die Optimierung der Gummimischung eine wichtige Rolle. Die größte Herausforderung dabei ist der Zielkonflikt zwischen geringem Rollwiderstand und guter Haftung. Es kommen ständig neue Rohstoffe auf den Markt, da auch die Automobilbranche versucht, den Rollwiderstand hinsichtlich des Verbrauchs zu optimieren. Die Arbeit an den Gummimischungen ist somit ein fortwährender Prozess. Ähnlich verhält es sich bei den Textilien für die Pannenschutzgewebe. Auch hier ermöglichen neue Materialien es, den Pannenschutz immer weiter zu verbessern, ohne das Gewicht oder den Rollwiderstand des Reifens zu erhöhen.

Machen in diesem Zusammenhang spezielle Reifen für den Triathlonsport überhaupt Sinn?
Die Eigenschaften, die ein Reifen für den Triathlonsport erfüllen sollte, unterscheiden sich unserer Meinung nach nicht von denen, die im Straßenradsport an das Produkt gestellt werden.

Die Industrie präsentiert regelmäßig Studien hinsichtlich der idealen Reifenbreite an Vorder- und Hinterrad. Was im Labor unter optimalen Bedingungen erreicht wird, sieht auf der Straße häufig ganz anders aus, wenn Witterungsbedingungen und Untergrund der vermeintlich perfekten Kombination einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Kann dieser – sicherlich auch sehr teure – Aufwand nicht auf ein notwendiges Minimum reduziert werden?
Bei den genannten Tests geht es meist um die Kombination von Felge und Reifen. Es gibt Laufräder, die in Bezug auf die Aerodynamik besser mit breiten als mit schmalen Reifen harmonieren. Dabei geht der Trend zu breiteren Felgen mit größeren Maulweiten. Für einen Allroundlaufradsatz mit einer Flankenhöhe von 50–60 Millimetern ist ein 25 Millimeter breiter Reifen dabei eine empfehlenswerte Kombination. Damit kitzelt man zwar nicht das Letzte an Aerodynamik heraus, kann diese Laufrad-Reifen-Kombi aber auch bei böigen und feuchten Verhältnissen fahren. Somit ist sie für 90 Prozent der Athleten und Wettkampfsituationen geeignet.

Welche Entscheidungskriterien sollten Triathleten hinsichtlich ihres Reifen-Set-ups beachten? Wie kann der beste Kompromiss aus Pannenschutz, Reifenbreite, Rollwiderstand und Haftung aussehen?
Wir empfehlen Reifen mit 25 bis 28 Millimetern Breite, wobei der Durchlauf des Rahmens hier oft der limitierende Faktor ist. In der Tubeless-Version gefahren, bietet das Set-up dazu unschlagbare Werte bei Pannensicherheit und Rollwiderstand.

Stichwort Haftung und Sicherheit: Sollten Triathleten eventuell auch darüber nachdenken, je nach Witterungsbedingungen – ähnlich wie in der Formel 1 – unterschiedliche Reifen aufzuziehen?
Nein, unsere Reifen sind so optimiert, dass sie sowohl bei trockenen als auch bei feuchten Bedingungen gleichermaßen funktionieren. Möglich macht dies unser Triple Compound, das bedeutet, wir haben auf der Lauffläche ein sehr schnelles Compound, welches den Rollwiderstand reduziert, und auf der Seite ein sehr griffiges, welches den Reifen in Kurvenfahrten fängt. Des Weiteren ist es wichtig, den Luftdruck bei feuchten Bedingungen anzupassen.

Jeder Radfahrer muss für sich folgende Frage beantworten: Schlauchreifen, Clincher oder Tubeless? Gibt es überhaupt DAS perfekte System?
Da beim Triathlon im Falle eines Reifendefekts kein Materialwagen zur Verfügung steht, ist das Tubeless-System aus unserer Sicht die beste Wahl. Durchschläge und Ventilabrisse sowie der damit verbundene schlagartige Luftverlust gehören der Vergangenheit an. Die verwendete Dichtmilch erzeugt einen hohen Pannenschutz und dichtet kleine Beschädigungen sicher ab. Und wenn es doch mal zu einem Defekt durch einen Durchstich oder Cut kommt, kann der Athlet sich schnell und unkompliziert selber helfen, indem er einen Schlauch einzieht. Was beim Schlauchreifen bekanntlich unmöglich ist.

Laufräder mit einer Felgenhöhe jenseits der 70 Millimeter setzen den Einsatz von Ventilverlängerungen voraus. Eine richtig gute und praktikable Lösung, die auch in Stresssituationen wie beim Schlauchwechsel im Wettkampf zuverlässig funktioniert, haben viele Sportler noch nicht gefunden. Viele verlieren beim Aufpumpen nicht nur die Nerven, sondern auch wertvolle Zeit …
Wir empfehlen fest verschraubte Verlängerungen, welche vor dem Wettkampf an das Schlauchventil montiert werden sollten. Ventilverlängerungen, bei denen das Ventil innerhalb der Verlängerung verbleibt, sind eine schlechte Wahl.

Warum gibt es eigentlich noch keine 100-Millimeter-Ventile?
Wir bieten Schläuche mit bis zu 80 Millimeter langen Ventilen an sowie Ventilverlängerungen mit 17, 30 und 65 Millimetern. Damit werden nahezu alle Laufräder und Felgen abgedeckt. Daher gab es bislang auch noch keine verstärkte Nachfrage nach Schläuchen mit 100-Millimeter-Ventilen.

Der Einsatz von Scheibenbremsen auf der Straße wird in der Rad- und Triathlonszene ebenso kontrovers wie emotional diskutiert. Inwieweit wirkt sich der neue Trend auf die Reifen- und Schlauchentwicklung aus?
Kaum. Ein breiterer Reifen überträgt durch seine größere Aufstandsfläche die Bremskräfte grundsätzlich besser auf die Straße. Das kann bei Scheibenbremsen, die in der Regel etwas kräftiger zupacken als Felgenbremsen, ein Vorteil sein. Da wir schon seit Jahren die Vorteile breiterer Reifen – wie Komfort und geringerer Rollwiderstand – auch im Rennradbereich propagieren, ändert sich für uns nichts.

Wie eng arbeiten Sie bei der Entwicklung neuer Reifenmodelle mit der Laufradindustrie zusammen?
Gerade im Bereich Tubeless arbeiten wir sehr eng mit den Laufradherstellern zusammen. Hierbei wird vor allem auf eine leichte Montagefähigkeit geachtet, um für den Sportler die Tubeless-Technologie so einfach wie möglich zu gestalten. Viele Hersteller kommen auf uns zu und stimmen das optimale innere Felgenprofil mit uns ab.

Welche Aufgaben übernehmen die Profisportler – neben ihrer Rolle als Markenbotschafter und Werbeträger – im Entwicklungsprozess?
Wir nutzen sowohl die von uns unterstützen Profi- als auch Hobbyathleten als Testfahrer für unsere Produkte, insbesondere bei Neuentwicklungen. So erhalten wir schnelles Feedback aus allen Teilen der Welt, wo die Reifen unter den unterschiedlichsten Straßen- und Klimabedingungen im Einsatz sind. Diese Praxistests unter authentischen Bedingungen sind durch keine Labortests zu ersetzen.

Triathleten achten bei der Wahl ihres Equipments penibel auf jedes Gramm. Welche Bedeutung hat das Gewicht eines Fahrradreifens im Gesamtkonstrukt „Mensch – Zeitfahrmaschine“ hinsichtlich der angestrebten Bestzeit?
Im Triathlon ist unserer Ansicht nach das letzte Gramm nicht entscheidend. Das Rad muss – im Gegensatz zu Kriterien im Straßenradsport – nicht sehr oft beschleunigt werden. Im Triathlon sind hohe Pannensicherheit und ein geringer Rollwiderstand die wichtigsten Parameter. Daher sehen wir das Tubeless-System hier auch als beste Wahl an, denn es bietet geringen Rollwiderstand und sehr guten Pannenschutz bei dennoch leichtem Gewicht.

Herr Krischio, herzlichen Dank für das informative Gespräch.

Interview: Klaus Arendt
Fotos: Klaus Arendt