Nach fast dreißig Jahren, in denen die Kohlenhydrate ihm zumindest im Ausdauersport den Rang abgelaufen haben, wird wieder viel über die Bedeutung von Eiweiß diskutiert. Was ist dran am Mythos Eiweiß?
Wenn im Frühjahr wieder intensivere, schnellere Einheiten und erste Wettkämpfe auf dem Programm stehen, lohnt sich ein Blick auf die individuelle Eiweißzufuhr. Oft ist gerade bei Ausdauersportlern eine mangelnde Anpassung an steigende Trainingsintensitäten nicht im zu geringen Kohlenhydratverzehr, sondern in einer zu geringen Eiweißversorgung zu suchen. Aber wie viel davon benötigen Triathleten? Und wann brauchen sie es?
„Den ersten Platz einnehmen“
Dem ursprünglich aus dem Griechischen stammenden Begriff Protein (Eiweiß) kommt die Bedeutung „das Erste“ oder „den ersten Platz einnehmend“ am nächsten. Bezogen auf die Bedeutung der drei Makronährstoffe Fett, Kohlenhydrate und Eiweiß für den menschlichen Organismus trifft dies mehr denn je zu. Die Bedeutung von Eiweiß für Aufbau, Erhalt und Reparatur der Muskulatur ist gemeinhin bekannt. Circa 20 Prozent des Muskels bestehen aus Protein. Triathleten sind auf das perfekte Zusammenspiel der aus Eiweiß bestehenden kontraktilen Elemente des Muskelgewebes angewiesen. Seine gerade für Sportler wichtigen Aufgaben gehen aber weit darüber hinaus. Proteine spielen eine wichtige Rolle bei der Übertragung genetischer Informationen. Sie sind als Bestandteil von Enzymen (Biokatalysatoren) für den geregelten Ablauf von Stoffwechselvorgängen und als Teil der Hormone für die hormonelle Regulation verantwortlich. Triathleten haben einen deutlich erhöhten Stoffumsatz und unterliegen bei intensiven Belastungen starken Hormonbeeinflussungen. Ohne eine angemessene Eiweißzufuhr sind hier schnell Defizite messbar. Rezeptoreiweiße übertragen Nervenimpulse und übermitteln damit Informationen. Auch die Funktionen des Immunsystems hängen vom Eiweiß ab. Hier kann es in Form von Antikörpern an Fremdsubstanzen andocken, diese markieren, unschädlich machen und so den Organismus vor Schaden bewahren. Bei einer unzureichenden Eiweißversorgung nehmen abbauende (katabole) Prozesse im Immunsystem und in der Muskulatur zu. Die Erholungsfähigkeit wird herabgesetzt, die Regeneration verzögert sich, das Infekt- und Verletzungsrisiko steigt. Auch Transport und Speicherung von Stoffen gehören zu den Aufgaben der Eiweiße. So ist das Protein Hämoglobin zuständig für den Sauerstofftransport, der Eiweißkomplex Ferritin für die Speicherung von Eisen im Körper. Haut, Bindegewebe und Knochen bestehen zu circa einem Drittel aus Kollagen, Faser- und Strukturproteinen, die mechanische Schutzfunktionen erfüllen. Jedes Protein besteht aus einer genau festgelegten, charakteristischen Reihenfolge (Sequenz) von Bausteinen, den Aminosäuren. Von den bisher über 200 unterschiedlichen analysierten Aminosäuren werden lediglich 22 für den Aufbau von Proteinen des menschlichen Körpers herangezogen. Aminosäuren kommen auch in freier Form in allen Geweben und den Körperflüssigkeiten vor. Durch den ständigen Aufbau neuer und den Abbau bestehender Proteine entsteht eine Aminosäurereserve von ungefähr 400–600 Gramm, die sich überwiegend im Blut findet. Sie wird auch als Aminosäurepool bezeichnet und ist die einzige Eiweißreserve, die dem Organismus zur sofortigen Verwendung zur Verfügung steht. Weitere Eiweißspeicher im engeren Sinne gibt es nicht. Fehlt Eiweiß und besteht ein akuter Aminosäurebedarf, werden Muskeln und Immuneiweiße (Immunglobuline) abgebaut.
Allgemeine Eiweißzufuhrempfehlungen für Triathleten unzureichend
Die sogenannten essenziellen Aminosäuren kann der Körper nicht selbst herstellen. Sie müssen in ausreichender Menge mit den Lebensmitteln aufgenommen werden. Aus den essenziellen können die meisten anderen, als nicht-essenzielle bezeichneten Aminosäuren produziert werden. Lebensmittel enthalten komplexe Proteine und nicht einzelne Aminosäuren. Daher werden die Empfehlungen für die Eiweißzufuhr für die gesamte Eiweißaufnahme und nicht für die essenziellen Aminosäuren ausgesprochen.
Die Eiweißzufuhrempfehlungen der offiziellen Fachgesellschaften sind seit vielen Jahren relativ konstant und variieren auch international kaum. Sie liegen für gesunde Erwachsene bei 0,8 g / kg Körpergewicht am Tag. Bei 70 kg Körpergewicht würden folglich 56 Gramm Eiweiß pro Tag als ausreichend erachtet, eine mittlere Eiweißqualität vorausgesetzt. Diese Eiweißzufuhrempfehlung beinhaltet bereits einen 30-prozentigen Sicherheitszuschlag und soll den Eiweißbedarf von 97,5 Prozent der Bevölkerung sicher abdecken. Der eigentliche Bedarf an Eiweiß liegt deutlich unter der Zufuhrempfehlung bei nur ca. 0,6 g / kg Körpergewicht pro Tag. Diese Werte sind allerdings derzeit selbst für Nicht-Sportler umstritten. So lassen sich bei diversen aktuellen Ernährungsrichtungen wie LowCarb oder Atkins Eiweißmengen finden, die diese Werte um das Dreifache übersteigen.
Laut nationaler Verzehrsstudie belief sich die durchschnittliche Eiweißaufnahme in Deutschland in den letzten Jahren auf circa 85 Gramm beim Mann und 64 Gramm bei der Frau. Das entspricht vierzehn Prozent der durchschnittlichen Gesamtenergieaufnahme. Damit wird in der Regel mehr als 1 g Eiweiß / kg Körpergewicht pro Tag verzehrt.
Triathleten sollten demnach Eiweißdefizite fremd sein, oder?
Regelmäßiges, vor allem sehr langes oder intensives Training erhöht den Eiweißbedarf. Bestimmte Aminosäuren werden gerade im Ausdauersport auch direkt zur Energiegewinnung herangezogen. Dieser Proteinverbrauch kann bei nur geringer Kohlenhydratverfügbarkeit bis fünfzehn Prozent des gesamten Energieverbrauchs während der Belastung ausmachen. Zudem werden bei niedrigem Blutzuckerspiegel Aminosäuren in der Leber zu Traubenzucker (Glucose) umgebaut. Daher ist eine angemessene Kohlenhydratzufuhr während langer Belastungen auch ein Schutz vor Eiweißabbau.
Für Triathleten gelten derzeit je nach Intensität und Dauer der Belastungen Eiweißmengen von 1,4 g / kg bis 1,8 g / kg Körpergewicht pro Tag als empfehlenswert. Mengen von mehr als 2 g / kg Körpergewicht pro Tag sind ohne zusätzlichen Nutzen, bergen aber bei Nierengesunden auch kein Risiko.
Je jünger der Athlet, je intensiver und je länger das Training, desto mehr gilt es, sich am oberen Grenzwert zu orientieren. Dies gilt auch für gezieltes Muskelaufbau- und Krafttraining. Mit fortschreitendem Trainingsalter sind aber zum Erhalt selbst einer großen Muskelmasse beim gut Trainierten geringere Mengen an Eiweiß ausreichend. Beispiel: Bei 70 kg Körpergewicht werden für Triathleten circa 105 Gramm Eiweiß am Tag empfohlen. Dies entspricht dem Verzehr von einer Portion Müsli (7 Esslöffel) mit einem Glas Milch, ein Puten-/Tofuschnitzel mit Nudeln, Soße und Gemüse, drei Scheiben Joggingbrot, belegt mit fettarmer Wurst und Käse, ein Ei, Magerquark sowie einem Esslöffel Nüsse. Diese Tagesübersicht erscheint zunächst nicht besonders triathlongerecht, denn es fehlen die kohlenhydratbetonten Lebensmittel. Wird ein Energieverbrauch von 3.000 kcal angenommen, macht der Eiweißanteil im obigen Beispiel gerade vierzehn Prozent der Gesamtenergie aus – exakt der Wert, der in Deutschland durchschnittlich auch vom Nichtsportler erzielt wird. Mehr als die Hälfte der Gesamtkalorienaufnahme kann demnach noch aus Kohlenhydraten bestritten werden. Zwischenfazit: Bezogen auf g / kg Körpergewicht / Tag benötigen Triathleten deutlich mehr Eiweiß als Nichtsportler. Bezogen auf die prozentuale Gesamtenergiezufuhr weicht die Empfehlung hingegen kaum vom Nichtsportler ab – eine ausreichende Gesamtenergieaufnahme vorausgesetzt.
Teil 2: problematische Eiweißversorgung
Text: Uwe Schröder
Foto: fotolia | Valeri Schmigel
Uwe Schröder studierte Oecotrophologie sowie Erziehungs- und Sportwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Giessen und arbeitete im Rahmen seiner Diplomarbeit an der Rijksuniversiteit Limburg, Maastricht/Niederlande. Uwe Schröder ist als Ernährungswissenschaftler am Institut für Sporternährung e. V., Bad Nauheim, angestellt. Zu seinen Aufgaben zählen die Durchführung wissenschaftlicher Studien sowie die Ernährungsberatung bei Freizeit- und Leistungssportlern sowohl im Erwachsenen- / Profibereich als auch bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Patienten der Sportklinik Bad Nauheim. Seit über zehn Jahren ist Uwe Schröder Lehrbeauftragter für Sporternährung an der Hochschule Fulda, Fachbereich Oecotrophologie.