Herzfrequenz: Individuell wie ein Fingerabdruck!

Herzfrequenz_IMG_9555In einer Trainingsgruppe bringt ein Vergleich der Herzfrequenzen sehr unterschiedliche Daten ans Tageslicht. Während die einen Athleten einen Durchschnittspuls von 130 Schlägen pro Minute vorweisen, liegen andere Sportler bei 150 Schlägen pro Minute.

 

Aber auch beim Ruhe- und Maximalpuls existieren enorme Unterschiede. Erfahrene Ausdauerathleten stellen bereits kleinste Schwankungen in ihrer Herzfrequenz fest und können anhand ihres Herzschlages feststellen, ob sie gut im Training und gesund sind. Nicht Sport treibende Menschen hingegen spüren ihren Herzschlag insbesondere dann, wenn sie sich körperlich (über)anstrengen, nervös oder aufgeregt sind. Der Puls ist somit eine sehr individuelle Angelegenheit. Grund genug, den in Freiburg praktizierenden Facharzt für Kardiologie, Sportmedizin, Innere Medizin und Diabetologie Dr. Kurt Johannes Schmieg zum Thema Herzfrequenz zu befragen.

Herr Dr. Schmieg, die Chinesen glaubten früher, dass einem Menschen nur eine fest vorgegebene Anzahl von Herzschlägen und Atemzügen zur Verfügung steht. Ihr Kollege Prof. Dr. Peter Axt sprach in einem Interview mit der tritime (Ausgabe 3/2011, Seite 172 ff.) über das „Glück der Faulheit“ und warb für eine Mäßigung im Sport. Was halten Sie als Kardiologe und Sportmediziner von diesen Thesen?
(Lacht!) Das ist eine beunruhigende Vorstellung, nur eine bestimmte Anzahl von Herzschlägen „zur Verfügung zu haben“, wie ich finde. Da wären wir Sportler ja eindeutig im Nachteil! Der Puls liefert uns neben der Frequenz noch eine Vielzahl weiterer Informationen: Beschleunigung und Verlangsamung der Herzschlagfolge, das Vorhandensein von Extrasystolen (Extraschlägen) oder Arrhythmien (Unregelmäßigkeiten), sowie die „Pulshärte“. Sie sind wichtige Indizes der Herzfunktion und lenken unsere Aufmerksamkeit bereits zu Beginn der Untersuchung in die richtige Richtung, die auch unsere Vorfahren vor Tausenden von Jahren schon zu nutzen wussten. Hier lagen die Chinesen richtig.

Was genau passiert durch die vermehrte körperliche Betätigung in/mit dem Herz?
Das Herz adaptiert die wiederholten Trainingsreize – Stichwort „Sportherz“. Vereinfacht gesagt werden die Herzwände bis zu einem gewissen Grad dicker, das Schlagvolumen nimmt zu, sodass pro Herzschlag mehr Blut in den Kreislauf gepumpt wird. Die Herzfrequenz kann abnehmen, muss aber nicht. Sie kann nachts auf so tiefe Werte abfallen, dass bei Unkenntnis der Sportanamnese schon fast „Schrittmacherpflichtigkeit“ besteht (lacht). Wichtig ist, dass die Anpassungsvorgänge langsam ablaufen, der Körper und das Herz immer ausreichend Gelegenheit haben, die Trainingsreize zu verarbeiten.

Und welche „allgemeinen äußeren Einflüsse“ wirken sich auf die Leistungsfähigkeit unseres Herzens aus?
Hier unterscheidet man zwischen Faktoren, die man nicht beeinflussen kann wie Geschlecht, Alter, Körpergröße und genetische Voraussetzungen sowie Lebensumständen, die man beeinflussen kann: Ernährung, Alkohol/Nikotin/Medikamente, beruflicher/privater Stress, Regeneration/Schlaf, allgemeine Gesundheit. Und genau hier setzt der Ausdauersport an. Es besteht heute Übereinkunft, dass regelmäßiges, moderates Ausdauertraining sowohl in der Primär- als auch der Sekundärprävention (bei Vorliegen von Krankheiten) sinnvoll ist.

Mittlerweile existieren zahlreiche wissenschaftliche Studien und Publikationen zu dem Thema „Herzfrequenztraining“. Der Markt für Pulsmesser ist in den vergangenen zehn Jahren rasant gewachsen. Empfehlen Sie allen Sportlern die Nutzung von Pulsmessern oder machen Sie Unterschiede zwischen Anfängern und Erfahrenen?
Das Ziel sollte prinzipiell sein, dass jeder Sporttreibende ein „Körpergefühl“ entwickelt, welches ihm Sicherheit über die aktuelle körperliche Verfassung vermittelt. Wenn der Pulsmesser nur dazu verwendet wird, sich am Computer hinterher schöne bunte Kurven anzuschauen oder im Bekanntenkreis mit Durchschnitts-/Maximalwerten und Ruhepulsangaben zu „posen“, dann ist er sinnlos oder sagen wir, etwas zweckentfremdet (lacht). Da die Herzfrequenz per se ein recht labiler Parameter ist, der einer Vielzahl von äußeren Einflüssen unterliegt, sind zu starre Herzfrequenzvorgaben in Trainingsplänen wenig sinnvoll. Beispielsweise nimmt bei steigender Außentemperatur die Herzfrequenz zu, sodass Frequenzwerte im Januar-Trainingslager auf Lanzarote anders zu werten sind als zeitgleiche Werte in unseren Breiten. Daneben gibt es eine Vielzahl von Medikamenten, die die Herzfrequenz beeinflussen können. Natürlich ist es naheliegend, dass die aufgezeichneten Messdaten richtig ausgewertet und analysiert werden. Meist leistet hier auch ein Trainer oder Arzt eine notwendige Hilfestellung, damit die persönlichen Ziele auch erreicht werden.

Welchen Stellenwert sollten Athleten Leistungsdiagnostiken beimessen? Mit welcher Intention sollte ein Sportler diese Dienstleistung in Anspruch nehmen und was gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten?
Für „Newcomer“ oder nach längerer Sportpause ist sicherlich ein Kardiocheck sinnvoll und unumgänglich. Die dabei regelhaft durchgeführte Ergometrie liefert in den allermeisten Fällen genügend Informationen, die der Trainierende in der ersten Zeit braucht. Eine gezielte Leistungsdiagnostik im Sinne eines Stufentestes mit Laktatbestimmung oder eine Spiroergometrie ist in meiner täglichen Praxis dem routinierten Sportler mit definierten Wettkampfzielen vorbehalten. Aus gegebenem Anlass ist erneut auf die Wichtigkeit hinzuweisen, dass nicht nur am Anfang einer Ausdauersportlaufbahn eine regelmäßige kardiologische Untersuchung sinnvoll ist.

Herzfrequenz_IMG_9586Wenn ein Athlet sich weder untersuchen lässt, noch an seine Vorgaben hält, welche Folgen kann dies kurz- und langfristig auf das Herz und den Organismus haben?
Schlimmstenfalls werden angeborene oder erworbene Herzkreislauferkrankungen nicht oder zu spät entdeckt. Wenn trotz fieberhaftem Infekt weiter trainiert wird beziehungsweise Wettkämpfe absolviert werden, können lebensbedrohliche Erkrankungen des Herzens (Endokarditis und Myokarditis) und der Nieren (Nephritis) folgen. Einzelfälle, auch prominenter Sportler, die trotz dringenden klinischen Verdachts auf eine Myokarditis frühzeitig in den Wettkampfsport zurückkehrten und daraufhin am plötzlichen Herztod verstarben, können regelmäßig den Schlagzeilen der Boulevardpresse entnommen werden.

Und wie sehen die typischen Symptome hierzu aus? Kann man das „spüren“?
Der Bluthochdruck, um nur ein Beispiel zu nennen, macht sich meist erst dann bemerkbar, wenn irreversible Schäden am Herzen, den Blutgefäßen oder anderen Organen (Nieren, Augen) eingetreten sind. Dasselbe gilt auch für den Diabetes mellitus. Typische und verlässliche Symptome gibt es leider nicht.

Welche Maßnahmen sollten aus Ihrer Sicht „gefährdete“ Ausdauerathleten ergreifen, um solche Spätfolgen zu vermeiden?
Kaderathleten werden regelmäßig ärztlich untersucht und haben in Gesundheitsfragen an den Leistungsstützpunkten einen Arzt Ihres Vertrauens. Ambitioniert Sporttreibende mit vergleichbaren Trainingsumfängen (und zusätzlicher beruflicher Belastung) haben das häufig nicht oder nehmen es nicht in Anspruch. Ich denke, da besteht Nachholbedarf. Auch hier könnte ein ärztliches Back-up häufig sinnvolle Dienste leisten.

Immer wieder sind in den Medien Berichte und Reportagen über Projekte „von Null auf Marathon beziehungsweise Ironman“ zu finden. Wie stehen Sie persönlich solchen Formaten gegenüber?
(Schüttelt den Kopf) Dies dient der Auflagensteigerung dieser Medien, aber keinesfalls der Gesundheit des Athleten. Letztendlich handelt es sich bei denjenigen, die sich auf ein solches Projekt einlassen, um erwachsene und mündige Bürger. Verbieten kann man so etwas sicherlich nicht.

Herr Dr. Schmieg, ich danke Ihnen für Ihre ausführlichen Informationen.

Dr. med. Kurt Johannes Schmieg ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und  mit Schwerpunkt Sportkardiologie.Der in Freiburg im Breisgau niedergelassene Facharzt und ambitionierte Triathlet ist Autor umfangreicher Fachpublikationen und ein gefragter Interviewpartner.