Dehnen: Für mehr Bewegungsreichweite – Teil 2

dehnen-brustmuskulatur2Warum Beweglichkeit eine große Rolle für Triathleten spielt, haben wir in Teil 1 des Artikels erklärt. Heute zeigen wir euch wie es geht und stellen euch einige wichtige Dehnübungen vor.

 

Dynamisch oder statisch?
Während des Aufwärmens bietet die Methode des aktiv-statischen Dehnens mit einer Haltedauer von circa zehn Sekunden eine ideale und sichere Methode, um die Muskulatur unter Beachtung der Grundregeln auf eine anschließende Belastung vorzubereiten. Weiterhin beschreibt die Trainingslehre das aktiv-dynamische Dehnen mit kurzen, zum Teil zügigen und schwunghaften Bewegungen, welche je Übung insgesamt bis zu 30 Sekunden ausgeführt werden. Zu dieser Methode gibt es allerdings auch viele negative Berichte, die von einer Provokation von Mikrotraumen, winzigen Verletzungen in der Muskulatur, berichten. Nach einem entsprechenden Aufwärmprogramm wird diese Variante meist von erfahrenen Profis zur unmittelbaren Vorbereitung einer folgenden intensiven Belastung genutzt. Im Bereich des Breitensports sollte ganz langsam mit dem dynamischen Dehnen angefangen und gegebenenfalls sollten kompetente Trainer zurate gezogen werden.

Nach einer Trainingsbelastung kommt das statische Dehnen mit einer Haltedauer von 30 Sekunden bis zwei Minuten zum Einsatz. Hier werden Muskel und Bindegewebe schonend gedehnt und unnötige Verletzungen vermieden. Bei diesen lang anhaltenden Übungen sollte der Dehnreiz stets spürbar sein. Passive Dehnübungen mit einem Partner können außerdem für einen Extra-Impuls sorgen. Wichtig, dabei ist, dass der Partner die Spannung langsam steigert. Man sollte bei diesen Übungen immer mittels Kommunikation auf das jeweilige Schmerzempfinden eingehen und nichts übertreiben.

Im Profisport zählen zudem die passiv-statische sowie die passiv-dynamische Verfahrensweise zu den Methoden, die aufgrund der Unterstützung von Physiotherapeuten ergänzend zur Reizsteigerung eingesetzt werden. Auch die richtige Atemtechnik spielt bei der Ausführung eine Rolle und kann das Dehnprogramm noch effektiver gestalten. Das Anspannungs-Entspannungs-Dehnen unter Aktivierung der Agonisten auf der einen Seite sowie der Kontraktion der Antagonisten auf der anderen Seite erfolgt auch mittels einer speziellen Atemtechnik, bei der in der Anspannungsphase nach vorheriger Vordehnung tief eingeatmet und erst beim Entspannen des Muskels und einer erweiterten Dehnung wieder tief ausgeatmet wird.

Für Triathleten wichtige Bereiche
Wie schon erwähnt, spielt die Dehnfähigkeit auch eine enorme Rolle hinsichtlich der Entwicklung einer guten Schwimmtechnik. An erster Stelle steht die Beweglichkeit im Schultergürtel inklusive der Brustmuskulatur. Für all diejenigen, die ihr Potenzial im Wasser aufgrund fehlender Beweglichkeit noch nicht ausgeschöpft haben, sollte für eine optimale Vorführphase mit hohem Ellenbogen sowie unter Wasser eine ideale Ellenbogenvorhalte die Schwimmeinheit an Land mit entsprechenden Vorübungen beginnen. Auch ein gut aufgedehnter Hüftbeuger ermöglicht mitunter eine ideale Wasserlage sowie einen vernünftigen Abdruck in der dritten Disziplin. Durch ein umfangreiches Radtraining neigen viele Sportler zu Verkürzungen, die besonders mit einer abgeschwächten Muskulatur der Oberschenkelrückseite einen unökonomischen Laufstil ergeben. Eine gute Rumpfrotation in der Körperlängsachse ermöglicht zudem eine gute Dynamik im Vortrieb und entlastet durch ergänzende Übungen für die Rückenstreckmuskulatur die einzelnen Segmente der Wirbelsäule.

Einige Experten-Statements zum Thema „Dehnen“
Wolfram Bott (Anfang 2013 trat der frühere U-25-Bundestrainer bei der Luxemburgischen Triathlon Federation seine Funktion als Bundestrainer an. Darüber hinaus zeichnet der 41-Jährige unter anderem Verantwortung für die Trainingsplanung der Raelert Brothers, Nils Frommhold und Julia Gajer.)

„Ich denke, dass das Dehnen gerade zur Verletzungsprophylaxe sehr wichtig für Sportler ist. Außerdem sind Dehnübungen unerlässlich, um zum Beispiel beim Laufen eine größere Bewegungsreichweite zu erlangen. Bei Leistungssportlern stehen Dehnübungen nach jeder Laufeinheit auf dem Programm, um etwaigen Muskelverkürzungen entgegenzuwirken. Von zusätzlichen Einheiten sehe ich in meinen Trainingsgruppen ab. Im Agegrouper-Bereich kann man allerdings vor allem in Hochbelastungsphasen wie im Trainingslager auch mal eine separate Einheit mit Dehnübungen durchführen. Ansonsten sollten auch die Altersklassenathleten vor allem nach den Laufeinheiten die Beinmuskulatur dehnen. Diese zusätzlichen fünf bis zehn Minuten sind sehr, sehr wichtig.

Was die richtige Dehnmethode ist, hängt meiner Meinung nach vom Athleten ab. Ob statisch oder dynamisch spielt meiner Meinung nach zunächst einmal eine untergeordnete Rolle. Je nachdem, mit welcher Methode sich der Athlet wohlfühlt, sollte man die Übungen durchführen und anpassen. Ein Richtig oder Falsch gibt es für mich hier nicht. Individuell verschieden ist auch, welche Bereiche man dehnen sollte: Jeder Athlet hat seine ganz persönlichen Schwachstellen, an denen er arbeiten sollte. Im Allgemeinen kann man beobachten, dass bei vielen Triathleten der Hüftbeuger extrem verkürzt ist, also sollte man diesen immer wieder aufdehnen. Man kann dies beispielsweise an der leicht sitzenden Laufhaltung vieler Athleten erkennen. Dadurch muss bei jedem Schritt extrem viel Kraft aufgebracht werden, um sich aus dieser Position ‚herauszudrücken‘. Weiterhin müssen viele Athleten aufpassen, dass sie keinen Rundrücken entwickeln, der sich durch das viele Schwimmtraining und das lange Radfahren in Aeroposition entwickeln kann. Daher sollte man sich auch seinem Schultergürtel und der Brustmuskulatur widmen.“

Lubos Bilek (Die Triathlon-Profis Sebastian Kienle, Andreas Böcherer, Maurice Clavel legen seit mehreren Jahren ihre Trainingsgestaltung in die Hände des gebürtigen Tschechen und Sportwissenschaftlers.)

„Zum Thema Dehnen gibt es durchaus verschiedene Meinungen. Ich bin allerdings der Ansicht, dass man unbedingt dehnen sollte. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das Dehnen (5 bis 15 Sekunden in der Dehnung) die Regeneration nach dem Training verkürzt und als Verletzungsprophylaxe dient – nicht zu Verwechseln mit Strechting (rund 30 Sekunden eine Position halten). Außerdem ist es individuell unterschiedlich, was einem Sportler guttut und was nicht. Deswegen gilt meiner Meinung nach: Jeder soll es selbst ausprobieren.

Grundsätzlich würde ich das Dehnen nach kürzeren lockeren Läufen (bis maximal zehn Kilometer) einbauen. Der Körper ist gut aufgewärmt, aber noch nicht zu müde. Im Winter kann man auch hin und wieder eine Extraeinheit einlegen. Allerdings sollte man sich davor immer gut aufwärmen. Wenn man vor dem Training dehnt, bevor man zum Beispiel mit dem Intervalltraining beginnt, sollte das Dehnen dynamisch sein. Nach dem Training eher statisch. Dynamisch wird gedehnt, da vor der Belastung die Muskelspannung erhalten bleiben soll. Nach der Belastung ist ein statisches Dehnen besser, da dadurch die Regeneration gefördert wird. Zu den wichtigsten Körperregionen gehört für mich bei Triathleten der Schultergürtel, um beispielsweise den Armzug im Schwimmen richtig ‚lange‘ ausführen zu können. Auch der Hüftbeuger, die Oberschenkelvorder- und -rückseite sind für einen langen Schritt und eine gute Abdruckphase ebenso entscheidend wie die Wadenmuskulatur.“

Übungen aus der Praxis

dehnen_hueftbeugerHüftbeuger: Ausfallschritt, optional mit Oberkörperseitneigung (im Knien).

dehnen-gesaessmsukulaturGesäßmuskulatur: Das zu dehnende Bein gewinkelt auf den Boden legen, mit dem aufrechten Oberkörper nach vorne schieben, bis die Dehnung wahrgenommen wird. Das andere Bein bleibt nach hinten gestreckt auf dem Boden liegen.

dehnen2Brustmuskel.

dehnen-oberschenkelhinterseiteZweiköpfiger Oberschenkelmuskel/Oberschenkelhinterseite.

dehnen-oberschenkelmuskulaturVierköpfiger Oberschenkelmuskel: im Ausfallschritt mit herangezogenem Fuß, die Knie auf den Boden fixiert (im Knien oder im Stehen; wichtig an der Wand festhalten).

Unser Autor Christian „Paule“ Prochnow beendete im August 2013 nach rund 17 Jahren seine Karriere als Sportler in der Ausdauersportart Triathlon. Während seiner Zeit als Leistungssportler erkämpfte er sich nicht nur bei den Olympischen Sommerspielen in Peking 2008 den 15. Rang, er absolvierte auch ein Studium an der Trainerakademie in Köln und erlangte dort im April 2012 das Trainerdiplom des DOSB. Sein Wissen und seine Erfahrungen stellt Christian Prochnow im Rahmen von „Fit mit Prochnow“ interessierten Triathleten zur Verfügung.

Foto: Mirko Lehnen | mirko-lehnen.com