Wir sind es gewohnt, uns anzustrengen – vor allem dann, wenn wir unsere Leistungen verbessern oder optimieren wollen. Kann eine Methode Erfolg versprechend sein, die genau diese Haltung infrage stellt? Wir stellen euch die Alexander-Technik vor.
Auf Wikipedia steht Folgendes zum Thema Alexander-Technik: „Die Alexandertechnik ist eine pädagogische Methode und beschäftigt sich mit dem Erkennen und Ändern von Gewohnheiten, besonders von körperlichen Fehlhaltungen, die sich durch Verspannungen, Schmerzen oder Funktionseinschränkungen äußern. Die Technik bietet eine individualisierte Methode, um Fertigkeiten zur Selbsthilfe zu erlernen. Ihre Prinzipien sollen dabei helfen, Gewohnheiten, die den Haltungstonus und die neuromuskuläre Koordination negativ beeinträchtigen, wahrzunehmen, zu verstehen und zu vermeiden. Besondere Bedeutung hat die Methode für Menschen, die ihrem Körper oder ihrer Stimme besondere professionelle Leistungen abverlangen: z. B. Musiker, Schauspieler, Sänger, Tänzer oder Sportler.
Klingt spannend, oder? Ist es auch. Giga Weidenhammer versucht im Artikel zu erklären, was die Technik für Sportler genau bringen kann.
Jeder möchte das Maximum rausholen
Es ist nichts Falsches daran den Wunsch zu haben, die eigenen Rekorde zu verbessern, die der anderen zu toppen und die Konkurrenz hinter uns zu lassen.
Sport soll aber auch die Gesundheit fördern, Stress abbauen und dazu beitragen, dass wir uns gut fühlen in unserem Körper. Leider scheinen viele (Leistungs)sportarten genau das Gegenteil zu beweisen: Kaputte Knie, chronische Schmerzen im Rücken, irreversible Verschleißerscheinungen an den Gelenken – um nur einige Probleme zu nennen – sind viel zu oft die Kehrseite von ernsthaften Bemühungen, „das Beste“ aus sich herauszuholen.
Muss das sein? Ist unsere körperliche Unversehrtheit das nötige Opfer, das wir bringen müssen, um uns vom Mittelmaß zu lösen und wirklich gute Ergebnisse zu bringen?
Oder läuft da etwas grundlegend falsch? Gibt es eine Möglichkeit uns unseren Trainingszielen zu nähern, ohne unseren Körper unnötig zu strapazieren und ihn so auf Dauer zu schwächen, statt zu stärken?
Wir kennen alle den Spruch: Weniger ist manchmal mehr – aber gilt das auch im Sport? Wir alle träumen von diesem prickelnden Zustand höchster Konzentration und Leistungsfähigkeit, gepaart mit großer Leichtigkeit und Freude, in dem alles wie von allein und besser als je zuvor zu laufen scheint und der als Flow bezeichnet wird.
Gibt es eine Gebrauchsanweisung, die uns weiter bringt, unsere Leistungs-Grenzen verschiebt, ohne dass wir dabei unsere körperlichen Grenzen missachten müssen? Die Ratgeberliteratur boomt, verschiedenste Trainingsprogramme lösen einander ab und vor allem die, die schnelle Ergebnisse versprechen, machen uns manchmal glauben wir müssten „nur“ mehr tun, um mehr zu erreichen – leider ist dieser Ansatz in der Regel völlig falsch und nicht selten dürfen wir das durch schmerzliche Blessuren und wiederkehrende Beschwerden am eigenen Leib erfahren.
Mehr tun, um mehr zu erreichen?
Obwohl wir alle die gleichen Ziele haben – nämlich in unserer Disziplin besser zu werden und „rauszuholen was geht“ – sind wir doch auch alle sehr verschieden. Nicht nur, dass wir uns in Größe, Knochenbau und Proportionen unterscheiden, auch unsere Bewegungen und unsere Haltung sind unterschiedlich und unterliegen jahrelang antrainierten Gewohnheiten und Bewegungsmustern. Was aber tun, wenn es genau diese Gewohnheiten sind, die uns daran hindern, effektiv und nachhaltig besser zu werden?
Was tun, wenn das Bewegungsmuster das wir uns erarbeitet haben, dann doch nicht ganz das Richtige ist und uns schlussendlich daran hindert, unseren Körper funktional und bestmöglich einzusetzten?
Schade eigentlich, dass der Leistungssport die Alexander-Technik nicht schon früher entdeckt hat, Tänzer, Schauspieler und auch Artisten profitieren schon viele Jahre von ihr, wenn auch hier nicht wenige erst den „Weg des Schmerzes“ gegangen sind, bevor sie sich erlaubt haben die Gewohnheit des „mehr Leistung durch mehr Training“ zu durchbrechen.
Reflexe steuern unsere Bewegungen
Wie Frederick M. Alexander, australischer Schauspieler und Begründer der Technik, Anfang letzten Jahrhunderts herausfand, ist unser gesamter Körper von einem System von Reflexen durchzogen, das alle uns möglichen Bewegungen steuert. Diese „Primäre Kontrolle“, wie er das System nannte, kennt das genaue Maß an Muskelkraft, das für eine Bewegung oder Haltung benötigt wird, ebenso wie die optimalen Stellungen aller Körperteile zueinander. Deshalb federn wir zum Beispiel beim Springen den Aufprall auf dem Boden so ab, dass wir weder in uns zusammenfallen noch nach dem Aufkommen wieder übermäßig hoch hüpfen. Dafür müssen wir nichts tun, das Reflexsystem erledigt es von alleine und ohne unser Zutun. Durch abgeschauten (Nachahmung) oder anerzogenen (Benimm) „schlechten Gebrauch“, durch Schonhaltungen (vorübergehende Vermeidung von Schmerz), oder Modetrends (Tipps und „Übungen“) greifen wir allerdings sehr häufig in dieses System ein und verhindern, dass es seiner Aufgabe adäquat nachkommen kann.
Schlechte Gewohnheiten zu erkennen und loszuwerden und sich stattdessen bewusst für eine bessere Lösung zu entscheiden, ist ein zentrales Anliegen der Alexander-Technik – denn allzu oft vollziehen wir Bewegungen mit übermäßiger Muskelkraft, anstatt dem Reflexsystem die Steuerung zu überlassen.
Einfach mal Innehalten
Die Technik selbst erscheint zuerst einmal fast banal im Vergleich zu dem, was wir sonst gewohnt sind zu tun: Anhand simpler Bewegungsabläufe, die wir tagtäglich viele Male verrichten – wie zum Beispiel uns hinzusetzen und wieder aufzustehen – erfahren wir, was es bedeutet nicht mit unserem natürlichen Bewegungsfluss zu interferieren: Wir lernen uns mit minimaler Anstrengung funktional zu bewegen und nicht in die natürlichen Reflexketten unseres Körpers einzugreifen. Dazu gehört auch das „Innehalten“: das bewusste Unterbrechen von unseren gewohnten Bewegungsabläufen, um unserem Reflexsystem die Möglichkeit zu geben seine Arbeit ungehindert zu tun.
Durch regelmäßigen Unterricht und wiederkehrende Impulse an unser primäres Kontrollsystem erreicht die Information zur neuen Ausrichtung unseres Körpers über die Reflexketten auch unser Bewusstsein: und erst durch diesen Schritt kann es uns gelingen ungute Gewohnheiten abzulegen – statt sie (wie sonst) durch neue „antrainierte“ Gewohnheiten zu überdecken.
„Wenn du das Schlechte lässt, wird sich das Gute von alleine einstellen.“
Ein Alexander-Technik-Lehrer unterstützt diesen Prozess: Durch sanfte Manipulation unserer Haltung, durch seine beharrliche Aufforderung dem eigenen Körper zwar Anweisungen zu geben, gleichzeitig aber „Nichts“ zu tun, um diese Anweisungen bewusst zu befolgen und nicht zuletzt durch seine eigene Haltung, mit der er uns vorlebt und miterleben lässt, dass funktionaler Gebrauch möglich und praktisch umsetzbar ist.
Die Alexander-Technik wird demnach nicht geübt, sondern erfahren und praktiziert – und das ist wohl der wesentlichste Unterschied zu vielen gängigen Trainingsmethoden.
Bewegungsabläufe optimieren
Die Alexandertechnik möchte uns nichts Neues beibringen, sondern uns Bekanntes wieder zugänglich und nutzbar machen. Wenn wir die Grundzüge der Technik verstanden haben, können wir sie in all unserem Tun anwenden und umsetzen: egal ob beim Laufen, Schwimmen Rad fahren, oder am Computer – für all diese Tätigkeiten kennt unser Körper gesunde und funktionale Bewegungsmuster, die uns ein Optimum an Leistung ermöglichen – wenn wir sie denn zulassen. Egal welche Disziplin wir trainieren und wie ernst es uns damit ist: Die Alexandertechnik hilft uns unsere Bewegungsabläufe zu optimieren, unsere Ressourcen zu schonen, unsere Selbstwahrnehmung zu schärfen und unsere Leistung zu verbessern. Und nicht zuletzt hilft sie uns auch dabei, die Grundlagen zu schaffen, unter denen sich der „Flow“ überhaupt erst einstellen kann: körperliche und geistige Gelöstheit, geringer Energieaufwand und eine gelassene Offenheit für neue Herausforderungen in unserer Disziplin.
Bewusstes Entscheiden wieder lernen
Alexander-Technik-Unterricht findet meistens als Einzelunterricht statt. So kann der Unterricht optimal auf die persönlichen Gegebenheiten des oder der Lernenden abgestimmt werden. Wer die Technik nicht nur kennenlernen, sondern ihre Methoden und Effekte wirklich erfahren und für sich nutzen möchte, sollte mindestens zehn Unterrichtsstunden in wöchentlichem Abstand nehmen. Da bei Erwachsenen viele Jahre individuell gestalteter Konditionierung und Gewohnheit zu durchbrechen sind, ist eine Neuorientierung in kürzeren Zeiträumen nur in geringem Umfang möglich. Mit zunehmender Stundenzahl jedoch lernen Alexander-Technik-SchülerInnen, das bewusste, freie Entscheiden für den optimalen Bewegungsablauf selbständig anzuwenden und im Idealfall auf alle Lebensbereiche auszuweiten.
Giga Weidenhammer, Jahrgang 1967, ist ausgebildet als Artist und Tänzer in Brüssel, Barcelona und Paris. Er hat langjährige Bühnenerfahrung und die Ausbildung zum Alexander-Lehrer von 1997-1999 in Amsterdam absolviert. Heute ist der passionierte Läufer vor allem als Coach und Alexandertechnik-Lehrer tätig. Kontakt
Foto: Uli Gasper – Uliphoto.de