Ob nun Wurzeln oder Fleisch, Pilze oder Fisch ‒ es gibt sie nicht, die eine, ideale Ernährungsweise für alle.
Ein wichtiges Argument für die richtige Lebensmittelauswahl tritt gerade bei Aktiven oft hinter rationalen Abwägungen zurück: Lebensmittel müssen zunächst individuell gut vertragen werden.
Gerade Ausdauersportler haben die besten Voraussetzungen, unter Berücksichtigung dieses Kriteriums die Basis für ihre individuell perfekte Lebensmittelauswahl zu legen. Besitzen sie doch das, was vielen Couch-Potatoes heute verloren gegangen ist: somatische Intelligenz. Die Fähigkeit, in den eigenen Körper hineinzuhören und zu spüren, was ihnen persönlich guttut und wonach ihr Organismus gerade verlangt. Die Fähigkeit, Körpersignale wahrzunehmen, richtig zu deuten und entsprechend zu handeln.
Viel zu oft bemühen Athleten aber ihren Intellekt, der meint, bestimmen zu müssen, dass im gerade gelesenen Kapitel des Ernährungsratgebers viel besser beschrieben sei, was gut ist und was nicht. Und dass ein besserer Bike-Split möglich sei, wenn, obwohl die Gelüste um die im Kühlschrank wartende Lasagne kreisen, nun das Porridge aus Bio-Vollkornhaferflocken, fettfreiem Wasser und der Prise Himalayasalz verzehrt wird. Lebensmittel müssen (auch) schmecken. Wenn der Genussaspekt nicht berücksichtigt wird, ist Essen und Trinken nur noch eine funktionale Nährstoffaufnahme ohne eine sinnliche und emotionale Komponente. Sie kann zwar die Nährstoffzufuhr zufriedenstellen, innere Befriedigung verschaffen kann sie aber nicht. Sie trägt dann vielleicht zur Regeneration bei, aber nicht zur wirklichen Erholung.
Gefährliches Essen nach Plan und Funktionalität
Das Essen nach Plan, nach Nährstoffvorgaben und sehr stark ausgerichtet auf definierte Ziele birgt Gefahren. Besonders, wenn die trainingstechnischen Möglichkeiten an ihre Grenzen stoßen, wenn die Leistung stagniert und die Konkurrenten plötzlich besser werden, sind viele Athleten bereit, beim Essen und Trinken zu experimentieren und extreme Varianten zu erproben. Der Weg zur Essstörung ist vorprogrammiert. Immer mehr Sportler weisen Symptome von grenzwertigem Essverhalten und manifesten Essstörungen auf. Ein oft vernachlässigter, aber wichtigster Aspekt beim triathlongerechten Essen und Trinken ist daher die Deckung des Energiebedarfs und die Sicherstellung einer ausreichenden Energieverfügbarkeit. Zahlreiche Triathleten beginnen intensiver beziehungsweise umfangreicher zu trainieren, ohne ihre Energieaufnahme entsprechend anzupassen. Oder sie reduzieren bewusst ihre Nahrungs-, vor allem ihre Fettaufnahme, um abzunehmen und ihren Körperdepotfettanteil zu verringern.
Das Thema Gewicht ist im Triathlon allgegenwärtig. Wer hat noch nicht versucht, beim Bike wo irgend möglich das Gewicht zu reduzieren? Auch ein Körpergewichtsverlust führt anfangs oft zu einer Leistungssteigerung, was dazu verleiten kann, weiteres Gewicht verlieren zu wollen. Allein dadurch kann es bereits zu einer Essstörung kommen. Gerade im Ausdauersport schränkt ein Zuwenig an verfügbarer Energie aber mittelfristig die Leistungs- und Regenerationsfähigkeit sowie bereits nach wenigen Tagen auch den Gesundheitsstatus drastisch ein.
Ausreichende Energieverfügbarkeit sicherstellen
Als Energieverfügbarkeit wird diejenige Energie definiert, die dem Körper noch für alle Körperfunktionen zur Verfügung steht, nachdem die durch körperliche Aktivität verbrauchte Energie von der durch die Nahrung aufgenommenen Energie abgezogen wurde. Bei einer zu niedrigen Energieverfügbarkeit geht der Körper in eine Art Sparmodus über. Er adaptiert die zelluläre Erhaltung, die Thermoregulation, das Wachstum und die Reproduktion, um die Energiebilanz auszugleichen und das Überleben zu sichern, mit Folgen für den allgemeinen Gesundheitszustand. Trotz einer niedrigen Energieverfügbarkeit kann das Körpergewicht mittelfristig auf diese Weise sogar stabil bleiben. Der negative Einfluss auf die Gesundheit ist dann aber bereits vorhanden. Eine reduzierte Energieverfügbarkeit kann mit oder ohne Essstörung auftreten. Besonders dramatisch wirkt sich eine geringe Energieverfügbarkeit bei Athletinnen aus. Hier kann es zum Phänomen der Triade der sportreibenden Frau kommen, auch athletische Triade oder Female Athlete Triade (FAT) genannt. Dieses Erkrankungsbild betrifft neben leistungssportlich trainierenden Frauen auch immer mehr freizeitsportlich aktive.
Unwissen über FAT
Sowohl bei Sportlerinnen als auch in den Vereinen herrscht oft noch Unwissen über dieses Störungsbild, sodass die Symptome nicht frühzeitig erkannt werden können. Aktuell wird die FAT als eine dynamische Beziehung zwischen den drei Eckpunkten Energieverfügbarkeit, menstruellem Status und Knochengesundheit definiert. Dabei bewegen sich die drei Faktoren einzeln und teilweise unabhängig voneinander in einem Spektrum zwischen Gesundheit und Krankheit. Bei einer über einen längeren Zeitraum andauernden niedrigen Energieverfügbarkeit, die gewollt oder ungewollt entstanden sein kann, kommt es leicht zur Amenorrhö (Ausbleiben der Menstruation), es wird weniger Östrogen produziert, die Knochenmineraldichte sinkt.
Gerade das oft praktizierte spezielle Essverhalten beim Triathlon begünstigt eine Energieunterversorgung beziehungsweise eine geringe Energieverfügbarkeit. Dazu gehören wiederholte Phasen von Diäthalten und verstärktem Essen, aber auch die Einnahme von Diuretika, Nahrungsergänzungen und spezieller Sportlernahrung. Der Triathlonsport ist hierbei nicht der Auslöser, er trägt aber zur niedrigen Energieverfügbarkeit bei. Auch wenn das Körpergewicht nicht als wichtigstes Merkmal der FAT gilt, kann es dennoch hilfreich sein, ein BMI-Limit festzulegen, unter dessen Wert die Athletin nicht absinken darf, wenn sie an Wettkämpfen oder am Training weiterhin teilnehmen möchte.
Hollie Avil
Junge Athletinnen sind schneller von der FAT und von Essstörungen betroffen als ältere. Auch der Druck, der durch den Verein, den Trainer, den Betreuer, die Eltern ausgeübt wird, kann zur Essstörung führen. Ein warnendes Beispiel dafür ist die ehemalige britische Top-Triathleten Hollie Avil. „You’ll need to start thinking about your weight if you want to run quickly, Hollie. Laut ihrer eigenen Darstellung begann für die damals 16-Jährige durch diesen Satz eines fremden Trainers der Weg in die Essstörung und zum vorzeitigen Karriereende. Das Ziel ein niedriges Körpergewicht zu erreichen, dominierte ab diesen Zeitpunkt ihre Gedanken und ihr Handeln. Wie sie selbst auf ihrer Website schreibt, wurde ihr Leben vom Essen bestimmt. Sie orientierte sich am extremen Ernährungsverhalten von Profiathleten und versuchte, dieses durch eine noch geringere Nahrungsaufnahme zu toppen. Auch bei ihr verbesserten sich durch die Gewichtsreduktion zunächst die Leistungen. Ihr Heimtrainer konnte sie anfangs von diesem gefährlichen Verhalten abbringen. Mit einem Trainerwechsel begann das gestörte Essverhalten aber erneut. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Athletinnen war sich Hollie über das selbstschädigende Verhalten bewusst. Sie beendete als Selbstschutz ihre Kariere noch vor den Olympischen Sommerspielen in London, obwohl sie als eine der großen Olympia-Hoffnungen der Briten galt.
Die Existenz und zunehmende Prävalenz der athletischen Triade und von Essstörungen muss ins Bewusstsein von Triathletinnen, Trainern, Betreuern, Eltern, Partnern und Funktionären gebracht und auf den entsprechenden Ebenen kommuniziert und thematisiert werden.
Text: Uwe Schröder
Uwe Schröder studierte Oecotrophologie sowie Erziehungs- und Sportwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Giessen und arbeitete im Rahmen seiner Diplomarbeit an der Rijksuniversiteit Limburg, Maastricht/Niederlande. Uwe Schröder ist als Ernährungswissenschaftler am Institut für Sporternährung e. V., Bad Nauheim, angestellt. Zu seinen Aufgaben zählen die Durchführung wissenschaftlicher Studien sowie die Ernährungsberatung bei Freizeit- und Leistungssportlern sowohl im Erwachsenen- / Profibereich als auch bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Patienten der Sportklinik Bad Nauheim. Seit über zehn Jahren ist Uwe Schröder Lehrbeauftragter für Sporternährung an der Hochschule Fulda, Fachbereich Oecotrophologie.