Corporate Social Responsibility: Säulen der Verantwortung

in einer Naturkautschuk-Plantage (Foto: schwalbe.com)

In den vergangenen Jahren wies Schwalbe immer wieder darauf hin, dass man als Unternehmen und Arbeitgeber der eigenen Verantwortung für Mensch und Natur umfassend nachkomme. Frank Bohle, Geschäftsführer des in dritter Generation geführten Familienunternehmens, betonte in einem früheren tritime-Interview rund um das Thema Nachhaltigkeit: „Wer Produkte für eine emissionsfreie Mobilität anbietet, sollte auch selbst nachhaltig handeln. Das ist der Anspruch an unsere unternehmerische Verantwortung und Glaubwürdigkeit.“ Seitdem sind drei Jahre vergangen …

Vor diesem Hintergrund traf ich mich in der 2021 neu bezogenen Schwalbe-Zentrale im oberbergischen Reichshof mit Felix Jahn. Der 32-jährige Enkel des Firmengründers und Neffe des aktuellen Geschäftsführers zeichnet seit zwei Jahren Verantwortung für den neu geschaffenen Bereich Corporate Social Responsibility (CSR).

Herr Jahn, wie definieren Sie Corporate Social Responsibility?

Für uns definieren wir CSR so, dass jedes unternehmerische Handeln Auswirkungen für Mensch und Umwelt hat. Daraus folgt für uns eine große ökologische und soziale Verantwortung, der wir uns vollumfänglich stellen möchten. Seit 1973 verfolgt Schwalbe das Ziel, für jedes Rad den richtigen Reifen in hochwertiger Qualität und mit maximaler Haltbarkeit anzubieten. Daran soll und wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Unser Anspruch dabei ist, dass unsere Produkte so umweltfreundlich sein sollen, wie es technisch möglich ist. Hier haben wir mit der Entwicklung des Green Marathons einen Meilenstein geschaffen. Mittlerweile sind 70% unseres gesamten Sortiments Kreislaufreifen – sie nutzen rCB (recycled Carbon Black) aus unserem Recyclingsystem statt fossil hergestelltem Ruß. Das spart 80% CO2-Äquivalente. Für uns hört ökologische Verantwortung aber nicht mit der Umsetzung von Maßnahmen wie Ressourcenschonung, Recycling oder der Verwendung erneuerbarer Energien auf, wir übertragen sie auf die gesamte Lieferkette und alle daran beteiligten Partnerinnen und Partner.

Dazu tragen wir soziale Verantwortung für die Gesellschaft und unsere Belegschaft. Ein Beispiel dafür ist unser Fair-Rubber-Projekt. In dessen Rahmen unterstützen wir in Indonesien und Vietnam die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von fair gehandeltem Naturkautschuk aus biodiversen Plantagen mit einer direkten Prämie von 0,50 Euro auf jedes Kilogramm Naturkautschuk. Damit sind wir der einzige Reifenhersteller weltweit, der die Menschen am Beginn der Lieferkette direkt unterstützt. Das Geld nutzen sie zur Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort.

Wie sehr lastet diese hohe Erwartungshaltung bei der Ausübung Ihrer Aufgaben auf Ihren Schultern?

Ich spüre vor allem Wertschätzung, weil unser ganzes Unternehmen hinter unserer Mission steht, die genannten Aufgaben anzupacken und zu verbessern. Die Möglichkeit zu erhalten, diesen Wandel maßgeblich mitzugestalten, erfüllt mich mit Dankbarkeit und Stolz sowie einer gesunden Prise Ehrfurcht. Schwalbe ist ein großer Teil meiner Identität. CSR verbindet meine persönliche Leidenschaft, möglichst nachhaltig zu leben und zu handeln, mit Schwalbes Selbstverständnis, Verantwortung als Unternehmen zu leben.

Unser Ansatz ist ein nachhaltiges Produktdesign, und zwar von der Entwicklung bis zum Recycling. Um diese ganzen Aufgaben zu meistern, sind wir ein sechsköpfiges Team. Das hat enorme Vorteile, weil CSR so facettenreich und vielschichtig ist. Durch unsere unterschiedlichen Fachgebiete – von Chemie und Materialwissenschaft bis zu Compliance-Aufgaben in der Lieferkette – können wir Themen viel fachgerechter, effektiver und schneller umsetzen. Wir sind bereits viele Schritte gegangen und auf einem guten Weg, jedoch noch lange nicht am Ziel.

Dachgarten der 2021 eingeweihten neuen Schwalbe-Firmenzentrale in Reichshof Foto: schwalbe.com)

bisherige Nachhaltigkeits-Maßnahmen
1993: WERKSTATTMATTEN
Zwischen 1993 und 2010 sammelte Schwalbe alte Reifen und produzierte aus den geschredderten Kleinteilen Werkstoffmatten. Auch wenn dies – aus heutiger Sicht – nicht einer echten Kreislaufwirtschaft entspricht, handelte es sich um die damals technisch bestmögliche und umweltfreundlichste Option. Diese war weitaus besser, als wenn die Reifen über den Restmüll in einer Müllverbrennungsanlage gelandet wären.

2015: RÜCKNAHME FAHRRADSCHLÄUCHE
Im Sommer 2015 führte Schwalbe in Deutschland ein herstellerunabhängiges Rücknahmesystem für alte Schläuche ein. Dabei werden die im Handel gesammelten Altschläuche von der Deutschlandzentrale per Container zum Recyclingbetrieb nach Indonesien verschifft, dort gereinigt, in einem speziell entwickelten Verfahren zu 100 Prozent devulkanisiert/recycelt und direkt nebenan dem Produktionsprozess neuer Schläuche zugeführt. Inklusive sämtlicher Transportwege wird für die Gewinnung des recycelten Rohstoffs rund 80 Prozent weniger Energie als bei der Produktion von neuem Butyl aufgewendet. Mittlerweile besteht jeder neue Schwalbe-Standardschlauch zu 20 Prozent aus recycelten Materialien, sodass sich durch diese Rückführung der Butyl-Kreislauf schließt. Derzeit kommt das Rücknahmesystem nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden und Belgien (2019), Großbritannien (2020) und der Schweiz (2021) zum Einsatz. Es ist geplant, nach und nach weitere Länder mit aufzunehmen. Ab Juni 2023 startet zudem ein Pilotprojekt in den USA.

2020: AEROTHAN
Weniger Gewicht am Rennrad, Pannensicherheit für Extremtourer oder Luftdrücke um ein Bar am Mountainbike, ohne die Gefahr eines Durchschlags zu erhöhen, gepaart mit einem niedrigen Rollwiderstand und stabilem Fahrverhalten: Was verlockend klingt, setzte Schwalbe 2020 – in Zusammenarbeit mit der BASF – mit dem transparenten Aerothan-Schlauch aus thermoplastischem und recycelbarem Polyester-Polyurethan um.
Butyl und Kautschuk werden als Basismaterialien nicht mehr benötigt. Das Besondere der Kunststoffschläuche liegt nicht nur darin, dass diese rund 40 Prozent leichter als klassische Schwalbe-Butyl-Schläuche sind, sondern dass die Produktion auch am Firmensitz in Reichshof erfolgt. Darüber hinaus kommen der dafür eigens entwickelte Maschinenpark ebenso wie die benötigten Rohmaterialien aus Deutschland.

2021: FIRMENZENTRALE
Die rund 200 Mitarbeiter am Stammsitz – weitere 70 Personen sind in den ausländischen Tochtergesellschaften angestellt – erwirtschafteten im Jahr 2022 einen Rekordumsatz in Höhe von 335 Millionen Euro. Neben qualitativ hochwertigen Produkten und den Fähigkeiten der Mitarbeitenden nehmen bekanntlich auch weiche Faktoren Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens. Beispielsweise das Bürogebäude und der Arbeitsplatz. Und da die Räumlichkeiten der 1995 bezogenen Firmenzentrale – damals lag die Mitarbeiterzahl bei rund 60 – sprichwörtlich fast aus den Nähten platzten, plante man den Bau eines neuen Gebäudes, das, verbunden mit dem Altbau, 2021 eingeweiht wurde. Das Besondere liegt neben der offenen Architektur und den lichtdurchfluteten Großraumbüros darin, dass die verwendeten Baumaterialien einem Rohstoffdepot gleichen, da die Baustoffe zu 98 Prozent recycelfähig sind. Neben der Regenwassernutzung für die WC-Spülung und Bewässerung der Grünflächen greift man bei der Energie auf eigene Solarpanels und Ökostrom zurück. Zu guter Letzt lädt der begrünte Dachgarten nicht nur zum Verweilen in den Pausen ein, dort erfolgt auch der Anbau von Gemüse, Obst und Kräutern für die Kantine.

2022: RÜCKNAHME FAHRRADREIFEN
Vor dem Hintergrund, dass Reifen vom Aufbau her – neben der Lauffläche gibt es noch einen Draht- oder Kevlarkern, eine Karkasse und verschiedenartige Pannenschutzgürtel – wesentlich komplexer sind als Schläuche, gestalteten sich die Forschung und Entwicklung eines wie beim Schlauchrecycling realisierten geschlossenen Kreislaufs als sehr herausfordernd. Gemeinsam mit der Dillinger Pyrum Innovations AG und der Technischen Hochschule Köln setzte man das Konzept eines ganzheitlichen Reifenrecyclings um. Analog zum Schlauchrecycling werden die Altreifen aller Hersteller über das Händlernetz gesammelt und nach Dillingen transportiert, mechanisch aufbereitet und in ihre Einzelbestandteile zerlegt. Der abfallfreie Recyclingprozess spart 80 Prozent des CO2 gegenüber der Verbrennung ein und schont Ressourcen. Während man das recycelte Ruß (rCB) dem Produktionsprozess neuer Reifen zuführt, verwendet man die bei der Pyrolyse ebenfalls entstandenen Gase und Öle zur Energieversorgung und in der chemischen Industrie als Ersatz für Rohöl. Nach der Pilotphase der Recyclingboxen mit 50 Händlern im Frühjahr 2022 beteiligten sich – nach der Vorstellung des Systems auf der Eurobike – bis Ende letzten Jahres deutschlandweit über 1.600 Händler. Auf diesem Wege wurden bislang knapp 300.000 Reifen gesammelt und recycelt. Eine besondere mediale Beachtung erhielt das Freisinger Fahrrad-Geschäft Ruhland, dessen Inhaber in den vergangenen 23 Jahren alle alten Fahrradreifen in einem nicht benötigten Kellerraum sammelte, immer in der Hoffnung, dass sie irgendwann recycelt und nicht verbrannt werden. Schwalbe freute sich über rund 15.000 Altreifen.

In den vergangenen Tagen veröffentlichten Sie für das Jahr 2023 Ihren dritten CSR-Jahresbericht. Welche Kernaussage beinhaltet dieser?

Der Fokus liegt auf der Förderung der Kreislaufwirtschaft, der konsequenten Erhöhung umweltfreundlicher Attribute in allen Schwalbe-Produkten sowie dem Ausbau unseres vielfältigen Engagements im Bereich sozialer Gerechtigkeit.

CSR-Jahresbericht 2023

Was bedeutet dies im Detail?

Wir haben 76% unseres Jahresumsatzes mit umweltfreundlichen Produkten erzielt – das heißt, sie wurden aus fairem Kautschuk, recycelten und/oder nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Insgesamt haben wir allein im Jahr 2023 weltweit zwei Millionen Fahrradschläuche und 550.000 Fahrradreifen recycelt. Allein das Schlauchrecycling hat insgesamt 5.683 Tonnen CO2-Äquivalente gespart, insgesamt liegt unsere CO2-Emissionsreduktion seit 2018 bei 37% (Scope 1, 2 und 3). Und im sozialen Bereich ist sicherlich unser Kinderbeirat der Schwalbe Mitarbeitenden herauszuheben, der fünf Projekte gefördert hat. Er ermöglicht es, Kindern eigenständig in einem demokratischen Prozess über Förderungen von Kinderhilfsprojekten zu entscheiden.

Schwalbe Recycling (Foto: schwalbe.com)
Ziele und To Do's "Corporate Social Responsibility"
2023: RECYCLING
Vorstellung des ersten Reifens aus 100 Prozent recyceltem Ruß auf der Eurobike. Fortlaufender Ausbau der europaweiten Recyclingsammelstellen.

2025: UMVERPACKUNG
Alle Verpackungen in der Lieferkette sind wiederverwendbar, recycelbar oder kompostierbar.

2025: ENERGIEVERSORGUNG
Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien am Standort Deutschland.

2026: WIEDERVERWERTUNG
13 Millionen recycelte Schläuche und 14 Millionen recycelte Reifen seit Einführung.

2027: ENERGIEVERSORGUNG
Ausbau der erneuerbaren Energieversorgung an den Produktionsstandorten in Indonesien und Vietnam.

2030: EMISSIONEN
Reduktion der Scope-1- (direkte Emissionen wie von stationärer und mobiler Verbrennung) und Scope-2-Emissionen (indirekte Emissionen wie durch Strombezug, Kälte- und Wärmebezug) um mindestens 55 Prozent. Eine Ausweitung auf weitere indirekte Emissionen wie durch Transport, Geschäftsreisen und Anfahrt der Mitarbeiter (Scope-3-Emissionen) ist ebenfalls geplant.

2040: EMISSIONEN
Null Prozent Belastung der Atmosphäre durch Schwalbe.

Auf dem Gebiet der Lieferketten sind Sie allerdings auch vom Engagement Ihrer Kunden sowie Vor- und Zubehörlieferanten abhängig. Wie stellen Sie sicher, dass die Vorgaben eingehalten werden? Und mit welchen Konsequenzen müssen Lieferanten rechnen?

Die Lieferkette – und die damit einhergehende Verantwortung – bildet eine der vier Säulen unserer CSR-Aktivitäten. Aus gutem Grund: So fallen mehr als 90 % unserer Geschäftsemissionen in unserer Lieferkette an. Damit wir diese Auswirkungen reduzieren können, stehen wir im engen Dialog mit unseren Lieferanten. Wir verfolgen nicht den Ansatz, die Verantwortung einfach auf die Partner zu übertragen und uns dadurch dem Problem zu entziehen, sondern fördern eine starke Zusammenarbeit. Ein schönes Beispiel ist unsere 50 Jahre währende Partnerschaft mit dem koreanischen Familienunternehmen Hung-A, das seit 1973 alle Schwalbe-Reifen und Schläuche produziert. Mit ihnen haben wir die konventionelle Lieferanten-Kunden-Beziehung vor Jahrzehnten bereits hinter uns gelassen und sind ein Joint Venture. Wir stehen im täglichen Austausch und können dadurch Themen wie eine einheitliche Strategie zur Reduzierung von Emissionen, beispielsweise durch den Ausbau erneuerbarer Energien vor Ort, viel schneller und überzeugender realisieren.

Mit Konsequenzen möchten wir keinem Lieferanten drohen, schließlich reden wir hier von einer Zusammenarbeit und einem offenen Dialog. Sollten sich aber Lieferanten grundsätzlich nicht mit uns auf diese Reise begeben wollen oder krasses Fehlverhalten an den Tag legen, würden wir selbstverständlich von einer zukünftigen Zusammenarbeit absehen. Unseren im Jahr 2022 veröffentlichten und auf unserer Website einsehbaren Supplier Code of Conduct als grundlegendes Instrument zur Sicherstellung unserer Werte haben bereits 73% der relevanten Lieferanten unterzeichnet. Wir streben an, dass bis Ende 2024 alle relevanten Zubehör- und Vorlieferanten (Tier 1 & 2) diesen Verhaltenskodex unterzeichnen werden.

Welche besondere Herausforderung stellt sich diesbezüglich in Asien?

Unsere Produkte werden in Indonesien und Vietnam gefertigt. Da die benötigten Rohstoffe und Materialien für die Reifenproduktion vor allem aus Ost- und Südostasien stammen, haben wir also kurze Wege, mehr Transparenz und weniger Komplexität. So wird beispielsweise unser fair gehandelter Naturkautschuk nur knapp 100 Kilometer von unserem Werk in Indonesien gewonnen. Eine Herausforderung sind sicherlich die Emissionen aus der Produktion und die geringe Verfügbarkeit an „grüner Energie“.

Letzte Frage: Welche sozialen Projekte unterstützen Sie aktuell?

Neben dem eingangs erwähnten Fair-Rubber-Projekt möchte ich zwei Engagements hervorheben. Seit 2010 unterstützt Schwalbe die Borneo Orangutan Survival Foundation (BOS) bei ihrer Arbeit. Leider sind Orang-Utans, die sich mit dem Menschen übrigens 97 Prozent der Gene teilen, vom Aussterben bedroht. Die BOS kümmert sich in Indonesien um Tiere, deren Lebensraum zerstört wurde, verwaltet über 460.000 Hektar gesetzlich geschützten Regenwald und wildert dort Orang-Utans wieder aus. Diese Arbeit unterstützen wir gerne.

Das zweite Projekt ist der eben erwähnte Kinderbeirat, der durch unsere Zusammenarbeit mit dem Children e. V. entstanden ist. Das sind nur zwei Beispiele – darüber hinaus liegen noch viele spannende Aufgaben vor uns.

Neben der Qualität Ihrer Reifen und Schläuche werde ich ab sofort auch die Umsetzung Ihrer Ziele innerhalb der vier Säulen auf dem Schirm haben.

Text: Klaus Arendt
Fotos: schwalbe.com