Anabel Knoll über Verletzungen, Olympia und die Hütte im Wald

Anabel Knoll (Foto: Petko Beier | World Triathlon)
Anabel Knoll (Foto: Petko Beier | World Triathlon)

Bei ihrer Olympiapremiere vor drei Jahren in Tokyo erreichte die 1,80 Meter große Athletin den 31. Platz im Einzelrennen, mit der bei Olympia erstmalig ausgetragenen Mixed Relay einen hervorragenden sechsten Platz. Für die anstehenden Sommerspiele in Paris hat sich die 28-Jährige nicht qualifiziert. Was die Wahl-Nürnbergerin antreibt, wie sie auf Tokyo zurückblickt und wo sie sich nach ihrer Karriere sieht, darüber spricht Anabel Knoll im tritime-Interview.

Anabel, Dein Vater Roland war nicht nur zweifacher Deutscher Meister im Triathlon, sondern auch Bundestrainer der Deutschen Triathlon Union. Wie sehr war Dein sportlicher Weg als Triathletin „vorherbestimmt“?

Um ehrlich zu sein, eigentlich gar nicht. Bis zu den olympischen Spielen in Peking 2008 hatte ich keinen wirklichen Überblick darüber, was Triathlon so richtig ist und was mein Papa beruflich macht. Meine Eltern haben mich da rausgehalten. Zwar war ich im Schwimmen und in der Leichtathletik aktiv, mit Triathlon hatte jedoch gar nichts am Hut. Obwohl ich meinen Papa zu seinen aktiven Zeiten auch zu Wettkämpfen begleitete, nahm ich an keinem einzigen Kindertriathlon teil. Lediglich im Zielkanal lief ich an seiner Seite die letzten Meter, aber so richtig wahrgenommen, was er da so eigentlich treibt, habe ich nie. Das änderte sich erst, als ich ihn nach dem Olympiasieg von Jan Frodeno im Fernsehen sah. Da wurde mir so richtig bewusst, was sein Beruf ist und Triathlon für eine Sportart ist.

Im Gegensatz zu vielen anderen DTU-Kaderathleten gehst Du Deinen eigenen Weg. Nach dem Studium in den USA schreibst Du Deinen Master in Biodiversität und Ökologie an der Uni Bayreuth und trainierst am Bundesstützpunkt Triathlon Nürnberg. Warum eigentlich?

Ich hatte schon immer meinen eigenen Kopf, richte mich nicht nach dem Mainstream und bin jemand, die das macht, was ich für mich als richtig erachte. Insbesondere abseits des Sports brauche ich etwas für meinen Kopf, auf das ich meine Gedanken fokussieren kann. Seit meiner Kindheit interessiere ich mich sehr für Tiere und Tierschutz, war viel draußen. Mit der Zeit entwickelte sich die Biologie zu meiner zweiten großen Leidenschaft. Das Studium in den USA machte mir sehr viel Spaß, sodass der anschließende Master in Bayreuth eine logische Konsequenz ist. Bis jetzt habe ich diesen Spagat zwischen Sport und Studium – in Verbindung mit meinem ganz persönlichen Weg – ganz gut hingekriegt. Der Standort Nürnberg passt für mich einfach am besten, all diese Punkte unter einen Hut zu bekommen. Ich fühle mich rundum wohl, anders könnte ich auch gar nicht performen. All dies berücksichtigend, denke ich aktuell sogar über eine Promotion nach, trotz „Doppelbelastung“ eine zusätzliche Motivation, zumal es nicht so viele aktive Triathleten gibt, die so einen Weg einschlagen.

Die meisten Jugendlichen nabeln sich nach der Schulzeit oder der Ausbildung step by step vom Elternhaus ab. Du hingegen hast nahezu jeden Tag Kontakt zu Deinem Vater, der Dich trainiert. Erzähl mal, wie funktioniert das auf so lange Zeit, und ganz ohne Spannungen?

Durch das vierjährige Studium in den USA habe ich mich schon ziemlich von meinem Elternhaus abgenabelt. Seit meiner Rückkehr 2019 ist mein Papa mein Trainer und natürlich ich sehe ihn jeden Tag, im Tagesablauf ist er jedoch vor allem mein Trainer und nicht mein Papa. Und das hat dann auch nichts damit zu tun, was eine Familie letztendlich ausmacht. Auch wenn man beide Seiten nicht komplett voneinander trennen kann, überwiegen für mich die Vorteile. Ich kann ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. Außerdem kennt er mich so gut, dass er mir bereits an der Nasenspitze ansieht, wie es mir geht beziehungsweise was in mir vorgeht. Dementsprechend reagiert er sehr zeitnah und passt das Training auf mich sehr, sehr individuell an. Ganz klar gibt es – wie in jeder Familie auch – Spannungen, und da gehört es einfach dazu, sich auch mal anzumotzen. Am Ende wissen wir aber auch, dass wir uns immer aufeinander verlassen können.

Was hast Du von Deinen Eltern fürs Leben mitbekommen?

Vor allem den Ehrgeiz, dass ich das, was ich anfange, auch durchziehe und nicht gleich wieder aufhöre, wenn es anstrengend wird oder erste Hürden im Weg stehen. Straucheln und Hinfallen ist keine Schande, grundlos liegenbleiben allerdings. Darüber hinaus sind Respekt und Hilfsbereitschaft gegenüber anderen wichtige Eckpfeiler meiner Werte, aufeinander zu achten, sich um seine Mitmenschen kümmert und sich ihnen nicht so ignorant gegenüber verhält, was sich durch Corona – meiner Meinung nach – bei vielen Menschen leider verstärkt hat.

Wo liegen Deine persönlichen Stärken, im Privatleben und beim Triathlon?

Ich kann mich sehr gut in andere Personen hineinversetzen, schließe schnell Kontakte und Freundschaften. Im Triathlon kann ich relativ ruhig und gelassen sein. Selbst wenn das Schwimmen nicht so gut läuft, vertraue ich darauf, den Rückstand beim Radfahren und Laufen wieder aufzuholen. Das Rennen ist erst auf der Ziellinie vorbei.

Und wo siehst Du heute Dein größtes Verbesserungspotenzial?

Ich bin selbstkritisch, oft sogar zu kritisch, und das schlägt sich manchmal ein bisschen auf mein Selbstbewusstsein aus. An dieser „Baustelle“ muss ich noch arbeiten und versuchen, mir gerecht zu werden und meine Ansprüche an mich selbst etwas realistischer zu stellen.

Gibt es Dinge, auf die es Dir besonders schwerfällt, zu verzichten? Was ist (dabei) Dein größtes Laster?

Tatsächlich brauche ich auf nichts zu verzichten, ich liebe mein Leben, mein Studium und den Sport. Natürlich muss ich im Freizeitbereich aufgrund von Wettkämpfen und Trainingslagern ab und an Freunden absagen, aber das wirkt sich nicht auf die Freundschaften selbst aus. Wir finden immer Ausweichtermine. Mein größtes Laster ist (schmunzelt) allerdings, dass ich sehr schlecht im Nichtstun bin. Ich neige immer dazu, etwas erledigen zu müssen.

Rückblick Tokyo und Ausblick

Paris 2024 steht vor der Tür. Vor drei Jahren warst Du selbst bei Olympia in Tokyo am Start. Was für einen Eindruck hat Japan auf Dich gemacht? Was bleibt Dir in Erinnerung?

Aufgrund der Corona-Beschränkungen habe ich während der Olympischen Spiele von Japan und Tokyo nicht viel mitbekommen, da wir das Olympische Dorf leider nicht verlassen durften. Trotzdem bleibt mir die Freundlichkeit und Begeisterungsfähigkeit der Japaner, die uns an der Rad- und Laufstrecke anfeuerten, bleibend in Erinnerung.

Was war für Dich der schönste Moment bei den Olympischen Spielen in Tokyo?

Ganz klar das Mixed-Relay-Rennen, und vor allem der Zusammenhalt zwischen Jonas, Justus, Laura und mir. Gemeinsam meisterten wir diese Corona-Ausnahmesituation und das „abgeschottet“ sein, sehr gut, es hat uns wirklich zusammengeschweißt, was auch drei Jahre später noch anhält.

Von außen betrachtet, hast Du in Tokyo Dein Ziel im Einzelrennen nicht erreicht. Was ärgert Dich an so einer Aussage am meisten?

Am meisten ärgert mich, wenn gesagt wird, ich hätte mein Ziel im Einzelrennen nicht erreicht. Niemand soll sich herausnehmen und darüber befinden, was mein Ziel war, auch vor dem Hintergrund, dass Olympia mein erster wirklich großer internationaler Wettkampf war. Bis dato war ich noch bei keinem WTCS-Rennen am Start und somit auch noch nie mit den ganz großen Athletinnen der Kurzdistanz-Szene in einem Wettkampf. Niemand wusste – und ich ehrlicherweise auch – was von mir zu erwarten war. Letzteres lag auch darin begründet, dass ich bis zum Ausscheidungsrennen in Kienbaum komplett unterschätzt wurde. Glücklicherweise lernte ich während und nach Olympia, darüber zu stehen, es ist mir egal, was andere sagen oder denken, gerade in den sozialen Medien. Ich nehme mir das nicht so zu Herzen, denn am Ende muss ich mit mir selbst im Reinen sein … und das bin ich.

Mit dem sechsten Platz im Mixed Relay wurde dem Team ein olympisches Diplom zugesandt. Welche Bedeutung hat dieses für Dich?

Der Stellenwert ist für mich nicht so groß. Ich konnte die Zeit im Vorfeld und in Tokyo selbst gar nicht so richtig genießen, da Olympia für mich sehr „überrumpelnd“ auf mich zukam. Mit der Teilnahme erfüllte ich mir sicherlich einen großen Traum und werde diese Erfahrungen auch nie hergeben. Wer aber einmal dabei war, sieht auch die Schattenseiten, beispielsweise neben den sehr tagesformabhängigen Ergebnissen insbesondere den kommerziellen Part. Mit drei Jahren Abstand haben aus heutiger Sicht vereinzelte Rennen und Erfolge für mich einen höheren Stellenwert als meine Olympiateilnahme.

Das Ziel Paris 2024 hat sich für Dich bereits im letzten Jahr zerschlagen. Wie bist Du damit umgegangen?

Sicherlich war Paris 2024 unmittelbar nach Tokyo ein Thema, auch vor dem Hintergrund, die Olympischen Spiele einmal ohne Corona zu erleben. Allerdings hatte ich nach meinem schweren Sturz 2022 im Rahmen der Heim-EM in München dieses Ziel komplett aus den Augen verloren, und somit war es für mich auch überhaupt kein Problem, die Qualifikation zu verpassen. Darüber hinaus ging es mir zusätzlich aufgrund von Long-Covid und dem Epstein-Barr-Virus gesundheitlich wirklich nicht gut. Meine oberste Priorität lag darin, vollständig zu genesen, um wieder international konkurrenzfähig zu werden. Natürlich war es ein unglücklicher Zeitpunkt, aber so ist nun einmal der Sport und das Leben. Ich habe damit meinen Frieden geschlossen.

12.08.2022: European Championships in München (Foto: Petko Beier | DTU)
Europameisterschaften in München im Rahmen der European Championships 2022 am 12.8.2022 © DTU / Petko Beier

Ein gradliniger Karriereverlauf wurde leider immer wieder durch Verletzungen und Krankheiten „gestört“! Wie gehst Du damit um?

Tatsächlich hatte ich sehr viel mit Verletzungen und Krankheiten zu kämpfen, selbst zu Zeiten, als ich noch gar nicht Profi-Triathletin war. Allein in den USA bremsten mich drei Ermüdungsbrüche aus, die mich immer wieder an einem kontinuierlichen Lauftraining hinderten. Der Spaß am Sport und das Umfeld mit den Sportlern trieben mich immer wieder an, nicht aufzugeben, sondern behutsam aufzubauen, um neu anzugreifen.

Welchen Tipp hast Du für alle, die immer wieder mit Verletzungen kämpfen?

Niemals aufgeben, es geht immer wieder bergauf. Bleibt mit einem guten Alternativtraining fit, um sich in den Disziplinen zu verbessern, die Ihr trotz Verletzung noch ausüben könnt. Jedes Training bringt Euch weiter, körperlich und mental. Nicht zu unterschätzen ist dabei das persönliche Umfeld, insbesondere der Freundeskreis außerhalb der Bubble Triathlon. Mir persönlich hilft das Studium und das „Herabschrauben“ der Onlinezeit auf Social-Media, inklusive Entfolgen der Personen, die mir nicht gut tun.

Du bist weiterhin auf den kurzen und sehr schnellen Strecken unterwegs. Was ist für Dich das Besondere an diesen Formaten?

Für mich sind jene einfach unberechenbarer, aufgrund der kurzen Wettkampfdauer kann ich die ganze Zeit „all out gehen“. Und das finde ich persönlich einfach das Geile daran, auch wenn jeder noch so kleine Fehler in der Wechselzone das Rennen und ein gutes Resultat kosten kann.

Wie gehst Du mit Leistungsdruck – von außen, aber auch von Dir selbst – um? Arbeitest Du mit einem Mentaltrainer zusammen?

Glücklicherweise spüre ich von außen überhaupt keinen Leistungsdruck, ich habe nur meine eigene Erwartungshaltung und den damit einhergehenden Druck! Und das ist auch meine größte Herausforderung, an der ich ständig arbeiten muss. Dies ist auch der Grund dafür, dass ich seit 2022 mit einem Sportpsychologen zusammenarbeite, der mich dabei unterstützt, meine eigenen Erwartungen „seriös“ zu definieren und mit mir selbst im Reinen zu sein. Dabei spielt auch das Selbstvertrauen eine große Rolle, nach einem Rückschlag wieder aufzustehen und zurückzukommen. Ich habe gelernt, dass ich kleine Schritte gehen muss, mich auch mit kleinen Zielen zufriedengeben muss. Das Erreichen einer bestimmten Platzierung beispielsweise hängt auch immer von dem Leistungsstand der Konkurrenz ab. Ich kann nur mit dem Verlauf meines eigenen Rennens zufrieden sein, oder eben auch nicht: Was war gut, was ist verbesserungsfähig, worauf muss ich bei der Atmung, bei der Technik in den Einzeldisziplinen besonders achten. Das ist für mich vor, während und nach einem Wettkampf viel wichtiger als die erreichte Platzierung. Wer ausschließlich auf die Platzierung achtet und außerhalb der Podestplätze oder den Top 10 landet, kann nur verlieren und geht völlig unzufrieden in die kommenden Trainings, mit zusätzlichem Druck. Stattdessen schaue ich auf meine persönliche Entwicklung, ansonsten beende ich meine Karriere ziemlich unzufrieden, weil ich immer denke, solange ich nicht Weltmeisterin oder Olympiasiegerin bin, geht immer noch mehr. Ich muss auch mit dem zufrieden sein, was ich erreicht habe, vorausgesetzt ich habe mein Möglichstes dazu beigetragen.

Wie hälst Du Deine Motivation hoch? Ist Los Angeles 2028 ein Thema oder steht ein Wechsel auf die längeren Distanzen zur Diskussion?

Ich weiß, dass ich mein ganzes Potenzial bei Weitem noch nicht ausgeschöpft habe, und solange ich an jedem Tag und in jeder Trainingseinheit auch noch so kleine Verbesserungen sehe, werde ich den Triathlonsport auf professioneller Ebene betreiben. Los Angeles 2028 ist sicherlich noch ein Thema – wenn auch nicht mehr mein primäres Ziel. Es gibt noch so viele Herausforderungen und Ziele, denen ich mich stellen und erreichen möchte, auch auf der Mitteldistanz. Auf den noch längeren Distanzen sehe ich mich gar nicht, dafür bin ich viel zu ungeduldig.

Sonstiges

Wann hast Du zum letzten Mal etwas richtig Verrücktes oder Unvernünftiges gemacht?

2022, als ich mit meiner Schwester im Urlaub im Oman getrampt habe und zu wildfremden Fischern ins Auto gestiegen bin, um zum Strand zu kommen.

Wie entspannst Du Dich?

Bei einem guten Buch und einer leckeren Schokolade, verbunden mit viel Ruhe.

Du bist schon viel in der Welt rumgekommen. Welches Land hat Dich besonders fasziniert?

Ganz eindeutig das Sultanat Oman, weil ich dort im Urlaub war und nicht zu einem Triathlon. Die vielen Wettkampfreisen an schöne Orte haben den Nachteil, dass man auf das Rennen fokussiert ist und somit die Zeit für Sightseeing fehlt. Und deshalb habe ich 2022 beschlossen, mir nach jedem Wettkampf die Zeit zu nehmen, den Ort und/oder die Region für ein, zwei Tage zu erkunden, um auch etwas von den Kulturen, den Menschen und der Landschaft mitzunehmen.

Letzte Frage: Deine Leidenschaft abseits des Sports ist – passend zu Deinem Masterstudium in Biodiversität und Ökologie – der Natur- und Tierschutz. Erzähl mal etwas von Deinen Plänen!

Auch wenn in der Öffentlichkeit meist der Schutz der exotischen Tiere im Fokus steht, möchte ich in Deutschland im Natur- und Tierschutz aktiv sein. Viele vergessen, dass wir auch in unseren Regionen eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt haben. Hier möchte ich meinen Beitrag leisten, zum Aufklären, Forschen und Schützen. Und deshalb sehe ich mich heute schon als Biologin in einer Hütte im Bayerischen Wald oder Schwarzwald, am liebsten als Ranger irgendwo im Nirgendwo. Ob dieser Berufswunsch dann auch tatsächlich Wirklichkeit wird, sehe ich dann. Definitiv werde ich nach meiner Karriere dem Sport treu bleiben. Ich werde immer aktiv in Bewegung bleiben und mich auch ehrenamtlich – insbesondere mit Kindern – engagieren.

Interview: Klaus Arendt
Foto Aufmacher: Petko BeierWorld Triathlon
Foto Tokyo: Petko Beier | pebe-sport.de