Die Schulter tut weh, die Kraft lässt nach – Schulterschmerzen zählen zu den häufigsten Beschwerden von Triathleten. Vor allem beim Schwimmen, aber auch beim Radfahren, werden die Schultern oft stark belastet. Es gibt mehrere mögliche Ursachen. Steht die Diagnose fest, sollte zügig behandelt werden. Noch besser ist es, vorzubeugen.
Schwimmen, Radfahren, Laufen – Triathlon ist eigentlich ein sehr gesunder Sport, der wenig Verletzungsrisiken kennt. Doch den Schultermuskeln kommt eine besondere Bedeutung zu, denn sie werden beim Kraulschwimmen stark gefordert. 30 bis 50 Prozent aller Triathleten geben an, schon mindestens einmal unter den Folgen einer „Schwimmerschulter“ gelitten zu haben. Dabei handelt es sich nicht um eine medizinische Bezeichnung, sondern umgangssprachlich sind damit einfach Schulterschmerzen gemeint, die bei Schwimmern auftreten. Meistens kommen mehrere Ursachen für die Schmerzen infrage.
Anatomie
Chronische Überlastung ist die häufigste Ursache für eine „Schwimmerschulter“ beziehungsweise für Schulterschmerzen. Denn das Problem ist, dass die Schulter für übermäßige Belastungen gar nicht ausgelegt ist. Als Kugelgelenk ist das Schultergelenk etwas anders aufgebaut als andere Gelenke im Körper: Die Gelenkpfanne des Schultergelenks ist deutlich kleiner als der Gelenkkopf. Dadurch besteht nur eine geringe Kontaktfläche, und es kann leicht zu einer Instabilität kommen. Der Vorteil dieser Konstruktion ist, dass die Schulter eine große Mobilität besitzt – in einem Kreis von 360 Grad kann sie bewegt werden. „Kein anderes Gelenk bietet einen so großen Bewegungsspielraum“, sagt Dr. Mathias Himmelspach, Chefarzt der Sportorthopädie und arthroskopischen Chirurgie im Krankenhaus Tabea in Hamburg. Der Nachteil dieser Mobilität: Das Schultergelenk ist sehr anfällig für Verletzungen.
„Die richtige Technik – sowohl beim Schwimmen als auch beim Radfahren – ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Schulterschmerzen vorzubeugen. Typische Fehler beim Kraulschwimmen sind zum Beispiel eine zu schwache Rumpfdrehung und ein falscher Armschlag. Oft wird der Arm nicht vorne gerade ins Wasser geführt, sondern über Kreuz. Beim Rad ist das Lenkrad oft zu tief eingestellt, der Triathlet sitzt dann zu sehr gebeugt nach vorne, der Hals wird abgeknickt, die Arme und Schulter tragen die Gesamtlast und verkrampfen. Es lohnt sich daher für jeden Sportler auf jeden Fall, ab und zu die eigene Technik von einem geschulten Trainer überprüfen zu lassen. Dieser wird auch auf die große Bedeutung des richtigen Aufwärmens noch einmal hinweisen. Negativ auf die Schulter wirken sich beim Schwimmtraining falsch eingesetzte Paddles aus, die Triathleten oft sehr gern verwenden. Der Triathlet schwimmt in dem Moment zwar schneller, aber durch den größeren Widerstand im Wasser wird die Schulter viel stärker belastet. Ich rate daher von einer zu häufigen und zu langen Verwendung dieser Paddles entschieden ab. Fast noch wichtiger für die Schultergesundheit ist aber, wie sich der Triathlet in der Zeit verhält, in der er keinen Wettkampfsport betreibt. Besonders Menschen, die intensiven Schwimmsport ausüben, sollten eine gebeugte Haltung beim Sitzen vermeiden. Denn die kleinen Brustmuskeln verkürzen, und es kommt zu Verspannungen im Nacken und in den Schultern. Regelmäßige Bewegungsübungen zur Aufrichtung der Wirbelsäule und Stabilisierung des Schulterblattes sind der Schlüssel zum Glück.“
Dr. Mathias Himmelspach, Sportorthopäde
Damit die Schulter Stabilität besitzt, umgibt ein kräftiger Muskelmantel das Gelenk. Vier Muskeln umspannen wie eine Manschette von hinten nach vorne den ganzen Oberarmkopf und werden unter dem Begriff Rotatorenmanschette zusammengefasst. Überlastet der Triathlet die Schultern jedoch ständig, hinterlässt das zwangsläufig Spuren: Abnutzungserscheinungen an Knochen, Gelenken, Muskeln und Sehnen sind die Folge. Dr. Himmelspach: „Durch eine falsche Technik oder einseitiges Training kann dieser negative Prozess weiter beschleunigt werden.“
Ursachenforschung
Bei der Schwimmerschulter treten einige Ursachen kombiniert auf und bedingen sich oft gegenseitig. Meistens fängt es mit einer muskulären Dysbalance an. Dr. Himmelspach: „Beim Kraulschwimmen sind die Innenrotatoren deutlich stärker gefordert als die Außenrotatoren und deshalb kräftiger. Auf Dauer entsteht bei vielen Schwimmern ein Ungleichgewicht zugunsten der Schulterinnenrotatoren. Die Brustmuskeln werden kräftiger, verkürzen sich aber auch häufig. Die Außenrotatoren der Schulter sind meist abgeschwächt.“ Macht der Sportler keine ausgleichende Gymnastik und gezieltes Krafttraining für die ausgleichenden Muskeln, führt dieses Missverhältnis früher oder später dazu, dass der Oberarmkopf nicht mehr richtig im Schultergelenk zentriert wird. Er rutscht etwas nach oben. Dies hat nun weitreichende Folgen für die Schulter: Es entsteht eine Enge unter dem Schulterdach, ein sogenanntes Impingement-Syndrom.
„Ich empfehle den Triathleten, spezielle Übungen zur besseren Beweglichkeit der Schultern in den Trainingsplan mit einzubauen. Zum Beispiel regelmäßig die Arme zu kreisen oder die Arme einfach hin und her zu schwingen. Auch Dehn- und Kräftigungsübungen sollten nicht vergessen werden. Ein Dehnungs-‚Klassiker‘ im Schwimmsport ist die Pectoralis-Übung an der Wand: Seitlich an der Wand stehend den großen Brustmuskel regelmäßig aufzudehnen, erhöht die Schwingungsweite und bringt die Schultergelenke zudem in eine besser balancierte Position. Viele Triathleten sind Seiteneinsteiger, fangen zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr mit diesem Sport an. Oft üben sie beruflich eine sitzende Tätigkeit aus. Beim Sitzen fallen jedoch oft die Schultern nach vorne, es kommt zu muskulären Verkürzungen. Dies führt zu Bewegungseinschränkungen, die sich dann auch beim Kraulschwimmen negativ bemerkbar machen. Im schlimmsten Falle kommt es sogar zu Überlastungsschäden. Häufig führt der Schwimmer seinen Arm nicht entspannt nach vorne und auch nicht in der empfohlenen Weite. Unter Wasser wird die Technik ebenfalls nicht optimal ausgeführt. Steigert sich die Beweglichkeit, wird sich auch der Schwimmstil verbessern. Weiterhin rate ich, nicht zu schnell zu viel zu wollen. Ehrgeiz ist grundsätzlich positiv, aber wer neu in diesem Sport ist, kann sich nicht sofort von 0 auf 100 steigern. Man sollte auch nicht nur in Kategorien wie zurückgelegter Zeit oder zurückgelegten Kilometern denken. Um gesund und leistungsfähig zu bleiben und Schulterschmerzen zu vermeiden, ist es wichtig, auch ein regelmäßiges, begleitendes Training außerhalb des Beckens zu absolvieren. Beim Schwimmtraining empfiehlt es sich ferner, auch mal die Lagen zu wechseln, um andere Muskeln zu beanspruchen.“
Holger Lüning, Sportwissenschaftler und Schwimmtrainer
Das englische Wort „to impinge“ bedeutet einklemmen. Von Natur aus besteht bereits bei jedem Menschen eine Enge zwischen Oberarmkopf und dem Schulterdach. Wird die Schulter dauerhaft überlastet, kann die Supraspinatussehne zunehmend eingeklemmt werden. Entzündungen und schmerzhafte Reizungen sind die Folge. Die Supraspinatussehne bildet den oberen Anteil der Rotatorenmanschette unter dem Schulterdach und trägt wesentlich zur Schulterzentrierung bei. Da der Musculus supraspinatus für das Abspreizen, Anheben und die Außenrotation des Oberarms verantwortlich ist, verursacht jede Armbewegung nun Schmerzen. Die Betroffenen können auch nicht mehr auf der betroffenen Schulter liegen. Im fortgeschrittenen Stadium treten Schmerzen in völliger Ruhe auf. Die Beweglichkeit der Schulter kann eingeschränkt sein.
Zusätzlich problematisch: Es gibt nur wenige Blutgefäße in den Sehnen. Darum können sie sich schlecht regenerieren und heilen sehr schlecht. Eine lang andauernde Überlastung führt oft zu Mikrotraumen (Kleinstrissen) in der Sehne, eine Entzündung und Degeneration entsteht. Dadurch wird die Sehne schlechter durchblutet, kaum mehr mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und verschleißt immer mehr. Mitunter reißt die Sehne sogar. „Eine vorgeschädigte Sehne kann schon bei leichter Anstrengung reißen“, weiß Dr. Himmelspach. Die entstandene Enge in der Schulter schadet aber nicht nur den Sehnen, sondern in der Regel kommt es gleichzeitig zu einer Reizung des dort liegenden Schleimbeutels. Diese Schleimbeutelentzündung wird medizinisch Bursitis genannt. Dr. Himmelspach erklärt: „Schleimbeutel bilden eine Art Dämpfer zwischen dem harten Knochen und weicherem Muskelgewebe. Sie befinden sich vor allem an den besonders beanspruchten Körperstellen – so auch an der Schulter. Bei ständiger Überlastung kann es zu einer Entzündung eines oder mehrerer Schleimbeutel kommen. Die Region im Bereich des Schleimbeutels ist geschwollen und reagiert schmerzhaft auf Druck.“
Auswirkungen
Und das ist leider längst nicht alles: Wird beim Kraulen die Schultergelenkkapsel, die normalerweise den Oberarmkopf optimal in der Gelenkpfanne hält, immer wieder aufgedehnt, folgt mitunter sogar eine chronische Instabilität des Schultergelenks. Eine mögliche Folge sind Teilausrenkungen. Diese „Schnappphänomene“ können entstehen, wenn die Schultergelenkkapsel chronisch weiter überdehnt wird. Beim Radfahren wiederum werden Schulterschmerzen oft durch Verspannungen verursacht – meistens aufgrund falscher Fahrtechnik oder eines schlecht eingestellten Fahrrads. Oft wird das Körpergewicht zu stark auf den Lenker verlagert. Die Arme und Schultern werden dadurch zu stark belastet. Wird der Kopf zu stark in den Nacken gehoben, können Schmerzen in der Halswirbelsäule ausgelöst werden.
„Um Schulterprobleme zu vermeiden, sollten Triathleten beim Radfahren unbedingt darauf achten, dass sie wirklich auf den Gesäßknochen sitzen. Nur dann befindet sich der Körperschwerpunkt auf dem Sattel. Oft liegt der Schwerpunkt auf dem Lenker, weil der Triathlet mit dem Becken nach vorne kippt. Verstärkt wird das meistens noch dadurch, dass viele Sportler den Sattel nach vorne kippen, um den Druck aus dem Schambereich zu nehmen. Dies hat aber wiederum eine andere Ursache. Entweder ist da der Sattel zu weit hinten, der Vorbau zu lang oder zu tief, das Rad zu gestreckt eingestellt oder der Lenker zu tief. Es kann auch sein, dass die Muskelkette von Rücken bis zum hinteren Oberschenkel verkürzt ist. Wenn der Sattel nach vorne kippt, wirkt das aber fast wie eine Rutschbahn. Der Körper muss sich dann über die Schultermuskulatur und die Arme mit dem Schwerpunkt wieder zum Sattel drücken. Liegt der Schwerpunkt nicht auf dem Sattel, sondern auf dem Lenker, sind Schulterschmerzen vorprogrammiert. Denn der gesamte Oberkörper befindet sich in einer falschen Position: Das Gewicht liegt plötzlich auf den Armen, die Schultern werden hochgezogen und nach hinten gedrückt. Häufig wird zusätzlich noch der Kopf zu weit ins Genick gekippt. Dadurch wird der Nacken angespannt, die Muskeln verkrampfen. Kopfschmerzen entstehen. Der Schmerz zieht vom Nacken bis in die Schultern. Ganz wichtig ist außerdem, dass das Rad richtig auf den Triathleten eingestellt ist, also vor allem Sattel und Lenker optimal passen. Hat jemand trotz richtiger Sitzposition und optimal eingestelltem Rad weiter Schulterschmerzen, sollte genauer nach der Ursache geschaut werden. Möglicherweise liegt ein Beckenschiefstand oder eine Rotation im Körper vor. Dieser kann eine Kaskade an Fehlhaltungen auf dem Rad auslösen – und auch zu Schulterschmerzen führen. In diesem Fall sollte man eine Fahrradbiometrie mit orthopädischem und physiotherapeutischem Fachwissen durchführen lassen. Anhand der Messdaten erkennt man sehr schnell, wie viel Druck beispielsweise auf dem Sattel beim Fahren ist. Gemeinsam wird man dann an einer Lösung arbeiten, damit der Triathlet wieder beschwerdefrei seinem Hobby nachgehen kann.“
Jens Machacek, Orthopädietechniker, Bikefitter und Bewegungsanalytiker im Zentrum für Bewegungsanalytik Schneider & Piecha
Eine exakte Diagnose kann bei Schulterschmerzen in der Regel ein Orthopäde stellen. Nach der genauen Befragung erfolgt die körperliche Untersuchung mit Überprüfung der Beweglichkeit und speziellen Provokationstests. Um die Strukturen im Inneren der Schulter zu beurteilen, hat sich die Ultraschall- und MRT-Untersuchung etabliert. Nach der Diagnose ist ein sofortiger Therapiebeginn sehr zu empfehlen.
Physiotherapie
Leichte Schmerzen können von selbst verschwinden, wenn der Triathlet seiner Schulter die nötige Ruhe gönnt. Solange Schmerzen bestehen, sollte auf das Training vorübergehend verzichtet werden. „Nicht gegen den Schmerz antrainieren“, warnt Dr. Himmelspach. Um die Schmerzen zu lindern, können bei Bedarf Medikamente eingesetzt werden. Häufig eingesetzte Medikamente sind bei Schulterproblemen vor allem die nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR). Diese lindern nicht nur die Schmerzen, sondern hemmen zusätzlich eine übermäßige Entzündungsreaktion des Körpers. Liegen starke Muskelverspannungen vor, können zusätzlich Wirkstoffe eingesetzt werden, durch die sich Muskeln wieder entspannen. Injektionen mit lokalen Betäubungsmitteln (Lokalanästhetika) kommen bei stärkeren Beschwerden infrage. Oft enthalten diese auch entzündungshemmende Stoffe.
Hat der akute Schmerz nachgelassen, sollte mit Krankengymnastik begonnen werden. Dr. Himmelspach: „Physiotherapie ist eine der wichtigsten Behandlungen bei Schulterproblemen. Denn nur mit Physiotherapie kann der Triathlet eventuelle muskuläre Dysbalancen und muskuläre Verkürzungen beseitigen.“ Krankengymnastik hilft in der Regel ebenfalls beim Impingement-Syndrom: Es werden besonders die Muskeln gekräftigt, die den Oberarm im Gelenk zentrieren und den Raum unter dem Schulterdach wieder vergrößern.
Vorbeugen ist möglich. Das bedeutet: ausgewogen trainieren. Eine ständige Überlastung und ein einseitiges Training sollten vermieden werden. Wichtig ist, auf eine saubere Technik zu achten. Gegebenenfalls einen Trainer bitten, die richtigen Bewegungen noch einmal zu erklären. Last, but not least: regelmäßige Pausen einlegen, damit sich der Körper erholen kann.
Text: Gabriele Hellwig
Foto: Orca