RACE SMART

Training Peak-Phase: Raceday
Training Peak-Phase: Raceday

Alle gelungenen Wettkämpfe verlaufen ungefähr gleich. Die Gründe des Scheiterns sind ebenfalls fast immer dieselben. Wenn das monatelange Training erledigt ist und man sich endlich im großen Rennen befindet, entscheiden vor allem zwei Dinge darüber, ob man die verdiente Ernte einfährt oder nicht: das Pacing, also die kluge Einteilung der Kräfte über die Wettkampfdistanz, und die Ernährung während des Wettkampfs. Beide Aspekte des „Race smart“ sind vor allem auf der Langdistanz entscheidend für den Erfolg, aber schwierig umzusetzen. Und deshalb konzentriert sich Triathloncoach Arne Dyck vom Trainingsportal triathlon-szene.de im Folgenden auch auf die Königsdisziplin im Triathlon.

Die Schwierigkeit und die Bedeutung eines intelligenten Pacings auf der Langdistanz ergeben sich aus der Tatsache, dass man die Folgen eines überzogenen Tempos meistens erst Stunden später im Rennen zu spüren bekommt. Was man zu optimistisch auf dem Rad leistete, beschert vielen Triathleten einen Wandertag beim Marathon. Diese indirekte und zeitverzögerte Verbindung zwischen einem zu hohen Tempo und den späteren Folgen macht das Pacing ausgesprochen schwierig. Bei den kürzeren Wettkampfdistanzen, deren Tempo sich in der Nähe der anaeroben Schwelle abspielt, bekommt man ein regulierendes Feedback auf ein zu hohes Tempo innerhalb weniger Minuten: Es bleibt einem schlicht die Luft weg, also macht man etwas langsamer. Auf der Langdistanz ist das Tempo hingegen stets moderat. Auch die weltbesten Langstreckler bewegen sich im Rennen meist im unteren GA2-Bereich.

Die Ursache dafür liegt im Energieverbrauch. Die zur Verfügung stehende Energiemenge ist begrenzt. Jeder Sportler kann nur dasjenige Tempo anschlagen, das er bis ins Ziel mit Energie zu versorgen in der Lage ist. Bewegt er sich zu schnell, ist der Tank leer, bevor der Zielbogen erreicht wurde. Der Energieverbrauch ist daher der zentrale Leitgedanke beim Pacing auf der Langdistanz. Dabei gilt stets: weg ist weg. Was man am Solarer Berg verballert hat, fehlt einem beim Marathon an der Lände.

Los geht’s!

Am Start geht es meistens etwas hektisch zu. Die ersten paar Minuten schwimmt man in der Regel über seine Verhältnisse, danach muss man seine realistische Geschwindigkeit finden. Da man unterwegs selten auf die Uhr schauen kann, bleibt das eine Gefühlssache, mit der man sich im Training vertraut machen sollte. Im Zweifel gilt es, cool zu bleiben, denn der Tag ist noch lang.

Radfahren

In der ersten halben Radstunde haben Sie drei Aufgaben. Erstens: Hören Sie sofort auf, mit anderen Personen um Positionen zu kämpfen. Ein Triathlon ist kein Radrennen. Konzentrieren Sie sich auf sich selbst. Zweitens: Beruhigen Sie sich und zwingen Sie sich, Ihre aktuelle Situation wahrzunehmen. Wie ist das Wetter, wird es ein heißer Tag? Wie ist die Tagesform, gut oder eher so mittelmäßig? Wie fühlt sich die aktuelle Anstrengung an? Befinden Sie sich in dem Leistungsbereich (Puls oder Watt), den Sie vorher mit sich vereinbart haben? Diese erste Bestandsaufnahme ist sehr wichtig, da sie Ihnen ermöglicht, bereits früh im Rennen wichtige Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise bei einem heißen Tag und mäßiger Tagesform etwas Tempo herauszunehmen. Das zahlt sich später aus. Drittens: Beginnen Sie so früh wie möglich, sich mit flüssigen Kohlenhydraten zu versorgen. Dazu später mehr.

Wo liegt Ihr optimales Wettkampftempo auf dem Rad? Diese Frage sollten Sie glasklar beantworten können, beispielsweise 180–190 Watt oder 140–145er-Puls. Wie man zu diesen Werten kommt, lesen Sie hier oder in der Ausgabe dieses Magazins (Ausgabe 2-2021, Seite 39).

Training Peak-Phase: Abbildung 1
Abbildung 1: Training Peak-Phase Pacing-Rad

Für die meisten Athleten liegen zwischen einem gut eingeteilten und einem überzogenen Tempo auf dem Rad nur 10 bis 15 Watt Unterschied. Beispiel: Eine durchschnittliche Leistung von 200 Watt kann eine Bestzeit bringen, eine Leistung von 210 Watt hingegen einen Wandertag. Machen Sie sich klar, wie eng dieser Leistungskorridor ist. Das ist der wichtigste Rat, den ich Ihnen geben kann. Fahren Sie in keiner Phase des Rennens über Ihre Verhältnisse.

Training Peak-Phase: Abbildung 2
Abbildung 2: Training Peak-Phase Radstrecke

Nach der ersten halben Radstunde teilt man sich die verbleibende Radstrecke in drei Drittel ein: Im ersten besteht die Hauptaufgabe darin, nicht zu überzocken. Ein verkorkster Marathon hat häufig seine Ursache in einer überzogenen ersten Radstunde. Der innere Tempopfeil zeigt nach unten, man bremst sich ein wenig. Da man frisch getapert ist, wird man trotzdem recht schnell unterwegs sein. Fühlt sich das erste Raddrittel bereits nach Arbeit an, ist man definitiv zu schnell unterwegs. Häufig wird man in dieser Rennphase von Mitstreitern überholt, insbesondere an Anstiegen. Das ist ein gutes Zeichen. Bleiben Sie cool! Viele davon sieht man später ein zweites Mal.

Das zweite Drittel steht unter dem Motto „Renntempo aufbauen“. Der innere Tempopfeil geht nach oben, man fährt mit mehr Engagement als vorher. Das Tempo steigt dabei nur geringfügig. Hart fühlt sich das alles noch nicht an, sondern man lässt die Beine das tun, was sie von alleine wollen. Im Zweifel entscheidet man sich für das langsamere Tempo – der Tag ist noch lang, und man hat jede Menge Gelegenheit, später wieder Zeit gutzumachen.

Im letzten Raddrittel, irgendwo zwischen Kilometer 120 und 140, kriecht die Müdigkeit in den Körper. Der innere Tempopfeil geht nach oben, man muss jetzt arbeiten, um das Tempo zu halten. Eine gute Renneinteilung zahlt sich nun aus, und Sie werden Plätze gutmachen, selbst wenn das Tempo geringfügig absinkt. In dieser schweren Phase ist es wichtig, im Ernährungsplan zu bleiben und genügend Kohlenhydrate aufzunehmen. Das kann Überwindung kosten. Fallen Sie nicht darauf herein, denn der bevorstehende Marathon verzeiht solche Fehler nicht.

Tipp Am Tag vor dem Rennen schauen Sie sich an, aus welcher Richtung in der letzten Radstunde der Wind wehen wird. Ist zuletzt mit Gegenwind zu rechnen, dann zahlt sich ein vorsichtiges Pacing, bei dem man zum Ende der Radstrecke noch Kraft hat, doppelt aus. Ist hingegen am Ende mit Rückenwind zu rechnen, kann auch eine riskantere Renneinteilung funktionieren.

Der Marathon

Der Marathon hat vier Abschnitte. Bis Kilometer 5, bis Kilometer 15, bis Kilometer 32 und der Rest. Auf den ersten fünf Laufkilometern finden Sie nach und nach Ihre Laufbeine. Das braucht etwas Zeit. Es ist ein Fehler, in diesem Abschnitt Gas zu geben oder angesichts müder Beine in Depressionen zu verfallen. Laufen Sie nach der Wechselzone entspannt los, und machen Sie erneut eine Bestandsaufnahme: Wird es ein heißer Nachmittag? Wie war die Tagesform bisher? Hat die Nahrungsaufnahme geklappt? Ging das Radfahren ohne größeren Einbruch? Wie bereits auf den ersten Radkilometern versucht man in der ersten Phase des Marathonlaufs, sich alles bewusst zu machen, was das weitere Rennen beeinflussen wird. Auf diese Weise kann man sofort darauf reagieren und das Tempo anpassen. Warum das wichtig ist, erläutere ich an einem Beispiel:

Fritz Floh ist ein starker Läufer. Er läuft den Marathon konstant im 5er-Schnitt. Er schafft das bis Laufkilometer 36, dann ist der Tank leer und er spaziert bis ins Ziel. Petra Penibel läuft den Marathon konstant im 6er-Schnitt bis ins Ziel. Bei Kilometer 40 holt sie Fritz ein und läuft vorbei! Und das mit einem Tempo, das Fritz vielleicht sogar ohne Lauftraining geschafft hätte.

Diese Rechnung zeigt: Alles muss darauf abzielen, beim Marathon möglichst nicht gehen zu müssen. Jede Minute, die man für dieses Ziel investiert, ist später Gold wert.

Training Peak-Phase: Abbildung 3
Abbildung 3: Training Peak-Phase Laufstrecke

Nach fünf Laufkilometern hat man für gewöhnlich seine Laufbeine gefunden. Auf den nächsten zehn Kilometern folgt nun der taktisch gefährlichste Abschnitt. Falls Sie den Marathon überzocken, so geschieht das fast immer in diesem Abschnitt. Kein Wunder, denn häufig fühlt man sich hier wirklich hervorragend. Fallen Sie nicht darauf herein, und bleiben Sie strikt beim vorher festgelegten und erprobten Lauftempo. Das ist bei den meisten das ganz normale GA1-Joggingtempo. Nur die Besten können es wagen, etwa zehn Sekunden pro Minute schneller zu laufen. Alles andere geht praktisch immer schief. Falls Sie den besten Lauftag Ihres Lebens verspüren und partout das Tempo steigern wollen, warten Sie bis Laufkilometer 25 und entscheiden dort.

Tipp Zählen Sie die Laufkilometer rückwärts! Bei Kilometer fünf rufen Sie sich innerlich zu: „noch 37 Kilometer!“ Das wird Sie davon abhalten, ein Tempo anzuschlagen, das Sie später bereuen werden.

Der folgende Abschnitt von Laufkilometer 15 bis 32 ist Arbeit. Alles wird zunehmend schwerer. Häufig fällt man zwischen Kilometer 15 und 20 in ein erstes energetisches Loch. Wichtig ist es, sich trotzdem mit ausreichend flüssigen Kohlenhydraten zu versorgen. Die in der Muskulatur gespeicherten Depots an Kohlenhydraten sind erschöpft, Brennstoff wird über die Nahrungsaufnahme nachgeliefert. Also Mund auf und runter mit dem Zeug!

Die letzten zehn Kilometer …

… sind meistens beinhart. Ein Rennen um Platzierungen gegen andere Teilnehmer läuft hier kaum noch jemand. Alle mentale Energie wird dafür benötigt, weiterhin Kohlenhydrate aufzunehmen und nicht stehen zu bleiben. Generell hat man in diesem Abschnitt des Rennens keine Möglichkeiten mehr, irgendwie zu taktieren. Alles in Ihnen, die Laufbeine, das Verdauungssystem und die mentale Kraft, ist an der Leistungsgrenze angekommen. Drei Tipps kann ich Ihnen trotzdem geben:

  1. Nehmen Sie weiterhin an den Verpflegungsstellen flüssige Kohlenhydrate auf. Der Körper kann jetzt am leichtesten und am schnellsten Flüssigkeiten verarbeiten. Falls Ihnen etwas übel ist, nehmen Sie Cola und Wasser gleichzeitig, das vertragen die meisten Menschen sehr gut. Da dieser Mix jedoch kein Salz enthält, nehmen Sie an jeder zweiten Verpflegungsstelle ein Iso-Getränk zu sich.
  2. Halten Sie sich unbedingt fern von vermeintlichen Geheimtipps, wie Schinkenbrötchen, Trockenobst, Schokoladenkuchen und so weiter. Denn selbst wenn sie sich sehr langsam fortbewegen, verbrauchen Ihre Muskeln die Energie schneller als jede denkbare Form der Ernährung sie nachliefern kann. Mit langsam verdaulichen Nahrungsmitteln vergrößern Sie deshalb den Energiemangel und schaufeln so Ihr eigenes Grab. Setzen Sie auch in der Schlussphase des Rennens auf flüssige Kohlenhydrate. Im Ziel wartet bekanntlich das Finisherbuffet!
  3. Und wenn Sie nicht mehr können, traben Sie ganz langsam, aber gehen Sie nicht. Bleiben Sie mental im Rennen. Im Ziel werden Sie sich dafür beglückwünschen.

Spezialisten-Paradoxon

Achtung Quereinsteiger! Meistens überzockt man ein Rennen ausgerechnet in seiner Paradedisziplin. Wer vom Radsport kommt, übernimmt sich häufig auf der Radstrecke. Wer vom Laufsport kommt, überanstrengt sich auf der Laufstrecke. Radfahrer und Läufer unterschätzen oft die Länge dieses Rennens beziehungsweise orientieren sich zu sehr an den Wettkampfgeschwindigkeiten, die sie von ihren Einzelrennen gewohnt sind.

Die Wettkampfverpflegung

Über die optimale Ernährung während des Wettkampfs lassen sich Bücher füllen und viel Wissenschaft betreiben. Am Ende geht es jedoch ganz einfach darum, möglichst viele Kohlenhydrate in den Körper zu bekommen. Im Folgenden beschränke ich mich auf die wesentlichen Aspekte. Jeder der folgenden Punkte ist äußerst wichtig.

Training Peak-Phase: Abbildung 4
Abbildung 4: Training Peak-Phase Verzehrplan Rad
Planen Sie eine Kohlenhydrataufnahme von 70–90 Gramm und einem Liter Wasser pro Stunde.

Training Peak-Phase: Abbildung 5
Abbildung 5: Training Peak-Phase Verzehrplan Lauf
Planen Sie eine Kohlenhydrataufnahme von 50–60 Gramm und 0,7 Liter Wasser pro Stunde.

  • Nehmen Sie einen Taschenrechner, und rechnen Sie diese Mengen auf die im Wettkampf gereichten Energiegetränke und Gels um. Das Ergebnis notieren Sie auf einen Zettel in Form eines stündlichen Verzehr-Auftrags. Beispiel: Pro Stunde eine Radflasche Iso plus ein Gel, dazu weiteres Wasser je nach Durstgefühl. Kleben Sie sich das auf den Lenker, und arbeiten Sie dies Stunde für Stunde ab. In diesem Rechenbeispiel wird von 50 Gramm Kohlenhydrate pro Radflasche und 20 Gramm Kohlenhydrate pro Gel ausgegangen. Bitte verwenden Sie die Werte, die für Ihr Rennen zutreffen.
  • Verzichten Sie möglichst komplett auf feste Nahrung wie Energieriegel. Nehmen Sie stattdessen die Kohlenhydrate in Form von Sportgetränken und Gels auf.
  • Ernährung im Wettkampf fällt schwer, wenn man müde ist. Achten Sie darauf, sich in den schwierigen Phasen ausreichend zu versorgen. Vorbeugend sollten Sie sich in den Phasen des Rennens, in denen Sie sich gut fühlen, besonders gewissenhaft verpflegen. Achtung, bei missratenen Rennen läuft es meistens umgekehrt: In den euphorischen Phasen ballert man sich die Körner aus dem Leib und vernachlässigt die Verpflegung, bis es zu spät ist. Merksatz: „If you feel good, eat!“
  • Lernen Sie die folgenden beiden Tipps für das Rennen auswendig:
    1. Wenn Sie Hunger oder Durst verspüren, doch der Magen fühlt sich voll an, dann ist die Konzentration an Kohlenhydraten im Magen zu hoch. Verdünnen Sie den Mageninhalt durch eine gute Portion Wasser, dann kann der Magen seinen Inhalt weiterleiten.
    2. Haben Sie Durstgefühle, obwohl Sie viel trinken, oder verspüren Sie häufiger als alle zwei Stunden Harndrang, dann fehlen Ihnen Elektrolyte. Verzichten Sie eine Weile auf Wasser oder Cola, und wechseln Sie zum Isogetränk.
  • Bei Hitzerennen wird Blut in die oberen Hautschichten geleitet, um den Körper zu kühlen. Der Verdauungsapparat wird dadurch weniger durchblutet und kann weniger Energie vom Magen an die Muskulatur liefern. Entsprechend müssen Sie das Tempo drosseln, denn Sie haben weniger Energie zur Verfügung. Nutzen Sie jede Form der Abkühlung.
  • Magen- oder Darmprobleme sind auf der Langdistanz häufig. Meistens sind sie eine Folge von Wassermangel. Achten Sie insbesondere bei der Verwendung von Gels auf eine ausreichende Trinkmenge. Faustregel: Pro Schluck Gel müssen sieben Schluck Wasser in den Magen. Das ist auf der Laufstrecke oft gar nicht so leicht zu realisieren. Nehmen Sie sich die Zeit dafür.

Zusammenfassung

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein langes Autorennen zu bestreiten – von Hamburg nach Rom. Unterwegs dürfen Sie nur ein einziges Mal tanken. Man sieht sofort ein, dass es bei einem solchen Rennen nicht nur um Pferdestärken geht, sondern ebenso um die Frage: Wie hoch ist der Spritverbrauch, und was haben wir noch im Tank? Auf der Langdistanz ist es dasselbe. Zu einer Erörterung des Wettkampftempos (Spritverbrauch) gehört zwingend die Wettkampfernährung (Nachtanken). Vielleicht haben Sie aufgehört, diesen Artikel genauer zu lesen, als ich oben einen Taschenrechner erwähnte. Das ist ein Fehler. Je klarer Sie Ihre Ernährungsstrategie für das Rennen festlegen, desto besser können Sie diese umsetzen und desto schneller kommen Sie über die Strecke. Nutzen Sie zudem ein Watt- oder Pulsmessgerät, um das Wettkampftempo glasklar im Training zu bestimmen und im Wettkampf umzusetzen (siehe auch tritime-Ausgabe 2-2021, Seite 36ff.).

Viel Erfolg!

Text: Arne Dyck
Foto: Klaus Arendt

ANMERKUNG: Dieser Artikel erschien in der Sommerausgabe der tritime 3-2021