Kommentar: The winner takes it all

Jan Frodeno | Challenge Roth 2022 | Foto: Armin Schirmaier
Jan Frodeno | Challenge Roth 2022 | Foto: Armin Schirmaier

Es sei denn, man heißt Jan Frodeno, hat ein äußerst kreatives Team im Rücken und ist dazu in der Lage, den Triathlonsport neu zu definieren und für Sponsoren und Fans auf einen anderen Level anzuheben.

Die Corona-Jahre 2020 und 2021 waren für Triathleten, Veranstalter, Sponsoren und Hersteller nicht einfach. Rennabsagen und Terminänderungen bestimmten die Schlagzeilen der Triathlon-Medien. Und auch die Profisportler standen vor der Herausforderung, sich und ihre Sponsoren der Öffentlichkeit zu präsentieren. Sicherlich hilft eine erhöhte Präsenz auf den gängigen Social-Media-Plattformen, aber das Salz in der Suppe sind nun einmal Wettkämpfe und idealerweise damit einhergehende Erfolge. Jan Frodeno hingegen nutzte diese Zeit und präsentierte sich und seine Sponsoren seinen Fans und den Medien. Erinnern Sie sich?

RÜCKBLICK

Bereits 2020 nutzt Jan Frodeno die pandemiebedingte Wettkampfpause für eine medienwirksame Langdistanz in den eigenen vier Wänden. Insofern verwundert es auch nicht, dass Jan Frodeno und sein umtriebiger Manager Felix Rüdiger im Jahr 2021 noch eine Schippe draufzulegen wissen: Die Idee des TRI BATTLE Royale wird umgesetzt. Mann gegen Mann. Jan Frodeno gegen Lionel Sanders. Neben der sportlichen Herausforderung – Frodeno siegt nach 226 Kilometern in neuer inoffizieller Weltbestzeit – wird auch beim Drumherum an nichts gespart: Steilwandkurven an den Radwendepunkten, ein coronakonformes Zuschauerkonzept mit Liveübertragung und Catering. Sportlich abgerundet wurde das vergangene Jahr mit zwei Erfolgen bei den Challenge-Rennen in Miami und Gran Canaria, der Tagesbestzeit beim Collins Cup in Šamorín und der Premiere des von ihm organisierten SGRAIL100 in Girona. Aus diesem Grund ernannten wir im Rahmen unserer Wahl der tritime-Triathleten des Jahres 2021 das Team Frodeno auch zum INNOVATOR des Jahres 2021. Und das zu Recht.

JAN FRODENO TAKES IT ALL

2022 beginnt für Jan Frodeno gar nicht gut. Ein Teilriss seiner Achillessehne lässt nicht nur seine Saisonplanung, sondern auch seinen Traum von zwei Ironman-Weltmeisterschaften wie eine Seifenblase platzen. Neben zahlreichen Arztbesuchen und Therapien steht – das Schwimm- und Radtraining bleibt davon unberührt – Aqua-Jogging als Laufersatz auf dem Trainingsprogramm, seine St.-George-Rennabsage Mitte April ist folgerichtig. Seine fast auf den Tag genau einen Monat später veröffentlichten Aqua-Jogging-Fotos mit dem Hinweis „Same time. Same place. Daily. For now.“ lassen vermuten, dass mit einem zeitnahen Wiedereinstieg in das kompetitive Wettkampfgeschehen nicht zu rechnen ist. Umso überraschter bin ich, dass bereits dreieinhalb Wochen später Frodenos Startzusage für den Challenge Roth über den Ticker läuft. Auch wenn in der Pressemitteilung ein mögliches DNF bereits Thema ist, dreht sich von da an alles um den Streckenrekordhalter. Medien und die Triathlonszene reagieren euphorisch auf das bevorstehende Duell der Hawaii-Sieger Frodeno, Kienle und Lange. Der Start von Anne Haug geht im allgemeinen Trubel nahezu unter. In der Rennwoche selbst hinterlässt der ansonsten sehr eloquente Jan Frodeno in diversen Interviews einen ungewohnt fahrigen Eindruck, ich selbst vermisse – abgesehen von einer despektierlichen Äußerung über Patrick Lange – das ihm ins Gesicht geschriebene Selbstbewusstsein eines Champions. Zudem verzichtet er auf die üblichen Sponsorentermine auf der Expo, und auch bei der Präsentation der Top-Starter am Freitagabend auf dem Rother Marktplatz ist er nicht anwesend. Ungewöhnlich für einen Athleten, der sich sonst sehr volksnah zeigt und gerne für seine Fans persönlich an der Espressomaschine steht.

MARKETING PAR EXCELLENCE

Hinter Jan Frodenos Namen in der Ergebnisliste sind drei Buchstaben vermerkt, und die passen so gar nicht zu seiner Siegermentalität: DNF! Aus Marketingsicht betrachtet, konnte es trotzdem fast nicht besser gelaufen sein. Beginnend mit seiner Anmeldung in Roth, dreht sich inklusive „maximaler Sendezeit“ im BR und im Livestream alles um den inzwischen 41-jährigen. Sogar nach seinem Rennabbruch steht Deutschlands erfolgreichster Triathlet – vergleichbar mit seinem „Wandertag“ auf Hawaii 2017 – im Fokus der Berichterstattung. Der Sieg von Magnus Ditlev und die Energieleistung des Zweitplatzierten Patrick Lange gehen im „Drama um Jan Frodeno“ völlig unter, von Anne Haug ganz zu schweigen. Leider.

ANTWORTEN MIT GESCHMÄCKLE

Nach fünf Stunden und 2,2 Laufkilometern beendet der in Führung liegende Frodeno seinen Arbeitstag dort, wo sein Team auf ihn „wartet“. Das mag Zufall sein, muss es aber nicht. Seine Erklärungen im Bayerischen Rundfunk klingen plausibel, hinterlassen jedoch auch ein Geschmäckle. Wenn er bereits beim Aufwärmen erste Schmerzen verspürt und seinem Team beim Radfahren signalisiert, er werde heute wohl nicht ins Ziel kommen, stellt sich die Frage: Warum verzichtet er nicht kurzfristig auf einen Start und schont die lädierte Achillessehne, anstatt mögliche Risiken einer weiteren Verschlechterung einzugehen? Warum demonstriert er stattdessen beim Schwimmen und Radfahren seine Macht und beeinflusst durch diese – dann unsportliche – Taktik auch den Verlauf des Renngeschehens? Für mich wirkt es wie ein ganz gezielt gesetztes Zeichen an die Konkurrenz in Deutschland und Norwegen: Schaut her, wenn ich wieder beschwerdefrei laufen kann, geht ein Sieg auf Hawaii nur über mich!

VORBILDFUNKTION

Am 31. Juli nahm sich die Mannschaftsführerin der deutschen Fußballerinnen, Alexandra Popp, aufgrund muskulärer Probleme wenige Minuten vor dem Anpfiff des EM-Finales in London selbst aus dem wichtigsten Länderspiel ihrer Karriere. Sie wollte ihr Team nicht schwächen. Vorbildlich! Jan Frodeno hingegen verhielt sich lediglich bei seinem Rennabbruch mit Alexandra Popp auf Augenhöhe, indem er den Triathleten aufzeigte, dass ein DNF doch eine Option ist. Sein Start selbst war es allemal nicht, denn jener impliziert, dass man es trotz einer Verletzung einfach mal versuchen sollte.

Beim Schreiben dieses Kommentars für die tritime-Ausgabe 4-2022 beschlich mich das Gefühl, dass am 8. Oktober für Jan Frodeno alle Puzzleteilchen passgenau ineinanderfallen: Dem Drama von Roth folgt ein Happy End auf Hawaii, inklusive dem Platzen der Bombe, dass er sich – dann als vierfacher deutscher Hawaii-Sieger – in den wohlverdienten Profi-Ruhestand verabschiedet. Doch daraus wird bekanntlich nichts. Frodeno muss seinen Start aufgrund der Folgen eines Radsturzes und mehreren operativen Eingriffen absagen und um ein Jahr verschieben.

Aber auch dadurch ändert sich nicht viel: Jan Frodeno steht weiterhin im Rampenlicht der Medien und Triathlonszene. Wie immer! Ganz egal, was er macht, wie er sich verhält und wie er abschneidet, alle stehen parat und alles dreht sich um ihn. Selbstvermarktung par excellence!

Kommentar: Klaus Arendt
Foto: Armin Schirmaier