Smart Training – Digitale Helferlein

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Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass Lionel Sanders – einer der weltbesten Langdistanz-Triathleten – fast ausschließlich indoor trainiert. Die Diskussionen über das Für und Wider wurden dadurch neu angeheizt.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Lektüre zum Thema Trainingslehre? Bei mir war es das Buch „Trainingssteuerung in Training und Wettkampf“ (Grosser et al. 1986). Seit über 30 Jahren, in denen ich unseren geliebten Triathlon-Sport nun schon verfolge, besitze ich es, und es ist eines der am stärksten zerfledderten Bücher in meiner Bibliothek. Auch wenn sich in dieser langen Zeit in puncto Training jede Menge getan hat, schlugen bei mir in all den Jahren stets zwei Herzen in meiner Brust: das des Wissenschaftlers, Tüftlers und die objektive Wahrheit Suchenden und das des Intuitiven, Fühlenden und Spürenden.

Nach einer längeren Pause vom aktiven Triathlon war vor zehn Jahren ersterer Teil der vorherrschende. Ich brauchte ja ohnehin alles neu, und dann auch gleich mit Wattmesser und Sportuhr, bunten Kurven und stundenlangen Auswertungen der Trainingseinheiten und Wettkämpfe. Gleichzeitig meldete sich über die Jahre aber auch der andere Teil in mir immer stärker zu Wort. Ich wollte den Sport nur noch aus reiner Freude machen, rein nach Gefühl und weniger zielorientiert trainieren. Nachdem mein Wattmesser kaputtging und ich irgendwann auch noch die Sportuhr verkaufte, war das Ergebnis die Reinform des intuitiven Trainings ohne jede Planung. Und da die Ergebnisse auch nicht wirklich signifikant schlechter wurden, ersparte ich mir auf diesem Weg die Zeit für stundenlange Planung und Auswertung.

Da ich allerdings schon ein kompetitiver Typ bin, der gerne auf dem Treppchen steht, meldet sich mittlerweile der andere Teil wieder in mir. Kann ich mit einem sauber geplanten Training vielleicht doch mehr erreichen? Vor allem aber will ich – ohne den Spaß zu verlieren – meine eigenen Grenzen ausloten und schauen, was geht.

Individualitäts-Prinzip

Die Industrie entwickelte in den letzten Jahren jede Menge spannende technische Apparate, die uns bei einem systematischen Training unterstützen können. Alle Geräte haben dabei natürlich ihre Vor- und Nachteile. Eine der Grundregeln sportlichen Trainings ist das „Prinzip der Individualität“: Was für den einen passt, muss für den anderen nicht unbedingt von Vorteil sein. Vor diesem Hintergrund möchte ich in diesem Artikel das sogenannte Smart Training, das mithilfe der dazugehörigen Software-Plattformen das Indoor-Training natürlicher und abwechslungsreicher gestalten soll, näher beleuchten.

Lionel Sanders und Brett Sutton

Seit es sich herumgesprochen hat, dass mit Lionel Sanders einer der weltbesten Langdistanz-Triathleten fast ausschließlich (!) indoor trainiert, erhielten die Diskussionen über das Für und Wider neuen Nährstoff. Und selbst der Meister der Triathlon-Coaches, Brett Sutton, lässt seit Jahren seine Schäfchen regelmäßig innerhalb der vier Wände auf dem Rollentrainer und Laufband Rad fahren und laufen. Und auch hier darf sich der geneigte Triathlet fragen, ob es nicht vielleicht sogar eines der Geheimnisse ist, warum Daniela Ryf so dominant auf der Langstrecke ist? Was aber sind nun die Vorteile des „smarten Trainings“, die dazu führten, dass das Indoor-Training in den letzten beiden Jahren mehr und mehr hoffähig wurde?

Wetterunabhängigkeit:
Auch wenn es im Jahrhundertsommer 2018 einer gewissen Ironie nicht entbehrt, ist ein solch mediterranes Wetter in unseren Gefilden nicht die Regel. In einem normalen Sommer kann es auch mal ein bis zwei Wochen durchregnen, und dann ist es eben sehr hilfreich, trotzdem systematisch trainieren zu können.

Sicherheit:
Insbesondere in dicht besiedelten Gegenden, wo einsame Landstraßen in weiter Ferne liegen, ist es durchaus sinnvoll, daheim auf dem Rollentrainer und weit weg von aggressiven Autofahrern trainieren zu können.

Effizienz:
Es herrscht Einigkeit darüber, dass ein Training auf dem Rollentrainer an Effizienz schwer zu toppen ist: Radhose an, rauf aufs Rad und ganz systematisch die spezifischen Vorgaben abspulen. Es gibt keine An- und Abreisewege, ebenso keine langen Warm-up- und Cool-down-Phasen.

Spezifizität:
In der freien Natur ist es per definitionem nicht möglich, so exakte Wattwerte zu treten wie auf einem modernen Smart Trainer. Damit einher geht auch das Thema Effektivität: „Trainiere ich genau das, was ich auch trainieren will?“

Ortsunabhängigkeit:
Moderne Rollentrainer sind handlich und klein, man kann sie fast überall hin mitnehmen, rasch aufbauen und loslegen. Insbesondere dann, wenn ein regelmäßiges Trainieren an der frischen Luft, beispielsweise durch sehr schnelle Wetterumschwünge beim Höhentrainingslager in den Bergen, erschwert wird.

Störfaktoren:
Alle ungewollten Störfaktoren eines maximal effizienten Trainings werden ausgeschaltet: kein Verkehr, keine Ampeln, kein Wind und kein schlechter Straßenbelag. Das gilt vor allem bei Leistungstests aller Art, bei denen möglichst standardisierte, reproduzierbare Bedingungen vorherrschen sollen.

Trainingssteuerung und -überwachung:
Je detaillierter (Stichwort vergleichbar, standardisiert, reproduzierbar) die Daten sind, desto besser kann der Coach das Training planen. Das ist ja auch der Hauptgrund, warum ein wattbasiertes Training jeder anderen Form vorzuziehen ist – ein Watt bleibt schließlich ein Watt.

Und die Nachteile?

Das Naturerlebnis:
Viele Sportler fahren zu einem nicht unerheblichen Teil Fahrrad, weil sie sich in der Natur austoben können: Das Erlebnis vom Wind in den Bäumen über tolle Landschaften und zwitschernde Vögel bis zum warmen Sonnenlicht auf der Haut mit der damit einhergehenden Körperbräunung. Wer möchte darauf schon verzichten?

Der soziale Aspekt:
Fast alle Athleten treiben zumindest zu einem gewissen Anteil auch Sport, um sich mit anderen Menschen zu verbinden. Sporteln unter Gleichgesinnten macht eben doch mehr Spaß als allein. Dieser Aspekt wird – teilweise zumindest – durch den virtuellen Austausch auf Plattformen wie Zwift oder anderen aufgewogen.

Der Spaß:
Die pure Freude an der Bewegung ist – bei aller anzustrebenden Effizienz des Trainings – ein nicht zu unterschätzender Faktor. Eine eher überschaubare Gruppe von Triathleten empfindet die gleiche Freude, wenn sie sich allein in ihre eigene „pain cave“ verschanzt.

Die technischen Fähigkeiten:
Einer der herausragenden Punkte (wenn man mal von so technisch anspruchslosen Strecken wie auf Hawaii absieht) ist die Radbeherrschung. Steile Auffahrten, ebensolche Abfahrten, rasante Kurven, Fahren in der Gruppe und vieles mehr – das alles fordert Fähigkeiten, die man indoor NICHT lernen und trainieren kann. Dazu muss der Sportler raus und sich der realen Welt mit all ihren vielleicht nicht immer gewünschten Herausforderungen stellen. Triathlon ist und bleibt nun mal eine Outdoor-Sportart.

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Hard- und Software

Nach dieser eher philosophischen Betrachtungsweise stellt sich die Frage nach dem idealen technischen Hilfsmittel. Was ist State of the Art, ist das Trainingserlebnis auf dem Rad auch tatsächlich realitätsnah, und wie sieht es mit der Konnektivität des Rollentrainers aus? Sollte er sich allerdings nur mit der mitgelieferten Software des Herstellers verbinden, wäre das allerdings schon ein K. o.-Kriterium. Insellösungen haben keine Zukunft, denn die Verbindung mit anderen Geräten steht bei den Anwendern im Zentrum der Aufmerksamkeit. Glücklicherweise haben auch die meisten Firmen diesen Trend erkannt und sich darauf eingestellt. Technologien wie Bluetooth und ANT+ werden in aller Regel unterstützt, um sich nicht nur mit Apps wie Strava, Zwift, The Sufferfest, Kinomap und TrainerRoad drahtlos zu verbinden, sondern auch mit dem Fernsehgerät, Laptop oder Tablet. Und schon ist man eingetaucht in die dreidimensionale Welt des virtuellen Trainings. Selbstredend kommuniziert der Smart Trainer dabei auch mit den meist ebenfalls vorhandenen Radcomputern und zeigt all die schönen Dinge an, die man auch vom Radfahren draußen in der freien Natur gewohnt ist, also Geschwindigkeit, Strecke, Leistung, Trittfrequenz und vieles mehr.

Fazit

Jeder Triathlet sollte mit Blick auf die eigenen Saisonziele die Vor- und Nachteile nach seinen eigenen Kriterien gewichten und abschließend bewerten, welchen Stellenwert das Smart Training für ihn hat und wie intensiv er es in seiner Trainingsplanung berücksichtigen möchte. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das leistungsorientierte oder auch wattbasierte Training. Hier bietet die modernste Generation an Geräten eine bereits eingebaute Leistungsmessung mit einer Genauigkeit der besten Fahrrad-Wattmesser. Und da der Trend – gerade bei den ambitionierten Amateuren – stetig weiter in Richtung professionelleres und damit auch wattbasiertes Training geht, bieten die neuen Gadgets auch hier nie dagewesene Möglichkeiten des extrem effizienten Trainings.

Das Schöne an der freien Marktwirtschaft ist ja, dass die Industrie immer neue Wege findet, unsere Anforderungen zu befriedigen beziehungsweise neue Bedürfnisse zu wecken. Auch wenn sie manchmal über das Ziel hinausschießen, gibt es eine Vielzahl an nützlichen Geräten – von einfachsten Pulsuhren aus dem Discounter bis zum High-End-Wattmesser ist für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel etwas dabei –, die uns und somit auch unseren Coaches das Leben erleichtern. Vor diesem Hintergrund ist es auch gerade mir als ausgesprochenem Frischluft-Fanatiker und „Nach-Lust-und-Laune-Trainierer“ eine besondere Freude, mich dem „Experiment Smart Trainer“ zu stellen und zu schauen, ob mich die Helferlein überzeugen können.

Text: Jörg Schneider
Fotos: Wahoo Fitness