Max Longrée: „Der Radunfall veränderte mein Leben!“

Wenige Tage vor dem Ironman Arizona wurde der frühere Profitriathlet Max Longrèe 2009 von einem Auto angefahren. Die schwere Verletzung wirkte sich auf seine weitere Lebensplanung erheblich aus.

 

Im November 2009 fuhr Dich bei einer Einkaufsfahrt mit dem Fahrrad ein Auto an. Dabei wurde Dein Schienbeinmuskel durchtrennt. Wie schwerwiegend war diese Verletzung?
Wenige Tage vor dem Ironman Arizona, bei dem ich mich frühzeitig für Hawaii 2010 qualifizieren wollte, fuhr ich an einem Regenerationstag mit dem Rad zum Einkaufen. An sich nichts Besonderes, nur mit dem Unterschied, dass ich mich auf einmal blutüberströmt und mit offenem linken Unterschenkel auf dem Parkplatz eines Supermarktes wiederfand. Nachdem ich mir mit einem Handtuch die Wunde selbst zudrückte, wurde ich schwer verletzt von der Feuerwehr ins Krankenhaus zur Erstversorgung gefahren. Dabei stellte sich heraus, dass nicht nur mein Schienbeinmuskel und etliche Nerven durchtrennt wurden, sondern auch im Sprunggelenk der Knöchel, mein Daumen-Sattel-Gelenk und Schlüsselbein gebrochen waren, von den vielen Prellungen am ganzen Körper einmal abgesehen. Letztendlich wurde dort „irgendwie alles zusammengefrickelt“. Mit dem Ergebnis bin ich auch Jahre danach nicht wirklich zufrieden. Noch heute leide ich im großen Zeh unter Taubheitsgefühlen, und auch die Muskelstreckung im Unterschenkel ist nicht mehr optimal. Allerdings bin ich heilfroh, dass nicht mehr passiert ist. Helm und Schutzengel leisteten ganze Arbeit. Am Wettkampftag selbst durfte ich neben Greg Welch noch co-kommentieren, allerdings half das nicht wirklich über meine körperlichen und seelischen Schmerzen hinweg, befand ich mich doch in der Form meines Lebens.

Und wann bist Du wieder ins Training eingestiegen?
Um ehrlich zu sein, begann ich bereits direkt nach meiner Heimreise zu Hause wieder mit dem Aufbautraining. Zwar noch nicht triathlonspezifisch, aber all das, bei dem die verletzten Körperteile noch nicht beansprucht wurden. Dabei stand das Krafttraining – verbunden mit einer an die Situation angepasste Ernährung – im Vordergrund. Mit einem individuell zusammengestellten Reha-Programm habe ich dann – ganz langsam und ohne Zeitdruck – die verletzten Körperteile wieder an höhere und intensivere Belastungen gewöhnt, sodass ich nach gut sechs Monaten wieder alle drei Sportarten einigermaßen normal trainieren konnte.

… um im zweiten Halbjahr 2010 dann sechs Langdistanzen zu absolvieren!
Das war nicht wirklich so geplant, es hat sich einfach ergeben. Da ein sehr guter Freund aus den USA den Ironman in Klagenfurt bestreiten wollte, besuchte ich ihn dort und entschloss mich spontan dazu, dort auch zu starten, auch um zu sehen, wo ich stehe. Und am Wörthersee schlug das Schicksal wieder zu: ein paar Tage vor dem Rennen wurde ich erneut von einem Auto angefahren. Die Untersuchungen im Krankenhaus ergaben außer ein paar Schürfwunden nichts, sodass ich an der Startlinie stand. Heute lache ich darüber, aber damals verspürte ich nach der Hälfte des Schwimmens unheimlichen Durst auf ein Radler. Irgendwas musste also bei dem kleinen Unfall also doch passiert sein …. Nach Klagenfurt bereitete ich mich dann seriös auf den Ironman Kentucky vor. Dort wurde ich Dritter, nach meinem Sieg in 2008 das zweitbeste Ironman-Ergebnis meiner Karriere, um eine Woche später in Wisconsin erneut zu starten. Nach dem erfolgreichen Double wollte ich es dann in Florida wissen. Mit einem knapp zweimonatigen guten Trainingsblock in Clermont reiste ich in den Norden Floridas. Bei ungewöhnlich kalten Außentemperaturen um den Gefrierpunkt – das Schwimmen mit Neo war noch die wärmste Disziplin des Tages – kam ich erst beim Marathon auf Betriebstemperatur. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich ein Hitzetyp bin, und unter normalen Umständen hätte ich diesen Wettkampf auch ausgelassen. Da ich mich aber wenige Tage vorher dazu entschlossen hatte, mit Arizona und Cozumel drei Ironman-Rennen in drei Wochen zu absolvieren, war ein „Did Not Start“ keine Option. Ich zog es einfach durch und freute mich auf die Wärme in Arizona und Cozumel.

Seit 2011 ist es im Triathlonsport um Deine Person ruhiger geworden. Warum?
Nach meinem Triple war ich zwar körperlich nicht wirklich am Ende, mein Kopf hingegen war jedoch völlig leer. Nach der Verletzung und dem langen Aufenthalt in den USA brauchte ich irgendwie Abstand vom Triathlon. Von Anbeginn meiner Profikarriere war mir bewusst, dass ich im Gegensatz zu den ganz großen im Triathlon oder den Fußballern vom Sport nicht leben kann, geschweige denn genügend Geld für die Zukunft zur Seite zu legen. Ich kam ganz gut über die Runden, das war es dann aber auch. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich habe weiterhin trainiert und im Playitas auf Fuerteventura regelmäßig Trainingscamps organisiert. Offiziell habe ich nie zu einem bestimmten Zeitpunkt meinen Rücktritt bekanntgegeben, das war ein schleichender Prozess über einen längeren Zeitraum.

Mittlerweile hast Du Dich im Fitnessbereich, als Mentalcoach und Ernährungsberater etabliert. Wie kam es dazu und welche Rolle spielt dabei noch der Triathlon?
Im Triathlon habe ich meine Wurzeln, insofern wird mich die Kombination der drei Sportarten immer begleiten. Bereits während meiner aktiven Zeit hatte ich mich schon – auch vor dem Hintergrund einiger bereits erlittenen Ermüdungsbrüche – sehr intensiv mit den Möglichkeiten des unterstützenden und präventiven Krafttrainings beschäftigt. All das habe ich in Verbindung mit den Reha-Maßnahmen während meiner eingangs angesprochenen Verletzungszeit intensiviert. Auch wenn einige Trainer und Ausdauersportler das Kraft- und Fitnesstraining häufig als kontraproduktiv bezeichnen, habe ich ganz andere Erfahrungen sammeln dürfen: nach einer langen Saison sehnt sich der Körper geradezu danach, wieder Muskeln aufzubauen, er will etwas anderes machen als immer nur Ausdauer und Ausdauer. Und da der „Otto-Normal-Triathlet“ einer Vollzeit-Beschäftigung nachgeht und auch noch ein wichtiges soziales Leben hat, muss das Training möglichst stressfrei und effektiv integriert werden. Dabei zielt der Ansatz meiner Philosophie darauf ab, dass der Körper nicht binnen weniger Jahre verschlissen wird, sondern so „gefordert“ wird, dass er – auch auf Basis einer gesunden Lifetime-Ernährung – noch bis ins hohe Alter leistungsfähig ist. Nichts wäre schlimmer, als kurzfristige Leistungssteigerungen und Erfolge zu feiern, wenn nach wenigen Jahren aufgrund von Überbeanspruchungen kein Sport mehr möglich ist. Ich möchte die Leute abholen, sie zwar fordern, aber nicht überfordern. Der Sport muss einvernehmlich in die sozialen Strukturen des persönlichen Umfeldes passen.

Fitness- und Triathlonevents von und mit Max Longrée
Homepage Max Longrée

Interview: Klaus Arendt
Fotos: Antoinette Longrée und Kettler (Hometrainer)