Diejenigen unter Euch, die noch wenig Erfahrung im Freiwasser haben, sollten schleunigst das Schwimmbad gegen See, Fluss oder Meer tauschen. Denn nur wer auch das trainiert, was ihn im Wettkampf erwartet, wird keine bösen Überraschungen erleben.
Denn eines ist klar: wer seinem Wettkampfbedingungen so nah wie möglich kommt, kann viele kleine Unsicherheiten ausschließen. Doch bei aller Euphorie endlich wieder ohne Wenden zu schwimmen, es gibt einiges zu beachten. Wir haben unsere Schwimmexperten Erik Felsner und Annette Gasper um Tipps für das Schwimmen in Freigewässern gebeten.
Herr Felsner, welche Gewässer sind grundsätzlich geeignet und welche Sicherheitsmaßnahmen empfehlen Sie? Was ist zu beachten?
Es gibt relativ viele freizugängliche Gewässer, ich rate zu „bekannten“ Gewässern. Das können Strandbäder, bewachte Baggerseen oder auch Badeseen sein. Hier gibt es oftmals gute und abgesperrte Rundkurse. In Köln haben wir auch die Möglichkeit auf der Regattabahn vom Fühlinger See zu schwimmen. Auch für geübte Schwimmer können unbewachte oder unbekannte Gewässer viele Gefahren bürgen, wie Schlingpflanzen, Strömungen, unberechenbare Wassertiefe und so weiter. Hier sollte man die Finger von lassen! Außerdem empfehle ich mindestens zu Zweit zu trainieren und spätestens zu Beginn der Abenddämmerung aufzuhören. Eine gut leuchtende Badekappe hilft, damit Sie von anderen Badegästen, Ruderern oder Booten erkannt werden.
Was muss man beachten, wenn man in einem Fluss oder Meer unterwegs ist?
Strömung, Wellen und Verkehr! Hier muss man sich unbedingt vorher informieren, bevor man einfach so losschwimmt. Aber generell gilt, dass ungeübte Schwimmer zunächst in einem See oder Strandbad üben sollten. Im Meer empfehle ich immer in einer kleinen Bucht anzufangen und zu üben. Außerdem sollten Sie im Meer nicht zu weit raus schwimmen, sondern parallel zum Ufer trainieren.
Frau Gasper, im meist dunkel wirkenden Seewasser, in dem am Rand häufig Schlamm und Schlingpflanzen das Bild prägen, überkommt viele Athleten gerade auf den ersten Metern das Gefühl, keine Luft zum Atmen zu bekommen. Woran mag das liegen und kann man sich davor schützen?
Das liegt häufig an der Wassertemperatur. In aller Regel ist der See nicht mit 26 Grad Celsius warmen Wasser gefüllt wie das Schwimmbad im Winter. Die Atemmuskulatur reagiert auf die kühle Umgebung und es kommt zur Schnappatmung. Daher ist es ratsam, einen Neoprenanzug zu tragen, um sich vor der Kälte zu schützen. Jedoch sollten Sie sich bei jedem Freiwasserschwimmen schön langsam an die Wassertemperatur gewöhnen. Bleiben Sie vor dem Losschwimmen zunächst zwei Minuten im Wasser stehen und lassen Sie etwas Wasser in den Neo laufen. Dies wird durch die Körpertemperatur recht schnell erwärmt und hält Sie warm. Und dann kann es auch schon losgehen.
Gerade zu Beginn der Freiwasserzeit bieten viele Geschäfte und Neoprenhersteller kostenloses Testschwimmen an. Was halten Sie als Schwimmtrainerin davon?
Dies ist eine ideale Möglichkeit, erste Erfahrungen in der zweiten Haut zu sammeln beziehungsweise herauszufinden, welcher Neo am besten zu einem passt. Ein angenehmer und nicht zu unterschätzender Nebeneffekt ist natürlich der Auftrieb, weshalb gerade weniger gute Schwimmer mit einer schlechten Wasserlage sehr stark von einem Neo profitieren.
Um ihn am liebsten nie wieder ausziehen zu wollen.
Das mag stimmen, aber verlassen Sie sich nicht zu sehr auf die Schwimmhilfe, denn das nächste Rennen mit Neoverbot kommt bestimmt. Feilen Sie bei allen Vorteilen, die Ihnen ein Neo auch bringen mag, stets an Ihrer Schwimmtechnik, denn nur diese stellt letztendlich ein gutes Ergebnis in der Auftaktdisziplin sicher.
Hinsichtlich der Orientierung hört man immer wieder die scherzende Frage nach der fehlenden schwarzen Linie. Kennen Sie gute Übungen um die Orientierung zu trainieren?
Erik Felsner: Orientierungsschwimmen ist eine eigene Technik. Es gibt aber verschiedene Varianten und jeder sollte sich mit den verschiedenen Varianten auseinandersetzen, um für sich festzustellen, womit er am besten zu recht kommt. Eine gute Methode die Orientierung zu üben ist das wasserballkraulen. Hierbei bleibt der Kopf komplett über Wasser. Man kann auch einen Mix aus Wasserball-Kraul und normalem Kraul schwimmen, z.B. 1 Minute Kraul + 10 Sekunden Wasserball-Kraul. Um sich an das Orientierungsschwimmen zu gewöhnen, kann man die Technik auch im normalen Schwimmbecken üben.
Annette Gasper: Als Schwimmtrainerin liegt mir immer sehr viel daran, den Kopf beim Kraulschwimmen hängen zu lassen und zum Boden des Schwimmbeckens zu schauen. Die Wasserlage ist ausgezeichnet und es schwimmt sich einfach besser. Diese Technik ist für den See ideal, denn egal wie sehr ich den Kopf anheben würde, in der meist trüben Brühe sehe ich so oder so nicht viel. Die Orientierung kann am besten mit der Atmung verbunden werden. Am einfachsten gelingt dies natürlich in einem Kanal. Beim Atmen können Sie sich an beiden Seiten am Ufer orientieren und Ihre Richtung dahingehend kontrollieren, ob Sie noch geradeaus schwimmen. Im See und einem Wettkampf mit (vielen) Bojen hat sich durchgesetzt, den Kopf direkt vor dem Atmen so weit aus dem Wasser zu heben, dass man nach vorne schauen kann. Der Mund bleibt dabei im Wasser. Es ist nur ein kurzer Moment, der dem Athleten zum Orientieren bleibt. Danach wird der Kopf zur Seite gedreht und eingeatmet. Diese Technik sorgt dafür, dass Sie das Orientieren wunderbar in den Zug integrieren können, ohne dabei Geschwindigkeit zu verlieren und ohne aus dem Schwimmrhythmus zu kommen. Und wenn Sie beim Orientieren einmal nichts gesehen haben, kein Problem, dann versuchen Sie es vor dem nächsten Einatmen einfach noch einmal.
Herr Felsner, gibt es Unterschiede hinsichtlich Schwimmtechnik mit oder ohne Neo? Machen Technik-Übungen mit Neo Sinn?
Der Hauptunterschied ist die erhöhte/verbesserte Schwimmlage mit Neo. Hauptsächlich die Beine liegen höher im Wasser und die Füße kommen beim Beinschlag höher aus dem Wasser. Wenn die Füße zu weit aus dem Wasser kommen, wird der Beinschlag ineffizient. Man muss also üben mit Neo einen funktionalen Beinschlag beizubehalten. Technikübungen mit Neo lasse ich nicht schwimmen, die gehören ins Schwimmbecken. Es macht aber durchaus Sinn Frequenzschulungen mit Neo durchzuführen und am Zyklusweg zu arbeiten. Verhältnis von Frequenz und Zyklusweg können mit Neo durchaus anders sein, als ohne Neo. Jeder Schwimmer muss für sich das optimale Verhältnis finden.
Kann man die Starts und Landgänge simulieren (Land- bzw.Wasserstart)?
Ja, erkunden Sie das Trainingsgebiet. Sie finden oftmals optimale Stelle, wo Sie Starts und Landgänge simulieren können. Und dies ist auch sinnvoll. Starts können Sie am besten in einer Gruppe üben, um die Wettkampf-Situation besser nachzustellen.
Frau Gasper, worauf sollte man noch beim Freiwasserschwimmen achten?
Tragen Sie immer eine helle Badekappe. Dies dient vor allem Ihrer Sicherheit. Sie werden deutlich besser von anderen Schwimmern, dem Rettungsdienst und anderen Nutzern des Sees wie Surfern und Seglern gesehen. Der zweite Vorteil der Badekappe ist, sie hält warm. Da das Gehirn immer gut durchblutet ist, verliert der Mensch über den Kopf und insbesondere die Stirn die meiste Wärme. Gerade wenn das Wasser noch frisch ist, werden Sie den Vorteil der Badekappe deutlich merken. Auf eine Schwimmbrille können Sie dagegen auch gerne einmal verzichten. Da kein Chlor im Seewasser ist, brennen die Augen auch nicht.
Das Training im See ist abgeschlossen. Atmung und Orientierung stellen kein Problem mehr dar. Der Wettkampf kann kommen. Und mit mir stehen 800 andere Athleten an der Startlinie. Wo sollte ich mich einordnen?
Schauen Sie sich zunächst die Location an. Wo stehen die meisten Mitstreiter? Und wo die wenigsten? Wie weit ist die erste Boje entfernt? Handelt es sich um eine Rechts- oder eine Linkskurve? Dann mache ich mir einen Plan. Wenn ich ein guter Schwimmer bin und schnell anschwimmen kann (100 Meter unter 1:30 Minuten), dann kann ich mich im ersten Drittel platzieren. Am besten da, wo am wenigsten Leute stehen. Dann habe ich Platz in Ruhe zu schwimmen und bekomme keine Schläge und Tritte ab. Als schlechterer Schwimmer wähle ich eine ähnliche Taktik. Jedoch ordne ich mich im mittleren und hinteren Drittel des Feldes ein, um nicht überschwommen zu werden. Simulieren Sie hierzu mit Ihrer Trainingsgruppe im Schwimmbad auf einer abgesperrten Bahn einen „Massenstart“. Eine realistische Selbsteinschätzung garantiert in aller Regel einen guten Rennbeginn.
Der Wettkampf ist im vollen Gange. Bringt das Schwimmen im Wasserschatten etwas beziehungsweise welche Gefahren birgt es?
Wenn man bei einem größeren Starterfeld den „Überlebenskampf“ auf den ersten Metern überstanden hat, sortiert sich das Feld recht schnell und um einen herum schwimmen alle im gleichen Tempo. Dann heißt es, sich schnelle Füße eines Vordermanns zu suchen. Denn im (regelkonformen) Wasserschatten spart man bis zu 30 Prozent an Krafteinsatz. Jedoch sollte man der Fairness halber seinem Vordermann nicht permanent auf die Zehen hauen. Wenn man schneller ist, einfach vorbeischwimmen. Für den „Vorschwimmer“ ist es nämlich extrem nervig, wenn man andauernd an den Füßen „gekitzelt“ wird. Allerdings sollte man beim Wasserschatten nicht das Thema Orientierung aus den Augen verlieren. Vertraue niemals darauf, dass der Schwimmer vor dir den direkten Weg kennt. Sollte er einen Umweg anstreben, dann lasse ihn ziehen und wähle die kürzeste Strecke.
—-
Erik Felsner kommt aus dem Schwimmleistungssport und ist seit 2008 im Besitz der Trainer-A-Lizenz im Schwimmen, der höchsten Ausbildungsstufe als Trainer im Deutschen Schwimmverband. Seit 2008 arbeitet Erik Felsner unter dem Namen „ef-sports“ als freiberuflicher Schwimmtrainer mit dem Schwerpunkt Triathlon. Seitdem beschäftigt er sich intensiv mit der Besonderheit „Schwimmen im Triathlon“. Erik Felsner bietet unter anderem Schwimm- und Triathlonseminare in Ratingen (Tagesseminare) und in Hennef an (Wochenend-Seminare).
Annette Gasper hat mit vier Jahren mit dem Schwimmen begonnen und bereits mit 14 Jahren als Trainerin in Kindergruppen gearbeitet. Sie hat ein Sportstudium M.A. Sportökonomie in Darmstadt absolviert und besitzt die B-Lizenz für Trainer des Deutschen Schwimm Verbandes. swimpower.de