Warum schaffen wir es häufig nicht, unsere sportlich gesteckten Zielen zu erreichen? Es hängt meist nicht mit der körperlichen Konstitution zusammen, sondern oft mit einer fehlenden Strategie. Jörg Schneider bringt es auf den Punkt.
Einige Kollegen kennen mich als „Triathleten der ersten Stunde“, aber wenige wissen, womit ich meine Brötchen verdiene. „Im richtigen Leben“ bin ich Kommunikationstrainer für die Wirtschaft und helfe Menschen – meist angestellte Manager in Großunternehmen – noch besser herausfordernde Gesprächssituationen zu meistern. Daneben bin ich Coach und helfe Menschen bei ihrer individuellen Zielerreichung.
Psychologische Tiefen
Letzteres geht dann regelmäßig in die psychologische Tiefe. Womit wir beim Thema dieses Artikels sind. Seit vielen, vielen Jahren beobachte ich nämlich ein interessantes Phänomen: Ich kenne sehr viele Athleten, die sich gerne einmal für die Ironman-Weltmeisterschaft in Kona qualifizieren würden, aber nur sehr wenige, die das auch tatsächlich schaffen. „Okay,“ mag jetzt der eine oder andere einwenden, „das ist ja auch nicht so einfach.“
Alternative Strategien?
Zugegeben, eine Kona-Qualifikation ist sicher nicht für Jedermann. Was mir aber als geschultem Spezialisten für den internen wie auch externen Dialog auffällt, ist folgendes:
Einerseits trainieren tausende Triathleten wie die Irren, setzen Unmengen an Ressourcen (Zeit, Geld, Entbehrung, etc.) ein, um sich diesen Traum von Kona wenigstens einmal im Leben zu erfüllen. Andererseits zeigen sie sich erstaunlich beratungsresistent, wenn es um alternative Strategien geht. Und: Ich kenne unzählige Kollegen, die es prinzipiell zumindest rein körperlich drauf hätten, es jedoch ein um’s andere Jahr nicht schaffen und nachvollziehbar völlig frustriert sind.
An dieser Stelle möchte ich kurz ins Gedächtnis rufen, was eine Strategie ist:
Unter Strategie werden die (meist langfristig) geplanten Verhaltensweisen zur Erreichung von (fremd- oder selbstgesteckten) Zielen verstanden.
Hiernach gehen die allermeisten Menschen nicht besonders strategisch in ihrem Leben vor – generell – aber vor allem auch in Bezug auf ihr geliebtes Hobby Triathlon. Das zeigt sich auf drei Ebenen:
• Ebene 1: Ganz klassisch wird der Hauptfokus auf greifbare Dinge („Sachen“, Ausrüstung) gelegt und weniger auf immaterielle Dinge. Dieses Phänomen können wir auch in vielen anderen Bereichen unseres Lebens erkennen. Das, was man begreifen kann ist uns irgendwie näher als das „Unbegreifbare“. Zudem hat alles, was mit Emotionen oder Psychologie zu tun hat, bei vielen von Beginn weg einen schweren Stand.
Beispiel: In das neue, umwerfend schöne und (sicher) sehr schnelle Zeitfahrrad wird eher investiert, als in die persönliche Weiterentwicklung als Mensch (z.B. Mentaltraining).
• Ebene 2: Es wird nur auf die physische (körperliche) Ebene geschaut. Alles andere, was mich auch noch als Mensch auszeichnet (hier seien an dieser Stelle vor allem mentale und emotionale Komponenten erwähnt), wird oft ausgeblendet.
Beispiel: „Wenn ich es jetzt beim fünften Versuch immer noch nicht nach Kona geschafft habe, muss ich einfach nur noch mehr trainieren, mehr Trainingslager einschieben.“
• Ebene 3: Die körperliche Leistung ist leichter messbar. Einfach das Ergebnis des letzten 10km-Laufs hernehmen. Oder man gönnt sich einen Wattmesser (siehe Ebene 1) und wirft einen klaren Blick darauf. Mentale Fähigkeiten kommen vielen Kollegen gar nicht erst in den Sinn.
Das ist einigermaßen erstaunlich. Denn, wenn man die Top-Leute fragt, wer denn nun Kona gewinnt, kommt regelmäßig welche Antwort? Genau! „Der, der am Tag x am klarsten in der Birne ist.“ Die Antwort der Spitzenprofis lautet praktisch nie „der, der am meisten trainiert hat“ oder „der, mit dem tollsten Zeitfahrrad.“ Praktisch nie!
Inkompetenz ist normal
Hinzu kommt ein Problem, das den meisten nicht bekannt ist: Der Kompetenzkreis. Nicht zufällig beginne ich praktisch jedes Seminar damit. Er sieht wie folgt aus: Am Anfang steht immer die „unbewusste Inkompetenz“. Das hört sich jetzt vielleicht recht dramatisch an, ist es aber bei genauem Hinsehen gar nicht. Fakt ist: Wir alle sind in den meisten Themen unbewusst inkompetent – wir haben keine Ahnung und sind uns dieses Umstandes nicht einmal bewusst. Oder kennst du dich mit dem Sexualverhalten der Einsiedlerkrebse aus? Eben.
Exzellenz bedeutet lebenslanges Lernen
Schritt 1 bei der persönlichen Weiterentwicklung ist also immer, sich dieser Inkompetenz bewusst zu werden. Erst dann kann ich mich öffnen für Veränderung, für Wachstum, für Lernen. Dann kommen Trainings- oder allgemein Handlungsalternativen ins Spiel: Was kann ich machen, um in Zukunft (noch) kompetenter, noch erfolgreicher im Thema x zu werden? Und schließlich kommen wir an die Stelle, wo wir schon wieder unbewusst – aber eben kompetent – sind. Ein Spitzenschwimmer muss sich eben nicht bei jedem Kraulzug die korrekte Handstellung bewusst machen. Das heißt jedoch nicht, dass er das nie mehr machen muss, weil er es ein Mal unbewusst kompetent drauf hat. Gerade die Spitzenkräfte sind sich bewusst, dass Exzellenz lebenslanges Lernen bedeutet.
Zurück zum Thema: Was uns allen beim körperlichen Training – Schwimmen, Radfahren, Laufen – vollkommen bewusst ist, ist den wenigsten bewusst, wenn es um mentales und emotionales Selbstmanagement geht.
Und wann fallen die Dinge auseinander? Wann geben Athleten auf? Natürlich tut es weh! Denken wir wirklich, dass es bei Frodo, Sebi & Co. nicht weh tut? Natürlich tut es das! Die Frage ist also nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – wie ich es schaffe, dass es nicht mehr weh tut – die Frage ist vielmehr: Wie gehe ich damit um, dass es weh tut?
Bin ich vorbereitet auf den Moment, wenn es beginnt, weh zu tun? Wenn das große Leiden beginnt …. denn das wird es unweigerlich.
Dieser Artikel soll lediglich eine erste Sensibilisierung mit dem Thema ermöglichen. In Teil 2 und 3 geht es dann ans Eingemachte: Was können wir selbst konkret tun, um Themen wie Selbstregulierung, Visualisierung, emotionale Selbstkontrolle etc. erstens auf dem Schirm zu haben, zweitens praktisch anwendbare Trainingsmethoden zu kennen und drittens gezielte Strategien für den Umgang in einer (kritischen) Rennsituation abrufen zu können.
Text: Jörg Schneider
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