Sebastian Kienle
„Die Zeche zahlt man immer zeitverzögert!“

Laufen_Kona-2015_Laufen_03Nach seinem achten Platz beim Ironman Hawaii 2015 war es ruhig um Sebastian Kienle geworden. Was ihm aber nicht ganz unrecht war, wie wir in einem sehr ehrlichen Interview mit dem 31-Jährigen erfahren haben.

 

2015 hast du eine ordentliche Saison mit den zwei zweiten Rängen in Frankfurt und Zell am See abgeliefert. Die erhofften Ausreißer nach oben sind allerdings ausgeblieben, und dein achter Platz auf Hawaii war sicher nicht zufriedenstellend für dich. Wie sehr hängt die vergangene Saison noch nach und wie fällt dein persönliches Fazit aus?
Natürlich will man als Sportler immer noch besser werden, immer noch einen drauflegen. Aber je weiter man nach oben kommt, desto schwieriger wird das. Natürlich messe ich mich an den Ergebnissen von 2014. Doch zu der Tatsache, dass es im Leistungssport auf diesem Niveau oft Kleinigkeiten sind, die über Sieg oder Niederlage entscheidend, habe ich auch lernen müssen, zu manchen Sachen Nein zu sagen. 2015 hat mir überall ein bisschen etwas gefehlt. In der ersten Jahreshälfte waren das sicher einige Trainingsstunden. In der zweiten Hälfte mangelte es an der Umsetzung. In Zell am See und in Kona war ich mit meiner Form sehr zufrieden, aber nicht mit dem, was ich daraus gemacht habe. Mein Fazit ist daher: es war sicher kein schlechtes Jahr, aber eben auch keines, mit dem ich zufrieden sein kann.

Konntest du genau analysieren, was dir gefehlt hat, um ganz oben zu stehen? Oder ist Jan Frodeno einfach eine Übermacht, gegen die momentan nichts auszusetzen ist?
In Frankfurt war Jan ganz klar eine Übermacht, da hätte ich nichts ausrichten können, auch wenn alles zu 100 Prozent funktioniert hätte. In Zell am See und in Kona sehe ich das anders. Ich war in Zell am See viel näher dran, als ich gedacht habe, da hat vielleicht auch ein bisschen der Glaube an mich selbst gefehlt. In Kona hat Jan natürlich verdient gewonnen, aber nicht mit einer übermenschlichen Leistung. Das sagt sich aber ein paar Monate später immer leicht. An dem Tag war er für mich eben trotzdem übermenschlich. Ich weiß, dass ich noch Potenzial habe, das muss ich aber auch ausnützen. Jan wird erst in den nächsten ein, zwei Jahren sein volles Potenzial auf der Langdistanz entfalten. Die genaue Analyse hat nur ergeben, dass es am Ende die Summe vieler kleiner Fehler oder Probleme waren, die dazu geführt haben, dass es nicht mein bestes Rennen auf Hawaii war ­– von mangelnden Grundlagenkilometern im Frühjahr über ein paar orthopädische Probleme bis hin zu taktischen Fehlern im Wettkampf.

Was sagst du zu folgendem Spruch: Es ist schwieriger nach ganz oben zu kommen, als oben zu bleiben. Warum ist das so?
Das ist ähnlich, wie wenn man jemanden, der vor einem fährt, überholt. Man hat ein Ziel vor Augen, dann hat man das Ziel erreicht, niemand ist mehr vor einem und die Motivation ist vielleicht weg. Auch die Begleiterscheinungen eines großen Sieges spielen eine Rolle: die Aufmerksamkeit steigt, man hat mehr Termine, man möchte den Erfolg aber auch irgendwie genießen. Da ist es manchmal nicht ganz einfach, die Balance zu halten. Hinzu kommt, dass man im Triathlon gleich „bestraft“ wird, wenn man ein paar Einheiten ausfallen lässt, und diese Zeche zahlt man immer zeitverzögert. Gleichzeitig hat man natürlich selber eine ganz andere Erwartungshaltung. 2015 habe ich mir definitiv mehr Druck gemacht.

Jan Frodeno hat sportlich und medial alles letztes Jahr abgesahnt, was es zu holen gab. Wie ruhig war es – aus medialer Sicht – bei dir nach Hawaii?
Extrem ruhig! Aber ich muss ehrlich sagen, ich habe das genossen.

Jan Frodeno hat die Zeit nach Hawaii – auch durch den Bambi und die Wahl zum Sportler des Jahres – perfekt genutzt, um auf sich und den Triathlon-Sport aufmerksam zu machen. Du bist nach deinem Hawaii-Sieg – nach außen hin zumindest – einen anderen Weg gegangen, warst beispielsweise eine Woche nach deinem Sieg nicht im Sportstudio. Würdest du, rückblickend betrachtet, heute einiges anders machen?
Es ist schon lustig, selbst bei einem Interview mit mir, fiel der Name „Jan Frodeno“ bereits in der zweiten Frage. Für den Sport und auch für mich ist der (mediale) Erfolg von Jan sehr positiv. Jan ist einfach eine super Werbung für unseren Sport, es gibt sicher kaum einen besseren Repräsentanten als Jan.
Zum zweiten Teil der Frage: Ich muss sagen, dass ich gar nichts bereue. Im Gegenteil –  ich hätte hier und da noch mehr absagen sollen. An die Woche Urlaub nach meinem Hawaii-Sieg mit meiner Frau kann ich mich in 30 Jahren noch erinnern. Das war einfach eine super Zeit. Das würde ich nicht gegen 100 Auftritte im Sportstudio eintauschen!

SebastianKienle_race_02_tritime-online.deDu hast einmal gesagt: „Beurteile, dein Leben nicht nach deinen schlechten Tagen, sondern nach den besten.“ Sagt sich so etwas leichter, wenn man auf der Erfolgswelle schwimmt? Wie sah es letztes Jahr gefühlstechnisch vor und nach Hawaii in dir aus?
Das habe ich 2014 ganz bewusst gesagt, weil ich nach dem 70.3-Rennen in Mont Tremblant so extrem enttäuscht war. Aber klar, es ist immer leicht, einen Ratschlag zu geben wie „das Leben ist toll, genieße jeden Tag …“, wenn es gerade super läuft. Umso wichtiger ist es, Erinnerungen an Siege zuzulassen und zu genießen. Ich habe in der Vergangenheit fälschlicherweise die Einstellung gehabt, dass mich das langsam und satt macht.

Warst du letztes Jahr vor Hawaii schon mental ausgebrannt von der Saison? Hast du überhaupt noch selbst geglaubt, dass du es schaffen könntest oder waren die Zweifel zu groß?
Mir hängen Niederlagen sicherlich deutlich länger nach als es vielleicht gut ist. Ausgebrannt war ich aber nicht, das habe ich in den Wochen vor dem Rennen gemerkt.

Wie gehst du mit folgender Erkenntnis um: Wenn man etwas zu sehr will, frisst es einen auf. Im Sport kommen gute Ergebnisse aus 95 Prozent körperlicher Form, 110 Prozent mentale Stärke und 5 Prozent Locker- und Gelassenheit zustande.
Das ist immer schwierig zu beurteilen, weil jeder Athlet anders ist. Es gibt viele, die ohne 100 Prozent körperliche Fitness keine 110 Prozent mentale Stärke erreichen. Aber für mich gilt das sicher. Ich hatte schon ein paar Rennen, bei denen ich mich in hundertprozentiger körperlicher Form gewähnt habe, aber einfach mental nicht stark genug war, alles zu geben. Kona 2015 war sicher so ein Rennen.

Wie sieht es für 2016 aus. Hat dich deine „Krise“ stark gemacht?
Der Begriff „Krise“ ist – so glaube ich – eine Beleidigung für die Sportler, die wirklich mal eine solche hatten. Ich würde eher sagen, frag mich in zwölf Monaten wieder. Oft liest man ja so einen Satz wie „ich habe viel gelernt …“, aber das ist eigentlich Quatsch. Die meisten Sachen, die ich meiner Meinung nach falsch gemacht habe, konnte man vorher wissen. Ich weiß aber wie gesagt, dass es noch ein paar Schrauben gibt, an denen ich drehen kann und es noch ein paar Steine gibt, die ich noch nicht umgedreht habe. Dabei werde ich aber trotzdem meiner Linie treu bleiben, weil diese insgesamt betrachtet, immer erfolgreich war.

Wie bist du durch den Winter gekommen und wie sehen die Pläne für diese Saison aus?
Der Winter lief wirklich sehr gut. Ich war zweimal für drei Wochen auf Fuerteventura und gehe jetzt für die ersten Rennen und ein weiteres Trainingslager in die USA. Die Probleme mit meiner Achillessehne bekommen wir immer besser in den Griff, sodass ich zwar zum Saisonauftakt in Oceanside sicher noch nicht zu 100 Prozent fit sein werde, aber ich denke, ab dem Ironman 70.3 in St. George könnt ihr mich wieder auf der Rechnung haben.

Vielen Dank Sebi, wir wünschen dir für 2016 maximalen Erfolg!

Interview: Meike Maurer
Fotos: Mirko Lehnen und Klaus Arendt