Wenn Stefan Lösler sportlich-dynamisch einen Raum betritt, merkt man zunächst nicht viel von seinem Handicap. Er ist immer gut gelaunt, grinst bis hinter beide Ohren und macht den Anschein, als ob er niemals mit seinem Schicksal hadern würde, und dennoch: Stefan Lösler ist oberschenkelamputiert.
Vor mehr als vier Jahren – am 6. Juni 2010 – veränderte ein verhängnisvoller Unfall schlagartig das Leben von Stefan Lösler. Der gebürtige Schwabe aus dem Kreis Esslingen hatte nachts in Graz eine Autopanne. Noch während er am Straßenrand das Warndreieck aus dem Kofferraum holte, fuhr ihn ein stark alkoholisierter Autofahrer einfach über den Haufen. Der heute 29-Jährige, der im Januar seinen 30. Geburtstag feiert, lag daraufhin drei Tage im Koma. Sein linkes Bein war bei dem Aufprall derart in Mitleidenschaft gezogen worden, dass der Unterschenkel samt Kniegelenk amputiert werden musste. Ganze 15 Operationen musste der sympathische Lockenkopf über sich ergehen lassen. Heute endet sein linkes Bein mit dem Oberschenkel. Eine Prothese ersetzt sein fehlendes Bein. Den Lebensmut und die Begeisterung, ambitioniert Sport zu treiben, hat er jedoch nie verloren. Im Gegenteil: Früher hat der Snowboardlehrer Triathlon als Hobby betrieben, heute ist es deutlich mehr.
Ich war ein Morphium-Junkie
„Nach dem Unfall war ich am Anfang quasi dauerstont“, erinnert sich der studierte Toningenieur, der derzeit im österreichischen Graz wohnt, lachend. „Ich war ein Morphium-Junkie, um die Schmerzen ertragen zu können. Nach der Behandlung musste ich erst einmal einen Entzug machen. Noch immer leide ich unter Phantomschmerzen. Ich habe das Gefühl, als ob mein fehlendes Bein noch da wäre. Dabei kann ich meine Zehen in Höhe des Knies spüren. Das ist wirklich schlimm, aber es ist viel viel besser geworden. Ein halbes Jahr dauerte der Prozess, bis sich die Muskeln an die neue Situation ohne Unterschenkel angepasst hatten und die Schmerzen besser wurden. Auch der Beinstumpf war zunächst sehr empfindlich und reagierte auf häufigen Druck der Prothesen mit Entzündungen. Und dennoch hatte ich immer auch Glück. Von Anfang an bekam ich ein sehr gutes Prothesenknie. Ich hatte einen guten Reha-Aufenthalt im Allgäu und konnte sechs Wochen später wieder gehen. Das Laufen mit Prothese ist gar nicht einfach, man muss es wieder komplett neu lernen “, beschreibt der heutige Paratriathlet die Zeit nach dem Unfall. Was heute so einfach klingt, war für den sportlichen jungen Mann eine harte und sehr schmerzvolle Zeit mit vielen traurigen Momenten. Und doch hat Stefan Lösler nie den Kopf hängen lassen.
Fünf verschiedene Prothesen
Heute besitzt Stefan fünf verschiedene Prothesen – eine mikroprozess- gesteuerte für den Alltag und je eine zum Joggen, zum Rennradfahren, zum Mountainbiken und zum Snowboarden. „Das ist ein großer Luxus für mich, und ich weiß das wirklich sehr zu schätzen, welche Möglichkeiten ich dadurch habe. Ich habe sozusagen die Rolls-Royce-Ausstattung an Prothesen zu Hause stehen“, erklärt Stefan und krempelt dabei die Hose hoch, um die Technik seiner elektronischen Alltagsprothese besser erklären zu können. Er ergänzt: „Das schnelle Rennen mit Prothese ist ein komplexer Bewegungsablauf. Das Bein wird durch eine Feder nach vorne gezogen, dadurch kann man im Schotter oder bei Unebenheiten leicht hängenbleiben und stolpern. Es gehört viel Übung dazu, eine fließende Bewegung hinzubekommen. Zudem bringt die beste Prothese nichts, wenn der Sportler vergisst, regelmäßig Übungen zur Rumpfstabilisation zu machen, denn nur dann kann die Bewegung rund werden.“ Nach einem langen und zähen Kampf bezahlt Stefans Versicherung übrigens alle seine Prothesen, was nicht selbstverständlich ist.
Sportlich eine Bank
Die Saison 2014 war für Stefan von Anfang bis Ende ein wahnsinniges Erlebnis und zudem extrem erfolgreich. Gleich im März ging es für den Schwaben, der im Winter auch noch für Deutschland mit dem Snowboard unterwegs ist, nach Sotschi. Als erster und einziger deutscher Snowboarder ging der 29-Jährige bei den Paralympics in dieser Disziplin an den Start. „Das war für mich natürlich eine Riesenehre, für Deutschland ins Rennen zu gehen, gleichzeitig auch ein sehr bewegender Moment“, sprudelt es aus dem Strahlemann heraus, „und natürlich würde ich alles gerne noch mal in Rio de Janeiro wiederholen, denn da wird zum ersten Mal Paratriathlon olympisch sein.“
Das Jahr ging für Stefan Lösler ebenso rasant weiter, wie es begonnen hatte: Er qualifizierte sich für die EM in Kitzbühel, die Crosstriathlon-Weltmeisterschaft in Zittau und die Triathlon-WM im kanadischen Edmonton. Ein beeindruckendes Programm mit zahlreichen Topleistungen. Ganz ohne Spuren ging die Mammut-Saison allerdings auch nicht an Stefan vorbei. Aufgrund der hohen Belastung für das gesunde Bein kämpft er seit August mit einer Überlastung des rechten Sprunggelenks. „Das war nach dem Rennen in Edmonton so schlimm, dass ich nicht mehr auf dem Bein stehen konnte“, erklärt der junge Mann, der neben dem ganzen Wettkampfstress auch noch sein Studium der Elektrotechnik im Sommer erfolgreich beendet hatte.
Aber Stefan wäre nicht Stefan, wenn er nicht sofort optimistisch erklären würde: „Die Verletzung bekomme ich aber sicherlich bis Weihnachten wieder in den Griff.“ Und er ergänzt: „Wenn ich jetzt noch einen Arbeitgeber finde, der für meinen Sport Verständnis hat, ist alles perfekt. Denn ein bisschen mehr finanzielle Mittel für die Reisekasse wären künftig auch noch gut.“
Aus sportlicher Sicht ist Stefan Lösler allerdings heute schon einen wichtigen Schritt weiter. Aufgrund seiner durchgehend guten Leistungen in der vergangenen Saison wird er ab 2015 dem B-Kader der Paratriathleten angehören. „Ich freue mich schon sehr auf unser erstes Testtraining mit allen Athleten und dem Trainerteam im Januar“, erklärt er zufrieden. „Hier werde ich auch das erste Mal persönlich unseren neuen Cheftrainer Tom Kosmehl kennenlernen, der uns auf dem Weg nach Rio gemeinsam mit der stellvertretenden Cheftrainerin Nadine Mielke begleiten wird.“
Text: Meike Maurer
Fotos: Ralf Graner
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