Vorfreude auf die trainingsfreie Zeit

In den letzten Jahren meiner sportlichen Laufbahn mied ich einen Start auf Hawaii. Die äußerlichen Umstände waren mir nicht gerade auf den Leib geschnitten, außerdem gibt es nichts Schlimmeres, als das letzte und für die Szene wichtigste Rennen der Saison mit einem „did not finish“ oder einem unbefriedigenden Resultat zu beenden. Stattdessen suchte ich mir andere Veranstaltungen aus. Auch wenn meine Ergebnisse dort nicht immer die allerbesten waren, interessierte dies, im Gegensatz zu Hawaii, im Prinzip niemanden und ich konnte „sorgenfrei“ der trainingsarmen Zeit entgegensehen.

Die Vorfreude auf die Saisonpause war immer sehr groß. Für mich bedeutete dies ganze sechs Wochen ohne Bewegung. Ein Freund beruhigte mich immer mit den Worten „je mehr Trainingsjahre, desto mehr Pause“. Vergleichsweise mit einem Angestellten, der seinen Jahresurlaub am Stück nimmt. Auf den ersten Blick mag dieser Zeitraum recht lang erscheinen – vor dem Hintergrund von 18 (!) Trainingsjahren waren sechs Wochen jedoch mehr als angebracht. Genügend Zeit und Raum zum Abschalten. Diese Auszeit benötigte ich, um mich vor allem mental wieder zu regenerieren. Aus sportlicher Sicht tat ich nichts. Gar nichts. Ich ging noch nicht einmal zum Schwimmen. Fahrrad und Laufschuhe verstaubten in der Ecke. Auch um andere Sportarten machte ich einen großen Bogen. Es war die Zeit, in der unser Hotel für sechs Wochen wegen Betriebsurlaub geschlossen war. Ich genoss es, im Kreis der Familie gemeinsam zu essen. Die gemütlichsten Wochen des Jahres. Alle Energiereserven wurden aufgefüllt. Körper und Geist konnten sich schön langsam an die Vorweihnachtszeit mit all ihren Köstlichkeiten gewöhnen.

Sechs Wochen – Sechs Kilogramm
Sechs Wochen Pause bedeuteten aber auch mindestens sechs Kilogramm Gewichtszunahme. Besonders schwierig war danach der Einstieg in den Trainingsalltag. Skilanglauf war für mich ideal. Ich kontrollierte nicht wie gewohnt jede Trainingseinheit mit der Stoppuhr und konnte meine anfangs sehr ruhige Geschwindigkeit auch nicht so genau einschätzen. Erfahrungsgemäß dauerte meine Eingewöhnungsphase genauso lange wie die Pause selbst. Bis ich vom Gefühl her wieder eine einigermaßen ordentliche Grundlage zu haben schien, glaubte ich immer, alles verlernt zu haben und fühlte mich vermutlich schlechter als jeder Hobbysportler.

Neue Wege
Gut erinnere ich mich noch an den Saisonaufbau vor meinem ersten Sieg beim Ironman 2003 in Frankfurt. Im Gegensatz zu den sieben vorherigen Jahren, in denen ich immer in Neuseeland nach dem Prinzip „viel hilft viel“ etliche Trainingskilometer sammelte, brachte ich im Winter 2002/2003 den Mut auf, blieb in Deutschland und ging neue Wege.Glücklicherweise verfügen wir in den Bergen rund um Bad Reichenhall über tolle Wintersportmöglichkeiten. Trotz der Sorge vor einem erhöhten Verletzungsrisiko flammte nach jahrerlanger Abstinenz meine alte Liebe zum Wintersport wieder auf. Zwischen Oktober und Mitte März übte ich mich in Geduld und fuhr keinen einzigen Kilometer auf meinem Rad. Neben intensivem Laufen und Schwimmen machte ich vor allem das, was man halt im Winter bei uns so machen kann. Skilanglauf. Skifahren. Schlittschuhlaufen. Und genau dies verhalf mir zu neuem Schwung.

Null Radkilometer
Mein erstesTrainingslager bestritt ich dann Mitte März mit Thomas Hellriegel und Markus Forster auf Teneriffa. Auf der größten Kanareninsel die Form für die anstehende Saison zu holen bedeutet, fast jeden Tag von Meereshöhe hinauf in die Cañadas zum Fuße der höchsten Erhebung Spaniens, dem Pico del Teide, zu fahren. Zehn Tage später, tausende von Höhenmetern in den Beinen, war, nicht nur zu meiner eigenen Verwunderung, meine Form schon besser als die meiner beiden Begleiter. Und das mit null Radkilometern im Vorfeld. Eine neue Erfahrung dabei war auch, dass ich, der seine Rennen normalerweise in Badehose bestritt, lediglich mit dem langen Sitzen auf dem Sattel zu kämpfen hatte.

Fazit
In den ersten Jahren meiner Profilaufbahn schrieb ich Trainingsstunden, absolvierte Kilometer, überwundene Höhenmeter, Wattleistungen und so weiter akribisch auf. Am Ende eines jeden Monats oder Jahres verglich ich die Daten mit der vergangenen Dokumentationsperiode. Ich war so auf die Werte und Umfangssteigerungen fixiert, dass ich schlichtweg vergaß, weitere Sportarten oder neue Trainingsreize in das Training einzubauen. Je länger ein Athlet „seine Sportart“ betreibt, umso schwieriger wird es, die Leistung auf einem hohen Niveau zu erhalten, geschweige denn, diese zu steigern. Wahrscheinlich liegt das Problem darin, dass das Erlernen von etwas Neuem und das Verlassen der gewohnten Wege nicht wirklich cool erscheint. Bei Null anfangen bedeutet aber auch, nicht so schnell unterwegs zu sein wie gewohnt. Und langsam ist für viele gleichbedeutend mit schlecht und somit nicht gut für die Psyche.

Mit ein wenig Abstand auf meine aktive Zeit bin ich mir heute sicher, dass ich ohne dieseTrainingsumstellung die letzten Jahre meiner Karriere bei Weitem nicht mehr so erfolgreich gewesen wäre. Ich wünsche allen Lesern viel Spaß bei der Erholung und beim Ausprobieren von etwas Neuem.

Text: Stefan Holzner
Foto: Hotel Seeblick