Sonja Tajsich:
Kampfgeist. Visionen. Ziele.

Mann, Kind, erfolgreiche Sportlerin. Gutaussehend, gebildet, Einfamilienhaus in schöner Lage. Das sind die überaus gut klingenden Fakten von Sonja Tajsich. TRITIME-Redakteurin Dagmar Gard wollte wissen, was sich noch dahinter verbirgt, und begab sich auf den Weg nach Regensburg … Es gibt Regionen in Deutschland, da erscheint einem sogar die Ansage des Zugführers anders, ja beinahe „liebevoller“ als in anderen Landstrichen. So auch, wenn man mit der Bahn nach Regensburg fährt.

Da erwähnt der Schaffner des Regionalexpresses in seiner Ansage tatsächlich „wie wunderschön die Stadt Regensburg ist“ – dabei das „r“ rollend wie es nur Einwohner dieses Landstrichs können. Wer hier wohnt, so denkt man als Nord- und Mitteldeutscher, spricht wie ein Schauspieler eines Heimatfilms. In Neustadt an der Donau werden die einsteigenden Gäste der Bimmelbahn mit „Kommens rein, hier ist’s schön warm“ begrüßt und auf freie Plätze durch den Schaffner hingewiesen. Selbst die Verspätungen und Aufenthalte des Zuges sind laut Durchsage des Schaffners „planmäßig“ – toll! Hier ist die Welt noch in Ordnung. Und hier treffe ich auf Sonja Tajsich …

Vom Telefon her stelle ich mir Deutschlands momentane Vorzeige-Langdistanz-Triathletin wohlorganisiert, gut geplant, aufgeräumt und diszipliniert vor. Und tatsächlich: Auf die Minute genau steht sie – im braunen Daunenmantel, sportlich-schicker weiß-flauschiger Fellmütze und gut gelaunt – am verabredeten Treffpunkt in den Regensburger City Arkaden. Herzlich ist die Begrüßung und genauso verlaufen auch die weiteren Stunden, die trotz aller Gemütlichkeit vor allem eines sind: perfekt geplant. Denn zwischendurch müssen wir noch Töchterchen Lisa vom Kindergarten abholen und später hat Sonja noch einen Arzttermin. So ist sie halt: Bestens organisiert und strukturiert, ein zeitlich präzise getakteter Tag ist für sie völlig normal. Und dies ist sicher auch einer der Gründe für ihren Erfolg beim Triathlon. Aber ganz klar: Organisationstalent und Disziplin sind das eine, Talent und Begabung das andere. Sonja Tajsich, geborene Heubach, hat von allem eine gute Portion in die Wiege gelegt bekommen.

Spätstarterin
Nur wurde dies – zumindest aus sportlicher Sicht – erst spät bemerkt. In den vielen anderen Sportarten, wo die Talentsichtung bereits von klein auf recht professionell verläuft, wäre sie – so mag man denken – schon früh gefördert worden. Sonjas Geschichte verlief anders: Zunächst hat sie 22 Jahre lang nichts, rein gar nichts, mit Triathlon zu tun. In einem Alter, wo manch anderer Triathlet bereits an seiner Karriere feilt, ist Sonja vom Ausdauersport so weit entfernt wie Rainer Calmund von seinem ersten Ironman. „Ja, ich spielte Basketball und war klettern, aber mit Triathlon hatte ich gar nix am Hut“, erzählt sie locker und bietet mir einen Capuccino (mit laktosefreier Milch) an. Es ist Anfang Dezember und wir sitzen in dem gemütlichen Einfamilienhaus am Rande einer Wohnsiedlung, unweit von Regensburg: Die Fassade gelb gestrichen und teilweise mit Holz vertäfelt; Weihnachtsmänner aus Stoff klettern die Pfosten des Carports hoch. „Eine Bekannte überredete mich im Oktober 1996 zu meinem ersten 10-Kilometer-Lauf.“ Sonja rannte den Wettkampf ohne Training, in dicken Basketballschuhen und mit einem Baumwollshirt. Die Zeit: unter einer Stunde. „Nie wieder wollte ich danach laufen“, gibt die gebürtige Münchnerin lachend zu. Doch nur sieben Wochen später nahm sie an einem weiteren „Zehner“ teil. Ob es der Ehrgeiz war oder einfach der Trotz, es besser machen zu können? Wer mag das heute noch beurteilen können? Aber fest steht: „Diesmal hatte ich gelernt. Ich hatte eine Art Renneinteilung und lief verhalten an. Außerdem hatte ich besseres Schuhwerk und war mit 56 Minuten prompt um drei Minuten schneller.“

Schwimmen? Nein Danke!
Beim anschließenden Glühwein mit Germeringer Triathleten kam die Münchnerin das erste Mal in Kontakt mit dem Thema Ausdauerdreikampf. Sofort wurde sie überredet, mal einen Triathlon zu versuchen. Doch das Vereinsschwimmtraining fiel Sonja – die bis dato nicht kraulen konnte – immens schwer. „Während sich die anderen 500 Meter einschwammen machte ich 150 Meter und war K.o.“, gibt sie zu und spricht damit wohl 80 Prozent der Altersklassenathleten aus der Seele, die ihre ersten Schwimmerfahrungen ähnlich schmerzlich schildern würden. Wider Erwarten verliefen jedoch ihre ersten Triathlonerfahrungen (zwei Sprintrennen und eine Kurzdistanz) positiv, vor allem, weil sie beim Laufen Akzente setzen konnte, schließlich hatte sie in der Zwischenzeit ihre 10-Kilometer-Bestzeit auf 43 Minuten verbessert. Dass ihr Rennrad ein „uraltes 50-DM-Model“ mit Unterrohrschaltung war, spielte zunächst keine Rolle. Doch an die Langstrecke war zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. „Wer Langdistanztriathlon macht, muss sich selbst beweisen und hat ein Ego-Problem“, so lauteten Sonjas Vorurteile. Trotzdem reizte es die damalige Versicherungsangestellte, auch mal länger Rennrad zu fahren. Als dann nur drei Monate nach ihrer ersten Runde auf dem Rennrad eine Vereinsausfahrt über 200 Kilometer anstand, war Sonja dabei. „Zu meiner Überraschung ging es mir total gut – sogar so gut, dass ich meine Energieriegel noch verteilen konnte“ , erzählt Sonja. Es folgte ein Marathon ohne Vorbereitung (ihr längster Lauf war damals 12 Kilometer lang und ihr Wochenumfang betrug 30 Kilometer), der mit respektablen 3:35 Stunden gipfelte und sie mit einer ein Jahr dauernden Verletzung „belohnte“.

Von der Aushilfstriathletin zum „Checker“
Im Rahmen ihres 1998 begonnenen Sportstudiums kam Sonja zum Bayerischen Triathlon-Verband und lernte dort auch Roland Knoll kennen. Knoll war es auch, der sie später als Ersatzfrau für die 1. Liga anheuerte. „Mir war klar: Ich wurde nicht aufgrund meiner Leistungen gefragt, sondern nur, weil eine Frau fehlte, dennoch sagte ich zu.“ Und als die schlanke Athletin nach nur drei weiteren Monaten Training die zehn Kilometer in 37 Minuten rannte und am Ende der Saison den Ötztaler Radmarathon als dritte Frau beendete, hätte ihre Triathlonkarriere eigentlich beginnen können. EIGENTLICH. Denn aufgrund mangelnder Schwimmperformance und der Tatsache, dass Sonja kein „Nachwuchs“ mehr war, wurde sie nicht gefördert. Das hätte der Endpunkt der Triathletin Sonja Tajsich sein können, wäre sie nicht im Jahr 2000 dazu überredet worden, die Mitteldistanz in Immenstadt mitzumachen. Auf einer der härtesten Strecken überhaupt finishte sie als vierte Frau und bemerkte, dass „es auf den langen Strecken einfacher ist, das Schwimmdefizit auszugleichen“. So wuchs sie in die Langdistanzen hinein und legte ihre Vorurteile über die Athleten ab. Schließlich, mit Ende 20, wagt sie sich an ihre erste Langdistanz in Roth. „Mein Ziel lautete unter zwölf Stunden und lächelnd ankommen“. Sie kam zwar lächelnd ins Ziel, aber statt der 12-Stunden-Marke unterbot sie sogar locker die elf Stunden und kam mit 10:38 Stunden als achte Frau ins Ziel. „Wahnsinn, jetzt bin ich der Checker“, fügt Sonja grinsend hinzu und lacht über ihren Einstieg in die Langdistanzwelt. Gerade als sie weitererzählen will, fällt ihr Blick auf die Uhr. „Oh wir müssen los, die Kleine vom Kindergarten abholen“, und schnell machen wir uns auf, um die dreieinhalbjährige Lisa abzuholen. „Lisa ist ein so braves Kind“, sagt Sonja nicht ohne Stolz und Dankbarkeit in der Stimme. „Sie macht es mir so leicht, mein Training zu absolvieren.“ Als wir am Kindergarten ankommen, fallen sich beide fröhlich in die Arme.

Studentenleben und Profitriathlon
Wieder zu Hause, erzählt die Triathletin weiter: Im Jahr 2003 startet Sonja zum ersten Mal als Profi und wird beim Ironman Zürich Sechste. Ein Jahr später kann sie – trotz Abschlussprüfungsstress im Studium – zwei dritte Plätze bei Ironmanrennen buchen (Zürich und Lanzarote). Dennoch: Sonja ist zwar als Profi gemeldet, aber ihr fehlt es an Professionalität. „Ich war ein Partytyp und führte das klassische Studentenleben. Mit ungesundem Lebensstil, wenig Schlaf und nicht gerade sportlergerechter Ernährung. Und zwischendurch trainierte ich wie verrückt“, erzählt sie in der Retrospektive. Klar, dass dies nicht Erfolg versprechend war und sie 2004 beim Ironman auf Hawaii „nur“ 21. Frau wurde. Eigentlich wollte sie danach aufhören, hatte keine Lust mehr auf Triathlon. EIGENTLICH. Doch das Schicksal verschlug sie mit ihrem Lebensgefährten und späteren Ehemann Tom nach Malaysia. Der Projektmanager hatte beruflich dort zu tun und Sonja begleitete ihn. Das Training war jedoch von widrigsten Umständen begleitet: genauer gesagt von „Hitze, starkem Verkehr und viel Dreck“. Belohnt wurde ihre Hartnäckigkeit beim Ironman Western Australia mit dem fünften Rang. Und tatsächlich folgte im Jahr 2006 in Malaysia ihr erster Ironmansieg. Schnell wiegelt Sonja ab: „Ich wusste: Ich hatte nicht augrund meiner überragenden Leistung gewonnen, sondern weil ja sonst niemand da war.“ Sonja die Realistin. Im August des gleichen Jahres begann sie als Vollzeit-Journalistin bei einer Sportzeitschrift und Triathlon war kein Thema mehr. „Eigentlich hätte ich glücklich sein müssen. EIGENTLICH. Aber immer, wenn ich aus dem Fenster sah, dachte ich an meinem Traum vom Leben als Vollprofi.“ So startete sie ein Jahr später erneut beim Ironman Malaysia und wurde Sechste. Bis zu diesem Zeitpunkt war niemand auf Sonjas Talent aufmerksam geworden, bis auf einen, der immer an sie glaubte und ihre außergewöhnliche Veranlagung und ihre Begabung erkannte: ihr Mann Tom. Erfolgreicher Projektmanager auf der Überholspur zur Topkarriere. Er bestärkt sie, schafft ihr einen Rahmen und baut sie auf. „Tom sagte, ich brauche Ärzte, die mich kennen, einen Physiotherapeuten, einen Trainer und eine vernünftige Lebensweise. Und er wollte mich in meinem Traum unterstützen.“ Sie stellten einen Dreijahresplan auf die Beine, der bis ins Detail funktionierte und Ironmansiege, sowie als bisherige Krönung den siebten Platz auf Hawaii 2011 einbrachte. Überragende Erfolge für die 36-Jährige, die noch Großes vorhat.

Unkonventionelle Trainingsmethoden
Bei der Hausführung zeigt mir Sonja ihr Trainingszimmer. Es ist nicht wie bei anderen Athleten im Keller oder der Garage. Sonja hat ein hübsches, kleines Zimmer im Erdgeschoss ihres Hauses zum Trainingszimmer umfunktioniert. Dort stehen ein gemütliches Sofa, eine Infrarotkabine und ihr Fahrrad auf der Rolle. „Lisa liebt es, wenn ich auf der Rolle fahre“, so Sonja. Dann kann es sein, dass sie zwei Stunden schwitzt, die Strecke vom Cape Argus Radmarathon in Südafrika simuliert und nebenbei mit ihrer Tochter Lieder singt. Unkonventionell, aber effektiv. Genauso sind sie eben, die Tajsichs: Ehemann Tom kaufte sich sogar ein E-Bike, um Sonja mit seine Tochter beim Radtraining zu begleiten. Auch bei den langen Läufen weichen sie nicht von Mamas Seite. „Sie sind mein Team“, sagt Sonja zärtlich.

Kampfgeist, Visionen, Ziele
Dann stoße ich auf die jüngst erworbene Auszeichnung, den Pokal vom Ironman Cozumel. Zweite wurde sie im letzten Jahr, dort in Mexiko, trotz Radpanne: „Ich hatte Schlauchreifen und bekam den kaputten Reifen einfach nicht ab, trotz Messer. Als ich ihn nach einer gefühlten Ewigkeit herunterreißen konnte, versagte meine Pumpe.“ 20 Minuten dauerte es, bis Sonja weiterfahren konnte. Inzwischen waren etliche Athleten vorbeigefahren und ihr Getränk hatte sie bei der Reifenwechselaktion auch verschüttet. Dennoch ließ sie sich nicht beirren und lief am Ende eine neue persönliche Marathon-Bestzeit im Ironman (3:02:54 Stunden). „Aufgeben? Nein, das kommt für mich nicht infrage, ich würde den Marathon notfalls auch durchgehen, außer wenn Tom mich von der Strecke holen würde.“ Tom, immer wieder Tom. Ihr Mann ist nicht nur ihr Berater, er ist auch ihr Beschützer: „Wenn etwas mal nicht rund läuft, setzt sich Tom für mich ein, auch die Verhandlung mit Sponsoren und Veranstaltern führt er.“ Er ist es auch, der sie am Renntag an alle wichtigen Dinge erinnert und ihren Rucksack nach dem Start nimmt. Er sagt ihr die Zeit beim Wettkampf an und baut sie auf. Umso schlimmer war es für Sonja, als er 2011 beim Ironman in Frankfurt einen Bandscheibenvorfall hatte und noch zwei Tage vor dem Wettkampf nicht mehr gehen konnte. Als er zum Arzt musste und dieser von einem eventuell erforderlichen Not-OP-Termin sprach, war Sonja am Boden zerstört. „Das warf mich alles wahnsinnig aus der Bahn. Und all das während meines geplanten Saisonhighlights, der Europameisterschaft.“ Trotz aller widrigen Umstände erschien Ehemann Tom beim Schwimmstart, an der Radstrecke und beim Laufen. Sonja war gerührt. Dennoch lief ihr Rennen alles andere als perfekt. Beim Radfahren hatte sie Materialprobleme und verlor dadurch wertvolle Minuten. Nichts lief rund. Und dennoch kämpfte sie sich mit schnellen Schritten an die Führung heran und wurde am Ende in einem spektakulären Regen-Rennen dritte Frau. „Hier habe ich noch eine Rechnung offen“, sagt sie kämpferisch. Tom und Sonja scheinen tatsächlich füreinander gemacht. Er reduzierte seine Arbeitszeit auf 28 Stunden pro Woche und stellt sich hinter sie, wenn es um die Erfolge geht und vor sie, wenn es Probleme gibt. Er bestärkt seine Frau in all ihren Plänen, nimmt ihr die Zweifel und hält ihr den Rücken frei. Sie dankt es ihm mit Liebe … und mit Erfolgen. Sonja ist 36 Jahre alt und möchte ihren Traum vom Vollprofidasein weiterleben. Zumindest noch zwei bis drei Jahre. Schließlich hat sie ein Ziel: „Wenn alles optimal läuft und ich im offenen Gewässer nicht so viel zickzack schwimme, dann könnte es klappen mit einem dritten Platz auf Hawaii“, erzählt sie leidenschaftlich und bietet mir einen von den selbstgebackenen Plätzchen an. Sie selbst isst nur außerhalb der Saison Süßigkeiten. Auch Alkohol trinkt sie während ihrer Saisonvorbereitung nicht. Ansonsten ernährt sie sich gesund: Mageres Fleisch, Fisch, Vollkornprodukte und Salat. Im hellen Wohnzimmer mit offener Küche stehen eine Gitarre und ein Klavier. Doch musizieren tut sie nicht. Was wäre denn ihr Hobby, wenn es nicht der Sport wäre?„Ratschen, Kaffee trinken – ach ja und basteln tue ich gern“, sagt sie fröhlich im Plauderton, schaut auf die Uhr und erinnert mich daran, dass wir wieder los müssen.

Text: Dagmar Gard
Fotos: Klaus Arendt | Armin Schirmaier
Informationen: www.sonja-tajsich.de

Quelle: tritime (Ausgabe 2-2012)