Jedes Jahr im Oktober verwandelt sich Kailua-Kona in DIE Pilgerstätte für Triathleten aus aller Welt. Durchtrainierte Sportler stellen nicht nur ihren Körper zur Schau, auch das teure Rad-Equipment lässt manch Autofahrer vor Neid erblassen. Zeitfahrmaschinen, die zum Teil aussehen wie hochgezüchtete Mototorräder, bestimmen das Straßenbild. Die dafür aufgerufenen Preise von bis zu 12.000 Euro und mehr werden von vielen Teilnehmern – neben den hohen Reise- und Nebenkosten vor Ort – größtenteils ohne Zucken der Augenlider und mit einem Lächeln bezahlt. Aber …
… spätestens wenn die Sonne mit ihren leuchtenden Farben im Pazifik untergeht, die Triathleten nicht mehr das Straßenbild bestimmen und es Nacht wird in Kailua-Kona, sieht die heile Südeseewelt mit einem Schlag ganz anders aus.
Trotz Ironman, Kreuzfahrtschiffe und Touristen aus aller Welt hat sich Kailua-Kona in den letzten Jahren verändert. Immer mehr Geschäfte und Restaurants haben schließen müssen, kein Wunder, dass durch Arbeitslosigkeit, Altersarmut, persönliche Schicksalsschläge, hohe Lebenshaltungskosten und einem uns fremden Sozialsystem viele Menschen in eine persönliche Abwärtsspirale getrieben werden können.
44.000 Obdachlose
Und es sind weitaus mehr, als ich vermutete. Von Hilfsorganisationen auf der Saddle Road aufgestellte Hinweisschilder sprechen Bände. Da ist von rund 44.000 Obdachlosen die Rede, eine Zahl, die – vor dem Hintergrund von rund 1,4 Millionen Einwohnern des Bundesstaates Hawaii – erschreckend hoch ist. Als ich dieses Jahr nach meiner Ankunft in Kona einen ersten Rundgang auf dem Ali’i Drive machte, sah ich einige bekannte Gesichter. Allerdings beziehe ich mich hierbei weniger auf Pressekollegen, Profis und Vielstarter, sondern auf Obdachlose, die mir seit 2008 mit der Zeit irgendwie vertraut geworden sind, die im Schatten der Bäume der vielen kleinen Parks sitzen oder mit ihrem Hab und Gut im Einkaufswagen entlang der Hauptstraßen unterwegs sind.
Was auch immer sie in die Obdachlosigkeit oder Altersarmut getrieben hat, bei der Verteilung der 170.000 US-Dollar, die im vergangenen Jahr die Ironman Foundation an lokale Wohltätigkeitsorganisationen Kailua-Konas gespendet hatte, scheinen sie jedenfalls nicht berücksichtigt worden zu sein. Aber auch in den Supermärkten wird mir jedes Jahr bewusst, dass es abseits der Triathlon-Glitzerwelt ganz anders aussehen kann: Gerade in den späten Abendstunden arbeiten viele Frauen und Männer jenseits der 70 Jahre als Reinigungskräfte oder räumen Regale ein. Ich möchte nicht wissen, was in ihren Köpfen vorgeht, wenn sich die Triathleten in Kailua-Kona und auf dem Catwalk Ali’i Drive präsentieren. Neid? Missgunst? Mitleid? Hass? Eine Mischung aus Allem? Ich weiß es nicht.
Geldmaschine World Championship?
In welcher Relation der gespendete Betrag zum Gewinn der „Geldmaschine Ironman World Championship“ steht – ein einfacher Umhängebeutel im Fanshop kostete im vergangenen Jahr bereits 20 US-Dollar – kann ich nicht beurteilen, mir persönlich erscheint er jedoch als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein, bedeuten 170.000 US-Dollar bei 2.500 gemeldeten Athleten 68 US-Dollar je Teilnehmer.
In der Hoffnung, dass – neben den Geldern der Ironman Foundation – von den Steuereinnahmen der Kommune ein weiterer Teil bei den Bedürftigen ankommt, nehme ich mit einem lachenden aber auch traurigen Auge meine Arbeit im Triathlonparadies auf. Ein weiteres Mal ist mir bewusst geworden, welch Privileg es ist, aus Hawaii über die schönste Nebensache der Welt berichten zu dürfen, dem Triathlon.
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Text/Foto: Klaus Arendt