Stefan Holzner: Triathleten essen anders

„Was und wie viel soll ich in welcher Reihenfolge zu mir nehmen?“ Diese Frage stellte ich mir tagtäglich. Nicht dass ich den Energiebedarf eines Hochleistungssportlers decken musste, nein, es galt auch, die Nahrungsaufnahme auf die jeweilige Trainingseinheit abzustimmen. Somit erhielt das „wann“ einen viel höheren Stellenwert. Dabei musste ich unterscheiden, was ich vor, während und nach dem Training essen sollte, durfte, wollte und/oder konnte. So weit, so gut. Nur trainierte ich in aller Regel dreimal täglich.

Normalerweise ist das Kochen eine sehr zeitintensive Aufgabe. Als gelernter Koch hatte ich nicht nur Spaß an der Zubereitung eines leckeren Essens, sondern auch an dem Verzehr im Kreise meiner Familie und im Freundeskreis. Ein gutes ausgiebiges Essen dauert genauso lange wie seine Zubereitung.

Zwischen Anspruch und Realität
Anders ist es bei Triathleten und Sportlern generell. Es muss schnell gehen, soll gesund und möglichst viel sein. Bei mir war das nicht anders. Um lange Wartezeiten zu vermeiden, erfolgte die tägliche „Schlacht ums Essen“ nach einem ausgeklügelten Zeitplan. Mit steigendem Erfolg und höheren Trainingsumfängen verschwendete ich immer weniger Zeit damit, mir über eine gesunde und ausgewogene Ernährung Gedanken zu machen. Der Hunger war einfach zu groß und die Regeneration durfte auch nicht zu kurz kommen. Irgendwann verlor ich die Lust auf das lange Zubereiten von Speisen. Ich überließ das Kochen meiner Frau Martha, die auch auf die Ausgewogenheiten mit Obst und Gemüse achtete. Dabei lernte ich die bequeme Angewohnheit schätzen und lieben, dass Äpfel und Salate nur dann richtig gut schmecken, wenn sie geschält sind beziehungsweise angemacht und bunt gemischt auf dem Teller liegen.

7.00 Uhr
Sport auf nüchternen Magen kam für mich nicht in Frage. Um 7.00 Uhr begann der Trainingsalltag. Frühstück.Zwei bis drei Brezen mit Käse sowie zwei weiße Semmeln mit Honig. Im Ausland ersetzte ich die Brezen durch Semmeln. Dazu drei Tassen Kaffee und der Tag konnte kommen.

13.00 Uhr
Nach der ersten Trainingseinheit stand gegen 13.00 Uhr ein „kleiner Imbiss“ auf dem Plan. Eine Familienpackung von meinem Lieblingsgericht. Miracoli Nudeln. Jedesmal ärgerte ich mich über die zu geringe Menge an Parmesan-Käse. Ich fragte mich, wie die vorportionierte Beilage für bis zu fünf Personen langen sollte,wenn diese nicht einmal für mich reicht. Zurückhalten musste ich mich immer beim Dessert. Da nach dem Essen meistens noch eine zweite Trainingseinheit zu absolvieren war, fiel mir dies besonders schwer.

16.00 Uhr
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Kaffee, Kuchen und süße Leckereien als Belohnung für den größten Teil des Arbeitstages versüßten die letzte Einheit (Schwimmen).Die Redewendung „ein voller Bauch studiert nicht gerne“ traf bei mir nicht zu. Da ich nie Probleme hatte,mit vollem Bauch zu schwimmen, unterlag ich bei der nachmittäglichen Zwischenmahlzeit auch keinen natürlichen Grenzen.

20.00 Uhr
Das Abendessen war sehr kohlenhydratlastig.Nudeln, Reis, Pizza und so weiter. Ich aß alles und war immer ein großer Fan von Beilagen. Fleisch war für mich eher belastend und gab mir ein langanhaltendes Völlegefühl, das ich nicht mochte.

Kulinarisches Erste-Hilfe-Set
Auf meinen vielen Auslandsreisen war es für mich auch aus Berufsgründen immer wieder interessant, zu sehen, wie unterschiedlich Speisen „an- und vor allem zugerichtet“ werden können. Nach der Geburt meiner Söhne war ich die letzten Jahre meiner Triathlonlaufbahn viel alleine unterwegs. Ohne meine persönliche Köchin stellte mich die Wahl des richtigen Lokals vor eine neue und häufig weitaus unangenehmere Herausforderung. Um auf dem Weg zurück ins Hotel auch nicht mehr einen Ess-Tankstopp einlegen zu müssen, reiste ich nach ersten schlechten Erfahrungen immer mit meiner ganz persönlichen kulinarischen Erste Hilfe Ausrüstung. Diese bestand aus einem Wasserkocher, Fünf-Minuten-Nudeln, abgepacktem Käseaufschnitt und Honig. Mein Lieblingskuchen (von meiner Schwiegermutter) für mich und meine Trainingsfreunde Thomas Hellriegel und Markus Forster durfte im Reisegepäck ebenso wenig fehlen wie einige Energieriegel für den kleinen Hunger zwischendurch.Teilweise kaufte ich auch noch Lebensmittel vor Ort ein. Zurück im Hotel verpackte ich Eiswürfel oder Crashed Ice in mehrere Plastiktüten und ordnete diese in einem Papierkorb geschickt rund um meine Leckereien an. Fertig war der eigene mobile Kühlschrank. Die verderblichen Waren hielten auf diese Weise mindestens ein bis zwei Tage. Diese zweckorientierte Ausstattung reichte für meine Art zu leben und zu kochen völlig aus.

Pasta- und Awards-Partys
Pasta-Partys waren für mich ein Greuel. Zu viele Leute, die kurz vor dem Wettkampf nur ein Thema kannten und ausschließlich über den Wettkampf und ihre Form redeten. Ab und zu „versäumte“ ich zum Leidwesen der Veranstalter das ein oder andere organisierte Carbo-Loading.Mein Essen bereitete ich mir in aller Regel auf dem Zimmer vor und bewahrte auf diese Art und Weise meine Unabhängigkeit. Ich wusste, dass ich die eigenen Lebensmittel gut vertrage, und stellte mich so auf den bevorstehenden Wettkampf in aller Ruhe ein. Meinem Erste-Hilfe-Kochset sei Dank, dass ich selbst in einfach ausgestatteten Hotelzimmern gut klarkam und nicht auf vollausgestattete High-Tech-Küchen angewiesen war.Awards-Partys hatten da schon einen anderen Stellenwert. Nach jedem (guten) Rennen, bei dem ich Gels, Iso und Cola zu mir nahm, freute ich mich auf die Siegerehrung – und gerade nach einer Mittel- oder Langdistanz war es herrlich, ohne Hemmungen den Verlockungen des Buffets zu verfallen.Allerdings konnte auch ich mich nicht den Angeboten der Fast-Food-Restaurants entziehen. Spätestens drei bis vier Stunden nach dem Zieleinlauf bei einem Ironman-Rennen war ich schon auf der Suche nach „Pommes & Co“, um die ungeheuren Salzverluste auszugleichen.

Fehltritte
Bis heute bewundere ich die Athleten, die sich strikt nach Plan ernähren und auch bei Süßigkeiten keinerlei Schwächen zeigen. Selbst im Trainingslager fuhren Thomas, Markus und ich trotz Gels, Riegel und Iso häufig nach der Hälfte der zu absolvierenden Kilometer zum Tankstopp und füllten verlorengegangene Energien mit Cola, Snickers und Schokolade auf. Um mir selbst ein gesünderes Bewusstsein zu vermitteln und mein schlechtes Gewissen für meine kulinarischen Fehltritte zu entlasten, griff ich zur Light- Version – zumindest bei der Cola.Thomas erzählte mir dann immer von den Schweinen, die zur Anregung des Appetits mit Süßstoffen gefüttert werden. Damit sie schneller schlachtreif werden! Gottseidank bin ich kein Schwein und kann mir mein Essen immer noch selbst aussuchen.

An dieser Stelle wünsche ich allen Lesern noch einen guten Appetit und viel Spaß beim vielen Trainieren.

Text: Stefan Holzner (2-facher Ironman Germany Sieger 2003 und 2004)
Foto: Klaus Arendt

Quelle: tritime (Ausgabe 1-2008)