Wie genau kommt es zum Übertraining? Woran erkenne ich es? Kann ich deren Entstehung verhindern? Wie lange kann eine Phase des Übertrainings andauern? Was ist zu tun, wenn man schon erkrankt ist?
Übertraining entsteht durch ein Ungleichgewicht von Be- und Entlastung. Wichtig dabei ist die Summe aller Faktoren, die auf den Sportler einwirken wie Schlafqualität, private und berufliche Belastung, Ernährung, gesundheitliche Probleme, Erholungsmaßnahmen und natürlich das Training selbst. So kann beispielsweise eine gleichmäßige sportliche Betätigung bereits zu einem Übertraining führen, weil parallel ein Partnerschaftskonflikt ausgetragen wird oder eine wichtige Prüfung ansteht. Zielsetzung ist, die Gesamtbelastung in einem Gleichgewicht zu halten und gegebenenfalls die eingeplante Regenerationszeit zu verlängern. Aber auch eine gewisse Trainingsmonotonie kann zu einem Übertraining führen.
Wie lange das Entstehen einer solchen Erkrankung dauert, ist wissenschaftlich ziemlich genau untersucht worden. Ich unterscheide hier bewusst nicht das sympathische und/oder parasympathische Übertraining, da wohl nur letzteres das wirkliche Übertraining beschreibt. Eine hohe Summe von Trainingsbelastungen führt zum gewünschten Überziehen. Dieser Prozess ist gewollt und durch eine fast vollständige Ermüdung und Entleerung aller Systeme gekennzeichnet. Circa zwei bis zweieinhalb Wochen kann ein Mensch die Belastung praktisch in unbegrenzte Höhen bringen, vorausgesetzt der Körper ist zu Beginn vollständig erholt. Ob eine Steigerung des Umfanges um 300 bis 500 Prozent wie ich es selbst bei einigen Trainingslagern auf Fragebögen beschrieben bekommen habe (vorher 7 Stunde/Woche, auf Mallorca 35 Stunden/Woche) trainingsmethodisch sinnvoll ist, mag stark bezweifelt werden. Ein Übertraining kann ich damit aber nicht auslösen. Dieser Prozess setzt erst danach, spätestens nach drei Wochen ein, wenn der Körper sich nach diesem Dauerstress versucht zu schützen. Dies geschieht unter anderem dadurch, dass unser Stresshormon Adrenalin kaum noch wirken kann. Die „Adrenalinandockstellen“ (Adrenozeptoren) werden in ihrer Zahl weniger. In der Folge sinkt die Herzfrequenz ungewöhnlich tief und bei Belastung andauernd. Gleiches geschieht mit dem Stoffwechsel. Nicht zu verwechseln ist dies mit der kurzfristigen Reduktion des Pulses nach zwei bis drei harten Tagen. Dieser Prozess wird nur durch eine Verschiebung der Andockstellen bewirkt und wird durch zwei bis drei lockere Tage wieder vollständig reversibel. Leider verliert durch diesen Prozess die Steuerung der Trainingsintensität mittels Herzfrequenz ihre absolute Bedeutung: Der Belastungspuls ist relativ und wird durch den Ermüdungszustand beeinflusst.
Bei der Erkennung des Übertrainings zeigen sich Standardlaborwerte als ziemlich nutzlos. CK-Werte, Harnstoff, Laktat und Blutbild können völlig normal sein. Interessanter sind schon TSH (Schilddrüsen stimulierendes Hormon), FSH (follikelstimulierendes Hormon) und Leptin, ein Hormon der Fettzelle, welches aber nur in wenigen Labors getestet werden kann und quasi als Hauptschalter für alle Hormonachsen fungiert. Veröffentlicht wurde hierzu eine Trainingsstudie der deutschen Ruder-Nationalmannschaft. Die Aktivierung der Hormonkreisläufe korrelierte mit der Trainingsintensität (Simsch et al; Intern. Journal of SportsMedicine).
Interessant zeigte sich in der gleichen Studie auch die Auswirkung des Trainings auf die Psyche. Eine Arbeitsgruppe um Prof. Kellmann entwickelte einen psychologischen Fragebogen, der die Stresstoleranz eines Sportlers aufzeigt. Es konnte nämlich gezeigt werden, dass mit zunehmender Trainingsbelastung die Fähigkeit abnimmt, mit alltäglichen Konflikten umzugehen. Diesen Prozess kennen wir auch aus der Psychiatrie. Patienten mit depressiven Erschöpfungssyndromen fallen in ihrem Alltag durch ein erhöhtes Konfliktpotential auf. Diese Eigenschaft scheint nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der erste Hinweis für ein drohendes Überlastungssyndrom zu sein. Ungewöhnliche Häufung an Streitereien innerhalb einer Gruppe können somit richtungsweisend sein und sollten unbedingt ernst genommen werden. Und hier schließt sich der Bogen zu der eingangs beschriebenen „Trainingsgruppe Mallorca“. Kommt dann noch ein niedriger Belastungspuls, ein dauerhafter Leistungsrückgang und eine bleibende Trainingsunlust hinzu, wie bei der „Trainingsgruppe Lanzarote“, müssen eigentlich alle Glocken Alarm läuten.
Therapie
Sollten Sie dennoch es einmal so weit kommen lassen, wenden Sie sich an einen Arzt mit entsprechender Erfahrung. Dabei sollten grundsätzlich zuverlässig andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Die gesamte Trainingsbelastung sollte reduziert werden, wobei insbesondere GA2-Belastungen eine hohe metabolische Belastung darstellen. Kurze intensive Reize aktivieren das Adrenalinsystem. Aus diesem Grund sind kurze Sprints aber auch kurze Saunagänge mit kurzem „Eiswasserschock“ denkbar. Rechnen Sie mit einem Erholungsprozess von drei bis vier Monaten. Besonders wichtig ist, dass die Ursachen bekannt sind, um Rückschläge und künftige Wiederholungen zu vermeiden.
- Abklärung bei einem versierten Sportmediziner zum Ausschluss anderer Ursachen
- Reduktion der Gesamtbelastung
- Lockeres und spaßorientiertes Training ist erlaubt
- Kurze alaktazide Belastungen erwünscht
- Unbedingtes Vermeiden von GA2-Belastungen
- Kurze Saunagänge mit kurzem aber starken Abkühlen
- In schweren Fällen medikamentöse Therapie: Antidepressiva bei depressiven Episoden, sog. selektive Beta-Blocker zum Schutz des Adrenalin-Systems (nicht evidenzbasiert)
- Umfeldoptimierung: Schalten Sie alle anderen Stressfaktoren so weit wie möglich aus
Fazit
Was war aber nun mit den zwei Gruppen los? In der Lanzarotegruppe wurde bereits vor dem Trainingslager die Intensität stark erhöht. Zeit zur Ausbildung einer soliden Grundlagenausdauer gönnte niemand seinem Körper. Nicht richtig auskurierte Infekte sorgten zusätzlich zu einem erschöpften Ausgangstatus zu Beginn des Trainingslagers. Rein wissenschaftlich gesehen reiste diese Gruppe schon überzogen an. Das Trainingslager gab allen Teilnehmern dann den Rest. Diese Symptome gepaart mit dem einhergehenden Leistungsrückgang sind Beweis genug für ein richtiges Übertraining. Nur ein mehrmonatiges multidisziplinäres Therapiekonzept hätte die Gruppe zumindest für das darauffolgende Jahr vor weiteren Rückschlägen bewahren können.
Da die Athleten der Mallorcagruppe mit guter Grundlage, aber völlig ausgeruht anreisten, konnte sich, obwohl viel zu viel trainiert und gnadenlos überzockt wurde, ein richtiges Übertraining nicht ausbilden. Das dreiwöchige reduzierte Training im Anschluss half allen Beteiligten, die gewünschte Leistungssteigerung zu erzielen. Vertragen haben sie sich – mit einiger Verzögerung – auch wieder.
Folgende Maßnahmen sind zur Prävention eines Überlastungssyndroms von Bedeutung:
- Trainiere nach Plan, plane aber auch die Erholung!
- Optimiere die Regeneration (Achtung: auch Sauna ist eine Art körperlicher Stress!).
- Vermeide Trainingsmonotonie.
- Überprüfe regelmäßig deine Leistungsfähigkeit; Übertraining ist immer mit Leistungsreduktion verbunden.
- Achte auch auf dein Umfeld (Beruf, Partner/Familie, Ernährung).
- Überziehe nie länger als 2 Wochen dein Training.
In den Trainingslagern wird nach wie vor trainiert, was die Wade hergibt. Denn vor lauter Angst vor einem Übertraining darf nicht vergessen werden, dass es ohne Training nicht geht. Und auch das Quälen gehört dazu. Deshalb betreiben wir doch Triathlon, oder?
Fotos: Armin Schirmaier
Dr. med. Christoph Simsch, niedergelassener Arzt in einer allgemeinmedizischen Praxis mit sportmedizinischem Schwerpunkt in Stimpfach bei Crailsheim/Baden-Württemberg ist Facharzt für Allgemein- und Sportmedizin. Der aktive Triathlet Dr. Simsch, der auch zum Anti-Dopingbeauftragten des Baden-Württembergischen Triathlonverbandes berufen wurde, betreibt seit über 30 Jahren Leistungssport. Seinen ersten Triathlon finishte der Mediziner 1985. Der vielfache Langdistanz-Finisher mit einer Bestzeit von 9:03 Stunden nahm dreimal bei den Ironman-Weltmeisterschaften auf Hawaii teil. Dr. Simsch ist Mitinhaber von SMC, einem Institut zur mobilen Leistungsdiagnostik.