Aller Anfang ist schwer, so sagt der Volksmund. Für den Triathlonsport sollte es aber doch heißen: Ist der Anfang schon gut, wird das Rennen umso besser. Ein guter Anlass, die eigene Schwimmperformance zu verbessern.
Nach wie vor ist das Schwimmen für viele Triathleten, die nicht selten Quereinsteiger aus anderen Sportarten sind, die größte Hürde. Scherzhaft wird oft gesagt, man würde seinen Wechselbeutel und sein Rad in der ersten Wechselzone umso besser finden, je später man aus dem Wasser kommt. Auch wenn das sicherlich stimmt, so ist der persönliche Ehrgeiz doch immer vorhanden, das gesamte Rennen möglichst optimal verlaufen zu lassen. Und deshalb geht an einem gezielten Training im Schwimmbecken kein Weg vorbei. Die gute Nachricht: Ihre Potenziale können Sie auch jetzt noch erweitern.
Hemmschuh Routine
Haben Sie in den Wintermonaten all das getan, was Sie weitläufig gelesen haben? Sie haben intensiv an der Grundlagenausdauer gearbeitet und der Verbesserung der Technik viel Zeit eingeräumt? Und dennoch hat sich die erhoffte spektakuläre Leistungssteigerung im Wasser noch nicht eingestellt? Das könnte mehrere Ursachen haben.
Schwimmen Sie nämlich zu häufig in einem Bereich, der tendenziell die Grundlagenausdauer anspricht, könnte es passieren, dass Sie sich geradewegs in eine Bewegungsroutine hineinschwimmen, aus der es mitunter gar nicht leicht ist, wieder herauszukommen. Dieser beliebte Trainingsbereich fördert zwar Anpassungsprozesse in der Arbeitsmuskulatur, beispielsweise durch eine bessere Blutversorgung. Hinsichtlich der Verbesserung Ihrer koordinativen Fähigkeiten könnte diese Routine aber genau der Hemmschuh sein, um die Schwimmleistung deutlich anzuheben. Sind Sie nämlich nicht in der Lage, die Schwimmbewegungen sowohl Unter- wie auch Überwasser schnell und gezielt anzusteuern, fehlt Ihnen womöglich eine ganz wichtige Eigenschaft für schnelles und auch effizientes Schwimmen, ganz gleich über welche Distanz Sie an den Start gehen.
Denn das Schwimmen im Triathlon erfordert einen anderen Sportler als das Radfahren und auch Laufen im Triathlon. Folgerichtig unterscheiden sich auch die Trainingsinhalte zum Teil dramatisch voneinander. Blicken wir einmal gemeinsam in einen typischen Rennverlauf, so fallen von vornherein einige Dinge auf, die es im Training zu berücksichtigen gilt. Der Startschuss!
Krisensituation Startschuss
Nur ein einziges Mal an diesem Tag, der sich vielleicht sogar über mehrere Stunden zieht, sind Sie ausgeruht. Und das ist genau dann, wenn alle anderen auch ausgeruht sind: am Schwimmstart. Was sich wie eine Binsenweisheit liest, sorgt in der Praxis von Beginn an für ungewöhnliche Rennszenarien, wie sie kein Experte empfehlen würde. Der Startschuss, die Aufregung und die hormonelle Ausschüttung diverser körpereigener Aufputschmittel führen so gut wie immer zu einem meist deutlich erhöhten Anfangstempo. Sieht man sich dagegen einen Schwimmspezialisten im Becken über 1.500 Meter Freistil an, so sind die ersten 50 Meter meist die lockersten. Im Triathlon ist das genau umgekehrt.
Haben Sie sich mit dieser Situation nicht schon im Training eingehend auseinandergesetzt, so droht dem Stoffwechsel ein regelrechter Schock. Schwimmen Sie dazu noch in einem 6er, 8er- oder sogar 10er-Atemzug – weil es am Anfang geht – bringen Sie sich bereits auf den ersten Metern in eine Krisensituation, die Sie womöglich gar nicht so recht wahrnehmen. Häuft sich dabei die Laktatkonzentration im Blut an, blockieren Sie den angestrebten aeroben Stoffwechsel, der Sie ökonomisch über die gesamte Distanz bringen sollte.
Entscheidend sind besonders die ersten zwei bis vier Minuten. Diese Zeit benötigt der Organismus, um die Stoffwechselprozesse warmlaufen zu lassen. Nicht nur ein Argument für ein ausgiebiges Aufwärmprogramm, sondern auch für eine konservative Renngestaltung. Haben Sie Geduld und setzen Sie Ihre Ressourcen geschickt ein, um Ihr perfektes Rennen zu gestalten. Und da fällt schon das Stichwort: Ressourcen. Wie können Sie nun, vielleicht aus einem beschwerlichen Winter- und Frühjahrstraining kommend, die Leistung nun deutlich heben und vor allem rennspezifisch anpassen? Der wichtigste Parameter für die Wettkampfvorbereitung und das abschließende Tapering ist die kluge Wahl der Intensitäten.
Gegen den Widerstand
Führen Sie sich einmal vor Augen, was im Wasser passiert. Im Prinzip werden Sie durch den permanent vorhandenen Widerstand des Wassers zu jedem Zeitpunkt abgebremst. Glauben Sie nicht? Dann stoßen Sie sich einmal von der Beckenwand ab. Bereits nach wenigen Metern werden Sie, trotz Höchstgeschwindigkeit beim Abdruck, auf Tempo null herabgebremst. Schwimmen ist wie Radfahren gegen den Wind und wie Laufen gegen eine Geländeerhebung. Deshalb benötigen Sie Kraft und tendenziell hohe Intensitäten, um diesen Widerstand zu überwinden.
Während Sie beim Laufen dank der Schwerkraft und auch beim Radfahren in unterschiedlichem Gelände dauerhaft einen Kräftigungsreiz auf die spezifische Muskulatur ausüben, leisten im Schwimmen verhältnismäßig kleine Muskelgruppen ihre Arbeit. Zusammen mit dem quasi schwerelosen Zustand fällt der Trainingsreiz tendenziell eher niedrig aus. Zwar mag Sie das Schwimmen anstrengen, ein Krafttraining im Sinne der Definition ist das aber bei Weitem nicht. Unter Berücksichtigung der bereits beschriebenen Renndynamik erzwingt dies ein deutlich intensiveres Training im Wasser als in den beiden Folgedisziplinen.
Intensitäten
Intensives Training ist der effektive Hebel für Ihre Schwimmleistung. Befinden Sie sich jetzt ungefähr sechs bis acht Wochen oder sogar etwas mehr vor Ihrem Hauptwettkampf, so haben Sie alle Chancen einer spektakulären Verbesserung. In dieser intensiven Vorbereitungsperiode können Sie mit sehr punktuellen Belastungsspitzen nicht nur den Organismus auf ein neues Leistungslevel bringen. Auch Ihre koordinativen Fähigkeiten, das Wassergefühl und der schnelle Wechsel von muskulärer Anspannung (Unterwasser) und muskulärer Entspannung (Überwasser) verbessern sich und leisten damit Ihren Anteil zur Verbesserung der Schwimmleistung. Eine wichtige Zutat für diese Trainingsphase sind Trainingsinhalte mit Testcharakter. Damit erzeugen Sie einen sehr klar definierten Trainingsreiz und gehen geradewegs in eine spezifische Rennvorbereitung. Und ein weiterer nicht zu unterschätzender Nebeneffekt? Testserien motivieren, zeigen Entwicklungen auf und sind somit ein unverzichtbarer Teil eines gut strukturierten Trainingsplans.
Trainingsplan I
Trainieren Sie zweimal pro Woche im Wasser, so empfiehlt sich die folgende Aufteilung:
Trainingseinheit 1: Technik + anaerobes Training oder Test
Trainingseinheit 2: Schnelligkeitstraining + Grundlagenausdauer
Trainieren Sie dreimal pro Woche im Wasser, so empfiehlt sich die folgende Aufteilung:
Trainingseinheit 1: Technik + anaerobes Training oder Test
Trainingseinheit 2: Schnelligkeitstraining + Grundlagenausdauer
Trainingseinheit 3: anaerobes Training + Grundlagenausdauer
Die Inhalte können wir folgt ausgestaltet sein:
Technik-Training
Gezielt ausgewählte technische Übungen (TÜ) sowie koordinativ anspruchsvolle Übungen wie 15-m-Sprints, Delfinschwimmen und Ähnliches.
Anaerobes Training
Dieses Training dient der Simulation einer intensiven Rennphase zu Beginn. Dieses Training findet immer in Intervallform statt.
4 x 50 m mit 10 Sekunden bei maximaler Intensität
4 x 100 m mit 4 Minuten Pause bei maximaler Intensität
Schnelligkeitstraining
Das Schnelligkeitstraining dient der technischen Optimierung unter hoher Intensität und der Verbesserung der schwimmspezifischen Fähigkeit, das maximale Tempo zu erzielen.
4 x 100 m: 15 m oder 25 m Spurt mit maximaler Geschwindigkeit und anschließendem, sehr lockerem Schwimmen, sodass sich eine Pause von circa drei Minuten bis zur nächsten Wiederholung ergibt.
Grundlagenausdauer
Schwimmen Sie auch im Bereich der Grundlagenausdauer (GA1) bevorzugt in Intervallform. Ab und zu darf es auch mal ein längeres Schwimmen (800 Meter und länger) am Stück sein.
8 x 100 m: gleichmäßiges Tempo mit 20 Sekunden Pause
400–300–200–100 m: Tempo gleichmäßig, Pause: 20–30 Sekunden
200 m+2 x 100 m+4 x 50 m: leicht ansteigendes Tempo, Pause: 20–30 Sekunden, hier auch zwei bis drei Durchgänge empfehlenswert
Testserien
Tests sind der Gradmesser für Ihren Trainingserfolg und zeigen die Formentwicklung auf. Schwimmen Sie als Triathlet in jeder Woche einen Test, dokumentieren Sie das Ergebnis und wiederholen Sie ihn nach zwei bis vier Wochen, je nachdem wie viel Zeit bis zum Hauptwettkampf bleibt. Bilden Sie immer eine virtuelle Gesamtzeit aus den einzelnen Intervallen, um den Test reproduzierbar zu machen.
Beispielserien Sprint- und Kurzdistanz:
8 x 50 m, Pause: 20 Sekunden
8 x100 m, Pause: 30 Sekunden
4 x 200 m, Pause: 30 Sekunden
Beispielserien Kurz- und Mitteldistanz
400–300–200–100 m, Pause: 30 Sekunden, Ziel: optimale Gesamtzeit zu erzielen.
5 x 200 m, Pause: 30 Sekunden
10 x 100 m Pause: 30 Sekunden
Beispielserien Mittel- und Langdistanz
15 x 100 m, Pause: 30 Sekunden
500–400–300–200–100 m, Pause: 30 Sekunden (Zielsetzung: optimale Gesamtzeit zu erzielen)
8 x 200 m, Pause: 40 Sekunden
Die genannten Testserien können unabhängig von der Zuteilung zu den jeweils angestrebten Wettkampfstrecken natürlich auch absolviert werden, wenn Sie Ihren Hauptwettkampf in einer anderen Kategorie absolvieren. Je vielseitiger Sie Ihre Testserien durchführen, desto mehr Erfahrungen werden Sie gewinnen.
Unmittelbare Wettkampfvorbereitung
Haben Sie diese letzte und recht intensive Trainingsphase hinter sich gebracht, gilt es, in die abschließende, unmittelbare Wettkampvorbereitung (UWV), auch Tapering, überzugehen. Der wichtigste Merksatz zu dieser Phase, die sich über die letzten beiden Wochen vor dem Hauptwettkampf erstreckt, vorweg: Hier können Sie nichts mehr aufholen, was Sie vorher nicht machen konnten. Hier können Sie aber sehr wohl aus den vorhandenen Möglichkeiten und Fähigkeiten das Allerbeste formen.
Es gilt, sich in dieser Phase gut auszuruhen, aber dabei nicht müde zu werden. Deshalb werden nun die Umfänge sukzessive reduziert, die weniger werdenden Inhalte folgen den beiden Hauptrichtungen Schnelligkeit und Regeneration. Das System in Schwung zu halten, ohne dabei zu viel zu trainieren, ist die hohe Kunst des Taperns. Ruhen Sie sich nämlich ausschließlich aus, wird Ihr durchaus gestresster Organismus, eventuell auch Ihre Psyche, ganz schnell in den Urlaubsmodus übergehen. Müde, gähnend und lustlos an der Startlinie zu stehen, ist selbstverständlich das Schlechteste, was passieren kann.
Aktivieren Sie die Leistungssysteme deshalb regelmäßig über kurze Belastungszeiten von bis zu 100 Metern, im Regelfall aber im Rahmen von 15 bis 50 Metern, um die Explosivität zu erhalten. Ergänzend dazu umrahmen Sie die kurzen Intensitäten mit viel lockerem Schwimmen, um die Muskulatur zu entspannen.
Trainingsplan II
Trainieren Sie zweimal pro Woche im Wasser, so empfiehlt sich die folgende Aufteilung in den letzten beiden Wochen:
Trainingseinheit 1: Umfangsreduzierung um 20 %, Schwerpunkt: letzte lange Testserie
Trainingseinheit 2: Umfangsreduzierung um weitere 20 %, Schwerpunkt: kurzer anaerober Test + Regeneration
Trainingseinheit 3: Umfangsreduzierung um weitere 20 %, Schwerpunkt: Schnelligkeit + gegebenenfalls Test Angangstempo über 50 m + Regeneration
Trainingseinheit 4: Umfangsreduzierung um weitere 20 %, Schwerpunkt: Schnelligkeit + Regeneration
(Umfangsreduzierung ausgehend von den gewohnten Umfängen)
Trainieren Sie dreimal pro Woche im Wasser, so empfiehlt sich die folgende Aufteilung in den letzten beiden Wochen:
Trainingseinheit 1: Umfangsreduzierung um 10 %, Schwerpunkt: letzte lange Testserie
Trainingseinheit 2: Umfangsreduzierung um 10 %, Schwerpunkt: Grundlagenausdauer, evtl. submaximaler GA1-Test
Trainingseinheit 3: Umfangsreduzierung um 10 %, Schwerpunkt: kurzer anaerober Test + Regeneration
Trainingseinheit 4: Umfangsreduzierung um 10 %, Schwerpunkt: Schnelligkeit + Regeneration
Trainingseinheit 5: Umfangsreduzierung um 10 %, Schwerpunkt: Test Angangstempo beispielsweise 2 x 50 m schnell mit 300 m lockerem Schwimmen als Erholung
Trainingseinheit 6: Umfangsreduzierung um 10 %, Schwerpunkt: Schnelligkeit + Regeneration
(Umfangsreduzierung ausgehend von den gewohnten Umfängen)
Mit diesem Ablauf sollte Ihre Schwimmperformance zum Wettkampf hin an Dynamik gewinnen. Das gibt Ihnen die Möglichkeit, gleich zu Beginn Ihres Rennens auf Ihre Erfahrungen aus den Testserien zurückgreifen zu können. Somit wird es Ihnen gelingen, Ihr eigenes Rennen zu schwimmen und nicht das der anderen. Ein wenig Zurückhaltung am Anfang des Rennens ist einem fulminanten Start tendenziell immer vorzuziehen. Und nach dem Schwimmauftakt wird Ihnen in der ersten Wechselzone nur eine Herausforderung bevorstehen: Es stehen womöglich deutlich mehr Räder in den Ständern, als Sie das vielleicht bisher gewohnt waren.
Text: Holger Lüning | allwetterkind.de
Aufmacherfoto: Tenerife Top Training