Last Minute Skills: Radfahren

Ironman 70.3 Salalah
Ironman 70.3 Salalah

Ein Blick auf das Anforderungsprofil längerer Distanzen zeigt sehr deutlich, dass das im Wettkampf gefahrene Tempo einem hohen Grundlagentempo beziehungsweise dem Übergangsbereich von GA1 und GA2 entspricht. Die Zielsetzung eines jeden Triathleten sollte dabei sein, mit einem möglichst geringen Kohlenhydratverbrauch eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu fahren, um die körpereigenen Glykogenspeicher für den abschließenden – und mittlerweile rennentscheidenden – Lauf weitestgehend zu schützen.

Konnte der Sportler jedoch im Rahmen seiner Vorbereitung – aus welchen Gründen auch immer – seine Radeinheiten nicht nach Plan absolvieren beziehungsweise wurde das Training nicht optimal gesteuert, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass neben der fehlenden Ausdauer sich auch der Stoffwechsel nicht an die bevorstehende Herausforderung angepasst hat. Harakiri-Maßnahmen getreu dem Motto „viel oder hart hilft viel“ sind gerade in den letzten Wochen vor dem Rennen völlig fehl am Platz.

Consistency is the Key!

Mario Schmidt-Wendling

GRUNDLAGENAUSDAUER

Manch öffentlich zugängliche Trainingsprogramme oder Postings in den sozialen Netzen zeigen auf, dass hohe VO2max- und FTP-Werte sowie intensive Intervalle – insbesondere auf der Rolle – hoch im Kurs stehen, meist in Verbindung mit dem Prinzip „Qualität vor Quantität“. Viele Triathleten scheinen zu vergessen, dass die „Größe unseres Motors“ nicht nur von der Sauerstoffaufnahme der Lunge abhängt, sondern auch von den Transportmöglichkeiten im Blut sowie dem Verbrauch in den Organen und der Muskulatur. Darüber hinaus wirken sich Geschlecht, Gewicht und Körperstatur auf den individuellen VO2max aus. Mit einem hohen Wert kann also mehr Sauerstoff im Körper umgesetzt und somit auch anfallendes Laktat in Energie verstoffwechselt werden. Und genau darauf zielt das Training ab, denn es verbessert auch die periphere Durchblutung der Skelettmuskulatur bis in die Kapillargefäße. Erreicht wird dies immer noch am „sichersten“ im Grundlagenausdauerbereich. Interessanterweise scheint in den letzten Jahren das Training der für mich alles entscheidenden Grundlagenausdauer im langsamen und moderaten Intensitätsbereich aus der Mode gekommen zu sein. Viele übersehen den positiven Nebeneffekt des „langsamen und somit auch wenig verletzungsträchtigen Trainings“, denn durch „ein Mehr an Sauerstoff“ lässt sich nicht nur die Menge an durch Fett gewonnener Energie steigern, sondern es macht den Athleten langfristig auch schneller. All diejenigen, die sich angesprochen fühlen, sollten sich der Bedeutung der Grundlagenausdauer bewusst sein und das Training dieser – mehr denn je – in den Vordergrund stellen. Sicherlich kann man über die Dauer der Einheiten durchaus diskutieren, jedoch haben Untersuchungen gezeigt, dass nach 4:30 Stunden auf dem Rad keine weiteren Effekte mehr zu erzielen sind. Orientieren Sie sich an dieser Marke, und achten Sie diszipliniert auf eine wirklich niedrige Intensität in ruhigem Tempo und eine ausreichende Energieversorgung während der Fahrt mit anschließender Regeneration daheim.

„Interessanterweise scheint in den letzten Jahren das Training der für mich alles entscheidenden Grundlagenausdauer im langsamen und moderaten Intensitätsbereich aus der Mode gekommen zu sein. Viele übersehen auch den positiven Nebeneffekt des wenig verletzungsträchtigen Trainings.“

ÜBERTRAINING

Ein gefährlicher Zeitpunkt im Trainingsprozess sind die Wochen vor der Taperingphase. Ihre Leistungsfähigkeit ist bereits so hoch, dass viele Athleten aus den geplanten Grundlagenausfahrten eine Art Tempodauerfahrt machen. Kein Wunder, die Sonne scheint, man fährt bereits mit dem Wettkampfequipment und die Beine fühlen sich toll an. Allerdings fährt das Risiko bei jeder „überzockten“ Radeinheit mit. Eine zu schnelle Ausfahrt mag der Organismus noch kompensieren, jedoch führen mehrere zu einer großen Ermüdung, können den Sportler in einen übertrainingsähnlichen Zustand katapultieren und zu einer Verschlechterung der Laktatbildungsrate führen. Von daher bieten sich vielmehr Intervalle von 10–60 Minuten Dauer im Belastungsbereich an. Dadurch gewöhnen Sie sich an die höhere Intensität und halten aufgrund der kürzeren Belastung die Ermüdung weitestgehend im Rahmen.

FASERTHEORIE

Wer primär nur mit geringer Intensität Rad fährt, nutzt lediglich 20–25 Prozent der Muskelfasern der gesamten Beinmuskulatur für die Tretbewegung. Vom Ansatz her ist das ein schlauer Prozess unseres Gehirns, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Und je mehr ein Triathlet in diesem niedrigen Bereich unterwegs ist, desto effizienter steuert das Gehirn eben diese 20–35 Prozent an. Der Nachteil liegt jedoch darin, dass diese Fasern nicht unlimitiert belastbar sind. Wird der Kohlenhydratverbrauch nicht ausgeglichen, „verweigern“ diese Fasern ihre Aufgabe – bei einer Langdistanz sehr häufig festzustellen ab Kilometer 120 – und die „untrainierten“ und deutlich unökonomischeren Fasern kommen ins Spiel. Um auch diese zu aktivieren, nutze ich bei meinen Plänen gerne einen Ansatz aus dem Kraftsport: Zu Beginn des Trainings legt man viel Gewicht auf, um dann das Gewicht zu verringern, jedoch mit mehr Wiederholungen. Übertragen auf das Radtraining, bietet sich folgendes Trainingsbeispiel an:

30 Minuten lockeres Einrollen
2 x 20 Minuten mit hohem Widerstand im oberen GA2-Bereich (dazwischen 10 Minuten locker)
180 Minuten GA1 mit normaler Trittfrequenz
30 Minuten GA2 mit Wettkampftrittfrequenz
10 Minuten lockeres Ausrollen

Grundsätzlich sind in den letzten Wochen vor dem Saisonhöhepunkt Motivationssprüche von Vereins- und Trainingskollegen wie „Geh‘ auch mal an Deine körperlichen Grenzen“ nicht zielführend, im Gegenteil. Lassen Sie sich durch solche Aussagen nicht verunsichern, denn nur Sie – und Ihr Trainer – haben einen detaillierten Überblick über Ihren aktuellen Trainingszustand.

über Mario Schmidt-Wendling
Mario Schmidt-Wendling ist Sportwissenschaftler, Inhaber der A-Lizenz der Deutschen Triathlon Union, ehemaliger Radprofi und seit über 30 Jahren Triathlet. Sein Trainingswissen veröffentlichte der Frankfurter 2021 in seinem Buch „Triathlon – Erfolg auf der Langdistanz“.

Text: Mario Schmidt-Wendling
Foto: Klaus Arendt