Die Pulsfrequenz ist eine hervorragende Kenngröße dafür, wie es unserem Körper geht. Jedoch haben weder Ruhe- und Maximalpuls noch der Durchschnittspuls einer Trainingseinheit eine Aussagekraft über das Leistungsvermögen eines Sportlers. Für sich alleine betrachtet, nutzt der einzelne Wert eines bestimmten Zeitpunktes oder auch einer bestimmten Zeitspanne niemandem. Ende der Aussage. Viel wichtiger ist die Analyse der ganzen Bandbreite der Pumpleistung unseres Herzens, und zwar unter Berücksichtigung der „Eckpunkte“ des sehr komplexen Umfeldes „Organismus“ eines jeden Sportlers. Und diese sind bekanntlich so unterschiedlich wie die Leistung unseres Herzens.
HERZFREQUENZ
So kann zum Beispiel ein Herz mit 160 Schlägen pro Minute genau so viel Blut transportieren wie ein Herz mit 200 Schlägen. Die Chinesen glaubten früher, dass ein Mensch nur eine fest vorgegebene Anzahl von Herzschlägen und Atemzügen zur Verfügung steht. Diese Idee ist interessant und verdeutlicht auf einfache Art und Weise die gesundheitlichen Vorzüge sportlicher Betätigung: Das Herz eines Nichtsportlers mit einem Durchschnittspuls von 70 Schlägen in der Minute schlägt täglich 100.800 Mal (70 Herzschläge x 60 Minuten x 24 Stunden). Ein Mensch, der täglich zwei Stunden mit einem Puls von 140 Schlägen pro Minute trainiert und dadurch seinen Durchschnittspuls auf 55 Schläge pro Minute reduzieren kann, braucht „nur“ 89.400 Schläge pro Tag (140 x 60 x 2 + 55 x 60 x 22). Die relativ schnelle Anpassungsfähigkeit unseres Kreislaufsystems (Herz, Lunge, Blutgefäße) führt dazu, dass trotz des Trainings das Herz eines Sportlers rund zehn Prozent weniger Arbeit verrichten muss. Im Gegensatz dazu benötigen Muskeln, Knochen, Sehnen und Bänder weitaus mehr Zeit, um sich den höheren Belastungen anzupassen.
„Die über einen längeren Zeitraum erhobenen Daten der Herzfrequenzvariabilität eignen sich sehr gut zur allgemeinen Einschätzung des körperlichen Gesamtzustandes.“
An dieser Stelle möchte ich jedoch nicht auf die Vorzüge und Grenzen des herzfrequenzgesteuerten Trainings eingehen, sondern vielmehr auf den häufig vernachlässigten Wert der Herzfrequenzvariabilität. Dass der Abstand zwischen zwei Herzschlägen unterschiedlich lang sein kann, wurde bereits im alten China beobachtet. Was früher nur mittels EKG beim Hausarzt festgestellt werden konnte, lässt sich mittlerweile mit hochwertigen Pulsuhren (idealerweise mit Brustgurt) bequem selbst messen. Auch wenn diese Daten nicht über die medizinisch-technische Genauigkeit eines EKGs verfügen, eignen sich die Ergebnisse sehr gut zur allgemeinen Einschätzung des körperlichen Gesamtzustandes.
SYMPATHIKUS
Die Kontraktion unseres Herzens wird unterbewusst und nicht willentlich durch einen Impuls des Sinusknotens am Herzen hervorgerufen. Verantwortlich hierfür ist das autonome Nervensystem, bestehend aus einem „aktivierenden sympathischen Anteil“, dem Sympathikus, der als Taktgeber beispielsweise für eine Blutdruck- und Herzfrequenzsteigerung oder Pupillenweitstellung am Auge sorgt.
Dominiert der sympathische Zweig – was einer niedrigen Herzvariabilität entspricht –, so sind das all die Merkmale, die wir Triathleten zur Leistungsentfaltung benötigen, also der Anstieg von Herzfrequenz und Blutzuckerspiegel. Verbringt ein Sportler jedoch zu viel Zeit in diesem Bereich, leidet darunter nicht nur die Regeneration, sondern auch die Leistungsentwicklung. Hält dieser Zustand dauerhaft an, spricht man von chronischem Stress, der sich durch einen Verlust an Knochendichte und Muskulatur sowie Gedächtniseinbußen und eine beschleunigte Alterung bemerkbar machen kann. Neben inadäquaten Trainingsbelastungen können auch Alltagsfaktoren in Beruf und Familie, Lebensmittel mit hoher Entzündungsdisposition und Schlafmangel Stressauslöser sein.
PARASYMPATHIKUS
Sein gegenspielender Parasympathikus wird vom Vagusnerv angesteuert und steuert die Funktionen der inneren Organe. Dieser Teil des Nervensystems gilt als Ruhe- oder Erholungsnerv und dient unter anderem der Erholung, dem Aufbau körpereigener Reserven, der Verdauung und der Blutdrucksenkung. Je ausgeruhter ein Sportler ist, desto eher zeigt sich die Fähigkeit der Anpassung an die Stressfaktoren Training und Alltag.
SCHLUSSFOLGERUNG
Betrachtet man nun beide Gegenspieler, so befinden sich Sympathikus und Parasympathikus idealerweise in einer Balance. Um ein hohes Maß an Gesundheit und Leistung zu entwickeln, sollten beide Seiten des vegetativen Nervensystems so gut entwickelt sein, das heißt, dass sich unser Organismus autonom der jeweiligen Situationen anpasst. Übertragen auf den Sport, bedeutet dies, dass wir das sympathische System „auf Kommando anknipsen können“, wenn die Belastung es erfordert, es jedoch direkt danach wieder „ausgeschaltet“ wird, um sich zu erholen. Geraten beide Teile zu sehr aus der Balance, ist es in fast allen Fällen ratsam, das Training in Umfang und/oder Intensität zu reduzieren oder im extremsten Fall eine längere Zeit zu pausieren.
Text: Mario Schmidt-Wendling