Der wohl bekannteste und am meisten diskutierte Wert rund um den Einsatz eines leistungsgesteuerten Radtrainings mit dem Powermeter ist neben den erreichten Watt-Zahlen das Resultat des Functional Threshold Power-Tests. Gerade im Frühjahr werden der FTP-Wert und das damit einhergehende Testprozedere von vielen Athleten als Indikator und zur Bestimmung ihres derzeitigen Leistungszustandes auf dem Fahrrad kommuniziert.
Was aber bringt eigentlich der erhobene Wert, und welche Bedeutung hat dieser für das anstehende Training? Mario Schmidt-Wendling gibt einen Einblick in die Welt der FTP-Zahlen und deren Aussagekraft über die tatsächliche Leistungsfähigkeit eines Triathleten.
DEFINITION
Der im Deutschen mit „funktioneller Leistungsschwelle“ umschriebene Wert soll Aufschluss darüber geben, welche Leistung ein Radfahrer maximal für eine Stunde aufrechterhalten kann. Für den dazugehörigen Test bedarf es keines aufwendigen Set-ups, ein Smart- oder Indoor-Trainer mit integrierter Wattmessung beziehungsweise ein Rad mit Powermeter sind ausreichend. Da ein Test über 60 Minuten eine sehr intensive Belastung darstellt, wurde eine Ableitung mit nur 20 Minuten Dauer entwickelt, die gerade bei Wiederaufnahme des Trainings nach einer Saisonpause völlig ausreichend ist.
ZIELSETZUNG und SCHWÄCHEN
Der ermittelte Durchschnittswert (in Watt) soll – der Theorie nach – die Basis für die Bestimmung der individuellen Trainingsbereiche sein. In der Realität ist das leider nur sehr bedingt möglich. Der Fehler in diesem Konstrukt liegt in der Gleichsetzung der Begrifflichkeit FTP mit der individuellen anaeroben Schwelle. Letztere bezeichnet im Stoffwechsel die Leistung, bei der sich Aufbau und Abbau von Laktat die Waage halten, den maximalen Laktat-Steady-State. Während die aerob-anaerobe Schwelle ein physiologisches Moment darstellt, spiegelt die FTP „lediglich“ einen Leistungswert wider, ohne die physiologischen Zusammenhänge zu beleuchten. Werden also die Stärken und Schwächen im Stoffwechsel eines Athleten nicht abgebildet, können auch keine verlässlichen Aussagen zu den Trainingszielen und anstehenden Einheiten abgegeben werden.
„Ich sehe einen FTP-Test als Hilfsmittel für eine sinnvolle Trainingskontrolle an. Er ersetzt keineswegs eine echte Leistungsdiagnostik!“
Mario Schmidt-Wendling
Vor diesem Hintergrund sehe ich persönlich einen FTP-Test lediglich als Hilfsmittel für eine sinnvolle Trainingskontrolle an. Auch wenn ich das Wunschdenken der Radfahrer und Triathleten hinsichtlich einer schnell und kostenlos durchzuführenden Diagnostik für den Hausgebrauch durchaus nachvollziehen kann, ersetzt das FTP-Verfahren keineswegs eine echte Leistungsdiagnostik. Und deshalb appelliere ich auch an alle in Eigenregie trainierenden Sportler, nicht „ausschließlich“ die Steigerung des FTP-Wertes im Fokus zu haben. Viele Triathleten scheinen zu vergessen, dass für eine Mittel- und Langdistanz nicht unbedingt eine hohe Stundenleistung entscheidend ist, sondern das Verhältnis von einem möglichst niedrigen Kohlenhydratverbrauch und einer hohen Leistung. Und diese Kohlenhydratmenge ist – ich wiederhole mich gerne – an die maximale Laktatbildungsrate gekoppelt. Kein Wunder, dass viele Athleten, die ausschließlich an der FTP-Schraube drehen, im Wettkampf bis zur 130-Kilometer-Marke sehr schnell unterwegs sind, dann aber platzen, weil der Kohlenhydratverbrauch für die bis dahin abgelieferte Leistung einfach zu hoch ist und die weiterhin benötigte Energie nicht dauerhaft durch die von außen zugeführten Gels oder Riegel gedeckt werden kann.
Interessanterweise scheint in den letzten Jahren auf den längeren Distanzen das Training der Grundlagenausdauer im langsamen und moderaten Intensitätsbereich aus der Mode gekommen zu sein. Stattdessen stehen hohe VO2max- und FTP-Werte sowie intensive Intervalle hoch im Kurs, meist in Verbindung mit dem Prinzip „Qualität vor Quantität“.
Exkurs Wattgesteuertes Radtraining ist die effektivste Methode zur objektiven Steuerung der Trainings- und Wettkampfziele. Die erhobenen Daten sind verlässlich und reproduzierbar, sie ermöglichen eine detaillierte Analyse der Leistungsfähigkeit und sind die Basis für eine korrekte Pacingstrategie im Training und Wettkampf. Die Voraussetzung ist jedoch ein präzise kalibrierter Powermeter, unabhängig davon, ob die Werte ein- oder beidseitig in der Kurbel, der Pedalachse, der Hinterradnabe oder den Pedalen erhoben werden.
FAZIT
Mit dem jetzt erlangten Wissen über die Aussagekraft dieser Daten – inklusive der VLamax – erscheinen viele Meldungen in den sozialen Medien in einem anderen Licht. Dabei gilt es auch, zu berücksichtigen, ob sich der Athlet auf kurze oder längere Distanzen vorbereitet. Alles entscheidend, sind nicht die mannigfaltigen Zahlen und Daten des Trainings, sondern das, was schwarz auf weiß in der Ergebnisliste steht, die Wettkampfzeit. „Abgerechnet“ wird bekanntlich auf der Ziellinie.
Text: Mario Schmidt-Wendling
Foto: Garmin