In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Uhren von der Winter- auf die Sommerzeit umgestellt. Um eine Stunde, nach vorne. Ich gebe zu, ich persönlich würde die Zeit viel lieber um genau ein Jahr vorstellen …
Kaum drei Monate ist es her, dass wir uns an den ersten Tagen und Wochen des neuen Jahres „Glück, Gesundheit und Erfolg“ wünschten. Manch einer von uns hat es so daher gesagt, viel interessanter und im Mittelpunkt der meisten Gespräche waren hingegen die Ziele und Pläne für das neue Jahr. Vieles davon – insbesondere bei den guten Vorsätzen – fiel bereits in den ersten Tagen und Wochen dem gewohnten Alltagstrott und Termindruck zum Opfer. Die erhoffte Entschleunigung oder der Neuanfang hatte einfach keine Chance.
Und auf einmal stellte die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Atemwegskrankheit Covid-19 das Leben auf den Kopf. Weltweit. Erst zögerlich, abwartend, teilweise unterschätzt, aber dann mit aller Macht: Geschlossene Kitas, Schulen und Universitäten. Ausgangsbeschränkungen. Home-Office. Versammlungsverbote. Menschenleere Innenstädte und Einkaufszentren. Geschlossene Restaurants, Museen und Theater. Abgesagte beziehungsweise verschobene Messen, Hauptversammlungen und Sportveranstaltungen. Grenzkontrollen und -schließungen, es wurde sogar eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen. Das öffentliche Leben wurde nahezu auf Null heruntergefahren. Kurzarbeit und erste Unternehmensschließungen waren die Folge. Mittlerweile ist ein jeder von uns direkt von den Auswirkungen betroffen oder kennt jemanden in seinem Freundes- und Bekanntenkreis, der gestern noch gut gelaunt, heute jedoch – etwas überspitzt ausgedrückt– vor den Scherben seiner Existenz steht. Manch einer weiß nicht mehr ein noch aus oder wie es weitergeht und ob die eingeleiteten Maßnahmen Früchte tragen.
Rennabsagen
Neben dem Wohlbefinden und der Gesundheit gehen Sportler ihrer Passion mit der Zielsetzung nach, sich entweder mit anderen zu messen oder eine neue persönliche Bestleistung aufzustellen. Der direkte Wettstreit ist durch entsprechende Verfügungen der Behörden aktuell nicht möglich. Stand 26. März hat nicht nur die Ironman-Group in Europa bis Ende Mai alle Wettkämpfe abgesagt beziehungsweise auf einen späteren Termin in diesem Jahr verschoben, auch der DATEV Challenge Roth cancelte frühzeitig die für den 5. Juli vorgesehene Veranstaltung. Bei allem Frust über Absagen und Verschiebungen, dem damit geplatzten Traum einer neuen Bestzeit, einer Podiumsplatzierung oder Hawaii-Qualifikation dürfen wir nicht vergessen, dass wir Triathleten unseren geliebten Sport – wenn auch vorerst nicht im Wettkampfmodus – weiter ausüben können. Ganz im Gegensatz zu den Mannschaftssportarten, Kraftsportlern, Turnern und Schwimmern beispielsweise, denen durch die diversen Verfügungen und Schließungen der Sportstätten die Möglichkeit genommen wurde, ihr Hobby auszuüben. Auf die Situation der Profisportler, die sich auf die ersten Highlights der Saison vorbereitet haben und nun vor ungewissen Wochen stehen, geht die Redaktion noch separat ein.
Kein Verständnis
Wenig Verständnis habe ich mit denjenigen, die bereits im Vorfeld einer im Raum stehenden Rennabsage bereits hochemotional und mit juristischem Beistand drohend über die Rückzahlung der kompletten Anmeldegebühr diskutieren. Und selbst die – am Beispiel des DATEV Challenge Roth – in den AGBs unter §3.5 aufgeführte und einbehaltene pauschale Bearbeitungsgebühr von 90 Euro wird unmittelbar nach der Videobotschaft der Familie Walchshöfer kritisiert. Ob ein Wettkampf durch einen Verein, ein Familienunternehmen oder eine Aktiengesellschaft organisiert wird, keiner möchte seine Veranstaltung absagen. Jeder freiwillige Helfer und festangestellter Mitarbeiter freut sich auf diesen einen Tag und arbeitet darauf hin. Die gern herbeigezogenen Argumente „keine Leistung, also Geld zurück“ oder „Unternehmerrisiko“ mögen vielleicht auf dem ersten Blick einleuchtend erscheinen, allerdings fallen die Kosten für eine Veranstaltung nicht erst am Wettkampftag oder in den beiden Wochen davor an. Ich verweise an dieser Stelle gerne auf den Artikel „Drohende Rennabsagen: Ohne Veranstalter keine Veranstaltungen“ meines Kollegen Frank Wechsel, Herausgeber des Fachmagazins „triathlon“. Es wäre mehr als schade, wenn aufgrund von Sammelklagen Vereine und kommerzielle Event-Agenturen in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Damit ist niemandem geholfen. Alle reden in diesen Tagen von Solidarität, wir Triathleten haben es also selbst in der Hand und können durch unser Handeln dazu beitragen, das der geliebte Wettkampf auch noch im Rennkalender 2021 aufgeführt wird, oder eben auch nicht.
Stellenwert Triathlon
Ein Blick in die berühmte Glaskugel ist aufgrund der sich tagtäglich verändernden Dynamik nahezu unmöglich. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass in den kommenden Wochen das öffentliche Leben sukzessive wieder hochgefahren wird, nein hochgefahren werden muss. Die Ausgangsbeschränkungen lassen sich – neben den wirtschaftlichen Zwängen – nicht „unendlich lange“ aufrechterhalten. Außerdem steht der Frühling vor der Tür. Nach dem regenreichen Winter scharren die Menschen geradezu mit den Hufen, nach draußen zu gehen. Die schönste Zeit des Jahres beginnt, die ersten Sonnenstrahlen laden zum Verweilen auf der Parkbank oder zum Picknick mit Freunden ein. Vor diesem Hintergrund werden Politiker, Virologen und Mediziner alles dransetzen und darauf achten, die Bevölkerung zu schützen, auch um einen Jojo-Effekt hinsichtlich Eindämmung und Ausbreitung der Covid-19-Krankheit zu vermeiden.
Auch wenn der Sport mit all seinen Facetten ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor ist, glaube ich, dass bei den Überlegungen der Entscheidungsträger die Genehmigung und Durchführung von Sportveranstaltungen eine wohl eher untergeordnete Rolle spielen wird. In diesem Zusammenhang zitiere ich gerne aus der Pressemeldung der TEAMCHALLENGE GmbH zur Rennabsage des DATEV Challenge Roth:
„Deutschland und die ganze Welt stehen vor einer riesigen Herausforderung. Die ständig steigende Zahl der Infektionen und leider auch der Toten zwingt uns dazu, umzudenken und die eigene Sichtweise auf viele Dinge, die uns lieb sind, der Realität anzupassen. Wir müssen lernen, dass der Sport, insbesondere unser geliebter Triathlonsport, auf einmal nicht mehr das Wichtigste im Leben ist. Im Moment geht es um Dinge, die größer sind und wichtiger als Triathlon. Es geht um die Eindämmung eines aggressiven und lebensbedrohenden Virus, und wir alle können im Moment nur hoffen und glauben, dass er bald besiegt wird. Wenn wir uns die gewaltigen Konsequenzen und Auswirkungen vor Augen halten, die diese Pandemie der Weltbevölkerung abverlangt, ist im Vergleich dazu die Absage einer Sportveranstaltung – und sei es auch eine so große wie der DATEV Challenge Roth – nahezu ohne Bedeutung, nichts als ein Sandkorn in der Wüste. Das sollten wir uns in dieser Situation vor Augen halten, dann fällt es uns allen auch leichter, die Dinge richtig einzuordnen.“
Dem ist nichts hinzuzufügen!
Und trotzdem, die Hoffnung stirbt zuletzt
Wäre es doch nur schon März 2021, dann könnte ich an dieser Stelle sicherlich einen erfreulicheren Ausblick auf die Sommerzeit geben. Stattdessen hoffe ich hier und heute darauf, dass mit etwas Glück zum Saisonende eventuell kleinere Wettkämpfe mit wenigen hundert Teilnehmern unter Auflagen durchgeführt werden dürfen. Mit etwas Glück. Aber bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt.
Unabhängig davon sind jetzt Athleten und Trainer gefragt, wie sie vor dem Hintergrund der Pandemie-Dynamik ihr Training gestalten, es neu ausrichten und sich motivieren. Vielleicht bietet es aber auch die Chance, aufgrund geringerer Umfänge Verletzungen auszuheilen oder sich anderen ausdauersportlichen Herausforderungen jenseits des Tellerrandes zu stellen, beispielsweise einer Etappenfahrt auf dem Rad quer durch die Republik?
PS.
Eins hat sich in den letzten Wochen schon verändert. Die in der Vergangenheit ebenfalls so lapidar gestellte Frage „geht’s Ihnen gut?“ hat in der Zwischenzeit einen ganz anderen Stellenwert. Die meisten Fragesteller möchten tatsächlich wissen, wie es dem Gegenüber geht und nicht nur hören „danke, alles bestens“. E-Mails, WhatsApp- und Sprachnachrichten enden mittlerweile meist mit einem „bleib gesund“, so auch dieser Kommentar: stay healthy.
Kommentar: Klaus Arendt
Foto: Silas Stein | silasstein.de