Reaktionen und Stellungnahmen
Vor diesem Hintergrund bekommt der von Dr. med. Klaus Pöttgen – ehemaliger medizinischer Direktor des Ironman Frankfurt (2002–2014) – veröffentlichte Artikel in der Sportärztezeitung (Ausgabe 1|2019) eine ganz andere Bedeutung zuteil. Unter dem Titel „Alternative zu NSAR/ Schmerzmittel“ geht Dr. Pöttgen im Detail auf den Einsatz und die Potenziale entzündungshemmender pflanzlicher Ernährung und Proteine ein. Er verweist darauf, dass nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) im Sport gar nicht beziehungsweise – unter ärztlicher Aufsicht – nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden sollten. Auch wenn seit 1970 entzündliche Erkrankungen und viele akute Verletzungen mit NSAR behandelt werden, zeigten sich diese Substanzen vor allem bei chronischer Anwendung als schädlich mit unerwünschten Nebenwirkungen. Und auch nach der Belastung zeigen NSAR einen deutlich negativen Effekt auf die Regeneration, indem sie die Einbaurate von Protein als wichtige Regenerationsmaßnahme senken. Forslund (2003) fand unter NSAR einen verringerten Querschnitt und Kollagengehalt in heilenden Sehnen. Stattdessen sollten die Potenziale einer entzündungshemmenden pflanzlichen Ernährung und Proteine genutzt werden.
Und auch Thomas Isenberg, Geschäftsführer Deutsche Schmerzgesellschaft e.V., äußerte am Telefon sein Befremden und Unverständnis. Isenberg gab zu bedenken, dass fast jeder zweite Erwachsene innerhalb von vier Wochen mindestens einmal zu rezeptfreien Schmerzmitteln greift und die Einnahme zudem oftmals zu lange erfolge. Bis zu einem Drittel der Nutzer von Schmerzmitteln, so Isenberg weiter, kennen deren Anwendungsempfehlungen nicht, zumal der längere Gebrauch von Schmerzmitteln ohne ärztlichen Rat nicht nur zu einem Gewöhnungseffekt führen kann, sondern auch viele gesundheitliche Risiken birgt.
Darüber hinaus haben wir uns in den vergangenen Tagen mit Vertretern aus Industrie, Politik, Medizin, Verbänden und diversen Institutionen unterhalten. Nachfolgende Stellungnahmen möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.
Bayer Vital GmbH – abgegeben für den deutschen Markt
Analgetische Wirkstoffe dienen nicht der Leistungssteigerung beziehungsweise -erhaltung und werden auch nicht auf der Dopingliste geführt. Das Anwendungsgebiet umfasst die Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen und Fieber. Die Einnahme rezeptfreier Schmerzmittel zur Prävention von Schmerzen vor einem Wettkampf ist ein nicht-bestimmungsgemäßer Gebrauch und in keiner Weise zu befürworten. Wer nach einem Wettkampf Schmerzen spürt, kann diese mit einem Schmerzmittel maximal vier Tage in Folge, unter Berücksichtigung der zugelassenen Indikation sowie der in der Packungsbeilage angegebenen Einzel- und Tageshöchstdosierung selbst behandeln. Generell sollten Sportler ihrem Körper nur so viel zumuten, wie sie schmerzfrei vertragen.
Bayer AG (USA)
Aleve is a proven and trusted choice for the temporary relief of minor back, body, and muscle aches, and it is also indicated for minor arthritis pain, headache, toothache, minor pain associated with the common cold, and menstrual cramps. It also temporarily reduces fever. Importantly, Aleve should be used only according to its approved indications, as noted in the label instructions. We would encourage anyone with questions about the proper use of this medicine to talk to their doctor.
Deutsche Triathlon Union e.V.
Die Deutsche Triathlon Union (DTU) hat mit Unverständnis auf die Bekanntmachung von IRONMAN reagiert, in der Aleve – ein Schmerzmittel der Firma Bayer – als neuer Sponsor vorgestellt wird. „Sowohl aus medizinischer, als auch aus ethischer Sicht, können wir diese Partnerschaft nicht gut heißen. Die Botschaft, die den Altersklassen-Athleten damit vermittelt wird, nämlich zu Schmerzmitteln zu greifen, um Training und Wettkampf besser ertragen zu können, ist ethisch mehr als fragwürdig“, sagt Dr. Christoph Simsch, der Anti-Doping-Beauftragte der DTU und fügt an: „Die DTU hat sich seit ihrer Gründung dem Anti-Doping-Kampf verschrieben und setzt dabei vor allen Dingen auf das Mittel der Prävention. Wir wollen gerade auch Age Grouper aufklären, was für Auswirkungen die Einnahme von Medikamenten auf die körperliche Gesundheit haben kann und welchen Risiken sie sich aussetzen.“
Das Medikament Aleve gehört zu der Gruppe der nicht-steroidalen Antiphlogistika (NSAR). Unter intensiver körperlicher Belastung können sich bei Gebrauch erhebliche gesundheitliche Risiken einstellen, wie z.B. schwerwiegende Nierenfunktionsstörungen. Auch das erhöhte Risiko, an einem akuten Herztod zu sterben, ist mittlerweile belegt.
Nationale Anti Doping Agentur Deutschland
Wir sehen es sehr kritisch, wenn Schmerzmittel- oder Nahrungsergänzungsmittelhersteller als Sponsoren von Sportveranstaltungen, Vereinen oder Sportlern auftreten. Die Signalwirkung eines solchen Engagements mit entsprechenden Werbeslogans ist insbesondere für junge Sportlerinnen und Sportler fatal.
Die NADA rät dazu, Schmerzmittel nur bei einer entsprechenden Indikation und in keinem Fall präventiv vor dem Wettkampf einzunehmen. Warnsignale des Körpers werden ausgeschaltet. Dies kann Gesundheitsschäden hervorrufen.
Dagmar Freitag | SPD Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende „Sportausschuss des Deutschen Bundestages„
„Der Veranstalter feiert die neue Zusammenarbeit ungeniert als „perfect match“. Die Risiken, die grundsätzlich mit der Einnahme auch rezeptfreier Medikamente einhergehen, spielen offensichtlich nicht die geringste Rolle. Das ist ein völlig falsches Signal und einfach verantwortungslos.“
„Hier wird deutlich, dass es bei Veranstalter und Hersteller nicht einen Hauch von Problembewusstsein gibt. Im Gegenteil: es wird ohne erkennbare Hemmschwelle kommuniziert, dass die Einnahme dieses speziellen Schmerzmittels die Vorbereitung auf den Wettkampf und die Schmerzen danach erträglich macht. Der Wettkampf selbst wird in der Pressemitteilung vorsichtshalber nicht ausdrücklich erwähnt, nur: Wenn Aleve vorher und hinterher Schmerzen lindert, dann – und das ist die implizierte Botschaft – doch auch während des Wettkampfs! Für den Veranstalter passt es, schließlich wird die neue Zusammenarbeit ungeniert als „perfect match“ abgefeiert. Die Risiken, die grundsätzlich mit der Einnahme auch rezeptfreier Medikamente einhergehen, spielen offensichtlich nicht die geringste Rolle. Ein völlig falsches Signal an Athletinnen und Athleten, übrigens gleich welcher Sportart. Mit anderen Worten: einfach verantwortungslos.“
Prof. Dr. Dr. Perikles Simon | Molekularbiologe und Leiter Sportmedizin Johannes Gutenberg-Universität Mainz
„Nichtsteroidale Antiphlogistika im Kontext des Ultraausdauerwettkampfsportes zu bewerben, halte ich in vielfacher Hinsicht für falsch.“
„A leader in this field and a brand our athletes use” – das ist ja einmal ein erfrischend offenes Statement des Veranstalters. Nichtsteroidale Antiphlogistika sind insbesondere dann, wenn man sie im Wettkampf selber und/ oder bei härteren und längeren Trainingseinheiten einsetzt – auch wenn sie in niedriger Dosierung in den Apotheken frei verkäuflich erhältlich sind – sehr kritisch zu sehen. In den ersten Tagen einer Verletzung können diese Medikamente im Einsatz, wenn von einem Arzt verschrieben, sehr sinnvoll sein. Ihre korrekte Verwendung setzt aber auch voraus, dass in dieser Zeit allenfalls lockeres Ersatztraining durchgeführt wird.
Die Mittel haben als Nebenwirkung nicht selten leichte gastrointestinale Blutungen zur Folge. Das ist auf längere Sicht bei einer dauerhaften Einnahme zum Beispiel dann ein Problem, wenn jemand dadurch einen Eisenmangel und in der Folge Leistungsverluste aufgrund einer Anämie davonträgt. Schwere Blutungen, welche im ärztlich verordneten Einsatz sehr selten vorkommen, sind sogar lebensbedrohlich. Da diese Medikamente zum Beispiel auch bei Regelschmerzen von Frauen insbesondere häufig eingenommen werden, überrascht es nicht, dass Todesfolgen aufgrund von Blutungen nach Einsatz dieser Medikamente in Deutschland dennoch eine der häufigsten pharmakologischen Komplikationen mit Todesfolge überhaupt sind.
Leider ist aus dem Sport bekannt geworden, dass ein chronischer Einsatz zum Beispiel bei Spitzenfußballern schon zu dauerhaften Nierenschäden geführt hat, wobei Sportler insbesondere im Wettkampf sich offenbar nicht mit Standarddosierungen zufrieden geben, sondern diese Medikamente mitunter fahrlässig überdosieren, was wiederum das Risiko der oben beschriebenen Blutungen unkontrollierbar erhöht. Diese Produkte im Kontext des Ultraausdauerwettkampfsportes zu bewerben halte ich in vielfacher Hinsicht für falsch.
In erster Linie hoffe ich, dass diese Aktion für die Pharmafirma selber klar geschäftsschädigend ist. Vielen Triathleten wird dieser Widerspruch meines Erachtens nicht gefallen. Es ergibt sich nämlich der Widerspruch, dass man seinen Sport gesund und ohne pharmakologische Unterstützung im Idealfall realisieren sollte. Das können die meisten Triathleten. Gleichzeitig wird aber vom Veranstalter ein Mittel beworben, dass im Wettkampf selber dieser Maxime widerspricht und das dort ganz klar nicht hingehört.
Sylvia Schenk | Leiterin Arbeitsgruppe Sport Transparency International Deutschland e.V.
„Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass der Ironman solch ein Sponsoring eingegangen ist, denn es fördert die Dopingmentalität.“
Leider gehört es in etlichen Sportarten dazu, ohne medizinischen Grund Schmerzmittel zu nehmen, im Handball teils schon für Minderjährige. Mir ist ein Fall bekannt, bei dem ein Trainer einer Laufgruppe zur Marathonvorbereitung persönlich starke Schmerz-Tabletten an die Hobbysportler verteilt hat, damit sich der Magen schon mal für den Marathon daran gewöhnen kann. Dieses Verhalten macht mich fassungslos, denn eine solche Verabreichung ist für mich ein erster Einstieg in die Dopingmentalität.
Das gleiche macht der Ironman, wenn er jetzt über dieses Sponsoring quasi für die Teilnehmer an über 235 Events in über 55 Ländern Schmerzmittel nicht nur verharmlost, sondern geradezu zu einer Notwendigkeit erklärt. So wie sich die Formulierung in der Pressemitteilung liest, scheint es nicht darum zu gehen, durch die Einnahme eines Medikamentes den Schmerz einer Verletzung zu lindern. Es wird vielmehr suggeriert, dass ein Schmerzmittel zum Training und Wettkampf einfach dazugehört. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass der Ironman solch ein Sponsoring mit dieser Aussage eingegangen ist, denn es fördert die Dopingmentalität.
Diesbezüglich wird der Ironman seiner Verantwortung für die Teilnehmer und darüber hinaus in keiner Weise gerecht. Mir fällt dabei der Opioid-Skandal, der aktuell in den USA für Schlagzeilen sorgt, ein. Demnach sind in den USA nach Behördenangaben zwischen 1999 und 2017 fast 400.000 Menschen an den Suchtfolgen des Schmerzmittel-Missbrauchs gestorben. Auch wenn die Produkte nicht unmittelbar miteinander vergleichbar sind, sollte doch jedem unverantwortlichen, sorglosen Umgang mit Schmerzpräparaten eine Absage erteilt werden, statt noch beim Sport dafür zu werben.
Fazit
Sehr nachdenklich stimmt mich auch ein kürzlich auf Spiegel Online veröffentlichter Artikel, in dem steht, dass 1,9 Millionen Menschen zwischen 16 und 64 Jahre täglich schmerzstillende Medikamente einnehmen. Dabei handelt es sich überwiegend um rezeptfreie Präparate wie Ibuprofen, Diclofenac und ähnliche. Dass zwischen 2008 und 2017 der Verkauf rezeptfreier Schmerzpräparate in Deutschland von 30 auf 50 Millionen Packungen jährlich gesteigert wurde, sei in diesem Zusammenhang nur am Rande erwähnt.
Auch wenn in Nordamerika ein anderer Umgang mit Schmerzmitteln gehandhabt wird – Medikamente können zum Teil ohne Rezept oder Beratung im Supermarkt gekauft werden –, halte ich dieses für das wichtigste Triathlonrennen des Jahres eingegangene Engagement aus oben genannten Gründen für keine gute Idee.
Bei allem Gewinnstreben darf die Gesundheit und Sicherheit der Ausdauersportler nicht aufs Spiel gesetzt werden. Jeder Veranstalter sollte dieses fest in seinen Leitlinien verankert haben und leben. In Deutschland jedenfalls müssen die Ironman Group und die Bayer AG einiges an verbrannter Erde wieder zum Leben erwecken.
Ein erster Schritt ist von Seiten der Bayer AG mit der Stellungnahme der Bayer Vital GmbH erfolgt, die beinhaltet, dass die Einnahme rezeptfreier Schmerzmittel zur Prävention von Schmerzen vor einem Wettkampf ein nicht-bestimmungsgemäßer Gebrauch und in keiner Weise zu befürworten ist.
Ich hoffe, dass beide Unternehmen die Reaktionen dieses Engagements objektiv auswerten und dabei nicht ausschließlich den Revenue in den Vordergrund stellen, sondern den gesunden Sportler.
Text/ Foto: Klaus Arendt