Manche Sportler können sich mehr quälen als andere. Die psychische Ausdauerfähigkeit kann daher rennentscheidend sein. Aber wie lässt sich diese Fähigkeit trainieren? Ein Artikel von Prof. Dr. Dr. Jürgen Gießing
Ausdauer wird im allgemeinen Sprachgebrauch gleichgesetzt mit der Fähigkeit, eine Bewegungsform („Ausdauersportart“) wie das Laufen, Schwimmen oder Radfahren über einen längeren Zeitraum durchführen zu können. Diese Fertigkeit hängt in erster Linie von der aeroben Leistungsfähigkeit des Körpers ab. Je trainierter jemand ist, desto mehr Anpassungserscheinungen körperlicher Art stellen sich ein. Dazu gehören unter anderem eine Erhöhung der Blutmenge, des Lungen- und Herzschlagvolumens, verbesserte Fließeigenschaften des Blutes und eine verbesserte Durchblutung der Muskulatur durch die Neubildung kleinster Blutgefäße.
Die allgemeine aerobe Ausdauer, um die es hier geht, umfasst aber noch eine weitere Komponente. Schlägt man in einem sportwissenschaftlichen Lehrbuch nach, findet man unter dem Begriff der allgemeinen Ausdauer ausführliche, aber auch knappe Definitionen. Die Ausdauer ist die Fähigkeit, einem Reiz zu widerstehen, der zum Abbruch der Belastung auffordert sowie die Fähigkeit, sich nach anstrengenden Belastungen möglichst schnell zu erholen. An dieser Formulierung wird deutlich: Wenn es darum geht, einem Reiz zu widerstehen, geht es nicht nur um körperliche Fähigkeiten. Aus diesem Grund lässt sich die allgemeine aerobe Ausdauer auch als die psycho-physische Ermüdungswiderstandsfähigkeit beschreiben.
Messung der körperlichen Ausdauer
Die Ausdauer umfasst also ganz offensichtlich zwei voneinander zu unterscheidende Teilaspekte, nämlich zum einen die körperliche Ermüdungswiderstandsfähigkeit und zum anderen die psychische. Die körperliche Komponente der Ausdauer beruht im Wesentlichen auf den oben genannten physischen Eigenschaften, wie zum Beispiel Lungenvolumen, Herz- und Herzschlagvolumen. Diese Eigenschaften lassen sich messen und direkt beziehungsweise indirekt bestimmen. Eine direkte Messung des Lungenvolumens und der Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems ist etwa durch Spiroergometrie möglich, bei der unter Belastung Atemgase, Puls, Blutdruck und weitere Werte bestimmt werden. Ein anderes diagnostisches Verfahren ist die Laktatmessung, bei der direkt nach einer Belastung der Laktatgehalt des Blutes bestimmt und somit darauf geschlossen werden kann, wie intensiv die vorangegangene Belastung den Stoffwechsel beansprucht hat.
Ruhepuls und Erholungsdauer
Aber auch ohne aufwendige Messverfahren kann man die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems relativ verlässlich einschätzen. Ein niedriger Ruhepuls ist ein guter Indikator für ein sehr effizient funktionierendes Herz-Kreislauf-System. Ebenso liefert die Zeitspanne, die der Körper benötigt, um nach einer intensiven Belastung die Herzfrequenz während der anschließenden Ruhephase wieder nach unten zu bringen, einen wichtigen Anhaltspunkt für die aerobe Leistungsfähigkeit. Alle diese Verfahren werden in der Leistungsdiagnostik eingesetzt, um Aussagen über die körperliche Komponente der Ausdauer treffen zu können. Doch wie sieht es mit der psychischen Komponente aus?
Suche nach Begrifflichkeiten
Während es bei der Bestimmung der physischen Ausdauer von Testmethoden und Fachbegriffen nur so wimmelt, wird zur Beschreibung der psychischen Ausdauerleistungsfähigkeit oft auf einen ganz und gar unwissenschaftlichen Begriff zurückgegriffen: der innere Schweinehund. Diesen gilt es, zu überwinden, um dem Verlangen nach dem Abbruch der Belastung zu widerstehen. Zu ihm gehört wohl die innere Stimme, die uns während anstrengender Phasen nahelegt, sich nicht so zu quälen und die Belastung doch einfach abzubrechen.
Bestimmung psychischer Leistungsfähigkeit
Eine objektive Bestimmung der psychischen Ausdauerleistungsfähigkeit ist (bisher) nicht möglich. Als Hilfsmittel wird allerdings die Borg-Skala herangezogen. Um die subjektive Beanspruchung des Betreffenden herauszufinden, wird die Person gebeten, auf einer 20-Punkte-Skala anzugeben, als wie anstrengend sie die aktuelle Belastung empfindet (siehe Abbildung Seite 74). Untersuchungen, in denen die empfundene Beanspruchung der Trainierenden anhand der Borg-Skala erhoben und mit objektiven Daten (zum Beispiel Spiroergometrie) verglichen wurden, legen den Schluss nahe, dass die psychische Ausdauerleistungsfähigkeit von Person zu Person variiert. Mit anderen Worten: Einige Sportler können sich mehr quälen als andere. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, welche der beiden Teilkomponenten der Ausdauer die wichtigere von beiden ist – die psychische oder die physische?
Fitness ist die Basis
Die aufgeworfene Frage lässt sich mit einem klaren „das kommt darauf an“ beantworten. Eine naheliegende Antwort ist natürlich, dass stets derjenige Athlet ein Rennen gewinnt, der sich am meisten quälen kann. Das stimmt aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Wenn sich alle Läufer in körperlich ähnlich guter Verfassung befinden, dann dürfte sicherlich derjenige siegen, der die größte Willensstärke mitbringt und am besten „beißen“ kann. Aber wie verhält es sich bei unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen? Hier liegt die Antwort auf der Hand: Je besser die Form einzustufen ist, desto weniger spielt die psychische Komponente eine Rolle. Gegen einen Olympiasieger im Marathonlauf hat ein Freizeitsportler keine Chance, selbst wenn der Profi „mit angezogener Handbremse“ agiert.
Zur Trainierbarkeit der psychischen Ausdauer
Misst sich ein Sportler jedoch mit körperlich besser Trainierten, deren Leistungsunterschied nicht allzu groß im Vergleich zur eigenen Leistungsfähigkeit ist, hat er bei entsprechender psychischer Ausdauerleistungsfähigkeit dennoch eine realistische Chance, das Rennen zu gewinnen. Doch wie kann man die psychische Ausdauer trainieren? Zum Teil ist diese anlagebedingt, da einige Menschen über eine höhere Schmerztoleranz verfügen als andere. Darüber hinaus lässt sich jedoch einiges tun, um die Belastung besser wegstecken zu können.
Intensitätsspitzen einbauen
Eine gute Möglichkeit zur Verbesserung der psychischen Ausdauer besteht in der Gewöhnung an Belastungen, die als unangenehm empfunden werden. Bei Laufdisziplinen spielen sich diese vor allem im Bereich der aerob-anaeroben Schwelle ab. Aus diesem Grund sollte im Training nicht nur die Dauermethode, sondern regelmäßig eine intervallartige Belastung angewandt werden. So übt sich der Sportler im Umgang mit Intensitätsspitzen. Diese treten zum Beispiel bei (Zwischen-)Spurts auf. Hierbei steigt der Laktatspiegel in der Muskulatur deutlich an, was als sehr unangenehm empfunden wird und bei sehr hohen Konzentrationen sogar schmerzt.
Resistenz entwickeln
Je besser der anaerobe Stoffwechsel trainiert ist, desto eher gelingt es anschließend, das entstandene Laktat wieder abzubauen. Dies führt ebenfalls dazu, dass die Schmerzen schneller nachlassen. Regelmäßig Intervalltrainings durchzuführen, hat auch einen ganz praktischen Nutzen. Egal, ob sich die Belastung erhöht, weil gerade ein steiler Berg zu meistern ist oder ob es in einem Rennen einen Antritt des Konkurrenten zu parieren gilt: Je mehr Sie solche vorübergehenden Belastungsspitzen gewohnt sind, desto besser können Sie diese im Ernstfall wegstecken.
Zwei Fliegen mit einer Klappe
Aus diesem Grund gilt: Hin und wieder sollten ein paar Zwischenspurts zum Training gehören. Zum einen verbessern sie die Gewöhnung an Belastungsspitzen und damit die psychische Ermüdungswiderstandsfähigkeit. Zum anderen trainieren intervallartige Belastungen das Herz-Kreislauf-System und damit die physische Ausdauer sehr effektiv. Dies zeigt, wie sehr die beiden Komponenten der Ausdauer zusammenhängen.
Fazit: Wer regelmäßig einen Gang hochschaltet, der profitiert dabei sowohl physisch als auch psychisch.
Die wichtigsten physischen Anpassungserscheinungen des Ausdauertrainings:
– Reduktion von Ruhe- und Belastungspuls
– Vergrößertes maximales Schlag- und Herzminutenvolumen
– Verbesserte Durchblutung des Herzmuskels
– Ökonomisierung der Herzarbeit
– verbesserte Kapillarisierung der Muskulatur
– Regulierung des Blutdrucks
– Vergrößerte maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit
Prof. Dr. Dr. Jürgen Gießing studierte Anglistik sowie Sport- und Erziehungswissenschaften und promovierte 1997 und 2002 in den letzteren beiden Fachgebieten. Seit 2007 hat er an der Universität Koblenz-Landau eine Professur inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen neben den sportmedizinischen Aspekten des Trainings auch die Theorie und Praxis des Muskelaufbaus. Er hat sich besonders durch seine Forschung im Bereich des Hochintensitätstrainings (HIT) verdient gemacht. Jürgen Gießing ist unter anderem Mitglied in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft.
Foto: Klaus Arendt