Michaela Renner-Schneck testet den Stryd Powermeter im Langzeittest. Dabei geht es um das Thema Wattmessung beim Laufen. Heute: Sinn oder Unsinn eines Running-Powermeters im täglichen Training.
Nachdem ich euch in meinem letzten Beitrag die graue Theorie der Laufökonomie in Form eines Reviews des Stryd RE White Papers im Schnelldurchlauf nähergebracht habe, kommt heute der zweite Blog zum Thema Laufökonomie.
Vermutlich wird sich der ein oder andere, der meinen letzten Beitrag zur Laufökonomie gelesen hat, gedacht haben: Ist ja toll – und was soll ich jetzt damit? Genau deshalb soll es in diesem Beitrag um den Sinn und/oder Unsinn eines Running-Powermeters im täglichen Training und in der Trainingsplanung gehen.
Das Offensichtliche zuerst
Power versus Herzfrequenz als Steuergröße für Intensität: unbestechlich und direkt.
Die Leitung in Watt (im Folgenden der Klarheit halber „Power“ genannt) hat gegenüber der Herzfrequenz (HF) als Steuergröße für die Intensität unbestritten den Vorteil, dass sie „unbestechlich“ ist, also nicht wie die HF sensibel auf äußere Faktoren wie Wetter, Gelände, zunehmende Müdigkeit, Flüssigkeits- oder Energiehaushalt reagiert. Ein weiterer Pluspunkt für die Power als Steuergröße offenbart sich speziell bei kurzen, intensiven Intervallen oder Antritten: Physiologisch bedingt erfolgt die, einer Intensitätsänderung entsprechenden Anpassung der HF mit gewisser zeitlicher Verzögerung – die HF „hinkt“ also im Training immer etwas hinterher, was sie als Steuergröße für schnelle Intensitätswechsel und kurze Intervalle also quasi nutzlos macht. Anders dagegen die Power: Diese Größe reagiert direkt und ohne zeitliche Verzögerung auf jede Veränderung der Intensität. Ok, ob diese, dann auch in Vortrieb umgesetzt wird steht dabei – zumindest beim Laufen – auf einem anderen Blatt, aber dazu später mehr.
Power statt Speed als Pacing-Parameter
Theoretisch betrachtet ist die direkte, unbestechliche Power der etwas trägen, sensiblen HF als Steuergröße überlegen. Man kann aber sogar noch weiter gehen und sagen, dass die Power der tatsächlichen Geschwindigkeit als Steuergröße für ein erfolgreiches Pacing ebenfalls überlegen ist. Eine Rennstrategie oder Trainings-Pace die sich an einer Geschwindigkeitsvorgabe orientiert ist zwar „unbestechlicher“ als die HF, muss aber auf jeden Fall das Gelände und oftmals auch die Wind- und Wetterverhältnisse berücksichtigen. Stellt euch zur Veranschaulichung kurz folgende Situation vor: Ihr kanntet den Rennkurs vorher nicht so wirklich genau und habt dann unterwegs beschlossen, dass „schnell“ heute einfach „so schnell wie möglich“ bedeutet. Jetzt hilft euch der schicke Trainingscomputer am Handgelenk besten Falls kein Stück weiter und schlimmsten Falls treibt er euch in den Wahnsinn, weil die Anzeige euch permanent mit der Tatsache auf die Nerven geht, dass ihr viel langsamer unterwegs seid, als ihr euch das vorgestellt hattet.
Wäre auf der Uhr jedoch ein Feld, welches einem die Power anzeigt, wüsste man genau in welchem Intensitätsbereich man sich gerade bewegt, sprich ob die momentane Geschwindigkeit unter diesen Verhältnissen den eigenen Fähigkeiten entspricht, ob man also über seine Verhältnisse lebt bzw. rennt oder ob man sogar noch zulegen könnte.
Und wer schon mal probiert hat, die x:yz min/km, die er/sie bei „sonnig, trocken, windstill“ ganz gut hinkriegt, auf gleicher Strecke bei Eisregen von schräg vorne zu laufen, weiß was ich mit „die Wind- und Wetterverhältnisse berücksichtigen“ meine …
Man erkennt sehr deutlich, wie die Power sofort auf eine Belastungsänderung reagiert während die HF zeitlich „hinterher hängt“. Außerdem sehr schön zu erkennen der kontinuierliche Anstieg der HF über das längere Belastungsintervall, aufgrund zunehmender Ermüdung. Am Vergleich von Runde 6 und 7 sieht man außerdem sehr schön, wie sich die Power bei Gegen- bzw. Rückenwind vorteilhafter als Pacing Parameter verhält als die Geschwindigkeit. (Die Schwankungen am Anfang von Runde 6 seien mir verziehen, ich musste erst mal mit dem Wind klar kommen – wie gesagt: Die Power ist unbestechlich und zeigt alles auf …) Besonders deutlich wird in dieser Graphik auch die stärke der Power als Steuerparameter bei kurzen Belastungen: Allein anhand der HF lassen sich die hier dargestellten HIIT-Intervalle retrospektiv gar nicht mehr differenzieren, während sie anhand der Powerkurve problemlos nachvollzogen werden können. In Runde 9 außerdem zu sehen: Bei HIIT auf ungleichmäßigem Gelände ist die Power auch der Geschwindigkeit überlegen. Die HIIT-Intervalle bergan waren nicht wirklich weniger hart, aber deutlich langsamer.
Und nun zum Laufspezifischen
In Anbetracht dieser relativ offensichtlichen Pluspunkte, welche die Power als Intensitäts-Steuergröße in Training und Wettkampf bietet, versteht man, weshalb sich Powermeter im Radsport mittlerweile quasi flächendenken durchgesetzt haben.
Ob sich allerding die Leistungsmessung in Watt beim Laufen in gleichem Maße als Steuergröße für die Intensität, und in der Konsequenz als unbestechlicher Pacing-Parameter, eignet wie beim Radfahren muss sich erst noch herausstellen.
Zum einen sind Running-Powermeter, wie die Modelle von Stryd noch relativ neue Technik mit entsprechenden „Kinderkrankheiten“. Zum Anderen muss man sich klar machen, dass beim Laufen, eben nicht wie auf dem Rad, einfach direkt die einwirkende Kraft gemessen werden kann, welche mit gewissen mechanischen Verlusten mehr oder weniger ausschließlich dem Vortrieb dient. In diesem (Radfahr-)Fall ist die Leistung einfach die Ableitung der Arbeit (Kraft x Weg) nach der Zeit. Beim Laufen hingegen erfolgt die Leistungsmessung indirekt und unter Anwendung eines etwas komplexeren Algorithmus, welcher mehrere Messgrößen einbezieht – u.a sind das die horizontale und die vertikale Beschleunigung, das Systemgewichts, die Körpergröße – und dabei das charakteristische Beschleunigungsprofil eines Schrittzyklus beim Laufen berücksichtig.
Im Unterschied zum Radfahren wird beim Laufen also nicht die gesamte gemessene* Leistung in Vortrieb umgesetzt. Stichwort „Vertikalbewegung“, welche z.B. dem Körper zwar Leistung abverlangt, ihn aber im wahrsten Sinne des Wortes nicht vorwärts bringt.
Vor und Nachteile der Wattmesung beim Laufe
Damit wären wir also beim „Schwachpunkt“ der Running-Power angelangt. Je müder man wird und/oder je ineffizienter man (deswegen – oder aus anderen Gründen) läuft desto mehr Power benötigt man, um ein und dieselbe Geschwindigkeit unter ein und denselben Bedingungen zu laufen – und entsprechend höher ist der Wert, den der Powermeter anzeigt. In der Tat habe ich genau diesen Effekt schon mit meinem Powermesser bei mir selbst beobachtet: Am Ende eines langen, anstrengenden Laufes gehen die Power-Werte tendenziell leicht nach oben. Auf dem Rad würde man sich jetzt fühlen wir Superman nach dem Motto „ich fühle mich zwar müde, aber bringe mehr Power, die ich zum Vortrieb nutze, beim Laufen hingegen sagt einem das eher, dass man anfängt Energie zu verschwenden, weil der Körper zu müde für einen sauberen Laufstil ist. Oder anders herum: Erholt und frisch fordert einem ein und die selbe Geschwindigkeit weniger Power ab als ermüdet.
Ist das nun wirklich ein Schwachpunkt? Kann man, wenn man sich klar macht, dass in Sachen Running-Power mehr nicht immer gleich besser/schneller ist, die Power nicht quasi „in beide Richtungen“ nutzen? Doch, genau das ist es worum es beim Thema Laufökonomie geht: Möglichst schnell laufen bei möglichst geringem Energieaufwand. Die Runnig-Power hat also neben den oben genannten Einsatzmöglichkeiten als Steuergröße auch das Potenzial als Messparameter für die Laufökonomie zu dienen um gezielt an dieser arbeiten zu können.
Bisher konnte man zu diesem Zweck Messgrößen wie die Vertikalbeschleunigung, die Bodenkontaktzeit oder die Schrittfrequenz erfassen – mit der Running-Power hat man nun eine einzige Größe, die all diese Faktoren mit einbezieht und sich aufgrund ihrer direkten Abhängigkeit zur Intensität und zur Geschwindigkeit gleichzeitig auch als Steuergröße für ein Pacing eignet.
Speziell der Footpod-Powermeter von Stryd (der Summit) ist außerdem noch in der Lage die sogenannte „Leg-Spring Stiffness“ (also die Steifigkeit/Muskelvorspannung in der Beinstreckerkette) als Messgröße direkt zu erfassen, welche nachweislich eine entscheidende Determinante für die Laufökonomie ist.
Puh, geschafft, jetzt wären wir (endlich) an dem Punkt, an dem ich loslegen kann, euch von meinen Erfahrungen mit den Running-Powermetern von Stryd zu erzählen, ohne dass ich das Gefühl habe, den Kontext zu unterschlagen.
Es grüßt ganz herzlich
Die Rennschnecke
* Leistung die beim Radfahren erbracht wird ohne in Vortrieb umgesetzt zu werden, z.B. mit dem Oberkörper wippen, wir nicht gemessen.