‏Die mentale Komponente im Triathlon – Teil 3

KD4_4853Im dritten Teil unserer Mental-Serie wendet sich Jörg Schneider den oberen drei neurologischen Ebenen zu. Jetzt geht’s ans Eingemachte, denn hier ist auch in aller Regel der Hund begraben, wenn wir – im Sport wie im richtigen Leben – unsere Ziele nicht erreichen.

 

Gehen wir also der Reihe nach von unten nach oben weiter:

‏Die vierte Ebene: Glaubenssätze, Werte, Filter
‏Hier ist traditionell die größte Veränderung möglich, gleichzeitig sind auf dieser Ebene aber auch die größten Hemmschuhe verortet. Hier finden wir die hemmendste Frage, die wir uns selbst stellen, wenn es richtig hart wird: „Warum mache ich diesen Blödsinn?“ Die selbe Frage – sich selbst in einem ruhigen Moment gestellt und beantwortet – bietet auf der anderen Seite enorme Klarheit. Diese hilft mir dann wieder im Wettkampf, wenn das große Leiden beginnt.

Wofür mache ich das?
Wofür treibe ich so viel Aufwand (was der Triathlonsport in jedem Fall ist)?
Wofür nehme ich all’ die vielen Entbehrungen in Kauf?
Was ist mir wichtig (Werte)?

Und bei der letzten Frage kommt es auch auf die Nuance an: Was ist mir wichtiger als etwas anderes (Trainieren oder Familie, Trainieren oder Job – ehrlich beantwortet, nur für mich selbst)? Was bringt mir das? Ein paar Optionen für diejenigen, die jegliche Kreativität an dieser Stelle vermissen lassen: Das könnten so Gefühle sein wie Macht, Durchsetzungsfähigkeit, Status (in der Gruppe), Anerkennung.

KD4_0988Viele treiben ambitioniert Sport, um Grenzen auszuloten, sich selbst und anderen etwas zu beweisen. Der Sport ist für viele Quelle von Selbstwertgefühl und damit auch Selbstvertrauen. Ich beweise mir immer und immer wieder, dass ich Commitments einhalten kann (Training), dass ich über mich hinauswachsen kann (Grenzen). Schließlich ist die soziale Komponente nicht zu vergessen: Wir treiben Sport gemeinsam mit Gleichgesinnten, haben Spaß und Abwechslung in der Gruppe. Und dann halten wir nebenbei auch noch unseren Körper in Schwung, sehen meist deutlich jünger aus als die Vergleichsgruppe und können uns ohne Diäten in Badehose- beziehungsweise Bikini-Figur im Freibad sehen lassen.

‏Eine gute Frage an dieser Stelle ist auch: Was würde mir fehlen, wenn ich meinen geliebten Triathlonsport nicht ausüben könnte?
‏Glaubenssätze sind Überzeugungen, die wir für wahr halten und Grundlage für unser tägliches Handeln sind. Sie sind in aller Regel Verallgemeinerungen und Interpretationen der Wirklichkeit, die sich aus vergangenen Situationen und Erfahrungen und (meist unbewusster) Modellierung anderer Menschen (Vorbilder, Mentoren, Coaches) ergeben. Hier spielt auch die Bedeutung eine zentrale Rolle: Welche Be-deutung gebe ich den Dingen, wie deute ich Ereignisse und Ergebnisse. Ein Klassiker hier: Während im einen Extrem jemand übermäßig selbstkritisch nie auch nur irgendetwas Positives an sich und seinen Ergebnissen erkennen kann, loben sich die Anderen wegen jedem geraden Schritt, den sie vollbracht haben, in den Himmel. Zwischen diesen Extremen ist Gottseidank viel Platz. Die Tendenz, die ich in all’ den Jahre im Sport erkenne ist aber eindeutig: Die echten Meister gehören eher zur ersten Gruppe, das hintere Drittel eher zu zweiten.

‏Noch ein Satz zu Filtern: Wir alle filtern ständig unbewusst. So dringen oft die Dinge durch unsere Filter, die wir ohnehin schon als für uns wahr interpretiert haben. So sehen wir alle möglichen Dinge, die unsere Theorien und unsere Sicht auf die Welt bestätigen. Das ist auch ein Grund, warum die Selbstkritischen (s.o.) erfolgreicher sind – sie stellen sich und ihren Standpunkt in Frage, realisieren, dass man alles auch ganz anders sehen kann.

Die fünfte Ebene: Identität
‏Auf der Identitätsebene liegen die Vorstellungen und tief verwurzelten Glaubenssätze über uns selbst.

Wer bin ich?
Was glaube ich, denken andere über mich?
Was denke ich über andere, die so etwas machen oder nicht machen?
Was denken die da draußen über jemanden, der so ist wie ich oder so etwas macht?

‏Ein klassisches Beispiel ist hier: Stelle ich mich in die erste Startreihe? Das ist ein klares Statement meiner Identität – ich gehöre hier her! Dumm nur, wenn das so gar nicht stimmt. Beim Triathlon-Massenstart gibt es da glücklicherweise ein ziemlich gut funktionierendes Korrektiv: Ich werde gnadenlos überschwommen und verprügelt, wenn ich mich komplett falsch einschätze. Schade nur, dass aufgrund solcher Menschen (Identität, Glaubenssätze!) solch schwachsinnige Ideen wie ein Rolling Start implementiert werden, dem Triathlon die tolle Dramatik und die tollen Bilder rund um den Start genommen werden und natürlich absolut nichts gewonnen wird (denn die masslosen Selbstüberschätzer überschätzen sich selbstredend auch hier nach wie vor). Hier sehen wir aber auch einen Sebastian Kiele, der äußerst enttäuscht ist von einem 2. Platz bei der Ironman 70.3-WM in Mooloolaba. Praktisch jeder andere (außer Jan Frodeno und Javier Goméz vielleicht) wäre sehr froh über so eine Platzierung, aber Sebi hat einfach eine andere Identität, nämlich die eines Champions. Er kommt, um zu siegen und nicht, um Zweiter zu werden.

Und eine sehr mächtige Frage auf dieser Ebene ist auch: Wer müsste ich sein? Wer müsste ich zum Beispiel sein oder werden, um Kona zu gewinnen?

‏Die sechste Ebene: Vision, Sinn, Zugehörigkeit
‏Auf der sechsten Ebene steht die Frage nach dem Sinn des Ganzen!

Was ist die Bedeutung des Ganzen?
Was ist meine Vision?

Und die Frage nach der Zugehörigkeit?
Welcher Gruppe gehöre ich an?
Was macht das mit mir?
Welchen Beitrag leiste ich damit vielleicht?

Fazit
‏Vielleicht wäre es eine hilfreiche Weiterentwicklung – gerade in der jetzt für die Meisten angebrochenen Off-Season – sich für ein paar Stunden zurückzuziehen und sich Gedanken über die oben angesprochenen Punkte zu machen.

  • Was glaube ich? Warum? Glaube ich, nur weil ich nach einem Jahr Training noch nicht der Meisterschwimmer bin, dass ich „einfach kein Schwimmertyp bin und das nie lerne“? Was ist mir (wie) wichtig? Warum treibe ich diesen Sport wirklich? Was steckt für eine Motivation dahinter?
  • Wie steht es um mein Selbstbild? Wer bin ich beziehungsweise glaube ich zu sein? Was ist meine Identität?
  • Was ist der tiefere Sinn des Ganzen? Was ist die Bedeutung? Wie wichtig ist mir die Zugehörigkeit zu einer Gruppe?

‏Wenn ich nur einen Lernpunkt mitnehmen würde aus diesem Artikel, wäre es folgender: Was sind meine grundlegenden Glaubenssätze? Woran glaube ich wirklich? Und wer glaube ich zu sein (als Mensch wie als Athlet)? Weiß ich wirklich, was ich meine zu wissen? Oder glaube ich das nur?

‏(Zitat Mark Twain):
„It ain’t what you don’t know that gets you into trouble.
It’s what you know for sure that just ain’t so.“

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Text: Jörg Schneider
Fotos: Klaus Arendt