Was fällt euch ganz spontan ein, wenn ihr an Japan denkt? Bei uns waren das eine für Europäer fremde Kultur, der Tenno, Samurai, Geishas, Verbeugen, viele Menschen, Elektronik- und Autoindustrie, Shinkansen, Fujiyama, Erdbeben, Kirschblüte, Stäbchen, Sushi, Manga und Sumo Ringer. Zum Thema Triathlon dürfen natürlich Shimano, Asics und Ceepo nicht fehlen. Nicht zu vergessen dürfen wir auch nicht die weitaus weniger erfreulichen Ereignisse wie Fukushima (Tsunami/Atomkatastrophe) und der Abwurf der Atombomben im zweiten Weltkrieg auf Hiroshima und Nagasaki!
Und bei Tokyo?
Leider viel, viel weniger: Hauptstadt von Japan mit noch viel mehr Menschen, der Kaiserpalast, die Ginza und ehemaliger/zukünftiger Austragungsort der Olympischen Sommerspiele von 1964 und 2020!
Und da die tritime-Redaktion in diesem Jahr erstmalig nicht über die USA, sondern über das Land der aufgehende Sonne zur Ironman-WM nach Hawaii anreiste, verbrachten wir nach getaner Arbeit auf unserem Rückweg zwei Tage in der Megacity, in der aktuell 38 Millionen Menschen leben. Das sind gut und gerne zehn Mal so viel wie in Berlin, Deutschlands größter Stadt.
Freundlich und zuvorkommend
Dass die Japaner sehr freundlich und zuvorkommend sind, stellten wir bereits auf unserem Hinflug nach Hawaii an Bord der japanischen Fluglinie ANA fest (Ahead of schedule: Zurück in die Vergangenheit). Diese sehr positive Erfahrung setzte sich auf der Rückreise nach unserer Ankunft in Tokyo Narita fort: Einreiseformalitäten, Zollkontrolle, Kauf des Bustickets zur Tokyo Railway Station, all das funktionierte perfekt, ohne Sprachbarrieren oder Leseprobleme. Alle wichtigen Hinweisschilder waren zweisprachig und somit auch für Europäer „lesbar“! Und da wir keinen einzigen Yen in der Tasche hatten, die Schlange am Devisenschalter viel zu lang war, bezahlten wir Bus und Taxi problemlos mit der Kreditkarte. Überraschenderweise stellten wir bei der Fahrt ins Stadtzentrum fest, dass alle Fahrer im Auto nicht nur auf der falschen Seite sitzen, sondern auch auf der falschen Seite fahren. Das hatten wir nicht gewusst, die gute Vorbereitung, die am Abend vor unserem Abflug von Honolulu nach Tokyo mit den vom japanischen Tourismusverband in Frankfurt zur Verfügung gestellten Unterlagen begann, lässt grüßen.
Geld gibt es im Supermarkt
Um aber tatsächlich auch japanisches Geld in den Händen halten zu dürfen, bedurfte es dann doch etwas Ausdauer und Glück. Alle Banken hatten am frühen Abend unserer Ankunft bereits geschlossen und die Geldautomaten in den Eingangsbereichen akzeptierten weder Kreditkarte noch Maestro. Glücklicherweise fanden wir im 7-Eleven-Shop ein Hinweisschild auf einen ATM, der unsere Karten annahm. Dabei wurde interessanterweise jede Eingabe – ganz im Gegensatz zu Deutschland – nicht mit einem dumpfen Ton, sondern mit einer verspielten Melodie begleitet. Ende gut, alles gut. Wir hatten Geld und das Abenteuer Tokyo konnte beginnen.
Auffallend unauffällig
Der erste Touritag begann mit einer Überraschung: Auf die – mit welchen Reinigungs- oder Bleichmitteln gewaschene – Bettwäsche haben wir beide allergisch reagiert! Oder war es etwa das Leitungswasser der Dusche? Letztendlich ist es auch ziemlich egal, denn das, was der Spiegel offenbarte, sah alles andere als normal aus: aufgequollene Gesichter mit „aufgespritzten Lippen“, starken Rändern unter den Augen und eine wie beim Sonnenbrand leicht gerötete Haut. Die Sorge, unangenehm aufzufallen, löste sich glücklicherweise recht schnell in Wohlgefallen auf, da wir Langnasen aufgrund unserer Körpergröße im Straßenbild sowieso auffielen.
Von Hektik keine Spur!
Ein wenig blauäugig sind wir – unser Hotel lag in unmittelbarer Nähe zur Tokyo Railway Station und dem Kaiserpalast – schon an die Erkundung der weltgrößten Metropolregion angegangen: nämlich zu Fuß. Interessanterweise waren die Bürgersteige und die Straßen nicht so vollgestopft, wie wir es erwartet hätten. Kein Stau, kein Gehupe, alle Verkehrsteilnehmer inklusive Radfahrer und Fußgänger hielten sich an die Regeln. Vorbildlich. Und die nächste Überraschung folgte morgens um 7 Uhr im Starbucks um die Ecke. Sämtliche Tische waren belegt, einige Japaner schliefen – teilweise mit einer Decke zugedeckt – auf ihrem Stuhl, andere schauten sich auf ihrem iPad einen Film an oder taten einfach nichts und vertrödelten ihre Zeit. Ein wenig strange war dies schon, sollte doch das gemeinsame Frühstück daheim im Kreis der Familie weitaus mehr Spaß machen.
Kaiserpalast, Ginza und Tsukiji Market
Sehr zentral und unweit der Tokyo Railway Station – ein prächtiger Ziegelsteinbau aus dem Jahre 1914 – befindet sich der Sonderbezirk Chiyoda-ku, in dem sich unter anderem der Kaiserpalast und die kaiserlichen Gärten befinden. Glücklicherweise hatte der Ostgarten geöffnet, der durch seine weiträumige und gepflegte Gestaltung wie eine grüne Oase in der „Steinwüste Tokyo“ heraussticht. Von der berühmten Nijubashi-Brücke im Süden der Anlagen war es auch nicht mehr weit zur bekannten Ginza. Diejenigen unter euch, die noch nie eine große Fußgängerzone – die Ginza ist nur am Wochenende verkehrsfrei – gesehen haben, mögen begeistert sein. Allerdings findet man auch hier die namhaften Boutiquen wie auf der 5th Avenue in New York, der Königsallee in Düsseldorf oder dem großen Einkaufszentrum „auf der grünen Wiese“. Weitaus spannender und interessanter war das Treiben hingegen auf dem Tsukiji Market, auf dem es neben sehr viel Fisch auch allerhand andere – für unseren Geruchssinn – doch sehr gewöhnungsbedürftige Lebensmittel zu kaufen gab. Natürlich ließen wir es uns nicht nehmen, in einer typischen Sushi Bar die Spezialitäten des Hauses zu probieren. Auch wenn die Speisekarte nur aus japanischen Hyroglyphen bestand und die Bedienung nicht wirklich englisch konnte, wurden wir gut beraten. Lecker. Zum Abschluss des Tages eröffnete uns der Besuch des Observation Decks des Tokyoter World Trade Centers einen tollen Blick über Tokyo, in der sehr viele kleine grüne Oasen den Bewohnern und Angestellten zwischendurch Zeit für Raum und Ruhe geben.
Shibuya, Meiji Jingu und Shimokitazawa
Jeder Tokyo-Besucher sollte sich unmittelbar vor der Shibuya Station in das „Gedrängel“ stürzen, wenn die an der Kreuzung wartenden Menschen wie auf Knopfdruck loslaufen und aus allen Richtungen in alle Richtungen über die Straße eilen. Im näheren Umkreis der berühmten Kreuzung befinden sich unzählige Geschäfte, Restaurants, Spielhöllen und Bars, die mit viel Neonwerbung, Marktschreiern und noch lauterer Musik um die Gunst der potentiellen Kunden werben. Ein Schauspiel, das man sich wirklich nicht entgehen lassen sollte. Weitaus ruhiger geht es im nahegelegenen dichtbewaldeten Meiji Jingu Garten zu, sofern nicht gerade am Haupeingang der Startschuss für eine Rallye mit historischen Autos erfolgt. Herzstück des Meiji Jingu ist ein Shinto-Schrein, in dem die Seelen von Kaiser Meiji und Kaiserin Shoken verehrt werden. Besucher können auf kleinen Holztäfelchen ihre Wünsche aufhängen oder sich Ratschläge „erkaufen“. Zum Abschluss des zweiten Tages in Tokyo machten wir einen Abstecher in das Viertel Shimokitazawa. Abseits des Mainstreams laden viele kleine Boutiqen, Cafés, Theater und Geschäfte zum Verweilen ein. Die Atmosphäre beim Bummeln durch die verwinkelten Gässchen könnte entspannter nicht sein.
Gewöhnungsbedürftig
Wo sehr viel Licht ist, gibt es natürlich auch etwas Schatten. Dass wir ab und an mit der japanischen Schrift und den fehlenden „europäsichen Schriftzeichen“ ziemlich lost waren, brachte mitunter eine gewisse Situationskomik mit sich, die in Worte nicht auszudrücken sind. Glücklicherweise wurden mit einem Lächeln, einer kleinen Verbeugung und mit Ansätzen einer kreativen Gebärdensprache nahezu sämtliche Verständigungsprobleme gelöst. Definitiv gewöhnungsbedürftig finden wir das Essen einer Nudelsuppe mit Stäbchen! Hier sollten auch die Japaner einmal über ihren Schatten springen, ihren Stolz beiseite legen und stattdessen Löffel oder Messer und Gabel zur Hand nehmen. Das geht nicht nur weitaus schneller und bewahrt den Essenden vor Rückenschäden, sondern hört sich für die sich in unmittelbarer Nähe aufhaltenden Menschen definitiv appetitlicher an!
Sicherlich hat Tokyo weitaus mehr zu bieten als das, worüber wir berichtet haben. Es gibt 1000 und einen Grund, auch im kommenden Jahr auf unserer Reise zur Ironman-WM nach Hawaii einen Zwischenstopp in Tokyo einzulegen. Tokyo, wir kommen wieder, keine Frage.
Liebe tritime-Leser, mit diesem Artikel beenden wir unsere Berichterstattung von den diesjährigen Ironman World Championship, die uns allen mit dem deutschen Doppelsieg von Jan Frodeno und Andreas Raelert sowie dem Erfolg von Daniela Ryf noch lange in Erinnerung bleiben werden. Alle Artikel, Bildergalerien, Reisetipps, Interviews und Videos könnt ihr unter tritime-magazin.de/tag/kona-2015 jederzeit aufrufen.
Eure
Meike Maurer und Klaus Arendt