Am 7. April 2019 verunglückte Stefan Keul, Pro Sport Manager der Firma Canyon, während einer Dienstreise in Südtirol bei einem Radunfall tödlich. Der viel zu frühe Tod des besonders in der Triathlonszene angesehenen 45-Jährigen veränderte von einer zur anderen Sekunde das Leben seiner Ehefrau Nina. Vier Jahre später unterhielt ich mich mit Nina in ihrer Heimatstadt Koblenz über die schwere Zeit danach.
Nina, wie hast Du es geschafft, diesen endgültigen Abschied auszuhalten und anzunehmen, um neu aufzubrechen?
Ich gebe zu: Ich arbeite bis heute jeden Tag aufs Neue daran, diese Endgültigkeit zu bewältigen. Aber habe ich denn tatsächlich eine andere Wahl? Definitiv nicht! Ich bin mir sicher: Stefan hätte es nicht gewollt, dass ich an seinem Tod zugrunde gehe! Es gab für mich also nur die „Flucht nach vorn“. Aus meinem Freundeskreis verbildlichte mir jemand die Situation mit einem „Man hat Dir die Beine weggeknüppelt, und jetzt musst Du neu laufen lernen“. Zugegebenermaßen gerade zu Anfang ein reiner Kraftakt, denn obwohl das Laufen eine Bewegung nach vorne ist, möchten Kopf und Körper aber eigentlich zurück. Ich musste akzeptieren, nach jedem – noch so kleinem – Schritt sehr erschöpft zu sein. Glücklicherweise halfen mir die zurückliegenden Jahre des Leistungssports (Anm. d. Red.: Nina Keul finishte zweimal erfolgreich bei der Ironman World Championship auf Hawaii), mich „voranzuquälen“, nicht aufzugeben und mental die „Lichtblicke“ zu suchen. Darüber hinaus schätze ich mich sehr glücklich, ein so tolles privates Umfeld zu haben, das mir bis heute jederzeit zur Seite steht! Und zu guter Letzt gab mir meine Arbeit (Anm. d. Red.: Nina Keul ist Polizeihauptkommissarin) anfangs sehr viel Halt, sie war meine vertraute Struktur in dem sonst so zerstörten Raum und der Grund, morgens aufzustehen. Hier werde ich gebraucht, hier kann ich Menschen helfen – und Letzteres ist auch weiterhin mein Antrieb.
Vier Jahre nach Eurem letzten gemeinsamen Urlaub in Nepal warst Du vor Kurzem erneut im Himalaya. Was hatte es mit dieser Reise auf sich?
In dem von Pokhara rund 170 Kilometer entfernten kleinen, abgelegenen Dorf Bulma errichtete ich in Gedenken an Stefan eine Grundschule, die vor zwei Jahren bereits ihren Betrieb aufnahm. Aufgrund der pandemiebedingten Reisebeschränkungen war es für mich jedoch erst Anfang März möglich, in den nepalesischen Distrikt Gulmi zu reisen. Endlich konnte ich der Schule einen Besuch abstatten und jene auch offiziell einweihen. Ein für mich sehr bewegender Moment.
Wie kam es zu diesem Engagement? Und welche Zielsetzungen verbindest Du damit?
Mit unserer Trekking-Tour rund um das Annapurna-Massiv erfüllte sich Stefan einen Lebenstraum. Während unseres Aufenthaltes im Himalaya hatten wir nicht nur eine tolle Zeit, wir lernten auch die Menschen dort sehr zu schätzen, insbesondere die Gastfreundschaft der Bevölkerung. Trotz der dort herrschenden Armut waren wir überall herzlich willkommene Gäste, mit denen die Leute alles (kaum Vorhandene) teilten. Bei unseren täglichen Etappen trafen wir immer wieder Schulkinder auf ihrem Schulweg. Hautnah erlebten wir, was es bedeutet, einen teilweise mehrstündigen Fußweg zurückzulegen, um das Privileg der Bildung zu erhalten. Diese Erfahrung prägte uns nachhaltig.
Nach Stefans Tod hatte ich das Bedürfnis, dem Land Nepal etwas für die Erfüllung seines Lebenstraums zurückzugeben. Und so entstand der Gedanke, eine Schule zu bauen. Mithilfe der Reiner Meutsch Stiftung FLY & HELP und United World Schools (UWS) verwirklichte ich ein Projekt, welches nachhaltig zur Förderung und Bildung in einer der ärmsten Regionen Nepals beiträgt. Somit können rund 100 drei- bis elfjährige Kinder der niedrigsten Kaste – auch ihre Eltern sind mit den wenigsten Ausnahmen Analphabeten –, denen bislang der Weg zur Bildung verwehrt blieb, eine Schule besuchen. Mit Abschluss der fünften Klasse ist auch der Zugang zu weiterer Bildung möglich.
Wie erfolgt die Finanzierung der laufenden Kosten?
Schulträger ist die United World School mit Hauptsitz in London. Das operative Geschäft erfolgt jedoch über die UWS-Außenstelle in Kathmandu, die auch für die jährlichen Kosten in Höhe von 12.000 Euro aufkommt. Darin enthalten sind auch das Gehalt und die ständige Fortbildung der Lehrer sowie das Schulmaterial inklusive eines Schulrucksacks. Dies entspricht rund zwei Euro pro Woche für ein Kind! Das warme landestypische Mittagessen in Höhe von zehn Eurocent pro Kind und Schultag übernimmt der nepalesische Staat. Die Eltern selbst brauchen für die Bildung ihrer Kinder keine Kosten übernehmen.
Und wie können Interessierte helfen?
Unabhängig von der Finanzierung durch UWS und den Staat Nepal versuche ich, die jährlich anfallenden Schulkosten durch Spenden auf das Konto der Reiner Meutsch Stiftung FLY & HELP zu decken. Bei Angabe des Verwendungszwecks Sammelkonto Schule Keul ist eine zweckgebundene Verwendung für Stefans Schule in Bulma sichergestellt.
Empfänger: Reiner Meutsch Stiftung FLY & HELP
Kontoverbindung: Westerwald Bank eG
Konto: 5550
BLZ: 573 918 00
BLZ: 573 918 00
IBAN: DE94 5739 1800 0000 0055 50
BIC: GENODE51WW1
Verwendungszweck: Sammelkonto Schule Keul
Schulprojekt „Bulma“ Die „Stefan-Keul-Schule“ wurde von Nina Keul finanziert, im Winter 2020/21 mithilfe der Reiner Meutsch Stiftung FLY & HELP erdbebensicher erbaut und im März 2021 durch die United World School in Betrieb genommen. Die Schule verfügt zudem über ein Toilettenhäuschen und fließend Wasser, was in den abgelegenen Himalaya-Regionen keine Selbstverständlichkeit ist. Die Voraussetzung für die Umsetzung des Projektes war, dass die Dorfbevölkerung mit mindestens 90 Prozent für eine Schule stimmt. Diese Zustimmung geht einher mit der Verpflichtung der Eltern, dass die Mädchen und Jungen auch zur Schule geschickt werden. Nachdem alle Vorgaben erfüllt waren und man das Schulgebäude errichtete, startete vor genau zwei Jahren der Schulbetrieb. Aktuell besuchen an 220 Tagen pro Jahr 20 Kinder im Alter von 3–6 Jahren – aufgeteilt in zwei Vorschulklassen – und 80 Kinder im Alter von 6–11 Jahren – aufgeteilt in die Klassen 1–5 – von 9.30 bis 16.00 Uhr die „Stefan-Keul-Schule“. Es erfolgt täglich eine Kontrolle der Anwesenheit der registrierten Schulkinder. Erscheint ein Kind nicht, wird der Abwesenheit auch nachgegangen. Beim Wechsel des Schuljahres haben die Kinder drei Wochen Ferien. Sollte während des Monsuns ein regulärer Schulbetrieb nicht möglich sein, wird das Wissen mittels Abendklassen, Arbeitsaufträgen und Homeschooling vermittelt. Für die kommenden Jahren ist geplant, den Schulbetrieb noch bis zur achten Klasse zu erweitern, sodass ein anerkannter Schulabschluss auch in Bulma möglich ist. Eine weiterführende Schule ist in etwa einer Stunde fußläufig erreichbar. Mittlerweile hat sich über diese Schule ein „Mother´s Club“ gegründet, in dessen Rahmen die Mütter gemeinsame Aktivitäten organisieren, um gemeinsam mit den Dorfbewohnern auch über Themen wie Hygiene und Umweltschutz zu sprechen. In den kommenden fünf Jahren wird UMS weiterhin für alle laufenden Kosten aufkommen, jedoch hat sich der zuständige District Gulmi dazu verpflichtet, sieben Jahre nach Bau der Schule jene zu verstaatlichen und von da an für die Betriebs- und Unterhaltskosten aufzukommen. Unabhängig davon möchte Nina Keul den Betrieb der Schule durch Spenden sicherstellen.
Vielen Dank, liebe Nina. Ich bin tief beeindruckt, nicht nur davon, wie Du die vergangene Zeit bewältigt hast, sondern gleichzeitig auch davon, wie Du in Gedenken an Stefan das Schulprojekt umgesetzt hast.
Interview: Klaus Arendt
Fotos: Götz von Borries und Privat