Bewegungsanalyse

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Seit 2006 beschäftigt sich der Orthopädietechniker-Meister Christopher Mayer mit der Untersuchung des menschlichen Ganges. Vor dem Hintergrund seines Berufsmottos „Die Ursache muss behandelt werden und nicht nur die Symptomatik“ diskutierten wir mit dem passionierten Triathleten über die Laufschuhberatung und die damit einhergehende Bewegungsanalyse.

Herr Mayer, Ihr Zentrum für Bewegungsanalytik ist einem Sanitätshaus angeschlossen. Wie kam es denn dazu?

Ziemlich ungewöhnlich, nicht wahr? Ein Sanitätshaus wird meist mit alten und kranken Menschen in Verbindung gebracht, die zur Erleichterung ihres Alltags Rollatoren, Prothesen, Bandagen oder ähnliche orthopädische Hilfsmittel benötigen. Das ist allerdings nur die offensichtliche und allgemein bekannte Seite eines Sanitätshauses. Neben der Beratung im Rahmen der Rehaversorgung beschäftigen wir uns auch intensiv mit den eigentlichen Ursachen der Symptomatik. Bei Knieschmerzen beispielsweise mag eine passgenaue Orthese zu einer Linderung der Schmerzen führen, aber das ist meist nur die halbe Wahrheit und nur ein kleiner Part der Therapie. Die eigentliche Ursache liegt meist woanders, beispielsweise im suboptimalen Zusammenspiel von Sehnen, Muskeln, Bändern und Gelenken oder in Becken- und Fußfehlstellungen. Und vor diesem Hintergrund entstand vor einigen Jahren die Idee, das Zentrum für Bewegungsanalytik zu gründen.

Was sich ziemlich wissenschaftlich anhört. Was verbirgt sich im Detail dahinter?

In unserer Branche wird der Sport ziemlich stiefmütterlich behandelt. Und das wollte ich ändern. Vor dem Hintergrund der Vielzahl mit dem Laufen – unabhängig von der ausgeübten Sportart – in Verbindung stehenden Verletzungen entstand die Idee, den Athleten in seinem Bewegungsablauf möglichst ganzheitlich zu beraten. Und da der Fisch bekanntlich am Kopf zu stinken anfängt, sollte man seine Analyse nicht nur auf einen Bereich konzentrieren, sondern die gesamte Kette vom Kopf bis zu den Füßen betrachten. Unsere Betreuung ist zudem langfristig ausgerichtet, schließlich verändert sich mit jedem Trainingsjahr nicht nur die Leistung, sondern auch die Beweglichkeit des Sportlers und somit zwangsläufig auch der Bewegungsablauf beim Sport und im Alltag. Sie sehen, die Bewegungsanalytik ist ein fortlaufender Prozess, und zwar über alle Altersstufen hinweg. Und genau darauf haben wir – unter Berücksichtigung der aktuell gültigen wissenschaftlichen Standards – unser Analysesystem aufgebaut. Und das geht nun einmal, bezogen auf den Laufsport, weit über die klassische Laufbandanalyse aus dem Sportfachgeschäft hinaus. Um auch auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu sein, investieren wir nicht nur in entsprechende medizinisch-orthopädische Fachfortbildungen unserer Mitarbeiter, sondern arbeiten auch eng mit der Goethe-Universität Frankfurt am Main zusammen.

Weshalb der Slogan Ihres Bewegungszentrums auch „Beratung mit Verstand“ lautet. Sollten das nicht alle ausgebildeten Verkäufer beherzigen?

Grundsätzlich ja, aber die Realität – geringe Margen, zu wenig Zeit für den Kunden –  lehrt häufig etwas anderes. Leider werde ich immer wieder damit konfrontiert, dass sich gerade Triathleten das angesagteste Equipment kaufen, teilweise auch erst wenige Tage vor einem Wettkampf. Das kann gut gehen, muss aber nicht, insbesondere bei einem Herstellerwechsel. Wenn bei dem neuen Laufschuh dann auch noch der Aufbau der Sohle völlig anders ist als bei den bisherigen Laufschuhen – Gel, Luftpolster oder Carbonplatten wirken ebenso wie die Sprengung und Dämpfungseigenschaften unterschiedlich auf den Bewegungsapparat –, braucht sich der Athlet über mögliche Probleme nach dem Einlaufen der Schuhe nicht wundern. Leider gehen zahlreiche Ausdauersportler viel zu blauäugig an diese Thematik heran. Es wird nur zu gerne vergessen, dass jeder Athlet individuell behandelt werden muss. Unter Berücksichtigung von Geschlecht, Alter und Körperbau liegt bei uns das Hauptaugenmerk auf der Biomechanik und den damit verbundenen Knochen, Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken. Idealerweise auch unter Berücksichtigung früherer Laufanalysen, der aktuellen Trainingsumfänge, der anvisierten Ziele und des sportlichen Hintergrunds, inklusive Vorschädigungen und eingeleitete Maßnahmen. Ein Blick auf das aktuell eingesetzte Schuhwerk – Sport und Alltag – vervollständigt die auf die jeweilige Sportart ausgerichtete Anamnese. Wenn der Kunde zum Abschluss auch noch bereit ist, einen Einblick in sein privates und berufliches Seelenleben zu geben, schließt sich der ganzheitliche Ansatz. Letzteres wird leider viel zu häufig vernachlässigt, denn sozialer Stress kann letztendlich auch zu Verletzungen führen.

Und wie wird das Zentrum für Bewegungsanalytik angenommen?

In der Region sind wir für zahlreiche Trainingswissenschaftler, Physiotherapeuten und Orthopäden Ansprechpartner für bewegungsrelevante Fragen, insbesondere bei sogenannten Return-to-Sports-Patienten, das heißt für Sportler mit beispielsweise Bänderrissen oder nach Operationen am Bewegungsapparat. Die klassische Versorgung mit Bandagen und Einlagen ergänzt natürlich unsere Arbeit, jedoch sehen wir jene tatsächlich auch nur als zeitlich begrenztes Hilfsmittel für den Sportler auf seinem Weg zur symptomfreien Ausübung seiner Passion an. Dies führt dazu, dass derzeit rund 90 Prozent unserer Kunden Menschen und Sportler mit einem vorhandenen Beschwerdebild sind. In jüngster Zeit betreuen wir aber auch zunehmend gesunde Athleten, die ihren Laufstil mithilfe einer umfassenden Analyse optimieren möchten, bei Triathleten auch unter Berücksichtigung der Vorbelastung vom Schwimmen und Radfahren. Gerade bei Einsteigern stellen wir fest, dass sich das Hochfahren der Trainingsumfänge und Intensitäten auf den Laufstil und die Technik auswirkt. Aber dann ist es häufig schon zu spät. Denn was zunächst beschwerdefrei ausgeübet und durch Ausgleichsbewegungen kompensiert werden kann, führt auf Dauer zu leistungshemmenden Problemen mit verletzungsbedingten Pausen. Insofern gewinnen präventive Analysen gerade im Ausdauersport immer mehr an Bedeutung.

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Was ist denn im Zusammenspiel von Knochen, Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken so bedeutsam?

Die Grundstrukturen sind enorm wichtig, das ist mit ein Grund, warum wir immer statische und dynamische Aufnahmen machen. Fakt ist jedoch, und das zeigen die Untersuchungsergebnisse der vergangenen Jahre, dass die Dynamik immer die Statik schlägt. Auch haben wir festgestellt, dass gerade die Auswirkungen einer schlecht ausgebildeten Beckenmuskulatur vielfach unterschätzt werden. Das Becken ist und bleibt – und bei Triathleten noch viel stärker – der Dreh und Angelpunkt für einen beschwerdefreien Laufstil. Eine Fehlstellung im Becken, beispielsweise über eine Beinlängendifferenz, kann sich sehr schnell in den Rücken bis hoch zum Nacken, aber auch nach unten über das Knie bis zum Fuß auswirken. Ergänzend zu den üblichen Längen- und Abstandsmessungen erkennen wir anhand von Dehn- und Krafttests sowie Sprunganalysen unter Einbindung der Kraftvektoren sehr schnell, wie es um die muskuläre Stabilität des Sportlers steht. Wenn der Kunde dann noch mit einer Vorbelastung, beispielsweise einem 10-Kilometer-Trainingslauf in den Beinen, zu dem Termin kommt, umso besser. Neben dem geschulten Auge kommt bei der Gang- und Laufanalyse – barfuß und mit Laufschuhen und teilweise auch mit Straßenschuhen – natürlich auch jede Menge Technik zum Einsatz: Kraftmessplatten, Fußdruckmesssohlen, mehrere Videokameras und ein hochwertiges Laufband, die allesamt mit einer entsprechenden Software verbunden sind und bei der Auswertung der erhobenen Daten helfen. Auf Wunsch führen wir auch eine Wirbelsäulenvermessung durch, bei der das verwendete System die Auswirkung des Atemzyklus auf den Bewegungsablauf des Rückens berechnet. Wenn ich stattdessen das Augenmerk nur auf eine Stelle legen würde, beispielsweise auf eine suboptimale Fußstellung, könnte ich dem Kunden sicherlich Tipps geben und einen passenden Schuh anbieten, versäumte es aber, die Ursachen für diese Fehlstellung zu finden und zu beheben. Und die liegen bekanntlich meist woanders …

… im Beckenbereich.

Ich wiederhole mich gerne: Leider leben wir in einer sitzenden Gesellschaft, und somit verwundert es auch nicht, dass im Ausdauersport und insbesondere bei Triathleten das Becken als Dreh- und Angelpunkt über Erfolg und Stillstand entscheidet. Das Schöne ist, dass die bei der Laufanalyse erhobenen Basisdaten auch beim Bikefitting verwendet werden können. Schließlich übernimmt beim Zeitfahren die ausgebildete und dehnfähige Rumpfmuskulatur, gepaart mit der Kraftübertragung aufs Pedal, eine überaus wichtige Rolle, damit die Aeroposition über die gesamte Distanz gehalten werden kann.

Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle auf die Vielzahl der möglichen Verletzungen und Fehlstellungen im Detail einzugehen, Sprengt den Rahmen dieses Interviews. Darauf ist die tritime-Redaktion bereits in früheren Fachartikeln näher eingegangen beziehungsweise wird jene in den nächsten Ausgaben behandeln.

Und genau da kommen wir ins Spiel. Durch die ganzheitliche Analyse, auch in Verbindung mit einem parallel durchgeführten Bikefitting, zeigen wir dem Kunden nicht nur seine Schwachstellen auf, sondern geben ihm auch Hilfestellungen, Tipps und Übungen mit, um jene durch konsequentes Athletik-, Rumpf-, Stabi- und Krafttraining sowie durch ergänzende Faszienübungen zu beheben. Zudem beugt es Verletzungen vor. Die dunkle Jahreszeit ist in Verbindung mit dem Grundlagentraining geradezu dafür prädestiniert, dass man an diesen Baustellen arbeitet, auch vor dem Hintergrund, dass nach diesem besonderen Corona-Jahr die Sportler im kommenden Frühjahr umso motivierter ins Training einsteigen werden. Dieses „Trockentraining“ ist einer der wichtigsten Aspekte im Ausdauersportbereich. Und die zwei, drei Stunden sollte jeder Triathlet in sein Wochenpensum einbauen. Nichts ist frustrierender, als wenn die Ausdauerfähigkeit zwar stimmt, die Muskulatur aufgrund von Defiziten jedoch weit vor der Ziellinie anfängt, zu streiken. Und deshalb verweisen wir bei unseren Analysen auch auf unser regionales Netzwerk von Trainern und Physiotherapeuten, damit die für viele leidigen Hausaufgaben unter professioneller Aufsicht richtig ausgeführt werden. Ich denke, auch dies ist – gerade bei ambitionierten Sportlern – eine sinnvolle Zusatzinvestition, um wieder zu alter Leistungsstärke zurückzufinden oder sich zu verbessern. Für mich gibt es nichts Schlimmeres, als einem Athleten vier Wochen vor seiner ersten Langdistanz sagen zu müssen, dass er den Marathon aufgrund seiner fehlenden Rumpfstabilität und der Vorbelastung im Wettkampf gar nicht oder nur spazieren gehend schaffen wird.

Und wie regelmäßig sollte eine Laufanalyse durchgeführt werden?

Eine allgemeingültige Aussage zu treffen, wäre unseriös, denn das hängt auch von den bei der Erstanalyse festgestellten möglichen Beschwerden ab. Vor dem Hintergrund, dass dem Organismus für die angestrebten Optimierungen auch Zeit gegeben werden sollte, empfehlen wir unseren Kunden zunächst einen Dreistufenplan: Erstanalyse plus zwei Monate plus sechs Monate. Je nach Fortschritt – das systemseitige Neben- beziehungsweise Übereinanderlegen der bisherigen Laufanalysen zeigt die Unterschiede sehr deutlich auf – können diese Zeiträume, auch unter Berücksichtigung der Wettkampfplanung, dahingehend modifiziert werden, dass das Saisonziel oder die vollständige Genesung nicht gefährdet ist.

Herr Mayer, vielen Dank für die Ausführungen. Ich bin gespannt, wie Sie die Messergebnisse des anstehenden tritime-Laufschuhtests bewerten und welche Empfehlungen Sie auf Basis der biomechanischen Untersuchungen aussprechen!

Anmerkung der Redaktion:
Der passionierte Triathlet Christopher Mayer (35) ist Orthopädietechniker-Meister, Sensomotorik-Therapeut, Techniker für Sportorthopädie, zertifizierter Bewegungsanalytiker und Geschäftsführer des Sanitätshauses Schneider & Piecha in Offenbach.

Interview: Klaus Arendt
Foto Bewegungsanalyse: Isaak Papadopoulos