Warum sich DTU-Bundestrainer Faris Al-Sultan im Olympiajahr fühlt wie in einem Raumschiff, verrät der Ironman Hawaii-Sieger von 2005 im Interview, in dem er über seine Tätigkeit und die Leistungsentwicklung der deutschen Athleten/innen in den letzten Monaten berichtet.
Faris, seit knapp einem Jahr zeichnest Du Verantwortung als DTU-Bundestrainer Elite. Was war für Dich in den ersten Wochen Deiner Anstellung die größte Umstellung in Deinem Arbeitsleben?
Kurz gesagt: Alles. Es ist ein komplett anderes Arbeitsfeld zu dem, was ich sonst in meinem Leben je gemacht habe. Neben der Vielzahl an offenen Baustellen – schließlich blieb die Position einige Zeit lang unbesetzt – fängt es damit an, dass ich mit dem DTU-Sportdirektor Dr. Jörg Bügner einen Chef habe, an den ich berichten muss. Konnte ich zu meiner Zeit als Profisportler alles selbst entscheiden, muss ich jetzt vieles zuvor intern besprechen und abstimmen. Verantwortung zu haben, bedeutet ja auch, sehr viel Entscheidungsfreiheit zu haben, aber das ist in diesem Sinne bei mir nicht der Fall. Mit vielleicht einer Ausnahme, und das ist die Aufstellung der Mixed Team Relay. Insofern sehe ich meine Funktion und die damit einhergehenden Aufgaben als eine beratende Tätigkeit an. All das kannte ich bis zum 1. November 2018 nicht. Und zu guter Letzt musste ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Urlaubsantrag stellen (lacht).
Als Bundestrainer Elite schreibst Du selbst keine Trainingspläne. Gib uns doch einmal einen kurzen Einblick in eine typische Arbeitswoche!
Du sagst es, ich bin kein Trainer, es ist eine Managementaufgabe, die damit umschrieben ist, den Olympia- und Perspektivkader auf nationaler und internationaler Ebene sportlich auszurichten, trainingsmethodische Leitlinien zu erarbeiten, die übergeordnete Trainingssteuerung und -kontrolle in enger Abstimmung mit den Bundesstützpunkttrainern zu koordinieren und die Führung der Nationalmannschaft Elite im Wettkampf zu übernehmen. Das Schöne daran ist, dass es keine typische Arbeitswoche gibt. Es gibt alles Mögliche zu organisieren, also vom Eröffnungslehrgang der Kaderathleten bis hin zu Gesprächen mit dem FES (Anm. d. Red.: Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten) über die neuesten Entwicklungen unserer Zusammenarbeit. Es ist immer irgendetwas anderes und für mich im Grunde immer noch eine große, aber sehr interessante und herausfordernde Lernphase. So wirklich arbeiten tue ich eigentlich gar nichts (schmunzelt).
Wie herausfordernd ist der Spagat zwischen den vorgegebenen finanziellen und sportlichen Rahmenbedingungen und dem eigenen Anspruch?
So viel vorweg, die finanziellen Rahmenbedingungen sind zufriedenstellend. Unser Sportdirektor Dr. Bügner hat sehr gut dafür gekämpft, dass wir auf diesem Gebiet solide aufgestellt sind. Aktuell läuft es auch darauf hinaus, dass wir all unsere geplanten Maßnahmen auch finanzieren können und somit an dieser Front keine Sorgen haben. Und was die sportlichen Rahmenbedingungen angeht, hänge ich von den Sportlern und ihren individuellen Trainern ab. Natürlich habe auch ich den Anspruch, das Beste aus den Athleten herauszuholen. Und deshalb stehe ich mit den Trainern in ständigem Kontakt, tausche mich mit ihnen aus und weise auf bestimmte Punkte und Entwicklungen hin, mein Einfluss jedoch ist auf diesem Gebiet letztendlich sehr begrenzt.
Um einen detaillierten Überblick über das Training zu erhalten, stellen wir aktuell auf eine moderne Trainingsdatendokumentation um, sodass ich als Bundestrainer, der ja keine eigenen Athleten betreut und nicht vor Ort ist, über die Daten einsehen kann, was die Athleten so wirklich alles im Detail trainieren. Somit kann ich im Bedarfsfall natürlich viel schneller reagieren und konkrete weiterführende Maßnahmen treffen.
Und wie wohl fühlst Du Dich auf dem sportpolitischen Parkett?
Aus der Nummer bin ich weitestgehend raus, denn das ist hauptsächlich die Aufgabe von Dr. Jörg Bügner, dem Vize-Präsidenten Leistungssport Reinhold Häußlein und natürlich unserem Präsidenten Prof. Dr. Martin Engelhardt. Ich gebe aber zu, es ist für mich sehr interessant, Einblick zu bekommen, wie der deutsche Sport funktioniert, wie komplex und bürokratisch das bei den olympischen Sportarten so ist. Auch das gehört zu meinem Lernprozess dazu.
Zu Deiner aktiven Zeit als Profi hast Du mit Deiner Meinung nie hinter dem Berg gehalten. Wie gehst Du selbst mit Kritik um, insbesondere wenn Deine Athleten, die DTU als Dein Arbeitgeber oder Du selbst im Mittelpunkt der Diskussionen stehen?
Ich bin sowohl kritikfreudig als auch immer bereit, Kritik anzunehmen. In Interviews möchte ich jedoch nicht in Fußballerdimensionen abstürzen und mit Plattitüden nur so um mich werfen, das werde ich sicherlich vermeiden. Als Angestellter der DTU muss ich auch Rücksicht auf den Verband nehmen und seine Interessen vertreten. Grundsätzlich halte ich mich aber nicht darin zurück, Kritik an den Athleten, den Verbandsstrukturen oder auch an mir selbst zu üben, allerdings sollte sich das im richtigen Rahmen bewegen. Und da bin ich sicherlich ein bisschen diplomatischer als früher.
Bei alledem darf natürlich nicht vergessen werden, dass das von mir ausgeübte Amt in der von mir ausgeübten Ausprägung auch für die DTU neu ist. Ich bin der erste Bundestrainer, der selbst keine Athleten trainiert und daher eine völlig andere Rolle einnimmt als alle anderen Bundestrainer vor mir. Das, was ich bis zu meiner Einstellung gut konnte, also selbst Athlet zu sein, ein Team zu führen wie bei Abu Dhabi oder Trainer zu sein, nichts von alledem mache ich hier. Es ist eine Sportmanagement-Aufgabe mit vielen neuen Elementen, in die ich mich nicht nur reinfinden, sondern für die ich auch neue Abläufe definieren muss.
Nach einer längeren Durststrecke und vielen ernüchternden Ergebnissen der letzten Jahre konnten sich die Ergebnisse der deutschen Kurzdistanzler in 2019 wieder sehen lassen. Worauf ist das zurückzuführen?
In den vergangenen acht Monaten haben wir innerhalb der DTU die größte Leistungssteigerung unserer Athleten aller Zeiten gesehen. Damit meine ich nicht das beste Niveau, sondern die größte Steigerung. Dafür kann ich gar nicht die Verantwortung übernehmen, denn im Grunde genommen hatte ich noch wenig damit zu tun. Aber ich möchte den schönen Ausdruck verwenden: Ich stehe dem in sportlicher Hinsicht ein bisschen vor. Ich verwende extra nicht den Ausdruck „Ich bin verantwortlich dafür“, denn das entspricht nicht den Tatsachen. Bei dem einen oder anderen Athleten habe ich sicherlich dazu beigetragen, dass er durch Tipps und Ideen Dinge verändert und sich dadurch verbessert hat. Natürlich bemühe ich mich darum, dass ich alle verbessern kann. Bei manchen fallen Vorschläge auf einen sehr fruchtbaren Boden, bei anderen nicht, aber das ist auch ganz normal.
Ein Grund für die guten Ergebnisse ist sicherlich auch, dass die Athleten älter und reifer werden und sich in den letzten Monaten durch konsequentes und zielgerichtetes Training einfach verbessert haben. Das ist ein ganz normaler Entwicklungsprozess, auch vor dem Hintergrund, dass sie von ziemlich weit unten kommen und das Training jetzt anschlägt. Ein gewisses Leistungsniveau zu erreichen, ist bekanntlich relativ einfach, wie weit wir jetzt jeden einzelnen entwickeln können, wird die Zukunft zeigen, auch unter Berücksichtigung der Umfänge, Intensitäten und persönlichen Rahmenbedingungen eines jeden Einzelnen.
Aktuell sind wir mit der Entwicklung sehr zufrieden. Im Damenbereich schaut es auf jeden Fall wieder besser aus. Neben Laura Lindemann haben wir eine Nina Eim, die sich sehr gut entwickelt hat, eine Lisa Tertsch, die zurückgekommen ist, und wir stellen eine tolle Steigerung bei Caroline Pohle fest. Bei den Herren hat sich Jonas Schomburg kontinuierlich von den Top 30 der World Triathlon Series in die Top 10–15 verbessert, Valentin Wernz hat eine sehr gute Saison. Bei manchen ist endlich die bislang fehlende Konstanz des Trainings da, und allein das ist schon eine gute Entwicklung und wirkt sich auf die Ergebnisse aus.
In einem Interview hast Du gesagt, dass Du gerne fünf Damen und fünf Herren in den Top 60 der Weltrangliste sehen möchtest. Was sind die größten Herausforderungen, um dieses Ziel zu erreichen?
Grundsätzlich einmal Zeit, mehr Zeit für die Athleten, vor allem für die drei Damen Eim, Tertsch und Pohle. Die brauchen einfach noch ein bisschen an Erfahrung und Wettkämpfe. Bei den Herren haben wir es schon fast erreicht, da fehlt mir nur noch der Athlet in den Top 10. Leider ist Justus Nieschlag, der sicherlich das Potenzial hat, etwas verletzungsanfällig. Ärgerlicherweise hat er sich auch bei den Finals in Berlin am Fuß verletzt, was uns alle sehr traurig stimmt, denn seine Qualitäten sind unbestritten. Justus hat die Staffel bei der EM in Weert und der WM in Hamburg bereichert und war sicherlich ein großer Eckpfeiler der beiden zweiten Plätze. Lasse Lührs ist zwar in den Top 30, benötigt jedoch wie die Damen noch ein bisschen Zeit, um noch weiter nach vorne zu kommen. Valentin Wernz braucht ein etwas anderes Training, aber auch da stimme ich mich in beratender Funktion mit den verantwortlichen Stützpunkttrainern und Sportwissenschaftlern ab und gebe Hinweise, was man verbessern kann.
In Tokyo wird im Mixed Team Relay zum ersten Mal um olympisches Edelmetall gekämpft. Aktuell stehen die Chancen für eine Teilnahme eines deutschen Teams mehr als gut. Wie trainieren die infrage kommenden deutschen Athleten dieses Format eigentlich?
Grundsätzliche gilt für ein Mixed Team Relay dasselbe wie für die Sprint- oder olympische Distanz: Wir sind im Ausdauerbereich unterwegs, sodass nichts über eine gewisse aerobe Basis geht, die einfach gelegt sein muss, egal, welche Distanz ansteht. Bei einer Belastung von rund 20 Minuten im Mixed Team Relay brauchen wir kein spezielles Sondertraining. Wenn jedoch im Vorfeld klar ist, dass ein Staffelathlet im Einzelrennen nicht ganz vorne mitspielen kann, werden wir uns mit ihm kurz vor dem Mixed Team Relay vermehrt um die intensiveren Anteile kümmern, um dadurch eine leichte Ausspezialisierung zu erreichen. Letztendlich kommt es aber darauf an, dass jeder Einzelne schnell schwimmen, Rad fahren, laufen und wechseln kann. Daran ändert sich überhaupt nichts. Ein Blick auf die bisherigen Zeiten in den Einzel- und Staffelrennen zeigt auch, dass im Großen und Ganzen grundsätzlich die schnellen Athleten auf der olympischen Distanz auch schnelle Staffelmitglieder sind und umgekehrt.
Müssten für dieses zuschauer- und medienwirksame Format in Deutschland nicht mehr Rennen in bestehende Veranstaltungen integriert werden?
Wir würden gerne mehr Mixed Team Relay Rennen in Bundesliga, Jugendcup oder andere Veranstaltungen integrieren. Es ist einfach ein schönes und spannendes Format, von dem wir alle mehr sehen wollen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass ein Großteil der Ligastarter, und damit meine ich vor allem auch die unterklassigen Ligen, bei einer langen Anreise nicht nur so kurze Sachen wie aktuell eben auch Mixed Team Relay Rennen machen wollen. Hinzu kommen neue Herausforderungen für die Veranstalter hinsichtlich der Lokation, schließlich existieren nicht überall so optimale Voraussetzungen wie in Hamburg.
Vor dem Hintergrund der großen deutschen Erfolge auf der Langdistanz fristen die Kurzdistanzler seit einigen Jahren ein Schattendasein. Zu Unrecht, wie ich finde. In der Leichtathletik beispielsweise scheint es diese Kluft zwischen Sprint-, Mittel- und Langstrecke nicht zu geben. Hast Du eine Idee, was – unabhängig von Erfolgen in der World Triathlon Series und Olympia – passieren muss, damit sich dies ändert?
Meine Aufgabe ist es ja, die Kurzdistanz zu verteidigen und eine Lanze für meine Athleten zu brechen. Fairerweise muss ich allerdings sagen, dass sich Jan Frodeno, Sebastian Kienle und Patrick Lange auf einem ganz anderen Niveau bewegen. Bei allem Respekt vor den sicherlich nicht schlechten Leistungen auf der Kurzdistanz sind wir Deutschen auf der Langdistanz schon sehr verwöhnt. Hinzu kommt, dass für die meisten Amateure, die Triathlon hobbymäßig betreiben, das schlichte Schaffen einer olympischen Distanz nicht die Herausforderung ist, sondern die Zeit. Bei der Langdistanz darf man den Mythos Hawaii nicht wegdiskutieren. Außerdem geht es vielmehr darum, wie gut man den langen Tag übersteht. Vor diesem Hintergrund ist es schon schwer, die deutsche Kurzdistanz aus dem Schattendasein herauszuholen, zumal man die Profis bis dato auch noch zu selten gewinnen sieht. Von Laura Lindemann einmal abgesehen, haben wir derzeit niemanden, der sich mit den ganz schnellen Damen und Herren aus England, Frankreich, Spanien und den USA battlen kann. Und von daher ist es auch verständlich, dass das Medieninteresse nicht so groß ist. Aber mit den tollen Rennen in Weert und Hamburg sowie einigen starken Leistungen in diesem Jahr sind wir auf einem guten Weg, dass sich daran etwas ändert.
Letzte Frage – von Dir soll das Statement stammen: „Ich befinde mich auf einem Raumschiff!“ Wie darf ich das verstehen?
Natürlich befinde ich mich auf einem Raumschiff. Der Verband arbeitet völlig anders wie die Profis auf der Langdistanz. Letztere sind in aller Regel Einmann-Unternehmer, die alles alleine entscheiden, organisieren und auch finanzieren müssen. Wenn ein Langdistanzler etwas nicht macht oder in Auftrag gibt, dann passiert nichts, gar nichts. Demgegenüber steht ein durchstrukturierter Verband mit seinen Mitarbeitern, die sicherstellen, dass möglichst nichts liegen bleibt. Das sind zwei komplett unterschiedliche Welten, die ich beide kenne und zwischen denen ich mich bewege.
Interview: Klaus Arendt
Fotos: Jo Kleindl, DTU und ITU