Faris Al-Sultan: „Wer keine 3,8 Kilometer in der Badehose schwimmen kann, ist im Triathlon falsch“

Faris Al-Sultan im Gespräch über die Entwicklung von Neoprenanzügen im Triathlon als Kälteschutz und Schwimmbeschleuniger.

 

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen die Neoprenanzüge den Triathleten einfach nur Schutz gegen das kalte Wasser bieten sollten. Mittlerweile handelt es sich um hoch entwickelte Hightech-Sportgeräte mit einer leicht veränderten Zielsetzung: den Schwimmern zu noch schnelleren Zeiten zu verhelfen. Aussagen über die ursprüngliche Zielsetzung erscheinen, wenn überhaupt, nur noch im Kleingedruckten. Wir trafen Faris Al-Sultan, DTU-Bundestrainer Elite, und unterhielten uns mit ihm über das „schwarze Gold aus Kautschuk“. Der Ironman-Weltmeister des Jahres 2005 gehörte während seiner aktiven Zeit als Triathlon-Profi zu den schnellsten Schwimmern der Welt.

Faris, erinnerst Du Dich noch an Deinen allerersten Neoprenanzug, den Du Ende der Neunziger getragen hast?
Das war ein alter, geliehener Orca, fest wie ein Panzer, und dementsprechend war die Schwimmerei auch sehr anstrengend.

Was hat sich seitdem verändert?
Aufgrund der vielen Panels haben sich die Schnitte im Sinne einer verbesserten Taillierung und somit optimierten Passform verändert. Neben der erhöhten Flexibilität im Schulterbereich führten viele, viele Kleinigkeiten dazu, dass der verbesserte Tragekomfort zu schnelleren Schwimmsplits führte. Ich erinnere mich auch an viele Spielereien zur Optimierung der Wasserlage beziehungsweise Erhöhung der Wasserverdrängung, von denen sich allerdings nur die wenigsten durchgesetzt haben.

Die Zeiten, in denen die Neoprenanzüge die Triathleten in erster Linie vor dem Auskühlen bewahren sollten, sind längst vorbei. Die Werbebotschaften konzentrieren sich auf die Bereiche Flexibilität, Auftrieb, Widerstandsoptimierung und natürlich die verarbeiteten Materialien. Fluch oder Segen?
Der Triathlet darf nicht alles glauben, was ihm die Werbung verspricht. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob sich in diesem Zusammenhang auch das Preis-Leistungs-Verhältnis wirklich verbessert hat. Wenn man die ganzen Versprechungen der Hersteller zusammenzählen würde, gäbe es heute bereits negative Zeiten auf 1.500 Metern. Aber ganz so ist es ja immer noch nicht. Keine Frage, die Sportler haben sich verbessert, aber so dramatisch auch nicht. Fakt ist – und da gibt es gar kein Vertun: Die Neos sind auf jeden Fall im Komfortbereich viel, viel besser als noch vor einigen Jahren. Der Fluch des Ganzen liegt eher darin, dass die Leute ohne Neo praktisch gar keine Wettkämpfe mehr schwimmen können und der Veranstalter wenig Interesse daran hat, dass ohne Neoprenanzug gestartet wird.

Und wird dann doch ein Neoprenverbot ausgesprochen, kochen die Emotionen hoch. Dann sind sich die meisten einig und fangen an zu jammern …
Das Geweine bei den Wettkampfbesprechungen kann ich nicht mehr hören. Ich werde nie vergessen, wie bei meinem ersten Besuch in Brasilien das Schwimmen ohne angekündigt wurde. Da fingen doch tatsächlich einige Profis an zu weinen, der Veranstalter wurde bearbeitet und es gab einen Riesenzirkus. Das war schon sehr lächerlich. Ich bin ja immer noch der Ansicht: Wer keine 3,8 Kilometer in der Badehose schwimmen kann, ist im Triathlon falsch und soll daheimbleiben.

Und trotzdem mehren sich gerade bei einem Neoprenverbot die Rufe nach einer Aufhebung der Regelung, insbesondere für die älteren Altersstufen. Hältst Du das für angebracht?
Triathlon ist bekanntlich eine sehr inklusive Sportart. Von Sportlern mit Behinderung bis zu denjenigen, die 150 Kilogramm wiegen und zu einem Eisenmann werden möchten, ist alles vertreten. Auf Hawaii finishte im vergangenen Jahr ein Japaner mit 86 Jahren. Es ist eine wahnsinnig schöne Sache, dass diese Menschen mitmachen und ihre Träume verwirklichen können. Wenn man jedoch mitspielen möchte, dann auch nach einheitlichen Regeln, an die sich alle halten müssen, und zwar ohne Ausnahme. Selbst ein Team Hoyt beispielsweise würde im Traum nicht daran denken, auf einmal mit einem E-Bike daherzukommen. Ansonsten wird es lächerlich. Das würde nicht nur die Leistungen aller verwässern, sondern auch den Geist unseres Sports zerstören. Und dasselbe gilt auch für einen Neoverbot. Schließlich wird dieser ja nicht zum Spaß, sondern zum Schutz des Athleten vor einer Überhitzung ausgesprochen. Und von daher soll das auch für alle Altersklassen gelten, unabhängig ob jemand 18 oder 88 Jahre jung ist. Wenn Neoverbot ist, gilt das Verbot und damit Ruhe.

Mittlerweile hast Du ja die Seiten gewechselt und zeichnest als Bundestrainer Verantwortung für die Elite-Athleten der Deutschen Triathlon Union. Welchen Stellenwert nimmt das Schwimmtraining mit Neoprenanzug ein?
Das ist eine interessante Frage. Ich weiß auch nicht, wie viel die Kaderathleten tatsächlich mit dem Neo trainieren. Da die Distanzen relativ kurz sind, kann ich aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass bei einer Wettkampfstrecke von bis zu zwei Kilometern das Training mit Neo relativ unwichtig und deshalb auch vernachlässigbar ist. Schließlich sprechen wir beim Schwimmen mit Neoprenanzug im Wesentlichen über die Einschränkungen in der Schulter-Beweglichkeit und dem damit einhergehenden höheren Widerstand beim Nach-vorneführen des Arms. Das alleine ist der wichtigste „negative“ Hauptunterschied beim Schwimmen mit und ohne Neo, und das fällt auf den kurzen Strecken gar nicht ins Gewicht. Vergessen dürfen wir in diesem Zusammenhang – insbesondere auf der olympischen Distanz und beim Mixed Team Relay – keinesfalls das schnelle Ausziehen. Interessant wird es bei der Langdistanz, dann summiert sich der Widerstand schon auf. Und wer nie mit Neo trainiert, wird nach hinten hinaus definitiv einen Leistungsverlust feststellen.

Letzte Frage: Was sind die Big Points, die beim Kauf eines neuen Neoprenanzugs unbedingt zu berücksichtigen sind?
Passform, Passform, Passform. Das ist das A und O beim Neokauf. Es nützt gar nichts, wenn es sich um den tollsten Anzug der Welt handelt, wenn das Ding nicht richtig sitzt. Wenn eine bestimmte Marke dem Frodo, Sebi, Lange oder mir passt, nützt das letztendlich gar nichts, wenn die Passform des Neos nicht zu meiner Figur passt. Der Athlet ist das Maß aller Dinge, das Ding muss sitzen, ganz egal, wie viel Neopren zum Auftrieb verarbeitet wurde. Danach kommt die Flexibilität in der Schulter, und alles andere ist im Prinzip vernachlässigbar. Ich wiederhole mich sehr gerne und betone: Passform, Passform, Passform.

Foto: Deutsche Triathlon Union

Interview: Klaus Arendt
Aufmacherfoto: Armin Schirmaier