Perspektivwechsel. Was bedeutet Bewegung, wenn man querschnittsgelähmt ist? Ex-Triathlet Karsten Pfeifer will sich nach seinem Triathlon-Unfall vor drei Jahren noch nicht mit seiner Situation zufriedengeben. Er kämpft weiter für mehr Selbstständigkeit im Alltag.
Drei Jahre nach seinem Unfall ist der hoch querschnittgelähmte Ex-Triathlet Karsten Pfeifer immer noch auf der Suche nach Lösungen, um gesundheitlichen Komplikationen zu vermeiden. Er sucht nach Möglichkeiten, seinen Aktionsradius zu vergrößern und nach Wegen, verlorene Funktionen zurückzuerlangen.
Sport ist meine Leidenschaft und meine Faszination
Seit meiner Querschnittlähmung habe ich gelernt, wie wichtig mir körperliche Bewegung ist. Menschen, die mich schon schon länger kennen, werden jetzt schmunzeln. In den Jahren vor dem Unfall drehte sich bei mir alles nur um Triathlon, Training und Wettkämpfe. Alles, wirklich alles war auf meinen Triathlon-Lifestyle ausgerichtet. Der Sport war meine Leidenschaft. Meine Ziele hingen hoch. Mein Talent und meine Ausgangsbasis waren überschaubar. Aber die stetigen Fortschritte motivierten mich. Die konstante Arbeit zahlte sich aus. Über die Jahre hatte ich ein Team aus Spezialisten gefunden. Menschen die mich begleiteten und mir mit ihren Impulsen halfen, kontinuierlich besser zu werden. Ich war sicher, auf dem richtigen Weg zu sein und das mich nichts aufhalten könnte. Für mich war es nur eine Frage der Zeit, bis ich meine Ziele erreichen würde. Gleichzeitig schärfte ich mein Bewusstsein für Bewegungsqualität, Technik und Körpergefühl. So kristallisierte sich im Jahr vor dem Unfall für mich noch ein viel attraktiveres, höheres Ziel heraus. Ein Ziel, nach dem ich alters- und leistungsunabhängig noch lange hätte streben können, bei dem es nicht um Zeiten und Platzierungen ging. Mich faszinieren Sportler, die beispielsweise ihren Laktatwert auf die Nachkommastelle genau erfühlen können oder in der Lage sind, auf einer ihnen unbekannten Laufstrecke die zurücklegte Distanz exakt benennen zu können. Diese Fähigkeiten wollte ich mir erarbeiten. Die Vorstellung, das eines Tages selbst zu beherrschen, trieb mich an. Ausgesprochen habe ich diese Gedanken bis heute nie. Auch sind mir bisher nur wenige Menschen begegnet, die diese spezielle Faszination teilen oder wenigstens nachvollziehen können.
Der Blick nach innen
Heute ist diese Faszination vielleicht mein Rettungsanker. Bei allen Therapien und Übungen, die ich absolviere, versuche ich permanent, Referenzpunkte im Körper zu identifizieren, die mir mögliche Entwicklungen anzeigen. In erster Linie sind das Veränderungen in den Missempfindungen, die ich versuche, zu erfühlen. Mit Missempfindung meine ich, das für meine Verletzung typische, permanent vorhandene Kribbeln in den gelähmten Körperteilen. Dieses Kribbeln verändert sich stellenweise, wenn ich mir Bewegungen vorstelle und mich dabei auf einen Körperteil konzentriere. So als wäre da ein Signal das aber noch zu schwach ist, um eine muskuläre Reaktion auszulösen. Ich bin seit dem Unfall schlaff gelähmt, also ohne muskuläre Aktivität. Folglich muss ich zwangsläufig meinen Blick stark nach innen richten, wenn ich etwas ändern möchte.
Wenn die Realität Fakten schafft
Dass ich 80 Prozent meines Körpers nicht mehr fühlen und auch nicht mehr bewegen kann, ist für mich nicht akzeptabel. Ich will es noch nicht akzeptieren. Rational ist mir klar, dass ich es aufgrund der schweren Verletzungen nur zu einem kleinen Teil selbst in der Hand habe, diesen Zustand zu ändern. Anders als in meinem früheren Leben. Deshalb fällt es mir auch so schwer, loszulassen und zu akzeptieren. Das bedeutet nicht, dass ich in ein mentales Loch gefallen bin. Als strukturiert denkender Mensch konzentriere ich mich auf Kleinigkeiten, die in dieser für mich noch immer unbegreifbaren Situation einen Fortschritt bedeuten. Mein Traum ist, irgendwann wieder wenigstens einen Teil meiner Bauchmuskeln nutzen zu können, die weiterhin komplett schlaff gelähmt ist. Damit alleine könnte ich zwar noch immer nicht stehen oder laufen. Aber ich könnte aufrechter sitzen. Die Haut am Rücken im Alltag selbst aktiv besser schützen. Das wäre ein Schritt zu mehr Eigenständigkeit und zu größerer Mobilität. Ich könnte essen, ohne mich nicht ständig mit einer Hand irgendwo abstützen zu müssen. Ich wäre in der Lage, schwierigere Transfers aus oder in den Rollstuhl zu bewältigen. Eben alles Dinge, die man als gesunder Mensch überhaupt nicht auf dem Radar hat, die mir aber viel bedeuten.
Too strong to fail. Too weak to change
Die ständigen Rückschläge machen mir das Leben bisher nicht einfach. Monatelang auf dem Bauch liegen zu müssen, sind für mich die Hölle. Auch wenn ich weiß, dass nur so die Hautverletzungen am Rücken heilen können. Es in solchen Momenten keine Alternativen gibt und die Heilung selbstverständlich höchste Priorität hat. Arbeiten kann ich trotzdem, da ich dazu nur ein Notebook und ein Telefon benötige. So bleibe ich weiter gut beschäftigt und abgelenkt. Auch meine täglichen Aktivierungsversuche der Bauchmuskulatur kann ich im Liegen absolvieren. Aber ich vermisse die Bewegung im Rollstuhl und die Ausfahrten draußen mit dem Handbike. Mir fehlen die Indoor-Trainingseinheiten mit dem Handkurbelgerät und die ambulante Therapie mit meinen Physiotherapeuten im Stehen. Wenn ich zum Liegen verdammt bin, fehlt sie mir, meine ganze kleine überschaubare Welt an derzeitigen Bewegungsmöglichkeiten, die für mein Wohlbefinden von so hoher Bedeutung sind.
Ex-Triathlet Karsten Pfeifer: Die Gedanken fliegen wieder
Zwischen November und Ende Februar stand die Zeit für mich aufgrund der körperlichen Komplikationen fast still. Seit kurzem kehre ich endlich wieder langsam in einen normaleren Alltag zurück. Mein Bewegungsradius wird wieder größer. Mein Tatendrang nimmt zu. Ich werde wieder belastbarer und fühle mich wie ausgewechselt. Endlich habe ich wieder den Kopf frei, um neue Pläne zu schmieden. Um mir neue konkrete Etappenziele zu setzen. Bewegung war und ist eben mein Lebenselixier. Daher hoffe ich im verbleibenden Jahr, endlich für einen längeren Zeitraum von gesundheitlichen Rückschlägen verschont zu bleiben. Damit ich konstant aktiv mit meinem Körper arbeiten kann. Um meinen Zielen und Träumen näher zu kommen.
Ich bin fest davon überzeugt, noch viel mehr körperlich erreichen zu können. Mehr als auch ich mir derzeit selbst erlaube, vorzustellen. Wenn die Zeit reif dafür ist, werde ich euch davon berichten.
Never stop burning
Euer Karsten
Text: Karsten Pfeifer
Fotos: privat