Gesunde, stabile Knochen sind wichtig für jeden Sportler. Obwohl Sport an sich schon positive Auswirkungen auf die Knochengesundheit hat, leiden trotzdem viele Athleten unter einer verminderten Knochendichte.
Die Gründe sind vielfältig und können eine zu geringe Energieverfügbarkeit, ein erniedrigter Sexualhormonspiegel, erhöhte Stresshormone und ein gestörtes Calcium-Gleichgewicht während der Belastung sein. Intensives und hartes Training hat ein Absinken des Calciumspiegels im Serum zur Folge.
Eine Kombination aus Fehlbelastung mit Fehlernährung und hormonellen Störungen führt zu einer Verminderung der Knochenfestigkeit. Ein Bruch – meist in Form einer Mikrofraktur – macht sich dann durch einen anhaltenden, meist spitzen Schmerz bemerkbar. Eine schnellstmögliche Abklärung durch einen Arzt ist die erste wichtige Maßnahme. Leider bedeutet dies meist das Ende der Saison, denn eine Ermüdungsfraktur braucht Zeit zum vollständigen Ausheilen, häufig mindestens drei Monate. Wir unterhielten uns mit dem in München niedergelassenen Facharzt Uli Nieper.
Herr Nieper, was unterscheidet Ermüdungsbrüche eigentlich von herkömmlichen Knochenbrüchen? Gebrochen ist doch gebrochen, oder etwa nicht?
Ja, das ist richtig, ein gebrochener Knochen ist ein gebrochener Knochen, wobei die Ursachen aber verschieden sein können. Bei einem herkömmlichen Bruch ist meist ein Trauma eine Ursache, beim Ermüdungsbruch ist ursächlich die Kombination aus unphysiologisch hoher Belastung, ungenügende Zeit zur Regeneration und einer statischen Fehlbelastung, zusätzlich oft noch in Verbindung mit einer anatomischen Normvariante des Skeletts, wie bei O/X–Beine oder Spreizfüßen.
An welchen Symptomen kann ein Sportler erkennen, ob er sich auf dem folgenschweren Weg in Richtung Ermüdungsbruch bewegt, oder tritt dieser von heute auf morgen auf?
Meist kündigt sich ein Ermüdungsbruch mit ziehenden Schmerzen an, vor allem während und bis kurz nach der Belastung, häufig aber auch ganz unspezifisch über mehrere Tage. Zeigt sich ein Klopfschmerz über dem betroffenen Knochen, sollte man präventiv einen Arzt aufsuchen. Häufig ist aber der Schmerz schon das letzte klinische Zeichen, der Knochen ist oft schon geschädigt und kurz vorm Brechen.
Kann ein Schienenbeinkantensyndrom ebenfalls ein erster Hinweis auf einen Ermüdungsbruch sein?
Das „Shin Splint“ ist eine eigene Erkrankung. Dabei handelt es sich meist um eine Überlastung der Unterschenkelmuskulatur, die zu einem erhöhten Zug an der Knochenhaut des Schienenbeins und dann zur Entzündung führt. Der Schmerz bei einem Ermüdungsbruch ist aber ähnlich, weshalb zur Differenzialdiagnose ein MRT durchgeführt werden sollte.
Kann eine zu geringe Knochendichte und -festigkeit Ermüdungsbrüche zusätzlich beschleunigen?
Definitiv kann die Knochendichte einen Knochenbruch begünstigen. Das Risiko eines Ermüdungsbruches ist bei einem Verlust von fünf Prozent Knochendichte um fast 40 Prozent erhöht. Allerdings spricht man dann eher von einem pathologischen, sprich krankhaften Bruch. Bedingt durch Östrogenspiegelstörungen haben Frauen von Natur aus ein höheres Risiko, sich einen Ermüdungsbruch zuzuziehen.
Bekannte Profis wie Andreas Raelert, Nils Frommhold und Nicola Spirig hatten in ihrer Karriere damit – teilweise sogar mehrfach – zu kämpfen. Sind Triathleten für diese besondere Art des Knochenbruches besonders empfänglich?
Beim Radfahren oder Schwimmen entstehen eher selten Ermüdungsbrüche, fast immer ist die Lauferei der Hauptgrund. Bei Hobbysportlern treten in Relation wahrscheinlich sogar mehr Ermüdungsbrüche auf als bei Profis. Ich persönlich sehe Triathleten jetzt nicht unbedingt mehr betroffen. Entscheidend ist das Verhältnis der Lauftrainingsquantität und -qualität zur Regeneration, und wenn das nicht stimmt, treten Verletzungen auf.
An welchen Stellen treten Ermüdungsbrüche typischerweise auf?
Am häufigsten sind der Mittelfuß und das Schienenbein betroffen, danach folgen der Oberschenkelknochen, das Wadenbein und das Becken. Die Häufigkeit von Ermüdungsbrüchen ist vom Fuß an aufsteigend, da die Stoßbelastungen von oben nach unten zunehmen.
Ist ein Ermüdungsbruch gleichbedeutend mit einer 100-prozentigen Sportpause?
Nein, eine Sportpause ist nicht zwingend notwendig, aber eine Laufpause! Bei Mittelfuß- und Schienenbeinbrüchen von 6–8 Wochen sowie bei Oberschenkel- und Beckenfrakturen von 8–12 Wochen. Schwimmen und Radfahren sowie Krafttraining sind erlaubt, solange es schmerzfrei ist. Hilfreich ist auch Aquajogging, da hier ein Teil der laufspezifischen Muskulatur trainiert wird.
Kann die Zuführung von Mikronährstoffen die Heilung beschleunigen beziehungsweise präventiv einem Bruch vorbeugen?
Sollte beispielsweise ein Mangel an Calcium und Vitamin D bestehen, so ist dieser natürlich auszugleichen, denn die Heilung kann somit auch beschleunigt werden. Grundsätzlich ist jedoch auf eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Calcium und Vitamin D zu achten.
Worauf sollten vorbelastete Sportler nach dem Ausheilen des Bruchs besonders achten, und wie sieht der ideale Wiedereinstieg in das Training nach einem Ermüdungsbruch aus?
Langsamer Aufbau des Trainings sowie die Quantität und Qualität vorsichtig steigern. Wer verletzungsbedingt beispielsweise 8–10 Wochen ausfällt, benötigt im Laufen auch wieder 8–10 Wochen, um das Leistungsniveau von vor der Verletzung zu erreichen. Vorausgesetzt, man hat das Training auch tatsächlich erst wieder aufgenommen, nachdem die Verletzung vollständig ausgeheilt war. Idealerweise beginnt man in den ersten beiden Wochen mit 20-30-minütigen Läufen, um dann jede Woche um weitere 10–15 Minuten pro Lauf zu steigern. Ab der 4.–6. Woche können dann auch die Intensitäten wieder gesteigert werden. Unterstützend wirken gut gedämpfte Laufschuhe und/oder das Laufen auf einem weichen Untergrund. Für die Wettkampfplanung bedeutet ein Ermüdungsbruch ganz eindeutig: Wettkampf ausfallen lassen und die Zielsetzung ändern und dem Heilungsverlauf anpassen.
Herr Nieper, herzlichen Dank für Ihre ausführlichen Antworten.
Uli Nieper ist niedergelassener Facharzt in München. Seine Schwerpunkte liegen auf den Gebieten der Sportorthopädie und Sportmedizin für Orthopädie, mit einem besonderen Augenmerk auf arthroskopische Operationen an Knie und Schulter. Nieper, mehrfacher Deutscher Meister der Ärzte im Triathlon, betreibt Triathlon seit 1988 und kommt auf insgesamt elf Teilnahmen bei den Ironman-Weltmeisterschaften auf Hawaii.
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