Schrittfrequenzen und Schrittlängenentwicklung

schrittlaenge_r_g_2792Es ist ebenso trivial wie überraschend zugleich, dass die Geschwindigkeit in zyklischen Sportarten sich immer aus der Kombination von Zyklusweg und Bewegungsfrequenz ergibt.

 

Steigt die Geschwindigkeit, so erhöht sich die Bewegungsfrequenz, beziehungsweise es verlängert sich der Zyklusweg oder beides geschieht parallel. Vor über zehn Jahren hatte ich die Möglichkeit, diesen Zusammenhang mit international sehr erfolgreichen Athleten – unter anderem mit der zweifachen Olympiateilnehmerin und mehrfachen Deutschen Meisterin über 5.000 und 10.000 Meter, Petra Wassiluk – näher zu untersuchen. Interessanterweise brachte die Analyse der Ergebnisse zwei unterschiedliche Strategien der Geschwindigkeitssteigerung ans Tageslicht. Während die einen die Geschwindigkeit hauptsächlich über die Schrittlänge generierten, steigerten die anderen ihr Tempo mehr über die Frequenz.

Obwohl es eigentlich einfacher und weniger kraftaufwendig ist, die Geschwindigkeit primär über die Frequenz und erst später über die Schrittlänge zu erhöhen, beweisen alle meine späteren Untersuchungen mit Freizeit- und Breitensportlern das Gegenteil: Interessanterweise generiert der „Normalläufer“ die Geschwindigkeitssteigerung in erster Linie – mangels technischer Fertigkeiten – über die Schrittlänge. Somit schränkt er von vornherein nicht nur seine mögliche Leistungsentwicklung durch die Frequenzsteigerung ein, er gestaltet seine Lauftechnik dadurch auch sehr unökonomisch. Die Fragestellung, welche Faktoren letztendlich für Schrittfrequenzen und Schrittlängen verantwortlich sind, eröffnet ein großes Spektrum von Ansatzpunkten, die eigene Lauftechnik zu verbessern.

Bestimmungsgrößen Schrittfrequenz und Schrittlänge

Schrittfrequenz wird bestimmt von
– Herz-Kreislauf-System
– Stoffwechselökonomie
– Beckenaufrichtung ur
– Rumpfspannung
– Armarbeit
– Koordinationsfähigkeit
– Bodenkontaktzeit

Schrittlänge wird bestimmt von
– Beckenaufrichtung
– Rumpfspannung
– Kraftausdauer der hüftstreckenden Muskulatur
– Kraftausdauer der kniestabilisierenden Muskulatur
– Kraftausdauer der kniebeugenden Muskulatur
– Kraftausdauer der hüftbeugenden Muskulatur
– Abdruckrichtung der Füße

Während die Schrittfrequenz insbesondere durch die Faktoren Armarbeit und Bodenkontaktzeit beeinflusst wird, wird die Schrittlänge durch die Stabilisationsfähigkeiten der Rumpfmuskulatur und die Kraftausdauerfähigkeiten der Bewegungsmuskulatur bestimmt. In diesem Zusammenhang erinnere ich nur zu gerne an die zentrale Bedeutung des Rumpfstabilisationstrainings und weise noch einmal darauf hin, dass drei Stunden Lauftraining und eine Stunde Stabilisationstraining pro Woche einen weitaus größeren Leistungszuwachs erbringen als vier Stunden Lauftraining, ganz abgesehen davon, dass gleichzeitig das Verletzungsrisiko deutlich minimiert wird. Liebe Ausdauersportler, berücksichtigt endlich das Stabilisationstraining (inklusive Dehnung) und die Kraftausdauerentwicklung der Antriebsmuskulatur in eurer Wochenplanung. Dies beschleunigt nicht nur die Regeneration, sondern schafft auch die körperlichen Voraussetzungen für ein höheres Leistungsniveau. Und wenn sich diese Leistungszuwächse dann auch in einem Geschwindigkeitszuwachs äußern sollen, dann muss auch die Frequenz erhöht werden.

Schrittfrequenz: Die Arme sind der Motor der Beine!
Dies ist die einfachste Formel der Frequenzerhöhung. Wenn die Arme mit höherer Frequenz schwingen, dann überträgt sich dies automatisch auf die Beine. Und je mehr die Ellbogengelenke dabei angewinkelt werden, desto mehr verkürzt sich der Armhebel und erhöht so die Schrittfrequenz. Wenn Sie beim Laufen im Wald zwei Tannenzapfen aufheben, diese in die Ellbogenbeuge rechts und links einklemmen, weiter mit den Armen dynamisch schwingen und die Tannenzapfen so nach Hause transportieren, dann haben Sie eine wesentliche Voraussetzung für eine höhere Schrittfrequenz erfüllt.

Bodenkontakt: Nasser Sack versus Tennisball
Die Steigerung der Schrittfrequenz und der Geschwindigkeit hängt darüber hinaus auch von der Bodenkontaktzeit ab, die wiederum von den beiden Faktoren Rumpfspannung und Fußaufsatz bestimmt wird. Ein einfaches Experiment verdeutlicht dieses. Stellen Sie sich locker und entspannt hin. Führen Sie einige Schlusssprünge auf der Stelle aus. Nehmen Sie danach die Schulter zurück und heben den Brustkorb etwas an, ziehen Sie die Bauchdecke leicht nach innen und bauen etwas Spannung im Gesäß auf. Und dann springen Sie wieder. Das Ergebnis ist verblüffend: Ihre Sprungfrequenz nimmt zu, ihre Sprünge werden höher und der Bodenkontakt wird spürbar kürzer, vergleichbar mit einem Tennisball gegenüber dem nassen Sack.

Das Thema Fußaufsatz habe ich bereits ausführlich behandelt und dabei einen Begriff verwendet, den ich vor mehr als 40 Jahren in meinem Sportstudium gelernt habe. Dieser löst auch heute immer noch bei meinen Seminaren Verwunderung und Gelächter aus: die Bedeutung der intrazyklischen Geschwindigkeitsvariation.

SINGAPORE, 18 Aug 2010 - Judith Seivers (Bottom) of Germany compete during junior women's single sculls final A of rowing at the Singapore 2010 Youth Olympic Games at the Marina Bay in Singapore, August 18, 2010. Judith Seiver won the gold medal of the event. XINHUA/SYOGOC-Pool/Song Zhenping

Intrazyklische Geschwindigkeitsvariation
Aber der „Zungenbrecher“ und die damit einhergehenden Fragezeichen lösen sich ganz einfach, überzeugend und überraschend in Wohlgefallen auf. Die Antwort auf die Frage „Welches der beiden Ruderboote ist zum Zeitpunkt der Aufnahme schneller?“ erklärt die Thematik der intrazyklischen Geschwindigkeitsvariationen. Das obere Boot ist schneller, denn die Ruderin hat die Skulls durch das Wasser gezogen und dadurch das Boot beschleunigt. Die untere Ruderin hat die Skulls über Wasser zurückgebracht, sodass während dieser Phase das Boot nicht angetrieben worden ist und durch den Wasserwiderstand an Geschwindigkeit verloren hat. Wenn die untere Ruderin jetzt die Skulls ins Wasser bringt und mit dem Zug beginnt, dann wird ihr Boot wieder beschleunigt und schneller werden, während das Boot der oberen Ruderin während der Rückholphase der Skulls an Geschwindigkeit verliert. Die Geschwindigkeit eines Bootes ist also nicht gleichmäßig, sondern variiert innerhalb eines Bewegungszyklus, indem das Boot mit den Skulls beschleunigt und durch den Wasserwiderstand abgebremst wird. Und der ist bei kurzen, breiten Booten naturgemäß deutlich höher als bei langen, schmalen Booten. „Länge läuft“, das weiß jeder Segler, denn es gilt: „Longer boats are faster“. Es ist schon eine interessante Herangehensweise diese Seglerweisheit auch bei der Kraultechnik zu berücksichtigen, aber dies ist ein anderes Thema.

Das Auf und Ab der Geschwindigkeit bei jedem Bewegungszyklus, also die intrazyklische Geschwindigkeitsvariation, gilt für alle zyklischen Sportarten: Schwimmer werden im Übergang Zug-Druck-Phase schneller und in der Rückholphase langsamer, Radfahrer werden langsamer, wenn die Pedalen sich im oberen und unteren Totpunkt befinden, Läufer bremsen beim Aufsetzen des Fußes zu Beginn der Stützphase und beschleunigen mit dem Abstoß. Je größer die Bremswirkung, desto aufwendiger wird die nachfolgende Beschleunigung und desto unökonomischer die Technik. Wer also mit dem Fußaufsatz (zu) stark abbremst, muss seinen Abstoß deutlich dynamischer gestalten, um mitzuhalten.

Ich gebe zu, der Vergleich ist nicht ganz fair, aber aussagekräftig. Auf dem linken Bild ist die Bremswirkung durch das nahezu gestreckte Kniegelenk und den betonten Fersenaufsatz spürbar. Auf dem rechten Bild wird durch den flachen Fußaufsatz, das dämpfungsbereite gebeugte Kniegelenk und die aufrechte Oberkörperposition die Bremswirkung nahezu vermieden, sodass der Geschwindigkeitsverlust gering ist.

„Vorne kurz und hinten lang“, heißt die Devise für eine effektive Lauftechnik mit geringer intrazyklischer Geschwindigkeitsvariation. Je weiter der Fuß beim Aufsetzen vor dem Körperschwerpunkt aufsetzt, desto länger dauert die Bremsphase und desto mehr Geschwindigkeit wird verloren. Die Schrittlänge entsteht nicht durch den Aufsatz vor dem Körper, sondern durch den dynamischen Abstoß, wenn der Körperschwerpunkt über dem aufsetzenden Fuß ist.

Die Lauftechnik aller Spitzenläufer zeichnet sich – unabhängig von der Geschwindigkeit – durch die nachfolgenden Merkmale aus:

  1. Körperaufrichtung mit Rumpfspannung
  2. Flaches Aufsetzen des Fußes mit gebeugtem Knie
  3. Betonung des Armschwungs nach hinten ‒ oben
  4. Betonung des Armschwungs körpernah nach vorne ‒ oben
  5. Hüftbeugung zum Anheben des Oberschenkels
  6. Dynamische Hüftstreckung und damit auch Kniestreckung durch die Gesäßmuskulatur
  7. Anfersen zur Verkürzung der Hebel und zur Erhöhung des Drehmoments

Die Geschwindigkeitsunterschiede ergeben sich durch die Dynamik, mit der die Teilbewegungen ausgeführt werden, und durch die Bewegungsamplituden, die dabei erreicht werden.

Zum Abschluss möchte ich die mehrfache Ironman-Siegerin Nicole Leder zitieren. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen: „Sehr viele Athleten belächeln das Lauf-ABC und sind sich dessen positiver Auswirkung gar nicht bewusst. Es schult nicht nur die Koordination, sondern fördert auch die Beweglichkeit und die Körperspannung. Da es allerdings sehr zeitintensiv ist, fällt es bei den meisten Berufstätigen als eigenständige Trainingseinheit dem viel zu knappen Zeitbudget zum Opfer. Jedoch lassen sich einzelne Übungen spielerisch in nahezu jedes Lauftraining einfließen. Das bringt Abwechslung und beansprucht andere Muskelgruppen als beim monotonen Dauerlauf. Gleiches gilt auch für die Einbindung mehrerer kurzer Sprints von bis zu 100 Metern.“

Text: Dieter Bremer
Fotos: Ralf Graner und DOSB | Youth Olympics Singapore (Rudern)

Dieter Bremer (68) studierte an der Pädagogischen Hochschule Wuppertal mit dem Abschluss der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen und anschließend in Köln an der Sporthochschule mit dem Abschluss als Diplomsportlehrer. Ab 1975 war Bremer mehr als 31 Jahre am Unisportzentrum der Technischen Universität Darmstadt und am Institut für Sportwissenschaft in der Sportlehrerausbildung tätig. Während dieser Zeit publizierte er mehr als 50 Artikel zur Methodik der Sportspiele – insbesondere im Fußball und Tennis – sowie der Trainingssteuerung in den Ausdauersportarten. Darüber hinaus trainierte er unter anderem Lothar Leder und die zweifache Olympiateilnehmerin Petra Wassiluk. Dieter Bremer führt seine Marathonprojekte und Laufseminare nach dem Motto „Wer Erfolge haben will, muss besser trainieren als andere.“