
Sebastian Kienle absolvierte in diesem Jahr seine unmittelbare Rennvorbereitung auf der Nachbarinsel Maui. Wir unterhielten uns mit dem Hawaii-Sieger von 2014 über seine Achillessehne, das Training in der Gruppe, seinem Umgang mit platten Reifen und seinem Einschlafritual.
Sebastian, Deine Achillessehnenprobleme hast Du mit konservativen Behandlungsmethoden in den Griff bekommen, und kannst endlich wieder schmerzfrei laufen. Die Laufergebnisse in Heilbronn, Samorin, Frankfurt und Nizza sprechen für sich. Sehen wir in diesem Jahr den „neuen“ Kienle?
Es nicht einfach zu sagen, ab wann ist es jemand Neues. Mir gefällt die Formulierung generalüberholt weitaus besser … und (lacht) renoviert bin ich auf jeden Fall. Es ist ein tolles Gefühl, seit März das erste Mal nach fünf Jahren wieder schmerzfrei laufen zu können, das ist schon Wahnsinn. Bei den Laufergebnissen spielen natürlich immer verschiedene Faktoren eine Rolle. Es ist nicht nur die reine Fähigkeit, schnell zu laufen, sondern natürlich auch das Pacing auf dem Rad. Hilfreich ist auch ein individuell gefertigter Laufschuh von New Balance, viel Lauftechnik und, diese auch unter einem gewissen Ermüdungszustand aufrechtzuerhalten. All das hat dazu beigetragen, dass ich in den von Dir angesprochenen Rennen vor allem nach hinten hinaus stark gelaufen bin. Und das auch noch ohne wirklich hohe Umfänge. Hinzu kommt auch ein deutlich besseres Energiemanagement. Meine Speicher waren aufgrund eines besseren Stoffwechsels beim Laufen noch gut gefüllt, was wiederum dem geschuldet ist, dass wir dieses zusätzliche Potenzial erkannt und durch Nüchterntraining, das bei mir sehr gut anschlägt, ausgenutzt haben.
2018 war das Höhentrainingslager die große Veränderung in Deiner Trainingsroutine. Dieses Jahr kam mit Philipp Seipp nicht nur ein neuer Trainer an Bord, Du hast auch einige Trainingslager gemeinsam mit Laura Philipp, Franz Löschke und Florian Angert absolviert. Wie sehr hilft Dir in einer Einzelsportart das Trainieren im Team?
Es ist deutlich schöner, wenn man eine gute Gruppe um sich hat. Insbesondere beim Schwimmen hat das in diesem Jahr eine extrem große Rolle gespielt, auch wenn es sich im Wettkampf leider noch nicht massiv widergespiegelt hat (schmunzelt). Was in Frankfurt wirklich sehr gut geklappt hat, lief bei der 70.3-WM in Nizza eben nicht. Während die Schwimmleistung im Wettkampf noch sehr schwankend ist, sehe ich im Training, dass es spürbar vorangeht. Wichtig ist, dass es mir Spaß macht, in Livigno mit Florian Angert und Bradley Weis und hier auf Maui mit Franz Löschke und Laura Philipp. Letzterer etwas von meinem Wissen weitergeben zu können, ihren Fleiß und Arbeitseifer sowie ihre Fortschritte und die Entwicklung der anderen zu sehen, macht mir Freude und inspiriert mich zusätzlich. All das gibt natürlich auch Vertrauen in die Arbeit von Philipp Seipp, wenn ich sehe, dass seine Ansätze nicht nur bei mir, sondern auch bei seinen anderen Athleten funktionieren.

Du hast es gerade angesprochen. Im Rahmen der Hawaii-Vorbereitung warst Du die letzten Wochen vor dem Saisonhöhepunkt zum ersten Mal auf Maui. Das geschlossene Aquatic Center in Kona war sicherlich nicht der einzige Grund?
Die unmittelbare Vorbereitung ohne Schwimmbad zu absolvieren, geht einfach nicht. Hier ist es viel, viel einfacher, der Weg zum Schwimmtraining beträgt knapp drei Minuten. Das Becken ist gut temperiert und man kann dort sehr gut harte Einheiten trainieren. Hinzu kommt, dass das Lauftraining einfach auf einem anderen Niveau absolviert werden kann. Es gibt deutlich mehr Optionen als auf Big Island. Auch wenn weitere Profis wie Daniela Ryf und Jan Frodeno und deren Squads auf Maui ihren letzten Trainingsblock absolvieren, geht es insgesamt viel ruhiger und entspannter zu, ganz im Gegensatz zu Kona. Natürlich gibt mir das Gewusel viel, aber wenn das bereits zwei, drei Wochen vorher schon losgeht, wird es einfach anstrengend. Um mental wirklich frisch an den Start zu gehen, ist es hier schon deutlich besser. Und da stört mich auch nicht der kurze Flug am Sonntag von Maui nach Big Island.
Im Interview mit den Badische Neueste Nachrichten wurdest Du unter anderem auf den „letzten Radcheck“ angesprochen. Wie viel Sicherheit gibt es Dir, dass Du in diesem Jahr erstmals von zwei Mechanikern vor Ort unterstützt wirst?
Nachdem ich im vergangenen Jahr mit dem Material schon wirklich viel Pech hatte, ist es jetzt schon klasse, dass ich eine so gute Betreuung habe. Allerdings hat es daran nicht wirklich gemangelt, Scott ist jetzt kein Hersteller, der mir einfach das Rad hinstellt und sich dann nicht mehr darum kümmert und verschwindet. Im Gegenteil. Neben dem Mechaniker von SRAM ist auch Michael Wagner vor Ort, der schon 2014 bei meinem Sieg vor Ort war. Diese Unterstützung und der persönliche Service ist für mich mitentscheidend. Natürlich kann immer etwas passieren. Auch wenn man manche Risiken bewusst eingeht, ist es für mich wichtig, dass von der Seite aus einfach alles getan wurde und ich mir später keine Vorwürfe machen kann, etwas hätte besser machen können. Dafür investiert man einfach zu viel in dieses Rennen und das Training.
2019 hast Du Deinem langjährigen Reifensponsor den Rücken gekehrt und bist zu Schwalbe gewechselt. Warum und wieviel Sicherheit gibt Dir die Tubeless-Technik?
Für mich hat die Tubeless-Technologie definitiv die größte Zukunft. Sicherlich gibt es hie und da ein paar Kinderkrankheiten, aber mit dem neuen ETRTO-Standard, den jetzt auch die meisten Felgenhersteller adaptieren, wird vieles einfacher werden. Die ordentliche Fummelei der Vergangenheit – aus der man allerdings auch viel lernt – gibt es in der Weise nicht mehr, ich kann die meisten Reifen ganz normal mit der Handpumpe aufpumpen. Gerade auf Hawaii ist Tubeless eine große Hilfe. Wir fahren immer auf den breiten Seitenstreifen, wo sich viel Dreck, Scherben und Dornen spitz wie Nägel befinden. Natürlich haben wir auch Platten, aber wir können die Einheiten mit den Reifen immer zu Ende fahren, weil die Milch die Löcher abdichtet. Und genauso erging es mir auch in Frankfurt. Tubeless hat mir das Rennen schon irgendwie gerettet. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass wir da auch ganz bewusst ein größeres Risiko eingegangen sind, weil wir das Mehr an Pannenschutz letztendlich auch dazu genutzt haben, den Rollwiderstand abzusenken. Von den drei Technologien Tubeless, Clincher und Schlauchreifen ist Tubeless – wenn man den gleichen Reifen mit der gleichen Karkasse, der gleichen Gummimischung und dem gleichen Pannenschutz ausstattet – die mit Abstand schnellste und gleichzeitig auch pannensicherste Technologie. Schwalbe ist ein toller Partner, der sehr viel Wert auf die Zusammenarbeit mit den Athleten legt und sehr schnell reagiert und Ideen umsetzt. All dies lässt natürlich zu, dass man noch mehr ans Limit geht und alles ausreizt, was dann dazu führt, dass der Reifen zwar noch schneller wird, aber nicht mehr so pannensicher ist. Wenn etwas passiert, dann liegt es daran, dass wir gemeinsam ganz bewusst ein erhöhtes Risiko eingegangen sind. All dies berücksichtigend werden wir für nächsten Samstag einen guten Mittelweg finden und eine verbesserte Version des Frankfurter-Modells fahren.
Welches Ritual pflegst Du am Abend vor dem Rennen bis zum Einschlafen und am Wettkampftag vom Klingeln des Weckers bis zum Startschuss?
Ein Ritual habe ich nicht, vielmehr eine sehr gut eingespielte Routine, also wann es was zu Essen gibt, wann ich ins Bett gehe. Wichtig ist für mich, eine Sicherheit zu haben, die mich ruhig und gut schlafen lässt, was ich ohnehin gut kann. Und das kann ich dann, wenn ich weiss, dass es nichts mehr gibt, über das ich mir den Kopf zerbrechen muss. Alles, was ich machen konnte, ist erledigt. Natürlich gibt es bei diesem Rennen immer Unsicherheitsfaktoren. Es gibt einfach Sachen, die liegen nicht in der eigenen Hand, damit muss sich jeder Teilnehmer abfinden. Wenn alle von mir zu beeinflussenden Puzzlesteine ineinander passen, werde ich ruhig und lege das Rennen in die Hände des Schicksals. Und das, was ich tun kann, werde ich im Rennen dann auch tun.
Ich wünsche Dir eine stressfreie Woche in Kailua-Kona und einen ruhigen Schlaf auf den 12.10.2019.
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Interview: Klaus Arendt
Fotos: Philipp Seipp